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Vom Kaffeevollautomaten über den Kindersitz bis hin zum Rasierapparat – heutzutage wird nahezu alles und jedes getestet. Auch die Anlageberatung bei Kreditinstituten wird regelmäßig unter die Lupe genommen: Gehen die Bankmitarbeiter auf die persönliche Situation des Kunden ein? Wird das vorgeschriebene Protokoll ausgehändigt?

Viel ist in den letzten Jahren an Regulatorik rund um den Verbraucher aufgebaut worden. Wer es wagt, nach der Sinnhaftigkeit dieser Vorschriftenflut zu fragen, macht sich verdächtig, es mit dem Verbraucherschutz nicht so ernst zu nehmen. Über diesen Verdacht erhaben sind allerdings die fünf Wirtschaftsweisen. Der Tag, an dem sie jährlich ihr Gutachten zur wirtschaftlichen Entwicklung präsentieren, ist wie ein TÜV-Termin für die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik. Was funktioniert? Was gehört ausgetauscht oder repariert, damit der Konjunkturmotor rundläuft?

Auch der im vergangenen November vorgelegte Jahresbericht enthält auf 458 Seiten einige Mängelhinweise. Einer davon findet sich auf Seite 231. Die Regulierung des Finanzsektors gehöre regelmäßig und umfassend evaluiert, „um ineffektive Regulierungen zu identifizieren und gegebenenfalls abzuschaffen“, schreibt der Sachverständigenrat. Vor allem der finanzielle Verbraucherschutz sollte nach Ansicht der Wirtschaftsexperten endlich auf den Prüfstand.

Verbraucherschutz sinnvoll und praxisgerecht ausgestalten

Damit spätestens an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen: Der Schutz von Verbrauchern ist ein hohes Gut. Er soll Privatpersonen vor Irreführung und Täuschung durch schwarze Schafe bewahren. Doch angesichts der Flut an neuen Vorschriften muss es ideologiefrei und im Sinne des Verbraucherinteresses erlaubt sein zu fragen: Schützen all diese Regeln wirklich den Verbraucher? Oder lassen sie den Konsumenten nur zu oft ratlos zurück, weil ihn die Masse der gesetzlich verlangten Informationsschreiben schlicht überfordert?

Angesichts der mittlerweile vielfältigen Aufklärungs- und Dokumentationspflichten für Bankgeschäfte treffen die Wirtschaftsweisen mit ihrer Forderung nach einem Regulierungscheck den Nagel auf den Kopf. Auch wenn es Verbraucherschützer ungern hören: Viele der Vorschriften verursachen einen enormen Aufwand, stiften für den Verbraucher aber allenfalls überschaubaren Mehrwert.

Kunden beschweren sich über Papierflut

Ursprünglich von der Politik als Hilfestellung gedacht, begraben unverhältnismäßige Dokumentationspflichten Bankkunden heute nur zu oft unter einem Berg Papier. Finanzinstitute berichten immer häufiger, dass sich mehr und mehr Kunden über die schiere Flut an Dokumenten beschweren und deren Sinnhaftigkeit infrage stellen. Jüngstes Beispiel: die neue EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID 2. Noch bevor die Vorgaben zur Wertpapierberatung im Januar überhaupt in Kraft traten, hatten Bankkunden einen MiFID 2-Beipackzettel von rund drei Dutzend DIN-A4 Seiten erhalten. Zukünftig sorgen die neuen Regeln dafür, dass bei jeder Anlageberatung stapelweise zusätzliche Produkt- und Kosteninformationen zur Beratungsdokumentation verteilt werden – von einer Geeignetheitserklärung über eine Aufstellung der Produktkosten bis hin zu Basisinformationsblättern mit Informationen zu den Risiken eines Anlageprodukts. Und mit der neuen EU-Richtlinie zum Versicherungsvertrieb IDD wird es dem Verbraucher beim Versicherungskauf ähnlich ergehen.

Eine weitere Nebenwirkung von überzogenem Verbraucherschutz: Es wird für die Konsumenten zunehmend schwieriger, sich in Fragen der Geldanlage beraten zu lassen. Bisher galt: Egal, ob Fondskauf oder Abschluss einer Versicherung – bei Finanzfragen vertrauen viele Kunden ihrer Hausbank. Doch die beschriebenen Dokumentations-, Informations- und Aufklärungspflichten machen nicht nur den Kunden das Leben schwer. Durch die Regulierungsflut wird die Wertpapierberatung für manche Regionalbanken zum Draufzahlgeschäft.

Regulatorisch bedingter Rückzug aus der Wertpapierberatung

MiFID 2 sorgt beispielsweise dafür, dass Banken alle telefonischen Kundengespräche aufzeichnen und archivieren werden. Auch persönliche Gespräche müssen vom Bankberater akribisch mitnotiert werden. Das frisst wertvolle Zeit für die Beratung und kostet viel Geld. Laut einer Studie der Goethe-Universität Frankfurt müssen alleine die Genossenschaftsbanken in Deutschland für zusätzliche Informations- und Dokumentationspflichten in der Anlageberatung jedes Jahr rund 100 Millionen Euro aufwenden.  Die Folge: Es droht ein regulatorisch bedingter Rückzug insbesondere von kleineren Kreditinstituten aus der Wertpapierberatung. Ist das im Sinne des Kunden?

Endgültig Geschichte wäre die flächendeckende Beratung bei Finanzdienstleistungen, wenn sich Verbraucherschützer mit ihrer Forderung nach einem Provisionsverbot durchsetzen. Denn ohne die abschlussbasierte Beratungsvergütung stünden viele Bankkunden im Regen. Die Alternative einer Honorarberatung können und wollen sich viele nicht leisten. Das wird nicht zuletzt in Großbritannien deutlich, wo seit 2013 ein Provisionsverbot gilt. Mit weitreichenden Folgen: Viele Bürger mit geringem Einkommen erhalten gar keine Beratung mehr. Ist das erstrebenswert?

Die falschen Maßnahmen richten Schaden an

Praxis schlägt hier klar Ideologie. Und deshalb sollte eine Diskussion darüber geführt werden, welche Maßnahmen Beratungsqualität verbessern und welche sie abschaffen. Die Forderung nach einem Provisionsverbot zählt klar zu Letzterem. Zumal insbesondere mit MiFID 2 die Rechte der Verbraucher bei der Provisionsberatung gestärkt werden: Für den Kunden ist in Zukunft klar ersichtlich, welche Provisionen sein Bankberater erhält.

Verbraucherschutz und Regulatorik im besten Sinne zu verbinden ist nicht trivial. Werden die falschen Maßnahmen ergriffen, kann das den Konsumenten erheblich schaden. Trauriges Beispiel ist die missglückte Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie in Deutschland: Verbraucherschützer priesen sie als Schutz gegen die Überschuldung von Kreditnehmern an, doch die Vorschriften schossen so weit übers Ziel hinaus, dass plötzlich viele Immobilienkäufer als nicht mehr kreditwürdig galten. Die Folge: Vor allem junge Familien bekamen keine Wohnbaufinanzierung mehr. Ältere Menschen konnten die eigene Immobilie nicht mehr als Kreditsicherheit nutzen, um damit Umbauten für altersgerechtes Wohnen vorzunehmen. Nur die massive mediale Berichterstattung und der Einsatz von Verbänden bewirkten im Frühjahr 2017 eine Korrektur des Gesetzgebers.

Wie der Verbraucherschutz verbessert werden kann

Diese Beispiele zeigen: Wir brauchen in Deutschland dringend eine Debatte darüber, wie ein zeitgemäßer Verbraucherschutz gestaltet sein müsste. Worauf sollten politische Entscheider achten, wenn sie Verbrauchern wirklich helfen wollen?

  1. Die Politik muss anerkennen, dass eine vertrauensvolle Beratung der beste Verbraucherschutz ist. In der Vergangenheit bedeutete Verbraucherschutz vor allem mehr Informationen für Kunden und striktere Vorschriften für Banken. Dabei haben Verbraucherschützer und politische Entscheider das Wichtigste aus den Augen verloren: Das Vertrauen zwischen Kunde und Berater. Darauf basieren Finanzgeschäfte. Bankmitarbeiter erarbeiten es sich durch eine faire Beratung und persönliche Nähe. Die zunehmenden Dokumentations-, Informations- und Aufklärungspflichten belasten dieses Vertrauensverhältnis. Deshalb sollte künftig bei Gesetzesvorhaben intensiv gefragt werden: Wie wirkt sich die geplante Maßnahme auf dieses Vertrauensverhältnis aus?
  2. Verbraucherrechte müssen auch im Internet angemessen geschützt werden. Egal ob Zahlungsverkehr, Geldanlage oder Ratenkredite, viele Verbraucher nutzen heute nicht nur klassische Banken, sondern auch Onlinedienste. Vergleichsportale zum Beispiel beeinflussen Millionen von Menschen bei der Wahl einer Versicherung oder eines Kredits. Für Nutzer ist aber kaum ersichtlich, wie die Ranglisten erstellt werden. Es sind Zweifel angebracht, ob immer das beste Angebot angezeigt wird. Oder die neue EU-Zahlungsdiensterichtlinie PSD 2: Früher waren die Kontodaten der Kunden durch das Bankgeheimnis grundsätzlich geschützt. Die PSD 2 ändert das schlagartig. Fintechs haben jetzt Zugriff, wenn Nutzer nicht ganz genau aufpassen. Aber wer klärt sie über die Gefahren auf? Und was passiert mit den Daten bei oftmals laxen Datenschutzversprechen der Onlineanbieter? Eine zeitgemäße Verbraucherschutzpolitik muss das aufgreifen und den Verbraucher auch in der digitalen Welt schützen.
  3. Guter Verbraucherschutz ist auch immer Sparerschutz. Im Finanzwesen ist der Verbraucher nicht nur Anleger, Versicherter oder Kreditnehmer, sondern immer auch Sparer. Das gilt erst recht heutzutage: In der Niedrigzinsphase lassen viele Verbraucher ihr Geld auf dem Girokonto liegen, anstatt es anzulegen. Dieser Schutz ist aber gefährdet: Die EU-Kommission will eine gemeinsame europäische Einlagensicherung einführen. Im Notfall müssten dann deutsche Bankkunden für die Einlagen in anderen Mitgliedsstaaten haften. Ein Risiko für Verbraucher, das Verbraucherschützer bis dato nicht auf der Agenda haben. Eine zeitgemäße Verbraucherschutzpolitik sollte klare Kante zeigen – gegen eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung.

Eine kritische Bestandsaufnahme des Erreichten zeigt: Verbraucherschutzvorschriften dienen leider nicht immer dem Interesse der Konsumenten. Mitunter schaden sie ihnen sogar. Wie von den Wirtschaftsweisen vorgeschlagen, braucht es daher dringend einen Regulierungscheck. Zum Beispiel in Form einer Auswirkungsstudie, die analysiert, was die Maßnahmen der letzten Jahre tatsächlich gebracht haben, inwieweit sie wirklich den Kunden nutzen und wo nachjustiert werden muss. Die neue Bundesregierung sollte sich diesen Vorschlag zu eigen machen, um die TÜV-Tauglichkeit des finanziellen Verbraucherschutzes herzustellen.

Dieser Beitrag ist in dieser Form bereits in der Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen (ZfgG), Ausgabe 1/2018 erschienen.

Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern und twittert als @JGros_GVB .

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