Engagiert: In Bayern schließen sich immer mehr Menschen zusammen, um gemeinsam eine Brauerei zu gründen. „Profil“ stellt zwei dieser Genossenschaften vor.
Bier aus dem Hühnerstall
Auf einem Bauernhof in Holztraubach, einem Örtchen mit 160 Einwohnern zwischen Regensburg und Landshut, geht es seit einem halben Jahr umtriebig zu. Dort haben die Mitglieder der frisch gegründeten Genossenschaftsbräu Regensburg den ganzen Sommer über einen alten Hühnerstall renoviert. Sie haben den Putz von den Wänden abgeschlagen, die Decken mit Kalkfarbe gestrichen und neue Fliesen verlegt. Einzig die Brauanlage fehlte Ende Oktober noch.
Das Gerät befand sich zu diesem Zeitpunkt noch auf hoher See, erst Mitte September wurde sie im chinesischen Qingdao verschifft. Die Genossenschaft hatte aus Preis-Leistungs-Gründen in Fernost bestellt. Im November soll die wertvolle Fracht in Hamburg ankommen und dann per Laster die letzten 700 Kilometer nach Holztraubach zurücklegen. „Wir fiebern schon dem Zeitpunkt entgegen, wenn wir unsere Brauanlage das erste Mal in Betrieb nehmen können“, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Hannes Döllerer.
„Unser langfristiges Ziel bleibt eine Gaststätte in Regensburg“
Die neun Initiatoren der Genossenschaft haben sich größtenteils beim Medizinstudium an der Universität in Regensburg kennengelernt. Das Bierbrauen begann zunächst als Freizeitspaß und ist nun zu einem engagierten Projekt geworden. Mittlerweile hat die Genossenschaft 60 Mitglieder: Neben Studierenden sind Künstler, Architekten, Handwerker, Ärzte oder Steuerberater dabei. Der ursprüngliche Plan war es, Brauerei und Kneipe in Regensburg zu betreiben. Doch die Suche nach einem passenden Standort endete erfolgslos: „Deshalb sind wir nach Holztraubach ausgewichen. Dort können wir in Ruhe experimentieren. Unser langfristiges Ziel bleibt aber eine Gaststätte in Regensburg“, sagt der Vorstandsvorsitzende Johannes Falter.
Das Brauerei-Know-how haben sich die Gründer größtenteils selbst angeeignet. Die ersten Versuche schmeckten noch durchwachsen, doch schnell kamen gute Ergebnisse zustande. Das ermutigte Döllerer, Falter und ihre Mitstreiter weiterzumachen. Zuerst wollten sie ihr Projekt alleine durchziehen, doch die erforderlichen Investitionen für hochwertige Brauanlagen schreckten sie ab. Somit kamen sie das erste Mal mit der Rechtsform Genossenschaft in Verbindung. „Ich kannte das Prinzip von den Volksbanken und Raiffeisenbanken, wusste aber nicht, dass das auch für eine Brauerei funktionieren kann“, sagt Falter. Nachdem sie sich informiert hatten, waren sie überzeugt – auch wegen des Gemeinschaftsgedankens. „Jeder kann mitentscheiden, unabhängig davon, wie viele Anteile er besitzt. Das ist uns sehr wichtig“, so Falter.
Die größte Investition der Genossenschaft war die Brauanlage, die rund 25.000 Euro gekostet hat. Sie verfügt über eine Kapazität von 300 Litern und schafft bis zu zwei Sude pro Tag. Folglich können bis zu 600 Liter an einem Tag gebraut werden. Mit dazu kommen unter anderem fünf Lagertanks mit einer Kapazität von 2.100 Litern, ein Dampfgenerator und Reinigungswerkzeuge. Wenn die Anlage im November steht, wollen die jungen Bierbrauer ihre Rezepte umsetzen, die sie bisher nur mit einer kleinen Anlage ausprobiert haben. Im Vordergrund stehen gängige Sorten wie Helles, Weißbier oder Dunkles. Dazu sollen immer mal wieder Spezialbiere ins Sortiment kommen.
„Wir haben uns bewusst gegen Craft-Biere entschieden. Das Segment ist völlig überkommerzialisiert. Stattdessen wollen wir bodenständige Biere, jedoch mit eigenem, unabhängigem Geschmackscharakter, brauen. Unabhängigkeit von großen Brauereien und der handwerkliche Gedanke sind uns sehr wichtig“, sagt Falter. Die Anlage aus China soll somit das einzig Internationale an der Produktionsstätte bleiben, denn die Grundzutaten kommen aus der Region: Der Mälzer sitzt im Nachbarort, der Hopfen kommt aus der Hallertau. Irgendwann einmal, so eine Idee, könnte die Gerste oder gar der Hopfen auf den Äckern des Bauernhofs selbst angepflanzt werden.
Anfang des kommenden Jahres wollen die Jungbrauer ihr erstes Bier bei einem Fest in Regensburg vorstellen. Bis dahin müssen die Mitglieder noch ein Logo sowie einen Namen für ihre Biere entwickeln. Auch Marketing und Vertrieb stehen in der nächsten Zeit im Fokus. Zunächst soll das Bier an die Mitglieder und deren Bekannte, an ausgewählte Regensburger Kneipen und an lokale Getränkemärkte verkauft werden. Stück für Stück wollen die Genossen dann ihrem großen Traum näherkommen: Der eigenen Kneipe und Brauerei in der Hauptstadt der Oberpfalz. „Natürlich ist es bis zu unserem Ziel noch ein weiter Weg. Aber wir merken, dass unser Konzept aus Brauerei und Genossenschaft auf großes Interesse stößt. Jetzt geht es zunächst darum, ein tolles Bier für die Mitglieder zu brauen“, sagt Döllerer.
Ein Heimatbier für den Nürnberger Südosten
„Da braut sich was zusammen!“ Mit diesem Slogan warb die StreuBräu eG mit Sitz in Nürnberg für die Gründungsveranstaltung im April 2018. „Unser Ziel war es, dass 50 Interessierte kommen“, erzählt Hans Reißner, der auf der Veranstaltung im evangelischen Pfarrhaus zum Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde. Schließlich fanden sich fast 200 Menschen ein, von denen 100 sofort Mitglied wurden. Inzwischen ist die Genossenschaft im Register eingetragen und hat mehr als 180 Mitglieder, die über 200 Anteile à 250 Euro gezeichnet haben.
Sitz der StreuBräu ist Altenfurt, ein Stadtteil im Südosten von Nürnberg. Vor 1972 bildete der Ort zusammen mit den heutigen Stadtteilen Moorenbrunn und Fischbach eine eigenständige Gemeinde. Bis heute ist der Gemeinschaftsgeist stark ausgeprägt, es gibt eine Freiwillige Feuerwehr sowie zahlreiche Vereine für Schützen, Fußballer oder Gartenbau-Freunde. „Viele Menschen, die im Ort verwurzelt sind, haben uns von Anfang an positiv begleitet. Diese Unterstützung war einer der entscheidenden Faktoren bei der Gründung der Genossenschaft, denn wir wollen die Verantwortung auf möglichst viele Schultern verteilen“, sagt der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Bernhard Plail. Von den ersten 100 Mitgliedern hat sich etwa jeder Vierte bereit erklärt, beim Brauen, Ausschank oder Marketing zu helfen.
Dass es die Brauerei gibt, hat vor allem mit Hans Reißner zu tun. Er braut seit 2014 in seinem Keller Bier. „Mir haben die handelsüblichen Biere nicht mehr geschmeckt. Deswegen habe ich es einfach mal ausprobiert, selbst zu brauen. Und da die ersten Versuche so gut gelungen sind, habe ich weitergemacht“, sagt er. Auf diese Weise sind verschiedene Biersorten entstanden, unter anderem ein Rotbier, ein Hefeweizen, ein Rauchbier sowie ein Pils. Der Name der Brauerei leitet sich übrigens von der Straße „Streubuck“ ab, dort steht das Haus, in dem die ersten Brauversuche unternommen wurden.
Da die Nachfrage im Freundes- und Bekanntenkreis schnell wuchs, lag es auf der Hand, die Hausbrauerei auf eine professionelle Basis zu stellen. Nach einigen Überlegungen entschieden sich die Initiatoren um Hans Reißner für die Rechtsform Genossenschaft. „Es ist eine effektive Möglichkeit, um viele Interessenten gleichberechtigt in die neue Brauerei einzubinden“, sagt der Vorstandsvorsitzende. Neben dem bereits erwähnten Ziel – die Verantwortung auf möglichst viele Schultern zu verteilen – sollte mit der Genossenschaft vor allem Kapital eingesammelt werden. Denn die 50-Liter-Anlage von Reißner reicht eigentlich nicht mehr aus, um die hohe Nachfrage zu bedienen. Bald soll ein Braukessel gekauft werden. Auch Zubehörteile wie Reifebehälter, eine Fassreinigungsanlage sowie eine Schrotmühle stehen auf dem Wunschzettel, einen Gärbehälter haben die Genossen bereits eingekauft. Ebenso suchen sie noch nach einem geeigneten Raum für ihre Brautätigkeit.
„Wir sind total davon überzeugt, dass die StreuBräu perfekt zu unserer Heimat passt“
Die größte Herausforderung beim Gründungsprozess war es, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln. „Die Mitglieder vertrauen uns ihr Geld an. Deswegen haben wir uns sehr viele Gedanken gemacht, damit das Unternehmen kein Kamikaze-Flug wird“, sagt Plail. Die ersten Monate geben der Einschätzung der Mitglieder recht, dass der Nürnberger Südosten ein Heimatbier braucht. Bei drei Veranstaltungen rissen die Gäste der Genossenschaft das Bier aus den Händen. Auf der Fischbacher Kirchweih interessierte sich gar Ministerpräsident Markus Söder für das Bier.
Ganz oben auf der Einkaufsliste der StreuBräu steht neben dem Braukessel eine Flaschen-Waschanlage. Dann könnte die Genossenschaft ihr Bier auch in Flaschen anbieten. Bisher können Liebhaber das Bier nämlich nur in Fässern mit einer Kapazität von 5 bis 50 Litern erwerben. „Im Moment spüren wir, dass die Menschen richtig Lust auf das Projekt haben. Wir sind total davon überzeugt, dass die StreuBräu perfekt zu unserer Heimat passt“, sagt Oliver Prebeck, der sich im Vorstand besonders um den Vertrieb kümmert.
Mehr über genossenschaftliches Bier erfahren
Die Genossenschaftsbräu Regensburg und die StreuBräu eG in Nürnberg sind zwei von insgesamt fünf jungen Genossenschaften, die in den vergangenen Monaten von engagierten Mitgliedern gegründet wurden, um gemeinsam Bier zu brauen. Bereits 2016 gründete sich die Brauereigenossenschaft Oberhaching, 2017 folgte die Brauereigenossenschaft Ismaning und Anfang 2018 schließlich die Remonte-Bräu Schleißheim. Außerdem gibt es neun weitere Genossenschaften in Bayern, die teilweise seit über 100 Jahren Bier herstellen. „Profil“ hat den Brauereigenossenschaften im Juni 2018 eine Titelstrecke gewidmet.