Jahrhundert-Projekt: Wie sieht der Wald in 100 Jahren aus? Mit dieser Frage setzt sich die Waldbesitzervereinigung Schongau eG auseinander – und treibt den Waldumbau im Pfaffenwinkel voran.
An der Stelle, wo in den 1960er Jahren „Bodo“ und „Chef“ ihr Heu aus der Raufe rupften, lagern ein gutes halbes Jahrhundert später Walnüsse. Viele Walnüsse. Die gestapelten Säcke reichen fast bis an die Decke des ehemaligen Stalls in der Sammenheimer Dorfscheune, wo nach wie vor zwei kleine Namensschilder an die beiden Zuchtbullen der Gemeinde erinnern. Im Vorraum gibt es feines Walnussöl zu kaufen, dazu Walnussnudeln und Walnussmus. Alles stammt von der Manufaktur Gelbe Bürg eG aus Dittenheim. Die Genossenschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Walnüsse der Region sinnvoll zu verwerten und so die alten Nussbäume rund um den 628 Meter hohen „Gelben Berg“ zu erhalten.
Was macht die Manufaktur Gelbe Bürg eG?
- Die Genossenschaft wurde im Jahr 2013 in Dittenheim gegründet. Die Gemeinde liegt im mittelfränkischen Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. Die Region ist für ihre landschaftsprägenden Streuobstbestände bekannt
- Indem sie Walnüsse und anderes Obst von den Einheimischen zu fairen Preisen ankauft und verarbeitet, will die Manufaktur einen Anreiz schaffen, die vielen Obstbäume rund um die Gelbe Bürg zu erhalten
- Die Produkte werden nach alter Tradition in Handarbeit hergestellt und unter der regionalen Marke „Gelbe Bürg“ verkauft
- Produziert werden kaltgepresstes Walnussöl, Walnussnudeln, Walnussmus, Walnusskerne sowie verschiedene Fruchtaufstriche (Fränkische Zwetschge oder Birne mit Walnuss und Quitte)
- Um den Absatz zu fördern, sollen die Bekanntheit der Marke „Gelbe Bürg“ gestärkt und neue Verkaufsstellen erschlossen werden
Im Winter kauft die Genossenschaft regelmäßig Walnüsse aus den Landkreisen und Städten Weißenburg-Gunzenhausen, Ansbach, Roth, Donau-Ries und Schwabach an. Am letzten Samstag im November waren die Bürger aufgerufen, ihre Nüsse in die Sammenheimer Dorfscheune zu bringen. Wo früher die Zuchtstiere gemütlich schnauften, erklingen an diesem Vormittag ganz andere Geräusche: Nussschalen knacken – ganz so, wie man es von einem gemütlichen Weihnachtsabend kennt. Verantwortlich dafür ist Friedrich Schröder. Der Sammenheimer Nussexperte prüft im Auftrag der Genossenschaft die Walnüsse, die die Einheimischen in ihren Gärten und Streuobstwiesen gesammelt haben und nun getrocknet zum Sammelpunkt in der Dorfscheune bringen.
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Alle paar Minuten hält ein Auto vor dem Gebäude, dann wuchtet der Fahrer seine Säcke und Kisten voller Walnüsse aus dem Kofferraum und stellt sie auf die Waage. Viele liefern einen ganzen Zentner oder mehr. Einmal bleibt die digitale Anzeige bei 132 Kilogramm stehen. Schröder greift sich ein paar Nüsse aus dem Sack und prüft die Feuchtigkeit mit einem speziellen Messgerät. Dann knackt er sie, entfernt die Schale und begutachtet den Kern. Nicht immer ist er zufrieden, denn die Genossenschaft stellt hohe Ansprüche an die Walnüsse, um später ihr Qualitätsversprechen auch bei den Produkten einlösen zu können. Sind die Früchte zu feucht, lässt sich aus ihnen kein hochwertiges Öl pressen. Weitere Ausschlusskriterien sind Schimmel und verwachsene Kerne, die sich nicht von der Schale trennen lassen. So wie an diesem Tag bei einem der Lieferanten. „Wie sollen wir bei diesen Nüssen Schale und Kern auseinanderbekommen? Das schaffen wir nicht einmal in Handarbeit“, meint Schröder.
„Schade, aber kann man nichts machen“, sagt der Lieferant und nimmt seine Nüsse wieder mit. Bei den allermeisten Lieferungen gibt Schröder jedoch sein OK. „Jeder Walnussbaum ist anders. Sie haben alle ihren eigenen Charakter, ganz wie wir Menschen“, meint der Fachmann. Einmal habe ein Bauer mehrere Dutzend Walnüsse von einem einzigen Baum in der Erde vergraben. „Daraus wurden dann ganz unterschiedliche Sorten, obwohl sie das gleiche Erbgut hatten“, erzählt Schröder.
900 Kilogramm Walnüsse kommen an diesem Samstag Ende November zusammen. Sie werden gewogen, in Säcke abgefüllt und im ehemaligen Stall der Dorfscheune gelagert. Dort stapeln sich auch schon die Säcke früherer Ankauftage. Jeder Lieferant muss mit seiner Unterschrift bestätigen, dass seine Walnüsse ausschließlich aus der letzten Ernte stammen sowie sorgfältig getrocknet wurden. Dazu werden Name und Adresse des Lieferanten erfasst, um später die Herkunft der Charge lückenlos verfolgen zu können.
Zwei Euro gibt es pro Kilogramm Walnüsse, bei kleineren Qualitätsmängeln zieht Friedrich Schröder ein paar Kilogramm vom Preis ab. „64 Kilo“, ruft er und hebt einen Sack von der Waage. An der Kasse sitzt Wolfgang Milec. „Das macht dann 128 Euro“, rechnet er, händigt dem Lieferanten das Geld aus und lässt sich den Empfang quittieren. „In den 1960er Jahren gab es noch rund 20 Millionen Obstbäume in Bayern. Jetzt sind es weniger als sechs Millionen. Ein Rückgang um 70 Prozent“, bedauert Milec. Er führt den Rückgang auf die Flurbereinigung zurück, aber auch auf fehlende Verwertungsmöglichkeiten für das heimische Obst. Denn die Ware aus dem Supermarkt wurde immer billiger.
3,8 Millionen Tonnen Walnüsse wurden im Jahr 2017 laut der Welternährungsorganisation FAO weltweit produziert. Weltmarktführer sind die USA, China, Ukraine, Iran, Türkei und Chile. Die Walnussbäume auf den Plantagen sind veredelt, damit die Früchte immer die gleiche Qualität haben. So schaffen es die Produzenten, viel Ware zu einem billigen Preis auf den Markt zu werfen – von den Umweltstandards auf den Plantagen ganz zu schweigen. Die Sortenvielfalt der wilden Nussbäume in Mittelfranken macht es dagegen sehr schwer, die Walnüsse zu verarbeiten. Viele Besitzer sammeln diese zwar auf, allerdings nur um sie an die Hühner zu verfüttern, zu verschenken oder gleich zu verbrennen.
Dem will die Genossenschaft Einhalt gebieten. „Früher haben die Städter auf dem Land Tafelobst und Nüsse gekauft. Für die Bauern war das bis in die 1960er Jahre hinein ein wichtiges Zubrot“, erzählt Milec. Irgendwann kamen immer weniger Käufer, bis sich keiner mehr für die Obstbäume interessierte. „Irgendwann wurden sie den Besitzern lästig und einfach gefällt“, sagt Milec. Mit der Manufaktur Gelbe Bürg hat sich das geändert. „Appelle helfen wenig, aber Geld. Seit die Genossenschaft die Walnüsse aus der Region ankauft, kümmern sich viele Besitzer wieder um ihre Bäume, pflegen sie und pflanzen sogar neue.“
Die Genossenschaft wurde im Jahr 2013 gegründet. Die Gemeinden Dittenheim, Gnotzheim, Markt Berolzheim, Heidenheim und Meinheim sowie die örtlichen Obst- und Gartenbauvereine schoben das Projekt mit an. Denn als Anlieger der Gelben Bürg haben sie alle ein großes Interesse am Erhalt der landschaftsprägenden Streuobstwiesen. Vor allem in Sammenheim – einem Ortsteil der Gemeinde Dittenheim mit 330 Einwohnern und 180 Nussbäumen – spielte die Walnuss schon immer eine große Rolle im Leben der Menschen. „Nussdorf“ wird Sammenheim auch genannt. Seit 2014 findet dort jeden dritten Herbst der Sammenheimer Nussmarkt statt, das nächste Mal 2020.
Ursprünglich hatte sich die Genossenschaft zum Ziel gesetzt, alle typischen Obstsorten der Region wie Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Kirschen oder Quitten zu verarbeiten. Seit 2015 konzentriert sich die Manufaktur jedoch auf ihr Kernprodukt mit der größten Nachfrage: die Walnuss. Das funktioniert, die Produkte verkaufen sich gut in der Region. Und sie überzeugen auch Gourmets: Beim Spezialitätenwettbewerb der Metropolregion Nürnberg wurde das kalt gepresste, unbehandelte Walnussöl der Gelben Bürg zum Sieger gekürt. Mittlerweile hat die Genossenschaft 150 Mitglieder.
So wie Karl-Heinz Stoll aus Hüssingen. „Wir haben einen großen Garten mit drei alten Walnussbäumen. Aber so viele Nusskuchen können wir gar nicht backen, wie die Bäume tragen“, sagt er. Deshalb fährt er die Ernte regelmäßig nach Sammenheim zur Genossenschaft. „Bevor es die Manufaktur gab, haben wir die meisten Walnüsse einfach weggeworfen oder verbrannt. Aber da hat mir immer das Herz wehgetan“, erzählt Stoll. Deshalb ist er froh, dass es nun eine Möglichkeit gibt, die Nüsse sinnvoll zu verwerten. Die alten Bäume zu fällen, würde ihm nie in den Sinn kommen. „Ich bin mit den Bäumen und den Streuobstwiesen aufgewachsen. Von so etwas kann man sich nicht trennen. Die Bäume sind für mich ein Stück Heimat.“
Weil es sehr viel mehr Menschen wie Karl-Heinz Stoll gibt, die ihre Walnüsse gerne der Manufaktur Gelbe Bürg verkaufen, kommen so zehn Tonnen und mehr pro Saison zusammen. Daraus werden drei bis vier Tonnen Walnussöl, abgefüllt in mehr als 5.000 Flaschen. „Das kann man nicht mehr ausschließlich von Hand verarbeiten“, sagt Hans Bauer, Aufsichtsratsvorsitzender der Manufaktur Gelbe Bürg eG. Deswegen fahren die ehrenamtlichen Helfer der Genossenschaft zum Knacken und Pressen der Nüsse regelmäßig ins benachbarte Baden-Württemberg. Zwei Stunden Autofahrt sind es von Sammenheim bis Marbach am Neckar nördlich von Stuttgart. Im Ortsteil Rielingshausen betreibt ein Obstbauer eine Nussknackmaschine, die von der Manufaktur Gelbe Bürg mitbenutzt werden darf. Die Schalen werden von der Anlage maschinell geöffnet und zum Teil bereits entfernt.
Auf einem Sortierband trennen Helfer die restlichen Schalenteile händisch von den Kernen und sortieren schlechte Ware aus. Dann werden die Kerne maschinell zerhackt und anschließend kalt gepresst. Vor dem Abfüllen muss das Walnussöl mehrere Wochen ruhen, damit sich die Schwebstoffe absetzen können. Den Weg von der Walnuss bis zum Öl hat die Genossenschaft sehr anschaulich in einem PDF mit vielen Bildern zusammengefasst.
„Zehn Tonnen Walnüsse nach Baden-Württemberg zu fahren, ist ein großer Aufwand. Da sind wir mehrmals im Jahr unterwegs“, erzählt Bauer. Doch nicht mehr lange. Schon bald soll die erste bayerische Nussknackmaschine mit Ölpresse in der Sammenheimer Dorfscheune aufgestellt werden. Diese wird dafür zum Nusshaus umgebaut. Dafür gibt es auch Geld vom bayerischen Heimatministerium. Denn das Engagement der Gemeinde Dittenheim, seiner Gartenbauvereine und der Manufaktur Gelbe Bürg eG zum Erhalt der Streuobstwiesen hat sich bis ins ferne München herumgesprochen. Ende September zeichnete Bayerns Heimatminister Albert Füracker die Gemeinde Dittenheim mit dem „Gütesiegel Heimatdorf“ aus.
Mit der Auszeichnung sollen die Bürger und Gemeinden im Freistaat dabei unterstützt werden, ihre Heimat aktiv zu gestalten, die Lebensqualität zu steigern und neue Ideen umzusetzen. „Menschen sind das wichtigste Kapital im ländlichen Raum. Das Gütesiegel würdigt das besondere Engagement der Bewohner in den Gemeinden. Wir haben in Bayern richtig starke Heimatdörfer mit Ideen für Zukunftsprojekte“, sagte Füracker bei der Preisverleihung in Nürnberg.
Zusammen mit dem Preis erhielt die Gemeinde Dittenheim eine Geldprämie von 60.000 Euro. Bürgermeister Günter Ströbel – Gründungsmitglied und ehemaliger Vorsitzender des Aufsichtsrats der Manufaktur Gelbe Bürg eG – weiß auch schon, wie das Preisgeld ausgegeben wird. Ein Viertel geht an die Gartenbauvereine zur Dorfverschönerung, mit dem Löwenanteil von 45.000 Euro finanziert die Gemeinde die Nussknackmaschine und die Ölpresse der Genossenschaft – die erste Anlage dieser Art in ganz Bayern, wie der Bürgermeister stolz bemerkt. „Die Manufaktur Gelbe Bürg hat einen maßgeblichen Anteil daran, dass die Gemeinde ausgezeichnet wurde“, betont Ströbel. Den Umbau der Sammenheimer Dorfscheune zum Nusshaus lässt sich die Gemeinde noch einmal 220.000 Euro kosten. „Das ist viel Geld für Dittenheim, aber unter anderem dank der Initiativen der Genossenschaft wird sich diese Investition lohnen.“
Die Knackmaschine und die Ölpresse sind bestellt. Sobald die Sammenheimer Dorfscheune zum Nusshaus umgebaut ist, sollen sie dort aufgestellt werden. Dann müssen die Helfer der Genossenschaft nicht mehr nach Baden-Württemberg fahren, um die Nüsse knacken zu lassen. Auch die weitere Verarbeitung der Rohprodukte wird dann einfacher. „Bisher sind die Geräte im Bauhof untergebracht und produziert wird in der Küche der Dittenheimer Mehrzweckhalle“, erzählt Ströbel.
Sobald das Nusshaus in Sammenheim in Betrieb ist, dürfen gerne auch andere Initiativen aus Bayern kommen, um dort ihre Nüsse knacken und pressen zu lassen, bietet der Bürgermeister an. Dann tragen die Manufaktur Gelbe Bürg eG und die Gemeinde Dittenheim dazu bei, dass auch in anderen Teilen Bayerns ein Stück Heimat bewahrt wird, weil die Menschen einen wirtschaftlichen Anreiz haben, ihre alten Nussbäume zu erhalten. Die Genossenschaftspioniere Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch hätten es nicht besser machen können.