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„Wenige Sätze zum Thema Verhältnismäßigkeit“ wolle er vortragen, kündigte der Europaabgeordnete Markus Ferber bei der ersten Auflage des neuen GVB-Formats „Klartext am Türkentor“ an. Ein klarer Fall von Untertreibung, denn zur Bankenregulierung in Europa hatte Ferber eine Menge zu sagen, zumal er als Sprecher der EVP-Fraktion im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments als intimer Kenner der Materie gilt.

Entsprechend groß war das Interesse an der Gesprächsrunde im Haus der Bayerischen Genossenschaften. Zahlreich waren die Vorstände bayerischer Volksbanken und Raiffeisenbanken Ende Februar der Einladung des GVB in die Münchner Türkenstraße gefolgt. Sie wollten hören, wie sich Ferber mit GVB-Präsident Jürgen Gros auf dem Podium austauscht und was der EU-Abgeordnete aus dem „Maschinenraum“ des Europäischen Parlaments zu berichten hat. Für das neue Veranstaltungsformat hat der GVB bewusst einen exklusiven Rahmen gewählt, der den direkten Austausch ermöglicht und allen Teilnehmern die Gelegenheit gibt, „Klartext“ zu reden. „Jede Form von Austausch kommt gut an, gerade zu Europa besteht viel Gesprächsbedarf. Deshalb wollen wir diesen Austausch suchen“, sagte Moderator Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, zum Auftakt der Veranstaltung.

Die Unverhältnismäßigkeit der europäischen Bankenregulierung brannte den Zuhörern auf der Seele, weil die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken direkt davon betroffen sind. „Wenn man sich die Fülle der Bankenregulierung ansieht, ist das vor allem für kleine Banken ein massiver Wettbewerbsnachteil. Wie soll das weitergehen?“, fragte ein anwesender Vorstand.

Doch Ferber überbrachte auch positive Nachrichten. Der EU-Gesetzgeber hat den Weg für eine differenziertere Regulierung von Kreditinstituten frei gemacht. „Wir haben es geschafft, das Thema Proportionalität mit Leben zu füllen und in die Eigenkapitalregeln eine Definition von kleinen, nicht-komplexen Banken einzufügen“, so Ferber.

Wichtigste Neuerung: Kreditinstitute mit einer Bilanzsumme unter 5 Milliarden Euro werden in Zukunft von Bürokratie entlastet. Das sei ein großer Schritt, denn das europäische Regelwerk CRR/CRD sei die „Mutter aller Bankenregeln“ und wirke sich auf alle weiteren Vorgaben aus. „Damit haben wir für die kleinen Banken eine Tür für weitere Entlastungen aufgemacht“, so der Abgeordnete.

Lob für die Interessenvertretung des GVB

Im Frühjahr 2017 hatte der GVB ein Konzept vorgestellt, das den Bilanzsummen-Schwellenwert mit einer Reihe qualitativer Kriterien wie Geschäftsmodell, Komplexität und Vernetzung eines Instituts verknüpft. Das Konzept adressierte der GVB an wichtige Entscheidungsträger in Brüssel. Es wurde schließlich bei der Novelle der EU-Eigenkapitalregeln berücksichtigt. Eine Tatsache, die Ferber nicht unerwähnt ließ. „Vor zwei Jahren präsentierte der GVB seine Vorschläge, heute stehen sie im Gesetz. Das war tolle Arbeit.“ Leider sei es nicht gelungen, den Schwellenwert von 5 Milliarden Euro zu indexieren, um den Regionalbanken auch in Zukunft weiteres Wachstum zu ermöglichen, ohne dass sie in eine andere Regulierungsklasse rutschen. „Das darf nicht sein, deshalb werde ich das Thema weiter adressieren“, versprach Ferber.

Das neue Format „Klartext am Türkentor“

Der Abend mit Markus Ferber war nur der Auftakt: Mit dem neuen Format „Klartext am Türkentor“ will der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) den Vertretern seiner Mitglieder die Möglichkeit zum direkten und ungefilterten Austausch mit hochkarätigen Gästen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft bieten – und das in Sichtweite des historischen „Türkentors“. Das Eingangstor zur ehemaligen Türkenkaserne in München liegt direkt gegenüber dem Haupteingang des GVB. Es ist der letzte verbliebene Gebäudeteil der Kaserne, die bis ins frühe 20. Jahrhundert das Königlich Bayerische Infanterie-Leibregiment beherbergte. Das Tor wurde 2008 mit Unterstützung des GVB renoviert. Es dient seitdem als Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst.

Die Auftaktveranstaltung wurde von Gregor Peter Schmitz moderiert. Er ist seit Anfang 2018 Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen. Zuvor leitete Schmitz das Hauptstadtbüro der Wirtschaftswoche und war zudem Chef des Ressorts „Politik und Wirtschaft“. Außerdem führte er viele Jahre das Brüsseler Büro der Bertelsmann Stiftung.

Das nächste Mal wird am 22. Mai „Klartext am Türkentor“ gesprochen. Dann ist der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zu Gast (lesen Sie im Interview in „Profil“, wie Aiwanger zu Regionalbanken und Genossenschaften steht). Die Einladung erfolgt in Kürze.

Die Erleichterungen für kleine und nicht-komplexe Institute hinderten den Europaabgeordneten aber nicht daran, die grundsätzliche Ausrichtung der europäischen Bankenregulierung zu kritisieren. Denn der Ansatz, mit dem sogenannten „Single Rule Book“ einheitliche Regeln für alle Banken von Nordfinnland bis Kreta zu schaffen, bedeute eben auch, Regionalbanken mit einem risikoarmen Geschäftsmodell mit international tätigen Investmentbanken über einen Kamm zu scheren. „Davon bin ich kein Freund“, so Ferber. Der Politiker plädierte dafür, die Bankenregulierung proportional zum Risikoprofil zu gestalten. Je mehr Risiken eine Bank in ihre Bücher nehme, desto stärker müsse sie reguliert werden.

„Regulierung darf nicht in Strukturen eingreifen, die sich bewährt haben.“

Markus Ferber

Die aktuelle Regulierung führe hingegen dazu, dass kleine Banken überproportional belastet werden. Das gefährde die Existenzfähigkeit dieser Institute, so Ferber – ähnlich einem Bäcker, der wegen überzogener Lebensmittelvorschriften gar nicht mehr zum Backen komme. „Regulierung darf nicht in Strukturen eingreifen, die sich bewährt haben“, forderte der Europapolitiker.

Das gelte auch für die umstrittenen Pläne einer europäischen Einlagensicherung (EDIS), die Ferber ablehnt. Denn der Sparerschutz der Genossenschaftsbanken, Sparkassen und Privatbanken in Deutschland funktioniert seit Jahrzehnten zuverlässig. Das Argument der Befürworter, erst mit EDIS werde die Bankenunion vollendet, lasse er nicht zu, betonte der Abgeordnete. „Niemand kann mir erklären, warum dazu eine gemeinsame Einlagensicherung notwendig ist.“ Zudem gebe es nach wie vor eine Reihe von EU-Staaten, die keine funktionsfähige Einlagensicherung aufgebaut haben. „Das ist aber geltendes Recht in Europa und muss umgesetzt werden. Deshalb sehe ich auch keine Notwendigkeit, bei EDIS vorzupreschen“, so Ferber.

Neben EDIS sprach der Abgeordnete noch ein weiteres Reizthema an, das die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken beschäftigt: Die Pläne der EU-Kommission für eine nachhaltige Finanzwirtschaft. „Sustainable Finance“ sei das neue Zauberwort in Brüssel, unkte Ferber. Es gebe schon konkrete Entwürfe für Veröffentlichungspflichten und Richtwerte, dabei sei sich Europa noch nicht einmal einig, was unter Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft überhaupt zu verstehen ist. „Ist ein Windrad nachhaltig, obwohl im Generator Kupfer verbaut ist und die Kupferproduktion der Umwelt schadet? Wo ist da die Grenze?“, fragte Ferber.

Es sei sinnvoll, nachhaltige Investitionen zu stärken, das Bankaufsichtsrecht sei dafür aber der falsche Weg. „Wer für mehr grüne Investitionen den ganzen Finanzsektor umkrempeln will, der sorgt für Fehlanreize und damit für Blasen. Und genau das wollten wir mit der Bankenregulierung doch eigentlich vermeiden“, so der Abgeordnete. Es sei deshalb an der Zeit, nach der Europawahl mit etwas mehr Verhältnismäßigkeit zu Werke zu gehen. „Denn nicht jede neue Regel sorgt dafür, dass die Verhältnisse stabiler werden“, so Ferber.

Verhältnismäßigkeit war auch für GVB-Präsident Jürgen Gros ein gutes Stichwort, als es in der anschließenden Podiumsdiskussion um die zukünftige Ausrichtung Europas ging. Gros machte deutlich, warum im Mai für Deutschland „die wichtigste Europawahl denn je“ anstehe. „Europa war noch nie so diversifiziert in der politischen Meinung wie heute“, so der GVB-Präsident. Das wirke sich auf die Handlungsfähigkeit der EU und Deutschlands aus, warnte er. „Die bayerischen Genossenschaften wollen eine stabile und starke Gemeinschaft, die sowohl ihren Bürgerinnen und Bürgern als auch Unternehmen einen spürbaren Mehrwert bietet“, so Gros.

Europa sollte sich auf seine Grundsätze besinnen

Deshalb sollten sich die politischen Kräfte in Europa stärker auf Spielregeln besinnen, „die längst definiert wurden, aber etwas aus dem Blick geraten sind“, so Gros. Dazu gehören für die bayerischen Genossenschaften Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit, die Einheit von Haftung und Kontrolle, Regeltreue sowie die Fokussierung auf kleine und mittlere Unternehmen. Die Grundsätze finden sich auch als Leitfaden in den Positionen der bayerischen Genossenschaften wieder, die der GVB zur Europawahl ausgearbeitet hat.

Beim Brexit scheint ebenfalls jedes Maß verloren gegangen zu sein. Europa sei bereit, den Briten mehr Zeit für eine Entscheidung zu geben, sagte Ferber. „Die Frage ist jedoch, wofür?“, so der EU-Abgeordnete, der sich angesichts der verfahrenen Situation im britischen Unterhaus ratlos zeigte. Auch bayerische Genossenschaften seien betroffen, berichtete Gros. So exportieren einige Molkereigenossenschaften aus dem Freistaat ihre Produkte nach Großbritannien. „Was passiert, wenn der Lkw vor der Zollabfertigung zwei Tage lang in der Sonne steht? Das sind Szenarien, die nicht auszuschließen sind“, so der GVB-Präsident. Letztlich sei ein Großteil des bayerischen Mittelstands als Zulieferer der Industrie vom Brexit betroffen – „und damit auch die Volksbanken und Raiffeisenbanken im Freistaat, die den Mittelstand finanzieren“, sagte Gros.

Um den Forderungen der bayerischen Genossenschaften Gehör zu verschaffen, übergab Gros eine Broschüre mit den Positionen an Ferber. Besonders die Pläne für eine nachhaltige Finanzwirtschaft und die damit verbundene Ökobürokratie bereiteten ihm schlaflose Nächte, bekannte der GVB-Präsident. „Das wäre MiFID mal zehn“, sagte er in Anspielung auf die Finanzmarktrichtlinie MiFID II, die wegen überzogener Verbraucherschutzvorgaben bei vielen Bankkunden für Verdruss sorgt.

Bei der Bürokratie liegt noch vieles im Argen

Ferber kündigte an, das Thema Bürokratie nach der Europawahl nochmal grundsätzlich zur Sprache zu bringen. Trotz der geplanten Erleichterungen für kleine und nicht-komplexe Banken liege etwa bei den Offenlegungspflichten immer noch einiges im Argen. „Wir brauchen ein Meldewesen, das niemanden bevormundet, weder bei der Sprache noch beim Bilanzierungsstandard. Deutsche Kreditinstitute sollen auch deutsche Formulare ausfüllen können“, so Ferber.

Welche Winkelzüge er in Verhandlungsrunden zur Bankenregulierung in Europa schon erlebt habe, darüber könnte er Bücher schreiben, bekannte Ferber zum Schluss. Die würde auch Jürgen Gros gerne lesen. Er habe an diesem Abend viel gelernt, so der GVB-Präsident. Politik sei ein Geben und Nehmen und nicht immer rational. „Ich freue mich auf ihre Memoiren“, so Gros. Aber bitte in Klartext.

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