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Unterschiedlicher hätten die beiden Kinoschlager des Sommers kaum sein können. Auf der einen Seite die satirische Komödie „Barbie“ über die berühmteste Spielzeugpuppe der Welt, auf der anderen Seite ein düsterer Thriller über den Vater der Atombombe, Robert Oppenheimer. Beide Filme zogen die Menschen in Deutschland in ihren Bann: Zu „Barbie“ strömten rund sechs Millionen Besucherinnen und Besucher in die Lichtspielhäuser, „Oppenheimer“ zählte rund vier Millionen Zuschauer. Auch im Kino Central im Bürgerbräu in Würzburg liefen die beiden Filme erfolgreich. „Wir sind mit dem Zuspruch zu Barbie und Oppenheimer sehr zufrieden“, sagt Geschäftsführer Marc Velinksy.

Drei bayerische Kino-Genossenschaften

Hinter dem Central im Bürgerbräu steht eine Genossenschaft mit über 500 Mitgliedern, die Programmkino Würzburg eG. Es ist eins von zwei bayerischen Kinos, die genossenschaftlich betrieben werden. Das andere ist das Roxy Kitzingen (zum Bericht in „Profil“). Außerdem ist die deutschlandweit aktive Kinomarkt Deutschland eG Mitglied im Genossenschaftsverband Bayern (GVB). Das Unternehmen betreibt eine E-Commerce-Plattform für Filmtheater (zum Bericht in „Profil“).

Wie das genossenschaftliche Kino entstand

Warum gibt es in Würzburg ein genossenschaftliches Kino? Blick zurück ins Jahr 2009. Damals schloss das letzte Programmkino in der unterfränkischen Stadt. Einige Cineasten wollten sich jedoch nicht damit abfinden, dass der Schein der Projektoren für immer erlöschen sollte. Also gründeten sie eine Genossenschaft mit dem Ziel, ihr eigenes Filmtheater zu betreiben. Den Kinosaal richteten sie in der Aula eines ehemaligen Gymnasiums ein. Der Betrieb lief gut, war aber von Anfang an nur ein Provisorium, da die Stadt das Gebäude an einen Investor verkaufen wollte.

2016 fand die Genossenschaft ein neues Zuhause auf dem einstigen Produktionsgelände einer Brauerei im Westen von Würzburg – daher auch der Name Central im Bürgerbräu. In den Kellern, wo früher das Bier lagerte, wurden drei Kinosäle mit Platz für insgesamt 318 Personen eingerichtet. „Was die Genossenschaft geleistet hat, vor allem auch dank viel ehrenamtlicher Arbeit, ist beeindruckend. Es ist ein Paradebeispiel dafür, was möglich ist, wenn sich Menschen gemeinsam für ein Projekt engagieren“, betont Velinksy. Er hat das Amt des Geschäftsführers im Mai 2023 von Heidrun Podszus übernommen. Sie ist eine der vielen engagierten Menschen, die dafür gesorgt haben, dass es in Würzburg heute ein Programmkino gibt. Neben Geschäftsführer Marc Velinsky kümmert sich vor allem Kinoleiter Surija Rattanasamay um die Geschicke des Central im Bürgerbräu. Insgesamt beschäftigt das Kino rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele davon sind Minijobber, häufig Studenten.

Die drei Kinosäle im Central im Bürgerbräu: Saal 1 fasst 167 Personen…

… im zweiten Saal finden 114 Menschen Platz…

… der dritte Saal bietet Kapazitäten für 38 Menschen. Foto: Christof Dahlmann

Nicht nur Arthouse-Filme im Programm

Der Fokus beim Central im Bürgerbräu liegt auf sogenannten Arthouse-Filmen. Sie entstehen in der Regel außerhalb der großen Filmstudios mit geringem Budget und ohne große Spezialeffekte. Häufig geht es um gesellschafts- oder sozialkritische Themen. Viele Filme laufen zudem in der Originalsprache mit deutschen Untertiteln. Den Besucherinnen und Besuchern sei das wichtig, sagt Velinsky.

Gleichzeitig sind auch bekanntere Produktionen wie beispielsweise der eingangs erwähnte Barbie-Film in dem genossenschaftlichen Kino zu sehen. Um das Programm kümmert sich Velinsky selbst. Ihm macht die Aufgabe große Freude, da er so eigene Akzente setzen kann. Gleichzeitig betont er, dass die Tätigkeit ein ständiger Balance-Akt sei: „Unser Anspruch ist es, Filme mit hoher künstlerischer Qualität zu zeigen. Wir möchten die Menschen zum Nachdenken über sich selbst und ihre Umwelt anregen. Gleichzeitig ist unser Kino kein Selbstzweck, sondern ein Wirtschaftsbetrieb, der sich rechnen muss. Also zeigen wir genauso gerne Filme, die sich an ein breites Publikum richten und die die bekannten Filmverleiher wie Warner Bros. oder Universal Pictures mit viel Marketing-Budget platzieren. Aber selbst, wenn wir keine wirtschaftlichen Zwänge hätten: Was würde es uns bringen, jeden Tag Filme zu zeigen, die wir persönlich interessant finden, bei denen aber der Kinosaal leer bleibt? Das ist der Spagat, mit dem wir täglich arbeiten“, sagt Velinsky.

Was bedeutet das in der Praxis? Der Geschäftsführer gibt zwei Beispiele: Deutlich länger als gedacht lief im Central im Bürgerbräu der Kinder- beziehungsweise Abenteuerfilm „Checker Tobi und die Reise zu den fliegenden Flüssen“. Dieser sei naturgemäß keine Arthouse-Produktion, komme bei den Menschen aber gut an, erzählt Velinsky. Deshalb habe man den Film viele Wochen im Programm gehabt.

Den Film „… wie Dich selbst?“ von Susanne Petz und Ralph Gladitz zeigte in der Region Würzburg ausschließlich das Genossenschaftskino. Darin berichten neun Menschen, was sie mit dem Thema Selbstliebe verbinden und welchen Einfluss die Liebe auf sie sowie ihre Beziehung zu anderen hat. Regisseurin Petz kam zur Vorführung nach Würzburg. Zwar seien nur zehn Zuschauer da gewesen, erzählt Velinsky. Doch diese seien anschließend allesamt im Kinosaal geblieben, um mit der Regisseurin über den Film zu sprechen. Als das Kino eine Woche später erneut eine Vorstellung ansetzte, kamen 25 Besucherinnen und Besucher. „Das hat mich extrem gefreut, weil es zeigt, dass die Gäste der ersten Vorführung den Film weiterempfohlen haben. Insgesamt konnten wir somit 35 Menschen dazu animieren, sich Gedanken zum Thema Selbstliebe zu machen“, sagt Velinsky.

Strukturwandel, Corona, Energiekrise

Der neue Geschäftsführer ist in einer Zeit gekommen, die für die Branche nicht leicht ist. Dass die Kinos einen Strukturwandel durchlaufen, ist keine neue Entwicklung. Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon Prime Video, Apple TV+, Disney Plus oder Paramount Plus gewinnen an Bedeutung. Zudem wird das Zeitfenster, in dem Kinos Filme exklusiv zeigen dürfen, immer kürzer. Früher mussten Filmfans ein halbes Jahr oder länger warten, bis sie die Streifen auch zu Hause gucken konnten. Nun sind es in der Regel vier Monate. „Je kürzer die Zeitspanne wird, desto attraktiver ist es, die Filme vom eigenen Sofa aus zu schauen“, bekräftigt Velinsky.

Central im Bürgerbräu: Beim Besuch der „Profil“-Redaktion läuft im zweiten Saal der Film „Checker Tobi“…

…auch für das leibliche Wohl ist gesorgt…

… das Kino ist in ehemaligen Bierkellern untergebracht…

… Dank an die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer Wand im Central im Bürgerbräu: Sie haben dafür gesorgt, dass es heute in Würzburg ein Programmkino gibt. Foto: Christof Dahlmann

Zusätzlich hat die Corona-Pandemie deutliche Spuren hinterlassen. 2019 kamen noch rund 80.000 Menschen ins Central im Bürgerbräu – Besucherrekord für das genossenschaftliche Kino. 2020 brachen die Zuschauerzahlen ein. Mittlerweile haben sie sich wieder erholt, liegen aber noch unter dem Niveau von 2019. „Mein Hauptziel ist es, die Zuschauerzahlen weiter zu steigern“, erklärt Velinsky. Eine zusätzliche Belastung für das Budget stellen die hohen Energiekosten dar. Diese können nicht eins zu eins an die Besucher weitergegeben werden. Es mache sich nun bezahlt, dass Vorgängerin Heidrun Podszus im vergangenen Jahr neue Laser-Projektoren für die drei Kinosäle angeschafft habe, sagt Velinsky. Diese seien deutlich energiesparender als die früheren Projektoren.

„Die Folgen des Streiks in Hollywood werden uns bis weit ins kommende Jahr begleiten.“

Ein weiteres Thema: Der Doppelstreik von Drehbuchautoren und Schauspielern, der das US-amerikanische Filmzentrum Hollywood dieses Jahr über mehrere Monate lahmgelegt hat. Daraufhin wurden Filmstarts verschoben und Preisverleihungen abgesagt, neue Filme oder Serien nicht produziert. „Die Folgen des Streiks in Hollywood werden uns bis weit ins kommende Jahr begleiten. Schließlich kommen die Menschen ins Kino, weil sie gute Filme sehen möchten. Wenn es wenig Neuerscheinungen gibt, dann fällt ein starker Anreiz weg. Wir hoffen, dass sich der Betrieb schnellstmöglich normalisiert“, sagt Velinsky.

Eine Daueraufgabe für das Central im Bürgerbräu ist es, neues und junges Publikum zu erschließen. Dazu gibt es Kooperationen mit Schulen sowie zahlreiche Veranstaltungen. Beispielsweise nimmt das genossenschaftliche Kino am Jugendfilmfestival „Cinéfête“ teil, bei dem Filme aus Frankreich gezeigt werden. Auch beim englischsprachigen Pendant, den „Britfilms“, ist das Kino dabei. Zudem möchte Velinsky vermehrt Filme zeigen, die sich vor allem an junge Erwachsene wenden. Ein Beispiel ist Taylor Swifts Konzertfilm „The Eras Tour“, der im Oktober lief. Auch Live-Events wie Konzerte oder Theaterstücke könnten in den Kinosälen aufgeführt werden. Sehr beliebt, nicht nur bei den jungen Gästen, ist das Open-Air-Kino, das jeden Sommer auf dem zentralen Hof des Bürgerbräu-Geländes stattfindet. Velinsky fasst zusammen: „Wir bieten eine große Palette an Filmen und Veranstaltungen und haben auch neue Ideen. So gelingt es uns hoffentlich, noch mehr und gerade auch junge Menschen für unser Kino zu begeistern.“

Wenn die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwimmt

Der Geschäftsführer des Central im Bürgerbräu erinnert sich noch gut an ein einschneidendes Kino-Erlebnis aus seiner Jugendzeit zurück. Als er 13 Jahre alt war, durfte er exklusiv als einziger Besucher eine Nachmittagsaufführung von „Der Club der toten Dichter“ mit Robin Williams ansehen. Ermöglicht hatte dies seine Mutter, die die Besitzerin des Kinos gut kannte. „Alleine im Saal zu sitzen, vor mir die riesige Leinwand, ein toller Film – das war ein ganz besonderes Erlebnis“, sagt Marc Velinsky. In diesen zwei Stunden, in denen die Grenze zwischen Realität und Fiktion verschwamm, wurde seine Liebe zum Kino entfacht. Er hofft, dass die Tätigkeit im Central im Bürgerbräu dazu beiträgt, dass möglichst viele Menschen ebenfalls magische Momente im Kino erleben. Immer dann, wenn das Flüstern im Saal verstummt, weil die ersten Bilder über die Leinwand laufen.

Filmtipp für Dezember: All Eure Gesichter

Seit 2014 gibt es in Frankreich Einrichtungen, in denen Opfer von Verbrechen gemeinsam mit Tätern unter Aufsicht von Experten und engagierten Laien miteinander sprechen können. Das soll ihnen dabei helfen, die Taten zu verarbeiten. Der Film „All Eure Gesichter“ erzählt von diesen Begegnungen und zeigt die Wut, die Angst, die Hoffnung, das Schweigen, das Misstrauen und Vertrauen sowie die Kraft der Worte. „Ein sehr interessantes Szenario. Der Film regt zum Nachdenken über das Leben, die eigenen Entscheidungen und die persönliche Wertvorstellung an. Zudem spielen viele bekannte französische Schauspielerinnen und Schauspieler mit“, sagt Marc Velinsky. Kinostart war der 14. Dezember 2023.

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