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Archivarbeit ist Schwerarbeit. Wer das nicht glaubt, muss nur einmal ins Archiv der Münchner Bank am Arabellapark gehen. Das „Depot-Nummern-Buch III“ misst 40 mal 40 Zentimeter, ist zehn Zentimeter dick und wiegt locker zehn Kilogramm. Ein massiver Metallrücken hält die Blätter zusammen, die Buchdeckel sind mit Cord und Leder überzogen. Im Inneren sind in schwarzer Tinte fein säuberlich die Wertpapiere verzeichnet, die von den Depotinhabern der Bank gehalten wurden. Bis in die 1950er Jahre wurden dort Anteilsscheine von Aktiengesellschaften mit klingenden Namen wie Badische Anilin- & Soda-Fabrik (BASF) oder Bayerische Motorenwerke (BMW) eingetragen, aber auch Landeskultur-Rentenbriefe. Diese wurden von der Landeskultur-Rentenanstalt (heute Bayerische Landesbodenkreditanstalt) ausgegeben, um zum Beispiel Ödflächen urbar zu machen.

Im Archiv der Münchner Bank finden sich viele Schätze ähnlichen Kalibers wie das „Depot-Nummern-Buch III“:  Sparkonten-Nummernverzeichnisse, Revisionsprotokollbücher oder Mitgliederverzeichnisse, darunter auch die Liste der Gründungsgenossen des „Münchener Darlehen-Vereins“ von 1862 – der Vorläufer der heutigen Münchner Bank. Ab 1876 liegen die Bilanzen vor, dazu kommen Geschäftsberichte, Personalakten oder historische Baupläne, etwa von der Filiale an der Münchner Frauenkirche. In dem Gebäude befand sich das Café Metropole, ehe es die Bank 1898 erwarb und für ihre Zwecke umgestalten ließ.

„‚Nur wer seine Wurzeln kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.‘ Dies ist nicht nur mein persönlicher Lieblingsspruch unseres Gründervaters Hermann Schulze-Delitzsch, sondern zugleich das Leitmotiv unseres Handelns“, sagt auch Wilfried Gerling, Vorstandsvorsitzender der Münchner Bank eG. Das historische Archiv ist ihm deshalb wichtig; „Es hilft uns, unsere Geschichte immer wieder in Verbindung mit der Gegenwart und der Zukunft zu setzen. Als eine der ältesten Genossenschaftsbanken in Bayern können wir dabei aus reichen Erfahrungen schöpfen und diese zum Wohl unserer Mitglieder einsetzen.“

Mit seiner Arbeit unterstützt der Historische Verein bayerischer Genossenschaften die Bank bei diesem Anliegen. Ein Blick in das Archiv zeigt: Die Geschichte der Münchner Bank war schon immer von Veränderungen geprägt, auch vor über 150 Jahren. „Bei unserer Gründung zu Beginn der Industrialisierung war die Frage: Maschine statt Mensch? Heute stehen wir vor ähnlichen Herausforderungen. Stichwort: Künstliche Intelligenz versus Mensch. Unsere Gründerväter haben Antworten auf die damalige Entwicklung gefunden, und diese Antworten haben wir heute auch“, so Gerling.

Münchner Bank, Archiv, Historischer Verein bayerischer Genossenschaften, Genossenschaftsverband Bayern GVB, Silvia Lolli Gallowsky.
Locker zehn Kilogramm schwer: Sana’a Wittmann, Mitarbeiterin des Historischen Vereins, mit dem „Depot-Nummern-Buch III“ der Münchner Bank.
Münchner Bank, Archiv, Historischer Verein bayerischer Genossenschaften, Genossenschaftsverband Bayern GVB, Silvia Lolli Gallowsky.
Aufriss des Gebäudes Frauenplatz 2 gegenüber der Münchner Frauenkirche von 1898. Die Münchner Bank eröffnete dort 1899 ihren Hauptsitz. Die Filiale gibt es bis heute.
Münchner Bank, Archiv, Historischer Verein bayerischer Genossenschaften, Genossenschaftsverband Bayern GVB, Silvia Lolli Gallowsky.
Aus 250 Reichsmark werden 25 D-Mark: Die Währungsreform vom 20. Juni 1948 ist in den historischen Kontobüchern der Münchner Bank gut dokumentiert. Der Umstellungskurs betrug damals 10:1.

Damit historische Schätze im Laufe der Jahre nicht in Vergessenheit geraten oder gar verloren gehen, unterstützt der Historische Verein bayerischer Genossenschaften die Mitglieder des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) beim Aufbau und der Pflege von Archiven – so wie bei der Münchner Bank. Das Projekt „Archive der Genossenschaften“ läuft seit 2012. Dazu sichten Vereins-Geschäftsführerin Silvia Lolli Gallowsky und ihre Mitarbeiterinnen die historischen Bestände der GVB-Mitglieder, bewerten und erfassen sie in einem digitalen Findbuch. Alle Archivalien erhalten eine Signatur, um später über das Findbuch darauf zugreifen zu können. Außerdem werden die Bestände so weit wie möglich um historische Informationen ergänzt. Wo nötig, bringen Gallowsky und ihre Kolleginnen wieder Ordnung ins Archiv. Kommen neue Bestände hinzu – etwa bei einer Bankenfusion – begleitet der Historische Verein die Archivarbeit der Bank auch fortlaufend.

Archiv-Netzwerk spannt sich über ganz Bayern

15 bayerische Genossenschaften haben das Angebot des Historischen Vereins schon in Anspruch genommen. Nach dem Archiv der Münchner Bank werden die Bestände der Freisinger Bank eG Volksbank-Raiffeisenbank erfasst und geordnet. Ziel ist es, die Archivarbeit auch für Veranstaltungen und Publikationen zum 125-jährigen Bestehen der Freisinger Bank im kommenden Jahr zu nutzen.

Das digitale Findbuch wird bei allen Banken mit der Archiv-Software „Midosa" der Archivschule Marburg erstellt. Diese ist sowohl für öffentliche als auch für private historische Archive geeignet. Die einheitliche Software bietet den Vorteil, dass alle Bestände mit der gleichen Systematik erfasst werden können. Das erleichtert später die Vergleichbarkeit und die gezielte Suche nach bestimmten Dokumenten.

Auch die Spielwarenmesse eG in Nürnberg und die Taxi München eG haben das Angebot des Historischen Vereins schon genutzt. Die Genossenschaft der Münchner Taxifahrer feierte 2017 ihr 100-jähriges Bestehen. „In 100 Jahren sammelt sich so einiges an. Wir haben uns für die Aufbereitung der Geschichte der Taxi München eG durch den Historischen Verein bayerischer Genossenschaften entschieden, um unseren Blickwinkel zu erweitern“, sagt Frank Kuhle, Vorstand der Taxi München. Zudem habe der Verein für die Genossenschaft weitere Quellen erschlossen, etwa historische Zeitungsartikel zur Taxi München eG. Aus dem aufbereiteten historischen Material erstellte Kuhle eine Chronik zum 100. Geburtstag der Genossenschaft.

Alle Findbücher der 15 Genossenschaftsarchive zusammen enthalten mittlerweile über 10.000 erfasste Archivalien und Serien. Neben den klassischen Beständen wie Geschäftsberichten und Protokollen gehören dazu Bilder- und Fotosammlungen, Sammlungen historischer Exponate zur Bank- und Buchungstechnik sowie alte landwirtschaftliche Geräte. „Das entstandene Netz an Genossenschaftsarchiven breitet sich über alle bayerischen Bezirke aus und ist in vielerlei Hinsicht repräsentativ, insbesondere was die Geschichte und die Tradition der bayerischen Kreditgenossenschaften betrifft“, sagt Geschäftsführerin Gallowsky. Über die Aufarbeitung der Bestände sei ein Archiv-Netzwerk auf regionaler Basis mit vielfältigem, intensivem Austausch entstanden. „Das entspricht auch der Gemeinnützigkeit des Vereins“, sagt Gallowsky.

Findbuch hilft bei der laufenden Archivarbeit

Martin Burggraf, ehemaliger Vorstand der VR meine Raiffeisenbank mit Sitz in Altötting, betreut mit Unterstützung des aktuellen Vorstands das Archiv der Kreditgenossenschaft. Er ist froh über die Unterstützung des Historischen Vereins: „Von den bisher über 10.000 erfassten Archivalien stammen rund 1.500 aus den Beständen unserer Bank. So eine Menge bekommt man nicht alleine in den Griff, da braucht man professionelle Hilfe“, sagt er. Zuletzt erfasste der Verein die Bestände der ehemaligen Raiffeisenbank Trostberg-Traunreut in Palling und Mühldorf und überführte sie in das zentrale Archiv. Auch die einheitliche Archivsoftware war mit ausschlaggebend dafür, die Dienste des Vereins zu beanspruchen. „Wir wollten eine Lösung, die verbandsweit gilt, um eine einheitliche Systematik sicherzustellen. Daran haben wir uns auch bei der Aufnahme der Bestände strikt gehalten“, sagt Burggraf.

Das Findbuch habe nicht nur bei der Vorbereitung des Jubiläums 125 Jahre VR meine Raiffeisenbank im vergangenen Jahr gute Dienste geleistet, sondern sei auch für die laufende Arbeit im Archiv enorm wertvoll, berichtet Burggraf. Laufend erhalte er Anfragen von Ortsheimatpflegern, zum Beispiel in welchem Jahr ein bestimmtes Raiffeisen-Lagerhaus erbaut wurde. „Meistens finden wir dazu sogar den originalen Bauplan“, erzählt der ehemalige Vorstand.

Burggraf wird Silvia Lolli Gallowsky auch in Zukunft anfragen, sobald neue Archivbestände etwa durch eine Fusion in die Bank kommen. Denn nur ein professionell geführtes Archiv mit einem aktuellen Findbuch und einer historischen Einordnung sei zukunftssicher, meint er. „Um das Archiv eines Tages problemlos an einen Nachfolger übergeben zu können, brauche ich geordnete Strukturen“, so Burggraf. Denn der nachfolgenden Generation werden viele Dinge nicht mehr geläufig sein, die zur korrekten Einordnung und Bewertung der Archivalien notwendig sind.

Archive stiften Identität

Alfred Haas kann das bestätigen. Der ehemalige Bankvorstand aus Weißenhorn betreut mit Unterstützung des aktuellen Vorstands das Archiv der VR-Bank Neu-Ulm. „Man muss seine Dinge beieinander halten, damit man weiß, was man hat“, sagt er. Bei über 20 Vorgänger-Instituten der VR-Bank Neu-Ulm sei das gar nicht so einfach. Haas tingelte von Zweigstelle zu Zweigstelle, um die Archive der ehemals selbstständigen Banken zu zentralisieren. „Da war noch viel vorhanden, unter anderem habe ich Buchungsmaschinen aus den 1930er Jahren entdeckt“, erzählt er.

Fast alle Bestände gehen bis zur Gründung der jeweiligen Genossenschaftsbank zurück. „Da sind wir ziemlich komplett. Das kann sich sehen lassen“, sagt Haas. Ein gut geführtes Archiv sei immer hilfreich. „Wir wissen zu jedem Anlass, wo wir nachschauen müssen, ob wir dazu etwas haben. Selbst wenn das Ergebnis negativ ist, können wir das mit Sicherheit sagen. Das ist auch etwas wert“, sagt der frühere Bankvorstand. Darüber hinaus habe ein Archiv auch einen übergeordneten Nutzen, so Haas: „Es stiftet Identität, weil die Bank weiß, wo sie herkommt. Es wäre schade, wenn unsere genossenschaftlichen Wurzeln im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten.“

GVB-Jubiläum prägt Arbeit des Historischen Vereins

Das diesjährige Jubiläum „125 Jahre GVB“ hielt auch den Historischen Verein bayerischer Genossenschaften in Atem. Geschäftsführerin Silvia Lolli Gallowsky berichtete auf der Mitgliederversammlung Ende Oktober über die Aktivitäten des Vereins in den Jahren 2017 und 2018. So bereitete der Verein in Zusammenarbeit mit Professor Reinhard Heydenreuter und dem GVB die Jubiläumsschrift vor. Ebenfalls im Vorfeld des Jubiläums wurde die Wanderausstellung des Vereins neu gestaltet. Parallel erweckte die vom Verein konzipierte mobile Sonderausstellung zum 125. Jubiläum des GVB reges Interesse bei den Mitgliedern. Beide Ausstellungen sind bis Juni 2019 ausgebucht. Außerdem digitalisierte der Verein weitere genossenschaftliche Filmdokumente, darunter Werbe- und Schulungsfilme aus den 1960er und 1970er Jahren. Das Projekt „Handbuch der Genossenschaften“, das die Stammbäume aller bayerischen Genossenschaften dokumentieren soll, wird 2019 in Franken, Niederbayern und der Oberpfalz weitergeführt. Zum 31. Dezember 2017 hatte der Historische Verein bayerischer Genossenschaften 282 Mitglieder, darunter 92 natürliche und 190 juristische Personen.

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