Bärenstark: Bayerns Volksbanken und Raiffeisenbanken wachsen und bauen ihre Kapitalpuffer weiter aus. Das Ergebnis hat sich 2018 normalisiert, aber der Ausblick bleibt positiv, wie beim Bilanzpressegespräch deutlich wird.
Tacheles reden in exklusiver Runde mit einem prominenten Gast: Zur zweiten Ausgabe des Debattenformats „Klartext am Türkentor“ Ende Mai nutzten rund 40 Vorstände von Volksbanken und Raiffeisenbanken die Gelegenheit, mit Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger ein offenes Wort zu sprechen. Das Thema: Die Bedeutung des Mittelstands im Freistaat und welche Rahmenbedingungen mittelständische Unternehmen brauchen.
„Bayern ist erfolgreich wegen seiner vielen kleinen und mittleren Unternehmen. Eine gute Wirtschaftspolitik kann sich nicht intensiv genug für ihre Anliegen einsetzen“, betont Aiwanger in seiner Eingangsrede. In einem großen Bogen skizziert der Wirtschaftsminister seine Vorstellung davon, wie der Mittelstand weiter gestärkt werden kann. Neben der Abschaffung des Solidaritätszuschlags spricht sich Aiwanger unter anderem dafür aus, die Unternehmenssteuern „in Richtung 25 Prozent“ zu senken, um Investitionsanreize zu setzen. Außerdem fordert der Politiker eine Beseitigung der Erbschaftssteuer, die er als „Synonym für die Bestrafung von Leistung und von Nachhaltigkeit“ bezeichnet.
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Wer unternehmerische Verantwortung übernimmt, darf durch Abgaben wie die Erbschaftssteuer nicht gelähmt und demotiviert werden, fordert Aiwanger. Er spricht sich zudem dafür aus, die Leistungen der mittelständischen Firmenlenker für die Gesellschaft noch deutlicher hervorzuheben. Denn das Unternehmertum habe vor allem bei jungen Menschen nicht mehr den Stellenwert wie früher: „Bayern ist durch seinen Mittelstand stark geworden. Wir brauchen wieder eine Kultur, die das Streben nach Unternehmertum unterstützt“, sagt der Minister.
Auch für den ländlichen Raum sei der Mittelstand von Bedeutung. „Wir müssen das flache Land als Entwicklungsraum der Zukunft erkennen und erhalten, gerade jetzt, wo die Städte an ihre Wachstumsgrenzen stoßen“, sagt Aiwanger. Dafür müssten aber die richtigen Rahmenbedingungen für mittelständische Unternehmen geschaffen werden. „Um das Potenzial des Landes zu erhalten, brauchen wir die passende Infrastruktur vor Ort wie Mobilfunk, schnelles Internet, Schulen, Kindergärten und Ärzte.“ Er stellt in Aussicht, sich persönlich für das Schließen von Funklöchern im Mobilfunknetz einzusetzen.
Gegenüber den Bankvorständen hebt der Minister die Bedeutung der bayerischen Kreditgenossenschaften für die Finanzierung des Mittelstands hervor: „Die Unternehmer brauchen Sie als Partner vor Ort“, sagt Aiwanger. Das verdeutlicht auch die vom GVB erhobene Kreditstatistik der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken: Zum Jahresende 2018 hatten sie Kredite in Höhe von 53,2 Milliarden Euro an Unternehmenskunden ausgereicht. Rund jeder fünfte in Bayern als Firmenkredit ausgereichte Euro stammt somit von einer Genossenschaftsbank.
Bayerns Mittelstand nur noch Mittelmaß?
Thema bei „Klartext“ ist schließlich auch das wesentlich vom Mittelstand beeinflusste Wirtschaftswachstum im Freistaat. Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist Bayern im Vergleich mit den anderen Bundesländern zwischen 2009 und 2017 stets überdurchschnittlich gewachsen. Vergangenes Jahr rutschte der Freistaat jedoch ins Mittelfeld ab, wie Daten des Landesamts für Statistik zeigen. So lag die bayerische Wirtschaftsleistung 2018 mit 1,4 Prozent nur noch gleichauf mit dem Bruttoinlandsprodukt der gesamten Bundesrepublik. Diese Entwicklung greift nach dem Vortrag des Ministers Moderator Andreas Bachmann, Redaktionsleiter der BR-Fernsehsendung „Kontrovers", auf. Er startet die Podiumsdiskussion mit Aiwanger und GVB-Präsident Jürgen Gros mit der provokanten Frage: „Ist Bayerns Wirtschaft auf dem Weg ins Mittelmaß?"
Aiwanger gibt sich optimistisch: Die Automobilindustrie und der Maschinenbau seien vom Brexit und dem Handelsstreit der USA mit China kalt erwischt worden. „Aber die Wende ist in Sicht. Wir werden den Gürtel nicht enger schnallen müssen“, kündigt der Minister an. Wichtig sei angesichts der aktuellen Konjunkturabkühlung, dass der Staat nun weiter investiere.
GVB-Präsident Jürgen Gros bewertet die wirtschaftliche Lage Bayerns grundsätzlich positiv. Die weiterhin hohe Nachfrage nach Firmenkrediten belege, dass die Unternehmen nach wie vor investierten. Allerdings zeigten sich die Bayern in den ersten Monaten dieses Jahres weniger zufrieden mit ihren Lebensumständen als im Sommer 2018, wie die Frühjahrserhebung des Heimatindex der Volksbanken und Raiffeisenbanken im Auftrag des GVB ergeben hat. Insbesondere die Zufriedenheit mit den persönlichen Lebensumständen ist um fünf Punkte gesunken. „Die Menschen in Bayern nehmen sensibel wahr, dass das Wachstum zurückgeht“, so Gros.
„Klartext am Türkentor“
Mit dem Format „Klartext am Türkentor“ will der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) den im Zentralen Werbefonds Bayerischer Genossenschaftsbanken (ZWF) vertretenen Volksbanken und Raiffeisenbanken einen direkten und ungefilterten Austausch mit hochkarätigen Gästen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft bieten – und das in Sichtweite des historischen „Türkentors“. Das Eingangstor zur ehemaligen Türkenkaserne in München liegt direkt gegenüber dem Haupteingang des Hauses der bayerischen Genossenschaften in der Türkenstraße. Es ist der letzte verbliebene Gebäudeteil der Kaserne, die bis ins frühe 20. Jahrhundert das Königlich Bayerische Infanterie-Leibregiment beherbergte. Das Tor wurde 2008 mit Unterstützung des GVB renoviert. Es dient seitdem als Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst.
Im Vorfeld der Europawahl am 26. Mai sprechen Gros und Aiwanger schließlich auch über Europa. „Brauchen wir eine europäische Wirtschaftspolitik, die auf Wettbewerb setzt, oder eine neue staatliche Industriepolitik, wie sie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vorgeschlagen hat?“, fragt Moderator Bachmann. Der Staat müsse die Rahmenbedingungen so gestalten, dass sich die Wirtschaft selbst wehren könne, sollten etwa chinesische Unternehmen in Europa auf Einkaufstour gehen. Dabei sollte der Fokus auf dem Mittelstand liegen, ohne die Industrie zu vergessen, fordert Aiwanger.
Bei Altmaiers Vorschlägen müsse man genau hinschauen, da sie dirigistische Elemente enthalten, entgegnet GVB-Präsident Gros. Während Altmaier staatliche Eingriffe in die Wirtschaft befürworte, um sie gegen unfairen Wettbewerb zu schützen, schaffe man sich die Probleme auf europäischer Ebene selbst, so Gros. So seien die Banken zum Beispiel durch die EU-Zahlungsdiensterichtlinie PSD II dazu gezwungen worden, die Schnittstellen zu den Konten und Umsätzen ihrer Kunden für Drittanbieter zu öffnen, sofern diese zustimmen. Apple dagegen dürfe bei seinem Bezahldienst Apple Pay die Schnittstelle weiterhin schützen.
Aiwanger appelliert an die „Klartext“-Gäste, Missstände in der europäischen Politik zu adressieren. „Ohne Europa geht es nicht, aber wir müssen den Mut haben, Änderungen immer wieder gezielt einzufordern“, so der Minister. „Politik ist die Kunst, das Machbare zu gestalten“, formuliert Gros den Anspruch der bayerischen Genossenschaften an Europa. So müsse sich die EU auf ihre Grundsätze besinnen. Dazu gehören für den GVB Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit, die Einheit von Handeln und Haftung, Regeltreue sowie die Fokussierung auf kleine und mittlere Unternehmen. „Wir müssen es schaffen, dass der Mittelstand auch in den Krisenstaaten Europas wieder mehr Raum greift“, sagte Gros.
EU-Grundsätze, die Bayerns Genossenschaften wichtig sind
Subsidiarität
Die Stärke Europas beruht auf seiner wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Vielfalt. Nur wenn diese Vielfalt Berücksichtigung findet, ist Europa ein Erfolgsprojekt. Dazu muss die EU das in den europäischen Verträgen verankerte Subsidiaritätsprinzip beherzigen. Die EU sollte nur tätig werden, wenn regionale oder nationale Maßnahmen nicht ausreichen und politische Ziele unzweifelhaft besser gemeinsam erreicht werden können.
Verhältnismäßigkeit
Die EU-Rechtsetzung beruht auf dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es besagt, dass europäische Vorgaben geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Aufwand und Nebenwirkungen sollten in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen europäischer Regeln stehen. Ansonsten drohen Überregulierung und unnötige Bürokratie.
Haftung
Die EU wirkt auf eine wettbewerbsfähige Soziale Marktwirtschaft hin. So steht es in Artikel 3 des Lissabonner Vertrags. Zentrales Wesensmerkmal der Sozialen Marktwirtschaft ist das Haftungsprinzip. Auf die EU übertragen heißt das: Wo die EU handelt, haftet auch die EU. Wo Mitgliedsstaaten eigenverantwortlich Politik gestalten, müssen sie die Konsequenzen ihrer Politik tragen. Fallen Handeln und Haftung auseinander, drohen fatale Fehlanreize.
Regeltreue
Der Zusammenschluss in einer Gemeinschaft erfordert, dass jedes einzelne Mitglied die gemeinsamen Verträge und Regeln einhält. Das ist die Grundlage für Solidität und Solidarität in Europa. Dennoch werden europäische Vereinbarungen eigenwillig ausgelegt oder sogar gebrochen. Das erschüttert das Vertrauen in die EU. Das verlorene Vertrauen kann nur zurückgewonnen werden, wenn sich alle Mitgliedsstaaten konsequent an Wort und Sinn der Regeln halten.
„Vorfahrt für KMU“
In der EU-Gesetzgebung gilt das Prinzip „Vorfahrt für KMU“. Es besagt, dass die EU die Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) angemessen berücksichtigen soll. Denn KMU stellen die meisten Arbeits- und Ausbildungsplätze in der EU. Sie nehmen eine Schlüsselrolle in der europäischen Wirtschaft ein.
Als Beispiel, wo die Europäische Union diese Grundsätze missachtet, nennt der GVB-Präsident die umstrittenen Pläne für eine europäische Einlagensicherung (EDIS). Er fordert deshalb die bayerische Staatsregierung auf, ihre Ablehnung gegenüber EDIS auch nach der Europawahl beizubehalten. „Der Sparerschutz in Deutschland bietet Bankkunden ein hohes Sicherheitsniveau für ihre Einlagen. Es wäre fatal, diese funktionierende nationale Lösung durch ein zentralisiertes EU-System zu ersetzen“, so Gros. Dadurch würde die Stabilität der Bankenunion untergraben und die Ansteckungsgefahr zwischen den Bankensystemen erhöht.
Schnell kommt die Diskussion dann auf die überzogenen Verbraucherschutzregeln in der Wertpapierberatung. Aiwanger fordert eine liberalere Haltung der deutschen Bankenaufsicht hinsichtlich der Anfang 2018 in Kraft getretenen MiFID II-Regeln. „Da gibt es Spielräume“, so der Wirtschaftsminister. Insbesondere die Pflicht, telefonische Beratungsgespräche aufzuzeichnen, sei nicht zielführend. „Das löst bei den Menschen riesigen Verdruss aus“, kommentiert Aiwanger.
Die Kunden sind bei der Wertpapieranlage wegen MiFID II in ihren Anlageentscheidungen schon jetzt limitiert, ergänzt Gros. Grund dafür sind Einschränkungen beim Erwerb von Unternehmensanleihen durch MiFID II für Privatanleger. Denn Emittenten scheuen den mittlerweile erforderlichen bürokratischen Zusatzaufwand, ihnen diese Papiere zugänglich zu machen. Wenn die Politik so weitermache, nähere man sich Verhältnissen wie früher in der DDR an: „Die Bürger dort konnten zwischen einem Trabi und einem Wartburg wählen, wenn sie ein Auto kaufen wollten. Wir haben dann bei der Wertpapieranlage auch nur noch einen Finanz-Trabi und einen Finanz-Wartburg im Angebot“, spitzte der GVB-Präsident die Entwicklung zu.
Gros nennt noch ein weiteres Beispiel für überzogenen Verbraucherschutz: So könnten die 2,7 Millionen Mitglieder der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken nicht elektronisch auf einem sogenannten Pen-Pad unterschreiben, wenn sie Geschäftsanteile zeichnen wollen. Stattdessen verlangt die Aufsicht die Schriftform, also die Unterschrift auf Papier. Das Gleiche gilt für die Unterschrift bei Verbraucherkreditverträgen. „Da stoßen wir im Zeitalter der Digitalisierung an Grenzen“, stellt der Verbandspräsident fest.
„Wer übernimmt das Anlagerisiko? Das ist Planwirtschaft und kann nur schiefgehen.“
Hubert Aiwanger zu den Plänen der EU-Kommission für mehr Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft
Einig sind sich Aiwanger und Gros in ihrer Kritik an den EU-Vorschlägen für mehr Nachhaltigkeit im Finanzwesen. Die EU-Kommission plant unter anderem, Kredite für „grüne Investitionen“ bei der Kapitalunterlegung zu bevorzugen, um Mittel in diesen Bereich zu lenken. Das sei ein „massiver Eingriff in die Marktwirtschaft“ und öffne ideologischen Absichten in der Finanzwirtschaft Tür und Tor, kritisierte Aiwanger. Es sei falsch, Anleger in eine bestimmte Richtung zu drängen. „Wer übernimmt das Anlagerisiko? Das ist Planwirtschaft und kann nur schiefgehen“, so der Wirtschaftsminister.
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Was tun gegen den zunehmenden Dirigismus in der Finanzwirtschaft? Aiwanger hat einen praktischen Vorschlag parat: „Kommen Sie auf mich zu, sprechen Sie mich an“, sagt er zu seinen Zuhörern. Das lassen sich die Bankvorstände nicht zweimal sagen: In zahlreichen Wortmeldungen fordern sie Aiwanger dazu auf, sich in Berlin und Brüssel für den Mittelstand einzusetzen und dabei die Regionalbanken nicht zu vergessen. Regulatorik brauche Maß und Ziel. Durch die zunehmende Regulierung werde die Handlungsfähigkeit der Kreditinstitute immer weiter eingeschränkt. Das sei „Gift für den Mittelstand“. Dieser brauche starke Genossenschaftsbanken. „Stattdessen werden wir auf dem Altar der Kompromisse in Europa geopfert“, beklagte sich ein Bankvorstand. Ein anderer ergänzte: „Was der Mittelstand schon hat, aber nicht braucht, ist die Regulatorik. Die Zeit, die uns beim Kunden fehlt, steckt in der ausufernden Dokumentation. Das muss sich ändern.“
„Ich trage Ihre Anliegen gerne nach Berlin“, sichert Wirtschaftsminister Aiwanger den Bankvorständen zu. Dort will er – natürlich – Klartext reden.