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Herr Böhnke, Friedrich Wilhelm Raiffeisen hat die Grundlagen des Genossenschaftswesens – Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung – entscheidend mitgeprägt. Sind seine Ideen heute noch aktuell?

Werner Böhnke: Unbedingt. Ich bin sogar überzeugt, dass Raiffeisens Ideen aktueller denn je sind. In einer Zeit, in der die Dinge immer komplexer und unübersichtlicher werden, suchen die Menschen nach Nähe, verlässlicher Orientierung und – im wohlverstandenen Sinne – Heimat. Raiffeisens Ideen mögen zwar aus der Vergangenheit stammen, doch sie haben ein großartiges Potenzial für die Gegenwart und die Zukunft.


Wo genau sehen Sie dieses Potenzial?

Böhnke: Immer mehr Menschen möchten eine gerechte Wirtschaftsordnung, die nicht nur einzelnen nutzt, sondern allen Vorteile bringt. Und die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft ermöglicht genau das: Sicherheit, Verlässlichkeit und wirtschaftlichen Erfolg. So können Menschen Verantwortung übernehmen und etwas mitgestalten. Teilhabe und Mitwirkung sind jene Bausteine, die Raiffeisens Gedanken so zeitlos erscheinen lassen. Und das überall auf der Welt: Inzwischen gibt es über eine Milliarde Menschen, die sich in Genossenschaften zusammenfinden.

„Viele Gruppierungen verlieren Mitglieder. Genossenschaften hingegen gewinnen seit Jahren immer mehr Teilhaber.“

Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Genossenschaftsmitglieder stetig zu, aktuell sind es mehr als 22 Millionen…

Böhnke: … was wirklich bemerkenswert ist. Viele Gruppierungen verlieren Mitglieder, nehmen Sie etwa die Kirchen oder die Gewerkschaften. Genossenschaften hingegen gewinnen seit Jahren immer mehr Teilhaber. Das zeigt die großartige Strahlkraft und Anziehungskraft der Idee Raiffeisens.
 

Raiffeisen hat das Genossenschaftswesen nicht alleine auf den Weg gebracht. Doch andere Pioniere wie Hermann Schulze-Delitzsch oder Wilhelm Haas sind im kollektiven Gedächtnis längst nicht so präsent. Wie und warum ist gerade Raiffeisen zu einer Marke geworden?

Böhnke: Zum einen war sicherlich entscheidend, dass Raiffeisen Wegbereiter und Vorkämpfer war. Er hat nicht gewissermaßen aus dem Elfenbeinturm heraus gelehrt, sondern als unmittelbarer Ansprechpartner direkt am und im Lebensgeschehen der Menschen gewirkt. Das brachte ihm viel Aufmerksamkeit. Zum anderen sind natürlich Raiffeisens Schriften und Vorträge zu nennen. Diese haben ganz wesentlich dazu beigetragen, seine Ideen aus dem Westerwald in die ganze Welt hinauszutragen.
 

2016 hat die UNESCO die genossenschaftliche Idee in die Liste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Wäre es auch ohne Raiffeisens Erbe so gekommen?

Böhnke: Ich tue mich schwer, einen direkten Bezug zu Raiffeisen herzustellen. Immerhin hat die UNESCO ja die Genossenschaftsidee in den Rang des Kulturerbes gerückt, und nicht die Person Raiffeisen. Und zur heute gültigen Form haben natürlich noch viele andere beigetragen. Was aber in diesem Zusammenhang interessant ist: Ich glaube, Raiffeisen hätte sich nicht vorstellen können, dass der Genossenschaftsidee einmal eine solch große Ehre zuteilwerden würde. Er war ja Zeit seines Lebens selbst darüber verwundert, dass seine Ideen bei so vielen Menschen Zuspruch gefunden haben. Sein Erfolg hat ihn bisweilen selbst überrascht.

Raiffeisenjahr 2018

Am 30. März 2018 jährt sich der Geburtstag Friedrich Wilhelm Raiffeisens zum 200. Mal. Dieses Ereignis nimmt die Deutsche Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft zum Anlass, das Jubiläum zu feiern. Unter dem Motto „Mensch Raiffeisen. Starke Idee!“ sollen möglichst viele Menschen für die Genossenschaftsidee begeistert werden. Genossenschaften können Unterstützungsmaterial anfordern, um mit eigenen Aktionen auf den Geburtstag aufmerksam zu machen. Weitere Infos unter:
www.raiffeisen2018.de

Raiffeisen wäre am 30. März 2018 200 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass feiert die Genossenschaftsorganisation unter Federführung der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft das Raiffeisenjahr 2018 mit zahlreichen Veranstaltungen. Welche Ziele wollen Sie damit erreichen?

Böhnke: Zunächst einmal wollen wir seiner gedenken. Ein zweiter Schritt ist es dann, seine zeitlosen Vorstellungen von genossenschaftlicher Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung ins öffentliche Bewusstsein zu stellen. Wir wollen unter dem Motto „Mensch Raiffeisen. Starke Idee!“ zeigen, warum er ein bedeutender Sozialreformer war und wie Genossenschaften den Herausforderungen der heutigen Zeit begegnen. Das setzen wir auf vielfältige Art und Weise in Szene, zum Beispiel mit der Ausstellung „Tradition Raiffeisen: Wirtschaft Neu Denken“ im Landesmuseum Koblenz auf der Festung Ehrenbreitstein.
 

Wie kann es gelingen, gerade jüngeren Menschen die Ideen und Ideale von Raiffeisen zu vermitteln?

Böhnke: Wenn ich mit jungen Menschen spreche, dann entdecke ich, dass Konsum, Besitz und Profit kein Lebenselixier für sie sind. Ganz im Gegenteil: Sie wollen ihre Ideale verwirklichen und zu einer nachhaltigen und gerechten Gesellschaft beitragen. Die Genossenschaftsidee passt somit perfekt zu jungen Menschen und zu ihren Vorstellungen, denn damit können sie sowohl unternehmerische als auch gesellschaftliche Verantwortung verbinden. Kurzum: Junge Menschen streben nach Sinnerfüllung und diese können sie mit Genossenschaften auf wunderbare Art und Weise realisieren.

„Sein Mut, seine Kreativität und seine Tatkraft faszinieren mich jedes Mal aufs Neue.“


Sie haben ihr gesamtes Berufsleben in der Genossenschaftsorganisation gearbeitet. Wie hat Sie der Wertekanon von Raiffeisen motiviert?

Böhnke: Ich muss gestehen, dass mir zu Beginn meiner Tätigkeit niemand die Ideen und Gedanken Raiffeisens nähergebracht hat. Diese habe ich erst im Verlauf meines Wirkens Schritt für Schritt kennengelernt. Deshalb war es später, besonders zu meiner Tätigkeit als Bankvorstand, ein wichtiges Anliegen, die Mitarbeiter für den Genossenschaftsauftrag zu sensibilisieren. Ich habe immer wieder herausgestellt: Die Aufgabe unserer Genossenschaft besteht darin, unsere Mitglieder zu fördern. Das steht an erster Stelle. Und wenn wir das beherzigen, dann stellt sich auch der eigene unternehmerische Erfolg ein.
 

Von Raiffeisen sind viele wegweisende Zitate überliefert. Welches gefällt Ihnen am besten?

Böhnke: Es ist vielleicht wenig überraschend, aber mein Lieblingszitat von Raiffeisen ist noch immer: „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele“. Kein anderer Satz kann so überzeugend den Kern seiner Ideen wiedergeben. Und er zeigt: Raiffeisen war ein Mensch, der sich stets für andere eingesetzt hat. Dieser Antrieb, diese Mission hat bei ihm ungeheure Kräfte freigesetzt, obwohl er ja schon früh gesundheitlich angeschlagen war.
 

Herr Böhnke, vielen Dank für das Gespräch!

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