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Herr Ferber, immer wieder heißt es, bürokratische Vorgaben würden vor allem auf Initiativen aus Brüssel zurückgehen. Wie bewerten Sie solche pauschalen Vorwürfe?

Markus Ferber: Wenn mal wieder gegen „Brüssel“ und den nicht abreißenden Strom neuer Vorgaben gewettert wird, wird auch gern der Mythos herangezogen, dass 80 Prozent der nationalen Gesetzgebung europäischen Ursprung hat. Diese Aussage hält sich bis heute hartnäckig, ist aber natürlich so nicht richtig. Ich meine aber, dass es die gefühlte Realität widerspiegelt, die Bürger und vor allem Unternehmer erleben. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Inwieweit nationale Gesetzgebung aus EU-Regulatorik entstammt, ist stark abhängig vom jeweiligen Politikfeld. In einigen kann die EU subsidiaritätsbedingt nicht einfach etwas verordnen. Das ist Sache der Nationalstaaten. In anderen wiederum schon. Vor allem in den Bereichen Wirtschaft und Umwelt erleben wir mit der aktuellen Kommission und ihrem Flaggschiffprojekt, dem Green Deal, eine unvergleichliche Kumulation an Gesetzgebung, die in den kommenden Jahren umgesetzt werden muss. Manches konnte im Laufe des Gesetzgebungsprozesses eingefangen werden, anderes hingegen bleibt starr, unnötig detailreich und kompliziert. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass, abhängig davon, welche Gesetzesform die EU für die jeweiligen Vorgaben wählt, die Umsetzung dieser Regeln immer noch bei den Mitgliedstaaten liegt – Stichwort „Gold Plating“. Deutschland zählt zu denjenigen Mitgliedstaaten, die bei der Umsetzung gern noch eine Schippe drauflegen.

„Die bürokratische Last kommt aus der Vielzahl parallel zueinander laufender Gesetzgebungen, die immer neue Berichterstattung und Verwaltung mit sich bringen.“

Wo verursacht die EU-Gesetzgebung aus Ihrer Sicht besonders viel Bürokratie, die den Mittelstand und Regionalbanken belasten?

Ferber: Die einfacher zu beantwortende Frage wäre „Wo nicht?“. Die Folgen einer überbordenden Bürokratie gesetzesspezifisch darzustellen, würde den Rahmen sprengen. Die bürokratische Last kommt aus der Vielzahl parallel zueinander laufender Gesetzgebungen, die immer neue Berichterstattung und Verwaltung mit sich bringen. Einige Beispiele sind die EU-Lieferkettenrichtlinie, mit der international praktizierende europäische Unternehmen für die Einhaltung von ökologischen, sozialen und unternehmerischen Sorgfaltspflichten in der gesamten Lieferkette haftbar gemacht werden, sowie die ab dem nächstem Jahr teils schon umzusetzende Nachhaltigkeitsberichterstattung oder unnötig komplexe Vorgaben zu nachhaltiger Finanzierung und Taxonomie. Die Liste ist lang. Wir erleben derzeit eine wirtschaftliche Transformation inmitten anhaltender Krisen. Insbesondere der Mittelstand erlebt dies als eine große Überforderung, der die Europäische Kommission keine hinreichende Antwort entgegensetzt. Dabei muss die EU gerade den Mittelstand als Innovationstreiber entlasten. Ebenso die lokalen Banken, die oftmals Kreditgeber ebenjener Mittelständler sind und daher elementar sind im Transformationsprozess. Neue Auflagen dürfen Innovation, Fortschritt und Finanzierung nicht unnötig erschweren. Es bedarf sehr viel differenzierterer Regulierung. 

In ihrem Arbeitsprogramm für 2024 hat die EU-Kommission angekündigt, Berichtspflichten für die Wirtschaft um 25 Prozent zu verringern. Wie bewerten Sie dieses Ziel?

Ferber: Dass unsere seit Jahren geäußerten Forderungen endlich Anklang finden, ist zunächst begrüßenswert. Doch der Optimismus über die Unterstützungsinitiativen für den Mittelstand hält sich mit Blick auf die Versäumnisse der letzten Jahre und einer nahezu abstinenten unternehmerischen Perspektive eher in Grenzen. Ob eine 25-prozentige Minderung der Berichtspflichten angesichts des Bürokratieaufwuchses ausreicht, um eine Kehrtwende zu vollbringen, ist fraglich. Zudem adressiert die Kommission keinesfalls aktuell in Verhandlung befindliche Gesetzgebung, die für Unternehmen nicht minder aufwendig wird. Wir brauchen smarte Regulierung mit einer One-in-one-out-Regelung, die nicht nur auf dem Papier steht, und einen echten Wettbewerbsfähigkeitscheck. Das neue Arbeitsprogramm enthält gute Ideen, kann aber nur der Startpunkt des Projekts Bürokratieabbau sein.

„Die Kommission beruft sich zwar auf das One-in-one-out-Prinzip, lebt es aber nicht.“

Auch die EU-Kommission beruft sich auf das One-in-one-out-Prinzip, um eine bessere Rechtsetzung zu erreichen. Inwiefern halten Sie diesen Ansatz für geeignet, den Mittelstand von Bürokratie und Regulatorik zu entlasten?

Ferber: Die Kommission beruft sich zwar auf das One-in-one-out-Prinzip, lebt es aber nicht. Wenn man genau nachrechnet, sind wir eher bei drei neuen Initiativen für eine, die zurückgezogen wird. Die Kommission behauptet zwar anderes, rechnet sich die Welt aber auch ein Stück weit schön. Am Ende kommt es aber ohnehin weniger auf die exakte Zahl der Regelungen an, sondern darauf, dass der Gesetzesrahmen kohärent ist. Bevor Neues kommt, muss Bestehendes überprüft werden. Grundsätzlich muss auch viel mehr über Anreize gearbeitet werden als über Ordnungsrecht. All das wären Grundsätze guter Rechtssetzung, die in Zukunft viel stärker berücksichtigt werden müssen.

„Die Kleinanlegerstrategie wäre eine gute Gelegenheit gewesen, einmal mit der Machete durch den Regelungsdschungel im Bereich Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen zu gehen.“

Mit ihrer Kleinanlegerstrategie verfolgt die EU-Kommission das Ziel, Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern den Zugang zu den Kapitalmärkten zu erleichtern. Dazu will die Kommission unter anderem den Anbietern von Wertpapieren weitere Informationspflichten auferlegen, um den Anlegerschutz zu verbessern. Wie beurteilen Sie dieses Vorhaben, auch im Lichte des angekündigten Bürokratieabbaus?

Ferber: Die Kleinanlegerstrategie wäre eigentlich eine gute Gelegenheit gewesen, einmal mit der Machete durch den Dschungel an unterschiedlichen Regelungen im Bereich Verbraucherschutz bei Finanzdienstleistungen zu gehen und ein konsistentes und kohärentes Regelwerk zu schaffen. Das würde sowohl die Befolgungskosten reduzieren als auch für die Kunden den Zugang zu Finanzprodukten erleichtern. Schließlich bedeutet die Kombination aus demografischem Wandel und umlagefinanziertem Rentensystem, dass die private Altersvorsoge perspektivisch immer wichtiger wird. Diese Chance hat die Kommission mit der Kleinanlegerstrategie verstreichen lassen. Mit dem Kommissionsvorschlag bin ich deswegen gar nicht einverstanden. Er würde nicht nur für zusätzliche Belastungen sorgen, sondern auch den Zugang von Kleinanlegern zu den Kapitalmärkten erschweren – das wäre genau der gegenteilige Effekt vom gewünschten Ziel. Im Moment laufen noch die Beratungen im Parlament und im Rat. Es zeichnet sich jetzt schon ab, dass der Kommissionsvorschlag noch einmal ziemlich umfassend überarbeitet wird. Ich setze mich dafür ein, dass das auch unter dem Gesichtspunkt Bürokratieabbau geschieht.

„Wir brauchen eine mittelstandsfreundlichere Regulierung. Es geht um nichts Geringeres als die Wettbewerbsfähigkeit Europas.“

Wo würden Sie auf europäischer Ebene ansetzen, um den Mittelstand und die Regionalbanken wirkungsvoll von Bürokratie und überbordender Regulatorik zu entlasten?

Ferber: Eines muss klar sein: Bürokratieabbau hört nicht beim Abbau von Berichtspflichten auf. Es gilt auch überkomplexe Planungs- und Genehmigungsprozesse zu vereinfachen. Grundsätzlich muss bessere Rechtssetzung auch bedeuten, dass nicht nur neue Gesetze auf den Weg gebracht, sondern auch überholte Rechtsakte zurückgezogen werden. Wir brauchen eine mittelstandsfreundlichere Regulierung und langfristig einen öffentlich einsehbaren Bürokratiekostenindex mit einer echten Darstellung der Befolgungskosten. Es geht um nichts Geringeres als die Wettbewerbsfähigkeit Europas. Sie hängt von vielerlei Aspekten ab.  Verwaltungsreduzierung ist zwar nur einer davon, aber eben ein sehr bedeutender. Diesbezüglich gilt es Bürgern, Unternehmen und Behörden auch einfache digitale Tools in die Hand zu geben, die entsprechend beworben und kommuniziert werden. Das Leitmotiv für die noch verbleibende Legislaturperiode und die nachfolgende Kommission muss ein merklicher Bürokratieabbau sein: Komprimieren, Vereinfachen, Digitalisieren.
 

Herr Ferber, herzlichen Dank für das Gespräch!


Markus Ferber ist wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament.

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