Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Am 19. Januar 1919 waren die Deutschen aufgerufen, eine Nationalversammlung zu wählen, die dem Reich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Revolution eine republikanische Verfassung geben sollte. Ein historischer Tag – nicht nur, weil Deutschland damals den entscheidenden Schritt zur parlamentarischen Demokratie wagte: Das Reichswahlgesetz vom 30. November 1918 erlaubte es allen Frauen erstmals, zu wählen und sich zur Wahl zu stellen.

Frauen als Mitglieder von Genossenschaften

Die Frauen hatten sich diesen Erfolg mühsam und beharrlich erstritten, denn die traditionelle Aufteilung der Geschlechterrollen war bis ins 20. Jahrhundert hinein fest in den Köpfen der Bevölkerung verankert. Das zeigte sich nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Genossenschaften. Bis zur Weimarer Republik taten sich die Frauen sehr schwer, als Mitglied ihrer Genossenschaft die gleichen Rechte und Pflichten einzufordern, die bis dahin den Männern vorbehalten waren.

Selbst prominente männliche Unterstützung half nur bedingt: Hermann Schulze-Delitzsch sowie seine Kollegen und Nachfolger an der Spitze des „Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften“ forderten die Mitglieder auf, Frauen in ihren Reihen zuzulassen. Ludolf Parisius äußerte bereits 1867 die Meinung, er werde „sich nicht graulen, eine Volksbank unter weiblichem Scepter zu erblicken“.

Ruf nach weiblicher Mitbestimmung verhallt

Bei den ländlichen Verbänden verhallte der Ruf nach weiblicher Mitbestimmung lange Zeit ungehört. Viele sprachen sich sogar explizit gegen weibliche Versammlungsteilnehmer aus. Friedrich Wilhelm Raiffeisen meinte, Frauen dürften zwar Mitglied in einer Genossenschaft werden, aber „aus leicht begreiflichen Gründen in den Versammlungen nicht erscheinen“. Ländliche und – seltener – städtische Genossenschaftsbanken schlossen Frauen während des Kaiserreichs sogar per Statut von ihren Generalversammlungen aus.

Zudem verhinderten die 1850 unter anderem von Bayern und Preußen erlassenen Vereinsgesetze die Beteiligung von Frauen, Schülern und Lehrlingen an politischen Vereinen und Versammlungen. Damit war den Frauen praktisch jede politische Betätigung untersagt.

Angesichts dieser Umstände ist es erstaunlich, dass im Jahr 1870 dennoch insgesamt 5,6 Prozent aller Mitglieder von gewerblichen Vorschussvereinen weiblich waren. Die Frauenquote der Vorschussvereine verdoppelte sich bis zum Ersten Weltkrieg auf gut 11 Prozent. Diese rekrutierten ihre weiblichen Mitglieder in erster Linie aus Hausfrauen, wobei nicht klar ist, ob es sich dabei um Sparerinnen, Heimarbeiterinnen oder mithelfende Familienangehörige handelte, die sich nicht als solche zu erkennen gaben.

Während des Ersten Weltkriegs ersetzten die Frauen ihre Männer nicht nur in weiten Teilen der Wirtschaft, sondern sie übernahmen auch als Nachfolgerinnen von Gefallenen die Mitgliedschaft in der Genossenschaft. Mit der Einführung des Frauenwahlrechts 1918 wurde auch die Teilnahme weiblicher Mitglieder an Generalversammlungen allgemein üblich, aber noch lange nicht selbstverständlich.

Noch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik war es für eine verheiratete Frau nicht einfach, selbstbestimmtes Mitglied einer Genossenschaft zu werden. Bis zum Gleichberechtigungsgesetz von 1958 holten viele Genossenschaften die Zustimmung des Ehemanns ein, wenn eine Frau beitreten wollte. Sonst hätte der Mann zum Beispiel die Einzahlung des Geschäftsanteils verhindern können, wenn er mit dem Beitritt nicht einverstanden war. Denn bis 1958 oblag es laut Gesetz dem Mann, das Vermögen seiner Ehefrau zu verwalten.

Frauen werben für Genossenschaften

Als Werbeträgerinnen für die Genossenschaften wurden Frauen lange Zeit in ihrer traditionellen, gesellschaftlich akzeptierten Rolle als Hausfrau, Ehefrau und Mutter abgebildet. In den Anfangsjahren der genossenschaftlichen Werbung zwischen 1920 und 1940 setzten sich die Genossenschaften und insbesondere die Kreditgenossenschaften nur sehr vorsichtig mit den modernen Möglichkeiten der kommerziellen Kommunikation auseinander.

Lange Zeit standen sich in der Werbung zwei unterschiedliche Frauentypen gegenüber: Einerseits die zurückhaltende Ehefrau, die in einer bäuerlich geprägten Gesellschaft hinter ihrem Mann steht und die gesammelten Ersparnisse zur Kasse bringt, und andererseits die Frau als Gattin mit Repräsentationswert, die den von ihrem Mann erworbenen Wohlstand zur Schau stellte.

Frauen in der Werbung: Dieses Motiv stammt aus den 1950er Jahren. Quelle: Archiv der VR-Bank Rottal-Inn.
Spargeld: Auf diesem Plakat - ebenfalls aus den 1950er Jahren - wird mit dem Bild der modernen Hausfrau geworben. Quelle: GVB-Archiv
Nähmaschine, Staubsauger, Teigrührgerät: Ob bei Frauen damals tatsächlich Haushaltsgeräte ganz oben auf der Wunschliste standen? Quelle: GVB-Archiv
Erst das Gleichberechtigungsgesetz von 1958 erlaubte es Ehefrauen, über ihre Finanzen frei zu verfügen. In den 1960er Jahren griffen die Genossenschaftsbanken das Thema auf und warben bei den Frauen für ein eigenens Bankkonto. Das Motiv zeigt eine Dia-Kinowerbung der damaligen Volksbanken. Quelle: Archiv der VR-Bank Rottal-Inn
Auch die Raiffeisenbanken warben in den 1960er Jahren für ein Gehaltskonto für Frauen. Quelle: Archiv der VR-Bank Rottal-Inn.

Erst in den 1950er Jahren gewann die Frau in den Werbekampagnen der Kreditgenossenschaften an Bedeutung. Als vorbildliche Sparerin durfte sie sich Wünsche erfüllen. Trotzdem wurden Frauen auch in dieser Zeit in ihrer traditionellen Rolle zwischen Ehemann und Kindern abgebildet, auch wenn ihr Leben als leicht und fröhlich dargestellt wird.

In den 1980er und 1990er Jahren hatte sich die Frau dann auch in der Werbung emanzipiert. In Filmclips und auf Werbepostern der Volksbanken und Raiffeisenbanken sind dynamische, unabhängige und sportliche Frauen zu sehen. Ob allein oder mit Partner und Familie: Die Kreditgenossenschaften umwerben die Frauen als gleichberechtigte Zielgruppe, die nicht länger in der zweiten Reihen stehen.

Frauen als Arbeitskräfte in Genossenschaften

Als qualifizierte Arbeitskräfte wurden Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts von den Genossenschaften toleriert, später aufgrund von kriegsbedingten Krisen als Ersatzkräfte für die Männer angestellt, die zum Kriegsdienst eingezogen worden waren. Erst in der Zeit des Wirtschaftswunders konnten sie sich als unverzichtbare Arbeitskräfte in den genossenschaftlichen Betrieben etablieren.

Unabhängig von ihrer Akzeptanz fanden die Landfrauen schon früh Gefallen an Berufen in den Raiffeisenvereinen, auch wenn sie in den über 3.000 aktiven Kreditgenossenschaften, die Anfang des 20. Jahrhunderts dem Landesverband in München angehörten, gegenüber den Männern weit in der Minderheit blieben. Zwar verschrieb sich die Genossenschaftsorganisation zunehmend der Bildung der ländlichen Bevölkerung, doch für Frauen beschränkte sich das Angebot oftmals auf Gartenpflege und Haushaltschulen.

Belegschaft der Vereinsbank Coburg eGmbH von 1915. Frauen fanden zunehmend Gefallen an Berufen in Genossenschaften, auch wenn weibliche Angestellte in der Regeln den weitaus kleineren Teil der Mitarbeiter stellten. Quelle: Fotosammlung GVB-Archiv
Mitarbeiterinnen der Coburger Bank eGmbH von 1956. Quelle: Fotosammlung GVB-Archiv
Schon früh ließen sich Frauen von Genossenschaftsbanken als „Rechnerinnen“ ausbilden, hier die Teilnehmer eines Rechnerkurses von 1921. Quelle: Fotosammlung GVB-Archiv
Rechnerkurs von 1926 mit weiblichen Teilnehmerinnen. Die Aufgaben eines Rechners entsprechen in etwa jenen eines heutigen Filialleiters. Quelle: Fotosammlung GVB-Archiv
Die Frauen arbeiteten nicht nur zusammen, sondern trieben auch gemeinsam Sport. Auf diesem Foto aus dem Jahr 1927 ist die Mitarbeiterinnen- Sportgruppe der Münchener Hypothekenbank zu sehen. Quelle: Fotosammlung GVB-Archiv
In der Buchhaltung waren Frauen als Arbeitskräfte gefragt, wie das Foto von 1962 aus der Abrechnungsstelle der Bayerischen Raiffeisen-Zentralbank (BRZ) belegt. Quelle: Fotosammlung GVB-Archiv.

In den Städten entwickelte sich Anfang der 1920er Jahre der Typus der sogenannten „neuen Frau“: Berufstätig, jung, dynamisch, ungebunden, sportlich, gebräunt, lebenslustig. Doch der erste Eindruck täuscht, denn diese Frauen waren in der Realität nur selten wirklich selbstständig und unabhängig. Oft war ihr Beruf als Angestellte nur ein Zwischenstadium bis zur Ehe. Auch in den Volksbanken und anderen städtischen Genossenschaften arbeiteten solche Frauen. Ihr hohes gesellschaftliches Ansehen stand jedoch im Widerspruch zu den realen Verdienstverhältnissen: Das Gehalt einer Sekretärin lag teilweise sogar unter dem einer Fabrikarbeiterin.

Gehaltsabschlag für weibliche Angestellte

1924 vereinbarten die Bayerische Zentral-Darlehenskasse und die Bayerische Warenvermittlung mit dem Gesamtverband Deutscher Angestelltengewerkschaften einen Tarifvertrag. Für alle Gehaltsklassen war ein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Angestellten festgelegt. Der Abschlag für die weiblichen Angestellten betrug in der niedrigsten Gehaltsklasse 12,5 Prozent und in der besten Klasse 5 Prozent.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg war den Frauen die Teilnahme an der genossenschaftlichen Arbeit im Gegensatz zu früher herrschenden Anschauungen ohne Weiteres möglich. „In den Satzungen unserer Genossenschaft wird wohl ausnahmslos der Frau nicht mehr der Eintritt und das Stimmrecht in dem Hauptorgan der Genossenschaften, der Generalversammlung, verwehrt. Die Kriegszeit, in der Frauenhände so vielfach die fehlenden Männerfäuste ersetzen mussten, hat einen zeitgemäßen Wandel der Anschauung in dieser Frage mit sich gebracht“, heißt es dazu in den Mitteilungen des Bayerischen Raiffeisenverbands nach dem Krieg.

Dr. Silvia Lolli Gallowsky ist Geschäftsführerin des Historischen Vereins Bayerischer Genossenschaften.

Artikel lesen
Zeitgeschehen