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Mitte September in Kitzingen, das Thermometer zeigt trotz der vorangeschrittenen Jahreszeit immer noch knappe 30 Grad im Schatten an. „Dann schauen wir mal, ob wir noch ein paar Trauben finden“, sagt Andreas Oehm. Er steigt in seinen Wagen und fährt vom Parkplatz der Winzergemeinschaft Franken eG (GWF) in Richtung Main. Wenige Kilometer weiter wird er nördlich der Gemeinde Buchbrunn fündig.

Eine Traubensuche Mitte September sollte für den Vorstandsvorsitzenden der GWF eigentlich keine Herausforderung sein. Immerhin bewirtschaften die Mitglieder Rebflächen auf 1.200 Hektar. Normalerweise hängen die Stöcke zu dieser Zeit voller Trauben, die Ernte hat gerade erst begonnen oder geht bald los. Doch heuer ist zu diesem Zeitpunkt die Lese fast vorbei: Mehr als 80 Prozent der Flächen sind abgeerntet.

Wärmster April seit 1881

Der Auftakt für die Weinlese 2018 in Franken war am 27. August – so früh wie noch nie. Sie startete in Eibelstadt bei Würzburg zu Ehren von Friedrich Wilhelm Raiffeisen – dessen 200. Geburtstag heuer mit dem Raiffeisen-Jahr groß gefeiert wird – auf einem Silvaner-Weinberg der Winzergenossenschaft GWF. Grund für die früheste Ernte aller Zeiten waren die optimalen Wachstumsbedingungen in diesem Jahr. Ein niederschlagsreicher Winter gepaart mit einem warmen Frühling und einem trockenen, heißen Sommer: So ein Wetter lieben die Trauben. Der April war in Franken so warm wie noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881. Bereits im Mai standen die Reben in voller Blüte. Statt einer Vegetationszeit von 100 Tagen waren es heuer nur 80. Noch vor einigen Jahren waren Ernten erst im Oktober eher die Regel als die Ausnahme. Selbst an Allerheiligen standen die Winzer manchmal noch in den Weinbergen.

Die Lese verschiebt sich nach vorne

Die Winzer in Franken werden sich wohl daran gewöhnen müssen, die Trauben bereits Ende August oder Anfang September vom Stock zu holen. Denn in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist es immer wärmer geworden. Nach Angaben der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau erhöhte sich die Jahresmitteltemperatur in Würzburg zwischen 1947 und 2012 um 1,1 Grad Celsius. Klimaforscher prognostizieren, dass sich diese Entwicklung noch verstärken soll. Demnach wird die Durchschnittstemperatur weiter steigen, es gibt längere Trockenphasen und gleichzeitig kommt es häufiger zu Starkregen. Ebenso soll die Zahl der sogenannten Hitzetage und Tropennächte zunehmen. Das sind Tage mit Temperaturen über 30 Grad sowie Nächte, in denen es nicht kälter als 20 Grad wird.

Für die fränkischen Winzer hat das zunächst einmal positive Effekte. In der jüngeren Vergangenheit wiesen die Jahrgänge allesamt ein qualitativ und quantitativ gutes Niveau auf. Die Trauben erreichen stets das Stadium der Qualitätsreife – also mindestens 63 Grad Oechsle. Mit der Maßeinheit Oechsle stellen die Winzer fest, wie viel Zucker und andere gelöste Stoffe sich im Traubenmost befinden. Je höher der Wert, desto mehr Zucker befindet sich im Traubensaft, der später bei der Gärung in Alkohol umgewandelt wird. Unter einem Wert von 70 Oechsle wird heute nur noch selten geerntet. „Junge Winzer können sich gar nicht mehr vorstellen, dass es früher eine Herausforderung war, die 63 Grad Oechsle zu erreichen. Doch mein Vater und vor allem mein Großvater haben häufig zittern müssen, ob der Wein die Grenze zur Qualitätsreife überspringt“, erzählt Oehm.

Schlechte Nachrichten für Eiswein-Liebhaber

Eiswein ist eine Rarität, die bei manchen Weinkennern sehr beliebt ist. Für die Winzer ist es jedes Jahr erneut ein Pokerspiel, die Trauben bis zum ersten Frost am Rebstock zu lassen. Viele Trauben verderben vorher. Deshalb gibt es in manchen Jahren gar keinen Eiswein. Für alle Eiswein-Fans hat Andreas Oehm deshalb schlechte Nachrichten: „Wenn wir zukünftig immer so früh ernten wie heuer, dann sind die ersten Frost-Nächte noch einige Wochen entfernt. Die Trauben können so eine lange Phase aber nicht gesund überstehen. Deshalb werden wir in Zukunft wohl seltener und weniger Eiswein keltern können.“

Fränkische Siesta

Auch praktisch haben die wärmeren Temperaturen Auswirkungen. Während des Hochsommers müssen die Winzer ihre Einsatzzeiten anpassen. Ein Arbeitstag im Weinberg startet, wenn die Sonne aufgeht, und endet, wenn sie untergeht. Dazwischen gibt es eine Siesta wie in Spanien. „Von der Mittagszeit bis in den späten Nachmittag ist es in den Steillagen unerträglich, weil sich die Hitze staut“, sagt Oehm. Auch bei der Weinproduktion müssen sich die Winzer umstellen. Speziell beim Maischen dürfen die Trauben nicht über 18 Grad warm sein. Ansonsten vermehren sich Mikroorganismen, was zu einem Qualitätsverlust führt. Heuer sind die Trauben, vor allem wenn sie während der Mittagszeit gelesen werden, viel wärmer. Um sie zu kühlen, hat die GWF eigens Kühlaggregate angeschafft. Der Strom dafür ist jedoch sehr teuer. Die Genossenschaft hält ihre Mitglieder zunehmend an, die Trauben möglichst am Vormittag abzuliefern.

Ein nicht zu unterschätzendes Risiko für die Entwicklung der Trauben stellen die Wetterextreme dar. Ein Frosteinbruch im Frühjahr etwa kann einen Teil der Ernte vernichten, weil die jungen Triebe erfrieren. Im Winter gelten Minus 18 Grad als Grenze der Belastbarkeit für die Reben. Dagegen behelfen sich Winzer in manchen Weinbauregionen bei Frost im Frühjahr mit Räucheröfen oder Vernebelungsmaschinen. Der Rauch beziehungsweise Nebel soll die Rebstöcke umhüllen und so vor Kälte schützen. Diese Methode ist allerdings kostenintensiv und in Deutschland verboten. Viele GWF-Winzer behelfen sich stattdessen mit der sogenannten Frostrute: Pro Rebstock wird eine zusätzliche Rute belassen und nicht gebunden. Da der Frost von unten kommt, überlebt die Rute die Kälte und kann Trauben tragen.

Ein Winzer der Winzergemeinschaft Franken eG (GWF) schneidet Trauben vom Stock.
Frühe Lese: In Zukunft können die Winzer wohl häufiger schon im August die Trauben ernten.
Rebstöcke im Winter bei der Winzergemeinschaft Franken eG (GWF).
Wetterextreme: Plötzliche Kälteeinbrüche können zu starken Frostschäden an den Rebstöcken führen. Fotos: GWF

Weitere Wetterrisiken sind lang anhaltende Trockenphasen mit kurzen Perioden von Starkregen. Weil die ausgetrockneten Böden die Regenmassen nicht aufnehmen können, fließen sie schnell ab. Dabei erodiert das Erdreich, außerdem wird kein Wasser gespeichert. Deswegen müssen die Winzer von Fall zu Fall prüfen, ob etwa die Installation einer Bewässerungsanlage für ihren Weinberg Sinn macht. Dies kann sich vor allem für junge Stöcke in der Nähe eines Gewässers lohnen.

Niemand wartet auf einen fränkischen Merlot

Die zunehmenden Trockenperioden führen außerdem dazu, dass sich die Winzer immer stärker um die Böden ihrer Weinberge kümmern müssen. Sie sollen Wasser speichern und Nährstoffe binden, ohne zu erodieren. Um das zu erreichen, werden zum Beispiel zwischen den Rebstöcken Begrünungen gesät. „Im Bereich des Bodenmanagements gibt es noch einiges an Potenzial zu heben“, sagt Oehm. Die Genossenschaft berät ihre Mitglieder dazu.

Schwer einzuschätzen ist derzeit, ob in Zukunft vermehrt tierische Schädlinge über Frankens Äcker und Weinberge herfallen. Insekten wie die Kirschessigfliege, die Rebzikade und der asiatische Marienkäfer haben die deutschen Nachbarländer bereits heimgesucht. Die Rebzikade etwa ist bereits vor 60 Jahren nach Europa gekommen und hat sich in den südeuropäischen Ländern verbreitet. Experten vermuten, dass sie wegen des Klimawandels bald auch nach Deutschland kommen könnte. „Wir beobachten das intensiv und hoffen, dass wir noch eine Weile verschont bleiben“, sagt Oehm.

Bedingt durch die wärmeren Temperaturen wachsen hierzulande mittlerweile auch Trauben, die ursprünglich aus Südfrankreich oder Italien stammen. Sorten wie Cabernet Sauvignon oder Merlot werden dank des Klimawandels inzwischen auch in Franken angebaut. Bisher sind dies jedoch kleine Experimente – und werden es laut Oehm auch bleiben. „Wir können nicht erkennen, dass die Kunden auf einen Merlot aus Franken gewartet haben. Stattdessen fokussieren wir uns ganz klar auf die Rolle Frankens als Heimat des Silvaners“, betont der GWF-Vorstandsvorsitzende.

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