Interview: Artur Steinmann, Präsident des fränkischen Weinbauverbands, über den Kampf gegen Klischees, die Qualität des 2018er Jahrgangs und die Winzergenossenschaften.
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Frank Dietrich sitzt auf einer gepolsterten Holzbank in der „Sommerbar“, dem Außengastronomie-Bereich der Winzerkeller Sommerach eG. Die Sonne scheint an diesem Vormittag auf den Hof, die ersten Gäste sind gekommen, um Weine zu kosten, einige schleppen schon Kartons zu ihren Autos. Ab und an brummen Traktoren vorbei, auf deren Anhänger grüne Wannen voll mit reifen Trauben stehen. Dietrich lehnt sich bequem zurück. „Die Ernte läuft bombastisch. Ich war noch nie so tiefenentspannt“, sagt der Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft.
Wenige Kilometer nördlich ist die Stimmung ebenfalls gut. „Wir sind sehr, sehr zufrieden mit der Lese“, sagt Wendelin Grass, Geschäftsführer der DIVINO Nordheim Thüngersheim eG. Es ist das dritte Jahr in Folge, in der die Genossenschaft eine Vollernte erwartet. Das bedeutet, dass aus einem Hektar Fläche rund 90 Hektoliter Wein produziert werden können. Die 170 Mitglieder der DIVINO bewirtschaften zusammen eine Fläche von 360 Hektar. Doch nicht nur die Quantität stimmt: Die Trauben sind heuer kerngesund, von Fäulnis oder Schädlingen keine Spur. Nun geht die Arbeit der Kellermeister los, im Dezember sollen die ersten Weine in die Flasche kommen. Es wird höchste Zeit: „Unsere Keller sind quasi leer. Wir merken, dass Frankenwein aktuell sehr beliebt ist“, sagt Grass.
Franken ist nach Rheinhessen, der Pfalz, Baden, Württemberg und der Mosel das sechstgrößte Weinanbaugebiet Deutschlands. Die bestockte Rebfläche liegt bei rund 6.100 Hektar. Ein knappes Drittel davon bewirtschaften die 2.700 Mitglieder der fünf fränkischen Winzergenossenschaften: Winzergemeinschaft Franken eG (GWF), DIVINO Nordheim Thüngersheim eG, Winzerkeller Sommerach eG, Winzergenossenschaft Hörstein und der Winzergenossenschaft Escherndorf. Im vergangenen Jahr haben die Betriebe gemeinsam mehr als 85 Millionen Euro umgesetzt. In ganz Deutschland gibt es laut dem Deutschen Weininstitut 160 Genossenschaften, die einen Umsatz von 800 Millionen Euro machen und eine Fläche von mehr als 28.000 Hektar bewirtschaften.
Die fränkischen Winzergenossenschaften
Winzergemeinschaft Franken eG (GWF)
Die im Jahr 1959 gegründete Winzergemeinschaft Franken eG (GWF) ist die mit Abstand größte fränkische Winzergenossenschaft: Ihr gehören rund 1.250 Mitglieder an, die eine Rebfläche von rund 1.200 Hektar bewirtschaften. Die Betriebe bewirtschaften alle fränkischen Weinlagen und darüber hinaus vom Spessart bis nach Tauberfranken, vom Saaletal bis zum Steigerwald. Hauptsitz ist Kitzingen. „Unsere Arbeit im Qualitätsmanagement trägt mittlerweile Früchte. Die enge Verzahnung von Markt und Produktion zahlt sich aus. Jetzt geht es darum, weiterhin Weine zu produzieren, die perfekt den Geschmack der Zeit treffen“, sagt Andreas Oehm von der GWF.
https://www.gwf-frankenwein.de
DIVINO Nordheim Thüngersheim eG
Die heutige DIVINO Nordheim Thüngersheim eG ist das Ergebnis einer Fusion aus dem Jahre 2012. Damals schlossen sich die 1951 gegründete DIVINO Nordheim und die 1930 entstandene CONSILIUM Thüngersheim zusammen. Heute bauen die 170 Mitglieder Weine auf einer Fläche von rund 360 Hektar an, die DIVINO ist damit die zweitgrößte fränkische Winzergenossenschaft. „Wir sind glücklich, in einer der interessantesten und besten Weinbauregionen in Deutschland zu arbeiten. Bei der Arbeit im Weinberg unterstützen wir die Mitglieder, wo es nur geht. Unser Kennzeichen ist es, moderne Weine auf sehr hohem Qualitätsniveau zu produzieren“, sagt Wendelin Grass von der DIVINO.
https://www.divino-wein.de
Winzerkeller Sommerach eG
Im Dezember 1901 schlossen sich 36 Winzer zusammen, um die Winzerkeller Sommerach eG zu gründen. Die Genossenschaft ist damit die älteste in Franken. Heute bauen 90 Winzerfamilien auf 200 Hektar Weiß- und Rotweine an, vor allem in der Gegend um Sommerach, aber auch im Steigerwald. „Durch unsere überschaubare Größe haben wir den Vorteil, dass die Mitglieder mit ihren Familien alle Arbeiten in den Weinbergen selbstständig erledigen können. Die, die es von klein an gemacht haben, haben die größte Expertise. Dieses Potenzial können wir voll ausschöpfen“, sagt Frank Dietrich vom Winzerkeller Sommerach.
https://www.winzer-sommerach.de
Winzergenossenschaft Hörstein
Im äußersten Nordwesten des Freistaats, zwischen Aschaffenburg und Hanau, hat die kleinste fränkische Winzergenossenschaft ihren Sitz, die Winzergenossenschaft Hörstein. Auf fünf Hektar bauen 30 Mitglieder – allesamt im Nebengewerbe – Weiß- und Rotweine an. 1906 gegründet, ist die Winzergenossenschaft die zweitälteste in Franken.
https://www.winzergenossenschaft-hoerstein.de
Winzergenossenschaft Escherndorf
Die Winzergenossenschaft Escherndorf ist die jüngste fränkische Winzergenossenschaft. Sie baut jedoch auf einer langen Tradition auf: Bereits 1913 entstand vor Ort der Escherndorfer Winzerverein eG. 1970 verlor der Betrieb seine Eigenständigkeit. 1997 fassten schließlich neun Winzer den Mut, die Genossenschaft neu zu gründen. Heute bauen sie auf einer Fläche von 20 Hektar verschiedene Rebsorten wie Riesling, Silvaner und Müller-Thurgau an. Bei der Erzeugung und Abfüllung kooperieren die Winzer mit der DIVINO.
https://www.bocksbeutel-hof.de
„In den 1980er und 90er Jahren haben wir in Deutschland zu viele belanglose Weine gemacht“
Bei den fränkischen Weinbauern läuft es derzeit gut. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Wein vom Main galt rund um die Jahrtausendwende nicht als Qualitätstropfen. Die meisten Winzer setzten auf Quantität, die Konsumenten wandten sich ab. Im Handel wurden die Flaschen verramscht. Weinfranken war damit jedoch nicht alleine: Damals befanden sich viele deutschen Weinbauer in einer Krise. Das verschärfte die Situation auch in Franken.
„In den 1980er und 90er Jahren haben wir in Deutschland zu viele belanglose Weine gemacht“, sagt Frank Dietrich von der Winzerkeller Sommerach eG. In die Lücke stießen französische und vor allem italienische Händler mit leicht konsumierbaren Weißweinen. Die fränkischen Winzergenossenschaften gingen das Problem mit einer Qualitätsoffensive an. Dazu setzten sie nach und nach das sogenannte „Bonitursystem“ auf, das bis heute existiert. Dieses hebt nicht auf die Menge der abgelieferten Trauben ab, sondern auf die Arbeit des Winzers im Weinberg und damit auf die Qualität der Ernte. Dadurch können die Genossenschaften die Verbraucherwünsche – von Basis- bis zu Premiumweinen – besser erfüllen. Im Frühjahr erhalten die Winzer von der Genossenschaft abhängig von der Weinlage und der angestrebten Qualität exakte Vorgaben für ihre Parzellen. Je nach Kategorie müssen sie dann verschiedene Vorgaben erfüllen: Etwa wie viele Trauben an einem Rebstock hängen dürfen oder wie dicht die Laubwand sein soll.
„Es ist wichtig, dass wir Vertrieb und Produktion sehr eng verknüpft haben. Auf diese Weise können wir die Mengen und Qualitäten exakt steuern. Wenn sich unsere Mitglieder nur auf Basis- oder Premiumweine konzentrieren würden, bekämen wir Absatzschwierigkeiten am Markt“, sagt Andreas Oehm, Vorstandsvorsitzender der GWF.
Kurz vor der Lese begutachten die Kellermeister der Genossenschaft und ihre Mitarbeiter die Trauben. Sind alle Anforderungen erfüllt, erhält der Winzer seinen Mehraufwand im Weinberg vergütet. Auf diese Weise werden die Mengen reduziert und gleichzeitig die Qualität verbessert. Bei der Divino waren in diesem Jahr 15 Mitarbeiter für die Bonitur unterwegs. Über die Jahre hat die Genossenschaft das System stetig verbessert. „Wir verstehen uns als Dirigent in einem Orchester. Wir leiten die Winzer an und sie produzieren genau die Mengen und Qualitäten, die der Markt aufnehmen kann“, sagt Divino-Chef Grass.
Was Winzergenossenschaften für ihre Mitglieder leisten
Die Mitglieder profitieren davon, dass die Genossenschaften sie im Weinbau anleiten und die Arbeiten im Keller und in der Vermarktung übernehmen. „Der Markt ist hart umkämpft. Wer selbstständig agieren möchte, der muss sich in allen Bereichen professionell aufstellen, um eine Chance zu haben“, sagt GWF-Vorstandschef Oehm. Bei den Genossenschaften gibt es Abnahmepflichten, die Winzer werden so alle ihre Trauben los. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Eigenständige Weingüter haben gerade bei quantitativ guten Jahrgängen häufig Probleme, ihre Trauben abzusetzen. Viele Familien bleiben ihrer Genossenschaft deshalb seit Generationen treu. „Im Winzerkeller Sommerach haben wir Mitglieder, deren Vorfahren die Genossenschaft gegründet haben. Kontinuität und Stabilität sind für sie entscheidende Werte. Wir sind nicht am kurzfristigen Profit orientiert, sondern wollen unseren Wein Jahr für Jahr ein Stück besser machen“, sagt Vorstandsvorsitzender Dietrich.
In den vergangenen Jahren haben sich die bayerischen Winzergenossenschaften zusammen mit den anderen Winzern in der Region intensiv um die Reputation des Frankenweins gekümmert. Der Fränkische Weinbauverband hat 2018 die Markenkampagne „Franken – Silvaner Heimat seit 1659“ aufgelegt. „Der Silvaner ist das Alleinstellungsmerkmal für die Weinbauregion – und zwar weltweit. Deswegen ist es sinnvoll, die Marke konsequent nach außen zu tragen“, sagt Oehm. Dazu beigetragen hat auch der neue „Bocksbeutel PS“. Die modernisierte Version der klassischen fränkischen Weinflasche ist seit 2016 auf dem Markt. Die Abkürzung „PS“ steht übrigens für den Designer der Flasche, Peter Schmidt aus Hamburg.
Frankenwein in Japan
Apropos Export: Die fränkischen Genossenschaften kooperieren mit ausgewählten Weinhändlern, um ihre Produkte international zu vermarkten. Zielmärkte sind vor allem die Benelux-Länder, die USA, China und Japan. Besonders aktiv ist die DIVINO. Zusammen mit drei anderen Winzergenossenschaften aus Baden, Württemberg und der Pfalz hat sie vergangenes Jahr eine Exportfirma, die German Wine Group GmbH, gegründet. Damit soll in Zukunft der Exportanteil von aktuell knapp fünf Prozent ausgebaut werden, damit auch die Menschen in Tokio, Shanghai und New York auf den Geschmack kommen.
Im Inland stehen die Winzergenossenschaften vor Herausforderungen. Der Markt ist gesättigt, der jährliche Pro-Kopf-Konsum von Wein verharrt seit zehn Jahren bei 20 bis 21 Liter. Deshalb bauen die fränkischen Genossenschaften vor allem auf den Direktvertrieb. Alle unterhalten moderne Vinotheken, in denen die Kunden Weine kosten und kaufen können. Zudem gibt es Führungen durch die Produktion und die Weinberge, Veranstaltungen wie Winzerfeste oder Seminare für Weinliebhaber. „Heute reicht es nicht mehr aus, einen guten Wein zu produzieren. Wir müssen uns aktiv um die Vermarktung kümmern und Zusatzleistungen wie etwa Führungen anbieten“, sagt Dietrich. Auch in den Online-Vertrieb investieren die Winzergenossenschaften, denn immer mehr Kunden bestellen die Weine über das Internet.
Der enge Markt sorgt für immer größere Weinbau-Betriebe. Bei der GWF liegt die durchschnittliche Größe derzeit bei einem Hektar. Vorstandschef Oehm erwartet, dass mit dem kommenden Generationenwechsel einige Familien aufhören und ihre Flächen an Jungwinzer übergeben, die den Weinbau im Vollerwerb betreiben. Die haben meistens ihr Metier studiert und in bedeutenden Weinbauregionen wie Kalifornien oder Neuseeland gelernt. Um die Mitglieder zu unterstützen, die mehrere Hektar Rebstöcke bewirtschaften, unternimmt die GWF beispielsweise Exkursionen zu größeren Weinbaubetrieben. Dort können die Mitglieder sehen, wie die Organisation auf großen Flächen funktioniert. Einen so rapiden Strukturwandel wie in der Landwirtschaft wird es im Weinbau aber wohl nicht geben. „Viele Winzer betreiben ihre kleinen Flächen als Hobby weiter. Sie wollen ein Zusatzeinkommen generieren und die Tradition ihrer Vorfahren fortführen“, sagt Oehm.
Zurück in Sommerach: Immer mehr Menschen strömen in den Laden der Genossenschaft. Auf dem Hof liegt ein Duft von frisch vergorenen Trauben in der Luft. „In schwierigen Jahren riecht man gar nichts. Heuer entfalten die Trauben schon jetzt ein fantastisches Aroma. Es wird ein toller Jahrgang“, sagt Dietrich.