Herr Dr. Gros, die fünf Wirtschaftsweisen haben sich in ihrem jüngsten Jahresgutachten dafür ausgesprochen, die Regulierung des Finanzsektors regelmäßig zu evaluieren, „um ineffektive Regulierungen zu identifizieren und gegebenenfalls abzuschaffen“. Insbesondere der finanzielle Verbraucherschutz soll überprüft werden. Was halten Sie davon?
Jürgen Gros: Die Wirtschaftsweisen haben völlig recht. Es gibt ausreichend Beispiele, die zeigen, wie überzogener Verbraucherschutz im Finanzbereich mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Diese Regeln verfehlen schlicht ihr Ziel. Sie schützen die Verbraucher nicht, sie bevormunden sie und gehören deshalb auf den Prüfstand.
Mit anderen Worten, Sie wollen den Verbraucherschutz einschränken?
Gros: Es geht nicht darum, den Verbraucherschutz einzuschränken, sondern ihn sinnvoll und praxisgerecht auszugestalten. Ziel muss es doch sein, Privatpersonen bei Finanzfragen vor Irreführung und Täuschung durch schwarze Schafe zu bewahren. Angesichts der Flut an neuen Vorschriften in den vergangenen Jahren muss aber die Frage erlaubt sein, ob all diese Regeln wirklich zu einem besseren Verbraucherschutz beitragen. Ich habe den Eindruck, dass sie die Bankkunden häufig nur ratlos zurücklassen. Bestes Beispiel dafür ist die Masse der gesetzlich vorgeschriebenen Informationsschreiben. Sie überfordern den Verbraucher schlicht und ergreifend.
Woran machen Sie das fest?
Gros: Die Kunden der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken beschweren sich immer häufiger über eine Flut an Dokumenten und stellen deren Sinnhaftigkeit infrage. Nehmen Sie nur die EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID II: Noch bevor die Vorgaben zur Wertpapierberatung am 3. Januar überhaupt in Kraft getreten sind, haben die Kunden einen Beipackzettel von rund drei Dutzend DIN-A4 Seiten in der Post. Zukünftig werden die neuen Regeln dafür sorgen, dass bei jeder Anlageberatung stapelweise zusätzliche Produkt- und Kosteninformationen zur Beratungsdokumentation verteilt werden müssen. Und mit der neuen EU-Richtlinie IDD wird es dem Verbraucher beim Abschluss einer Versicherung ganz ähnlich ergehen.
Stichwort MiFID II
Das EU-Reformpaket zum Wertpapieraufsichtsrecht (Finanzmarktrichtlinie MiFID II) tritt am 3. Januar 2018 in Kraft. Es führt zu wesentlichen Änderungen für alle Wertpapierdienstleister und damit auch für die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken. Neben der Neufassung des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) und seinen Rechtsverordnungen werden unter anderem auch die EU-Finanzmarktverordnung MiFIR sowie diverse delegierte EU-Verordnungen umzusetzen sein.
Das heißt, Sie zweifeln an, dass die vorgeschriebenen Informationen und Dokumentationen in ihrer jetzigen Form dem Verbraucher helfen?
Gros: Ja, das zweifle ich an. Fakt ist doch, dass es für Bankkunden zunehmend schwieriger wird, sich bei der Geldanlage Rat zu holen. Bisher vertrauen viele Konsumenten ihrer Hausbank. Doch die zunehmenden Dokumentationspflichten machen speziell das Wertpapiergeschäft für manche Regionalbanken zum Draufzahlgeschäft. Das liegt an den hohen Fixkosten, die aus den Regulierungsanforderungen resultieren. Sie belaufen sich allein für die deutschen Genossenschaftsbanken auf rund 100 Millionen Euro pro Jahr. Die Folge: Es droht ein Rückzug insbesondere von kleineren Kreditinstituten aus der Wertpapierberatung. Gerade in Zeiten niedriger Zinsen kann das nicht im Interesse der Kunden und des Verbraucherschutzes sein.
Wie lässt sich Abhilfe schaffen?
Gros: Wir brauchen eine breit angelegte Auswirkungsstudie, wie von den Wirtschaftsweisen vorgeschlagen. Damit ließe sich feststellen, was die Verbraucherschutzmaßnahmen der letzten Jahre tatsächlich gebracht haben, inwieweit sie den Kunden wirklich nützen und wo nachjustiert werden muss. Die künftige Bundesregierung sollte sich für so eine Untersuchung einsetzen, um den finanziellen Verbraucherschutz tatsächlich zu verbessern.
Herr Dr. Gros, vielen Dank für das Gespräch!