Krisenmanagement: Was brauchen die bayerischen Genossenschaften jetzt, um einigermaßen heil aus der Corona-Krise zu kommen? Ein Interview mit GVB-Präsident Jürgen Gros.
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Die wichtigsten Aussage von Frank Engels
- Durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie geraten viele Unternehmen unverschuldet in Notlage. Diese Betriebe benötigen sowohl Liquiditätshilfen als auch direkte Unterstützung von der öffentlichen Hand. Eine systemische Finanzkrise - wie im Jahr 2008 - ist nicht zu erwarten, da die Kreditinstitute heute deutlicher solider aufgestellt sind.
- Der Stopp des öffentlichen Lebens belastet die Wirtschaft. Eine Rezession in Deutschland und vielen weiteren Staaten ist nicht zu vermeiden. Erst 2021 könnte es wieder positive Wachstumsraten geben.
- An den Kapitalmärkten geht es aktuell sehr turbulent zu. Mittel- und langfristig bleiben die Perspektiven jedoch aussichtsreich, vor allem, wenn Anpassungs- und Nachholeffekte einsetzen. Anleger sollten deshalb nicht unüberlegt oder hektisch reagieren.
Seit Anfang März haben die Kapitalmärkte aus Sorge vor einer Corona-Rezession ihre Kurse in Breite, Schnelligkeit und Ausmaß stark korrigiert. Auch wenn die aktuelle Lage an die Finanzkrise von 2008 erinnert, so ist doch vieles anders. Zum Beispiel ist der Abverkauf schneller und heftiger als damals. Zum anderen ist die Bewegungsfreiheit von Investoren im Portfoliokontext aus regulatorischen Gründen massiv gesunken. Dadurch wird es für Anleger nicht gerade leichter. Der größte Unterschied betrifft aber die Art der Krise. Denn: Im Nachgang der Lehman-Pleite ging es darum, den Kollaps der Finanzwirtschaft zu verhindern. Die Lockerung der Geldpolitik war daher das richtige Mittel. Alles in allem waren die politischen Institutionen international damit recht schnell erfolgreich, auch wenn die Krise natürlich trotzdem tief und schmerzhaft war.
Heute haben wir einen dreifachen Schock: Das Virus bewirkt einen Angebots- und Nachfrageschock zugleich, weil viele Firmen wegen unterbrochener Lieferketten nicht mehr produzieren können und viele Konsumenten aufgrund der Einschränkungen im öffentlichen Leben und der von den Behörden angeordneten Geschäftsschließungen nicht mehr konsumieren können. Zudem sind wir alle in Sorge um die Gesundheit unserer Freunde und Familien. Das alles führt insgesamt dazu, dass dieses Mal nicht der Finanzwirtschaft, sondern der Realwirtschaft der Stillstand droht. Diese Problemkombination kann man nur schwer geldpolitisch bekämpfen.
Keine systemische Finanzkrise zu erwarten
Ein großes Plus im Vergleich zu 2008: Die Banken sind heute viel stabiler als damals. Außerdem hat die Krise ihren Ursprung dieses Mal in einem medizinischen Notstand, nicht im Finanzsektor. Daher ist eine systemische Finanzkrise, wie wir sie im Jahr 2008 erlebt haben, kaum zu erwarten. Das bedeutet aber nicht, dass die Lage ungefährlich wäre. Ein Übergreifen von der Real- auf die Finanzwirtschaft muss unbedingt verhindert werden, denn das Finanzsystem könnte über notleidende Kredite infiziert werden. Viele Firmen geraten aktuell unverschuldet in Schieflage, zum Beispiel unter den Fluglinien oder im Tourismus. Wenn ein Teil dieser Unternehmen seine Kredite nicht mehr bedienen kann, springt das Problem auf die Banken über.
Was muss also getan werden? Die Unternehmen brauchen nicht nur Liquiditätshilfen, sondern auch direkte Hilfen von der öffentlichen Hand. Das beginnt beim Kurzarbeitergeld und geht über Steuerstundungen bis hin zu Beteiligungslösungen im Notfall. Auch innovative Tilgungshilfen oder die teilweise Kreditübernahme durch staatliche Stellen, zum Beispiel über die nationale Förderbank KfW, können eine wichtige Unterstützung bei der Überwindung der Krise sein.
Fiskalpolitisch wurde bereits eine ganze Reihe von Gegenmaßnahmen beschlossen. Diese schätzen wir in Summe sehr positiv ein. Manches hätte vielleicht noch schneller kommen können, und an der einen oder anderen Stelle hakt es sicherlich noch ein wenig. Aber die Richtung stimmt.
Notenbanken agieren entschlossen
Auch die Zentralbanken haben ihre Politik weiter gelockert. Das waren richtige und wichtige Schritte. Sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Europäische Zentralbank haben ihre Entschlossenheit bislang unter Beweis gestellt. Die geldpolitische Transmission der extrem niedrigen Zinsen und der hohen Zentralbankliquidität in den breiten Wirtschaftskreislauf muss auf jeden Fall sichergestellt werden. Dazu dienen die Maßnahmen der Fed und der EZB sowie vieler anderer Zentralbanken rund um den Globus. Das wird der Weltwirtschaft helfen, nach einem tiefen Wachstumseinbruch wieder relativ rasch in Schwung zu kommen.
Aber: Kurzfristig werden diese Hilfen allein nicht ausreichen, um die Volkswirtschaften zu stabilisieren. So lange das wirtschaftliche Leben ruht, helfen auch Geld- und Fiskalpolitik wenig. Deshalb sprechen wir jetzt auch von einem tiefen und schmerzhaften wirtschaftlichen Einbruch im zweiten und vermutlich auch dritten Quartal des laufenden Jahres. Die beschlossenen Hilfen verhindern aber, dass die Volkswirtschaften strukturell beschädigt werden, etwa durch unnötige Firmeninsolvenzen. Außerdem legen sie die Grundlage für einen möglichst schnellen, kräftigen Aufschwung – sobald die Infektionszahlen zurückgehen.
„Der Stopp des öffentlichen Lebens sollte die Pandemie eindämmen, aber er belastet auch das Wirtschaftswachstum zunächst stark.“
Eine Rezession ist nicht zu vermeiden
Aber so weit ist es noch nicht. Der Stopp des öffentlichen Lebens sollte die Pandemie eindämmen, aber er belastet auch das Wirtschaftswachstum zunächst stark. Eine Rezession wird sich daher nicht mehr vermeiden lassen. Für eine Verbesserung des Konjunkturbilds muss sich zunächst die Ausbreitung der Pandemie erst sichtbar verlangsamen oder es müssen rasch wirksame Medikamente beziehungsweise ein Impfstoff gefunden werden. Erst dann wird die Wirtschaft wieder nachhaltig an Schwung gewinnen.
Mit Blick auf das Wachstum haben unsere Volkswirte daher ihre Prognosen deutlich nach unten korrigiert. Demnach ist beim Brutto-Inlandsprodukt der Europäischen Währungsunion ein Rückgang von 3,6 Prozent im Jahr 2020 zu erwarten. Besonders betroffen dürfte Italien sein, das aktuell – neben den USA – die höchsten Infektionszahlen außerhalb Chinas aufweist. Aber auch in Spanien, Frankreich und Deutschland gehen wir von einer Rezession aus. Im Jahr 2021 rechnen wir wieder mit positiven Wachstumsraten.
Ein wenig besser sieht es in den USA aus. Die Vereinigten Staaten sind im Gegensatz zur Europäischen Währungsunion stärker von einem Einbruch des Konsums betroffen, während Europa eine größere Abhängigkeit gegenüber der Weltwirtschaft aufweist. Gleichzeitig war das Wachstum in den USA bis zuletzt sehr robust. In der Gesamtschau rechnen wir daher für 2020 mit einem BIP-Rückgang von 1,9 Prozent. Auch in den USA gehen wir aber von einer Rückkehr auf den Wachstumspfad im Jahr 2021 aus.
Hoffnung auf Anpassungs- und Nachholeffekte an den Kapitalmärkten
An den Kapitalmärkten dürfte die Entwicklung deshalb kurzfristig turbulent bleiben. Solange das Wachstum der Infektionszahlen nicht zurückgeht, ist eine nachhaltige Aufwärtsbewegung bei Risikoanlagen wie Aktien oder Unternehmensanleihen mit einem großen Fragezeichen versehen.
Wie die Börsenwelt nach dem Corona-Virus aussieht, kann heute noch niemand genau sagen. Aber wir glauben, dass die Perspektiven mittel- bis langfristig weiter aussichtsreich sind. Das Virus ist zwar ein negativer Schock. Aber marktwirtschaftliche Systeme sind sehr gut darin, sich schnell an solche Veränderungen anzupassen. Dafür müssen sie funktionsfähig bleiben, daher sind die aktuellen Hilfen der Fiskal- und Geldpolitik so wichtig. Gelingt das, setzen Anpassungs- und Nachholeffekte ein, und wir dürften wieder auf den Wachstumspfad einschwenken. Dann würden die bislang geltenden Anlagetrends – wie das Niedrigzinsumfeld – weiter Bestand haben.
„Trotz der aktuellen Marktlage sollten Anleger langfristige Anlagestrategien nicht unüberlegt und hektisch anpassen.“
Anleger sollten Ruhe bewahren
Anlegerinnen und Anlegern raten wir in dieser Situation: Keine Schnellschüsse, bitte! Trotz der aktuellen Marktlage sollten sie langfristige Anlagestrategien nicht unüberlegt und hektisch anpassen. Denn die letzten Tage an der Börse waren geprägt von einer sehr hohen Schwankungsbreite mit starken Kursausschlägen nach unten und oben. Mittel- bis langfristig bieten sich uns Investoren interessante Chancen, aber zuerst muss es glaubhafte Anzeichen dafür geben, dass wir die Viruspandemie zunehmend in den Griff bekommen. Wenn sich die Anzeichen dafür mehren, dann bieten sich hervorragende Einstiegschancen – und die gilt es rechtzeitig zu nutzen.
Dr. Frank Engels leitet seit 2018 das Portfoliomanagement von Union Investment. Zudem verantwortet er den Bereich Multi Asset innerhalb des Portfoliomanagements. Gleichzeitig ist Engels Vorsitzender des „Union Investment Committee“ (UIC). Das Gremium legt die Kapitalmarktstrategie von Union Investment fest und bündelt die Einschätzungen und Anlage-Ideen aller Bereiche des Portfoliomanagements.