Die EU-Währungsunion muss sich an ihre eigenen Spielregeln halten
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist bemüht, die Kreditvergabe im Euroraum in Schwung zu bringen. So können Banken, deren Kreditvergabe oberhalb eines Benchmarkwerts liegt, seit September 2014 im Rahmen sogenannter „gezielter längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte“ verbilligte Zentralbankliquidität zu einem Zins in Höhe von bis zu minus 0,4 Prozent beziehen. Doch trotz dieses massiven Maßnahmenpakets ist die Kreditvergabe nur leicht angesprungen. Mit ein Grund dafür ist der hohe Bestand an notleidenden Krediten in den Bilanzen vieler Banken im Euroraum. Dabei handelt es sich um Kredite, bei denen die Schuldner zurzeit keine Zins- und Tilgungszahlungen leisten und deren Rückzahlung ungewiss ist. Diese Kredite belasten die Profitabilität der Banken und die Neukreditvergabe. Denn die Problemkredite müssen mit Eigenkapital unterlegt werden, welches besser für die Neukreditvergabe an zahlungsfähige Schuldner genutzt werden könnte.
Spitzenreiter Italien
Eine einheitliche Definition von notleidenden Krediten existiert nicht, was die Vergleichbarkeit der Daten einschränkt. Die vorliegenden Informationen geben aber trotzdem einen Eindruck von der Größe des Problems. Nach Angaben der EZB summiert sich der Bestand an notleidenden Krediten im Euroraum auf 944,1 Milliarden Euro. Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) haben ergeben, dass davon 646,8 Milliarden Euro in den Bilanzen der 75 größten Banken des Euroraums liegen, während sich 297,3 Milliarden Euro auf die kleineren Banken verteilen. Im Ländervergleich ist Italien Spitzenreiter mit 276,0 Milliarden Euro, wovon 225,9 Milliarden Euro auf die 14 Großbanken des Lands entfallen. Das Problem ist hier besonders groß, da sich die italienische Regierung mit der Reform ihres Bankensektors schwer tut.
Ähnlich wie in Italien verhält es sich in Spanien. Von den 114,0 Milliarden Euro an notleidenden Krediten entfallen ebenfalls über 80 Prozent auf neun Großbanken. Im Gegensatz zur italienischen Regierung greift die spanische Regierung deutlich entschlossener in den Bankensektor ein und hat im Jahr 2017 auch Gläubigerbeteiligungen durchgeführt.
Ein besserer Indikator für die Größe des Problems ist der Bezug der Problemkredite auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Damit zeigt sich, inwieweit ein Land die Möglichkeit hat, sein Bankensystem notfalls zu stützen. So summieren sich die Problemkredite der Banken in Zypern auf 115,8 Prozent des nationalen BIP, gefolgt von Griechenland, wo sich die Problemkredite zu 66,1 Prozent des BIP addieren. In Italien, Portugal und Spanien belaufen sich die Bestände auf 16,4 Prozent, 22,1 Prozent und 12,6 Prozent des nationalen BIP. Mit der Sanierung ihrer Bankensysteme sind diese Länder somit überfordert. Im Vergleich dazu belaufen sich die notleidenden Kredite in Deutschland, Finnland und Lettland auf 2,1 Prozent, 1,9 Prozent und 0,3 Prozent des nationalen BIP.
Ungleich verteilte Kreditrisiken
Die unterschiedliche Betroffenheit der nationalen Bankensysteme ist auf mehrere Gründe zurückzuführen. Länder mit einer hohen Staatsverschuldung haben wenig finanziellen Spielraum zur Rettung ihrer Banken. Zudem haben die Banken durch die Verschärfung der Staatsschuldenkrise Abschreibungen auf die von ihnen gehaltenen Staatsanleihen durchführen müssen, die nicht mit ausreichend Eigenkapital hinterlegt waren. Der Mangel an Eigenkapital hat dann zu einer Verknappung der Kreditvergabe geführt, was viele Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geführt und damit die Rezession verschärft hat. Die Schwere der Rezession hat wiederum die Umsatzsituation der Unternehmen verschlechtert und damit deren Möglichkeit zur Bedienung der bestehenden Kredite geschmälert.
Wenig effektive Insolvenzverfahren
Der Abbau der notleidenden Kredite erweist sich als schwierig. Denn die Banken können nicht darauf hoffen, dass sich die wirtschaftliche Situation der zahlungsunfähigen Schuldner mit dem wirtschaftlichen Aufschwung erholt. Durch die Vollstreckung der Kreditsicherheiten könnten die Banken zwar ihren Verlust minimieren, doch die Qualität der Insolvenzordnungen ist in den europäischen Ländern unterschiedlich hoch. Aus Daten der Weltbank geht hervor, dass die Banken in Ländern mit effektiveren Insolvenzverfahren weniger Problemkredite in ihren Bilanzen aufweisen. Fallen in Finnland und Italien Kredite in Höhe von 1 Million Euro aus, so können in Finnland rund 900.000 Euro und in Italien nur rund 640.000 Euro wieder eingetrieben werden. In Finnland würde dieses Verfahren 35.000 Euro kosten, in Italien hingegen 180.000 Euro.
Die Banken könnten natürlich auch die Kredite abschreiben. Berechnungen des IW zeigen allerdings, dass selbst eine Abschreibung von 10 Prozent der Problemkredite pro Jahr das Eigenkapital von vielen europäischen Banken aufzehren würde. Einige Banken haben ihre notleidenden Kredite an Investoren verkauft. Allerdings ist der Markt für notleidende Kredite in Europa sehr klein. Zudem geht auch der Verkauf der Problemkredite mit Verlusten für die Banken einher. Denn die Investoren werden das hohe Kreditrisiko nur mit hohen Risikoabschlägen auf sich nehmen.
Der Abbau von Problemkrediten bedarf einer Kooperation aus den betroffenen Banken, ihren Schuldnern und Bankgläubigern, den Aufsichtsbehörden und den betroffenen Regierungen. Dass eine Lösung nicht einfach ist, zeigte sich daran, dass der aktuelle Vorstoß der EZB zur Reduzierung von Problemkrediten auf Kritik gestoßen ist. Nachdem der EZB im vergangenen Jahr aus den Reihen des Europäischen Parlaments eine Kompetenzüberschreitung vorgeworfen worden war, kritisierte auch der juristische Dienst des Europäischen Rats die geplanten EZB-Leitlinien zum Abbau notleidender Kredite. In entsprechende Beschlüsse müsste das Parlament einbezogen werden, so der juristische Dienst. Die EZB argumentiert hingegen, dass sie lediglich ihrem Auftrag als Bankenaufsicht nachkomme und dass es sich bei den Leitlinien um Handlungsempfehlungen der Aufsicht an spezifische Institute handele.
EU-Einlagensicherung als Umverteilungsmaschinerie
Die Befürworter einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung wollen diese bis zum Jahr 2023 einführen. Ohne eine umfassende Reform der nationalen Bankensektoren wird diese aber zu Umverteilungen von Ländern mit solidem Bankensystem hin zu Ländern mit einem hohen Bestand an notleidenden Krediten führen.
Das IW hat berechnet, welche Kosten auf die einzelnen Länder zukommen würden, wenn diese ihre Banken fit für eine gemeinsame Einlagensicherung machen wollen. Für die Berechnungen wurde angenommen, dass die Banken so reformiert werden, dass sie dann weniger als 5 Prozent an Problemkrediten in ihrem Kreditbestand aufweisen, und ihre bilanzielle Eigenkapitalquote zudem mindestens 6 Prozent beträgt. Aus diesem Szenario ergab sich ein Rekapitalisierungsbedarf in Höhe von 163,0 Milliarden Euro allein für die italienischen Banken. Für die gesamte Eurozone würden sich die Rekapitalisierungskosten auf 412,9 Milliarden Euro belaufen. Dieser Betrag könnte verringert werden, wenn die Banken eine stärkere Risikovorsorge betreiben würden.
Ob die nationalen Regierungen bereit wären, diese Kosten für die Reform ihrer Bankensysteme aufzuwenden, beziehungsweise ob sie diese aufwenden können, ist allerdings mehr als fraglich. Von einer gemeinsamen europäischen Einlagensicherung ist somit abzuraten.
Dr. Markus Demary ist Senior Economist für Geldpolitik und Finanzmarktökonomik am Institut der deutschen Wirtschaft (IW).