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Herr Dr. Mayr, die Datev plant eine Plattform, mit deren Hilfe Privatpersonen ihre Einkommenssteuererklärung erstellen und abgeben können. Das ist für Ihr Unternehmen ein erheblicher strategischer Schwenk, weil Sie sich bislang auf Steuerberater und deren vorrangig gewerbliche Mandanten fokussiert haben. Warum hat die Datev beschlossen, sich einem breiteren Publikum zu öffnen?

Robert Mayr: Von einem strategischen Schwenk kann keine Rede sein. Wir erweitern nur die Basis unseres Geschäfts, weil wir dies vor dem Hintergrund einer Marktentwicklung für nötig halten: der Plattformökonomie. Wir stellen fest, dass sich im Rahmen der digitalen Transformation zunehmend digitale Plattformen und Portale zwischen etablierte Kunden- und Lieferanten- oder Dienstleisterbeziehungen schieben. Dadurch geht die „Pole Position“ des Dienstleisters beim Kunden verloren. Der Plattformanbieter schöpft wesentliche Teile der Wertschöpfung ab. Händler, Handwerker, Dienstleister oder Berater werden somit zum anonymen Zulieferer und Produktionsfaktor der Plattform.

Diese Entwicklung betrifft grundsätzlich alle Branchen, und die Plattformen stoßen auf großes Interesse in der Zielgruppe der sogenannten „Digital Natives“. Diese Gruppe wird schon 2020 die Mehrheit der Marktteilnehmer stellen. Sie sind es längst gewohnt, auf Plattformen ohne Medienbruch umfassend zu recherchieren, auszuwählen, zu buchen und zu kommunizieren. Und sie werden auch komplexere Dienstleistungen ganz selbstverständlich im Internet nachfragen. Als Genossenschaft des Berufsstands sehen wir uns in der Pflicht, eine passende Plattform bereitzustellen, um unsere Mitglieder – die Steuerberater – in diesem Umfeld entsprechend zu positionieren. Durch die Ansprache und Unterstützung von bisher nicht beratenen Privatpersonen können wir damit im passenden Moment eine Brücke zum Steuerberater schlagen.

Sie haben im Juni gesagt, die Datev begibt sich damit auf Zukunftskurs. Was wäre die Folge gewesen, wenn Sie sich gegen den Aufbau einer solchen Plattform entschieden hätten?

Mayr: Die Plattformökonomie macht vor der Steuerberatung nicht halt: Es tauchen bereits Plattformanbieter auf, die unter anderem auch Steuerberater, Bilanzbuchhalter, Wirtschaftsprüfer oder Existenzgründungs- und Unternehmensberatung vermitteln. Banken und findige TaxTech-Start-ups machen bereits erste softwaregestützte Angebote zur Ablage von Belegen und sogar zu einer einfachen Steuerdeklaration. Diese Angebote haben sowohl auf der Kunden- als auch auf der Anbieterseite durchaus Zulauf. Hier sehen wir die Gefahr, dass die Steuerberater in dieser Entwicklung ins Hintertreffen geraten und wesentliche Teile ihrer bewährten Geschäftsgrundlage verlieren. Anstatt das Geschäftsfeld künftig branchenfremden Anbietern zu überlassen, müssen die Berater ihren Vorsprung in Qualität und Vertrauen nutzen und ihre Leistungen auch über eine Plattform anbieten. Eine Kanzlei alleine hat da sicher keine Chance, sich durchzusetzen, aber gemeinsam – als Genossenschaft und mit einer genossenschaftlichen Plattform – können die Mitglieder die Entwicklung selbst mitbestimmen.

Unter den Datev-Mitgliedern waren die Plattform-Pläne nicht unumstritten. Im Februar kam eine Drei-Viertel-Mehrheit für die erforderliche Satzungsänderung knapp nicht zustande. Erst im zweiten Anlauf Ende Juni stimmten die Vertreter mit knapp 80 Prozent zu. Woran lag das?

Mayr: Wir sind überzeugt, dass eine Teilhabe an der Plattformökonomie die Voraussetzung für die Zukunftssicherung der Steuerberater ist. Im Berufsstand zeigen sich die Auswirkungen, die wir prognostizieren, derzeit allerdings noch nicht akut. Den Kanzleien geht es gut. Für den Mahner ist es in dieser Situation natürlich nicht ganz einfach, die Dringlichkeit von Veränderungen deutlich zu machen. Außerdem ist das Quorum für eine Satzungsänderung bei der Datev mit 75 Prozent sehr hoch. Da wird leicht übersehen, dass auch bei der ersten Abstimmung mit fast 74 Prozent bereits die überwiegende Mehrheit für die Satzungsänderung votiert hatte. Auf dieser Basis haben wir die anstehenden Herausforderungen und unsere Lösungsvorschläge dann noch einmal intensiv mit den Genossenschaftsmitgliedern und Gremien diskutiert und die Satzungsänderung entsprechend nachgeschärft – mit dem Ergebnis, dass schließlich die nötige Mehrheit zustande kam.

„Wer im Internet nicht an prominenter Stelle gefunden wird, wird die Digital Natives nicht mehr erreichen.“

Ganz konkret: Welchen Nutzen haben die Datev-Mitglieder von der Plattform?

Mayr: Ziel der Plattform ist es in erster Linie, neue Mandate für die Mitglieder zu gewinnen. Dabei haben wir vor allem die Digital Natives im Fokus. Der nicht beratene Digital Native von heute ist der gut verdienende Angestellte, Entscheidungsträger oder Unternehmer von morgen. Wer im Internet nicht an prominenter Stelle gefunden wird, wird diese Zielgruppe nicht mehr erreichen. Die genossenschaftliche Plattform gibt unseren Mitgliedern die Möglichkeit, Mandanten in dieser Zielgruppe zu erreichen und zu gewinnen. Indem wir den Datev-Steuerberater in einem attraktiven Umfeld quasi nur einen Klick weit entfernt positionieren, sinkt bei den potenziellen Neumandanten außerdem die Hemmschwelle für die Kontaktaufnahme. Auch Abwicklung und eigentliche Beratungsleistung vereinfachen sich für den Berater, weil alle notwendigen Daten bereits digital erfasst sind und vom Anwender für die Steuerberatung freigegeben werden können. So lassen sich über die Plattform relativ flexibel steuerbare, kleinere Beratungsumfänge mit überschaubarem Aufwand betreuen, die auch hervorragend als Kapazitätsausgleich in der Kanzlei dienen können. Von der Kontaktaufnahme über den Belegfluss bis zu den internen Prozessen können Kanzleien Effizienzgewinne realisieren. Auf der Basis vorhandener Daten können sie zudem die Qualität der Beratungsleistung verbessern und weitere Beratungsanlässe identifizieren.
 

Welche Funktionalitäten wird die Plattform für Privatleute bieten?

Mayr: Unsere Plattform für steuerpflichtige Privatpersonen wird drei Komponenten enthalten und besteht aus einem Angebot von App- und Web-Lösungen. Erstens können Anwender ihre steuerrelevanten Dokumente sicher und einfach digital verwalten und jederzeit schnell einen Überblick über die eigenen Finanzen gewinnen. Außerdem wird die Vorbereitung und Übermittlung der Steuererklärung unterstützt. Die App wird zudem Hinweise auf möglichen Beratungsbedarf geben, wenn dieser sinnvoll erscheint, und die Expertise von Datev-Mitgliedern anbieten, wenn der Nutzer dies wünscht. An dieser Stelle wird die zweite Komponente ins Spiel kommen: Eine Lösung zur Vermittlung eines passenden Datev-Steuerberaters, basierend auf den Angaben und Daten, die der private Steuerpflichtige bereits eingegeben hat. Dadurch wird den Nutzern die Expertise der Datev-Community einfach zugänglich gemacht. Die Anfragen können so zielgenau mit den Leistungsschwerpunkten aus den verfügbaren Kanzleiprofilen abgeglichen werden. So finden Privatpersonen genau die Berater mit dem richtigen Portfolio – und die Berater erhalten nur Anfragen, die ihrer Angebotsstruktur entsprechen. Es entsteht eine Win-Win-Situation. Der dritte Bestandteil wird eine Lösung zur digitalen und komfortablen Zusammenarbeit von Steuerberatern und deren Mandanten sein. Damit erhalten Privatpersonen eine Plattform zur Selbst- und Belegverwaltung, bei der sich der Steuerberater bei Bedarf jederzeit einklinken sowie unterstützen und beraten kann. Die Lösung liefert die Basis für eine für beide Seiten vorteilhafte und effiziente Zusammenarbeit bei der privaten Steuerdeklaration.

Wie wird das Preismodell für die privaten Nutzer und die Mitglieder aussehen?

Mayr: Wir verfolgen mit der Plattform in erster Linie das Ziel, unseren Mitgliedern in Zeiten der Plattformökonomie bei den Mandanten der Zukunft Sichtbarkeit zu verschaffen und ihnen zu neuen Mandaten zu verhelfen. Denn es ist klar, dass schon in wenigen Jahren auch die Steuerberater nicht mehr über die heute vielleicht noch zentralen Kanäle gefunden werden, sondern im Netz. Hier müssen wir als Genossenschaft der steuerlichen Berater rechtzeitig präsent und für die Digital Natives auffindbar sein. Unseren Erfolg werden wir daran messen, inwieweit uns das gelingt. Daran wird sich auch das Preismodell orientieren, zu dem wir aber noch nichts Genaueres sagen können.
 

Entwickeln Sie die Plattform allein oder lassen Sie sich von externen Spezialisten unter die Arme greifen?

Mayr: Sowohl als auch: Es gibt Funktionen, die wir in Eigenregie entwickeln, aber wir haben im Projekt auch externe Partner an Bord.
 

Gibt es vergleichbare Angebote, von denen Sie etwas lernen können, bereits in anderen Ländern?

Mayr: Da brauchen wir gar nicht erst ins Ausland schauen: In mehreren Bereichen, die wir mit der Datev Tax-Plattform abdecken wollen, sind bereits erste Mitbewerber aktiv. Im Bereich der vorbereitenden Belegsortierung sind etwa die Kundenportale von manchen Banken schon recht stark. Dezidierte Finanz-Apps gehen ebenfalls in die Richtung, Struktur in die Finanztransaktionen zu bringen. In Sachen Steuerdeklaration einfacher Fälle gibt es etablierte Lösungen, die Nicht-Steuererklärer adressieren und die Deklaration über Smartphone möglich machen wollen. Anbahnungsplattformen sind ebenfalls keine Zukunftsmusik mehr. Andererseits gibt es auch Anbieter, die mit einer guten Idee gestartet, aber inzwischen bereits wieder vom Markt verschwunden sind. Ein Komplettprodukt, das alle Funktionen inklusive der Anbindung der steuerlichen Berater aus einer Hand bietet, gibt es aber noch nicht.

„Es ist vollkommen klar, dass die Plattform eine Investition in die Zukunft ist. Aber wir sind zuversichtlich, schnell die nötigen Nutzerzahlen zu erreichen.“

Sie peilen als Zielgruppe für die Plattform all jene Bundesbürger an, die noch keinen Steuerberater haben. Das sind 13 Millionen Menschen und damit ein Riesenpotenzial. Wie viele davon benötigt die Datev mindestens, damit sich die Plattform wirtschaftlich trägt?

Mayr: Wir wollen nicht über Minimalziele reden, sondern adressieren die rund 13 Millionen nicht beratenen Steuerpflichtigen, bei denen wir unsere Mitglieder ins Spiel bringen wollen. Es ist vollkommen klar, dass die Plattform eine Investition in die Zukunft ist. Aber wir sind zuversichtlich, schnell die nötigen Nutzerzahlen zu erreichen.
 

Ließe sich die Steuer-Plattform auch auf ausländische Märkte übertragen?

Mayr: Da die Steuerplattform maßgeblich von der Umsetzung der steuerlichen Gesetzgebung abhängt und diese in jedem Land unterschiedlich ist, lässt sich die Lösung nicht einfach auf andere Länder übertragen. Das ist auch nicht unser Ziel: Wir haben die 13 Millionen bislang nicht beratenen Steuerpflichtigen in Deutschland im Fokus.
 

Herr Dr. Mayr, vielen Dank für das Interview!
 

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