Klima: In Unterfranken wird es immer wärmer und trockener. Das fordert die Winzer heraus. Auf eine Spezialität müssen Weinliebhaber in Zukunft wohl häufiger verzichten.
Seit 2006 gibt es im fränkischen Winzerort Sommerach ein sogenanntes „Weinreich“. Damit bezeichnet die Winzerkeller Sommerach eG ihre Vinothek mit angeschlossener Weinschule. Sie erinnert an moderne Markenshops: Außen eine großflächige Glasfassade, innen ein aufgeräumtes Design mit hellen Holzmöbeln, Lounge-Möbeln und LED-Leuchten, die Weinflaschen und Gläser anstrahlen. Wer dagegen in den Keller des Gebäudes geht, fühlt sich in der Zeit um über 100 Jahre zurückversetzt. In den Gewölben von 1903 stehen rustikale Barriquefässer neben massiven Holztischen.
Am 18. Dezember 1901 war es soweit
„Unsere Gäste lieben den Kontrast aus Tradition und Gegenwart. Das sind die beiden Seiten, die uns auszeichnen“, sagt Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender Frank Dietrich. Der 1901 gegründete Winzerkeller Sommerach ist die älteste Winzergenossenschaft Frankens und damit auch Bayerns. In dem Dorf rund 30 Kilometer östlich von Würzburg gab es Ende des 19. Jahrhunderts – wie in ganz Franken – aufgrund von schlechtem Wetter häufig Missernten, die Reben waren vom Falschen Mehltau befallen. Dieser gefährliche Pilz hatte den Bestand an Weinstöcken drastisch dezimiert. Da es noch keine Direktvermarktung gab, waren die Winzer auf Weinhändler angewiesen, die ihnen jedoch nur karge Preise zahlten. Ihre Schulden stiegen kontinuierlich.
An dieser Stelle nahmen die Sommeracher Winzer ihren Mut zusammen und besannen sich auf Friedrich Wilhelm Raiffeisens Motto der Hilfe zur Selbsthilfe. Unterstützung bekamen sie vom örtlichen Spar- und Darlehenskassenverein. Die Revisoren brachten den Winzern das Genossenschaftsmodell näher. Am 18. Dezember 1901 war es soweit: 36 Winzer gründeten gemeinsam den Winzerkeller Sommerach.
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Eine Genossenschaftsfamilie durch und durch
117 Jahre später in den Weinbergen in Volkach, dem Nachbarort von Sommerach. Winzer Bernhard Blaß steht vor einem Weinstock und schneidet Trauben von der Rebe. Er ist seit 1972 Mitglied des Winzerkellers Sommerach, wie schon seit Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater Kaspar Wolfahrt – der war 1901 Gründungsmitglied und erster Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft. Seinen Urgroßvater hat Blaß nicht mehr erlebt. Dafür kennt er ihn aus Geschichte seiner Großmutter: „Sie hat erzählt, dass es damals im Jahr 1901 für Kaspar nicht einfach war, die Leute für die Genossenschaftsidee zu begeistern. Viele hatten Angst vor der großen Investition. Letztlich hat er sie aber doch überzeugen können“, erzählt der Winzer.
Das genossenschaftliche Erbe des Urgroßvaters wird bis heute fortgeführt. „Wir sind eine Genossenschaftsfamilie durch und durch. Mein Vater war nicht nur Vorstand des Winzerkellers Sommerach, sondern auch Rechner bei der Raiffeisenkasse. Da sind die Menschen zu uns ins Wohnzimmer gekommen. Aber rein durften wir Kinder nicht, immerhin wurde ja über Geld geredet“, berichtet Blaß und lacht.
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Heute bewirtschaftet die Familie Blaß 4,5 Hektar Rebfläche. Dort wachsen vorwiegend Silvaner und Müller-Thurgau, aber auch Bacchus, Domina, Regent, Gewürztraminer und Sauvignon blanc. Bernhard Blaß ist mittlerweile 65 Jahre alt und hofft, dass die Söhne oder Enkel den Weinberg einmal übernehmen. Wenn ja, dann werden auch sie wohl Genossenschaftsmitglieder werden. „Bei uns wird das Wissen von Generation zu Generation weitergegeben. Und beim Winzerkeller Sommerach haben wir uns immer sehr gut aufgehoben gefühlt. Als Mitglied wird man ernst genommen. Das ist mir sehr wichtig“, sagt Blaß.
In der Genossenschaft Winzerkeller Sommerach sind noch viele Nachfahren der Gründerväter Mitglied. Darauf ist der Vorstandsvorsitzende Frank Dietrich, der während seines Studiums Weinbergbesitzer wurde, stolz. Diese langjährige Kontinuität bei den Mitgliedern ist auch einer der Gründe dafür, dass die Genossenschaft heutzutage hochwertige Weine produziert. „Wir sind die älteste Winzergenossenschaft Frankens, das schweißt die Mitglieder zusammen. Bei uns ist man ganz oder gar nicht dabei“, sagt Dietrich. Er stellt das besonders in den Momenten fest, wenn die Genossenschaft ihre Mitglieder auffordert, bei der Bearbeitung ihrer Weinberge neue Wege zu gehen, um die Qualität noch weiter zu verbessern oder um neue Vorschriften umzusetzen. Das ist für die Winzer in der Regel mit viel Arbeit verbunden. Für gute Trauben gehen die Mitglieder aber gerne diese Extrameile, so Dietrich.
Eigenständigkeit bewahrt
Das Jahr 1984 war eine große Zäsur in der Historie des Winzerkellers Sommerach. Damals bewirtschafteten die Genossenschaftsmitglieder eine Rebfläche von unter 100 Hektar. Sollten sie eigenständig bleiben oder aus wirtschaftlichen Gründen die Fusion mit einer anderen Winzergenossenschaft anstreben? Die Entscheidung fiel zugunsten der Eigenständigkeit. Die Genossenschaft nahm neue Mitglieder aus dem Steigerwald einige Kilometer nördlich von Sommerach auf, die Rebfläche wuchs auf 130 Hektar. „Die Vergrößerung war der entscheidende Faktor für den Fortbestand der Genossenschaft. Sonst hätten wir die Eigenständigkeit früher oder später aufgeben müssen“, sagt Dietrich.
Traditionen bewahren, aber gleichzeitig innovativ sein, das zeichnet die Genossenschaft heute aus. „Wir erfinden nicht jedes Jahr das Rad neu, sondern versuchen, kontinuierlich einen immer besseren Wein herzustellen“, sagt Dietrich. Viele Weinstöcke in der Region sind in den 1980er Jahre gepflanzt worden. Im Alter von rund 30 Jahren liefern sie meistens die besten Trauben, obwohl sie mittlerweile bis zu 60 oder gar 70 Jahre Früchte tragen können. Einen alten Rebstock für eine Trendsorte – wie aktuell den Grauburgunder – zu opfern, kommt beim Winzerkeller Sommerach nicht infrage. Experimente sind dennoch natürlich erlaubt – Dietrich selbst hat auf seinem Weingut eine kleine Fläche mit Sauvignon blanc bestockt, einer ursprünglich in Frankreich beheimateten Sorte.
Die ursprünglichen Ziele gelten noch heute
In Zukunft möchte sich die Genossenschaft weiterhin als Marke mit hohem Qualitätsanspruch positionieren. Dazu ist der Verkaufsladen, das „Weinreich“ in Sommerach, unverzichtbar. Ein weiteres Ziel ist es, den Strukturwandel der Mitglieder zu begleiten. In Zukunft werden wohl einige Mitglieder ihre Weinberge an andere Mitglieder verkaufen, die dann vom Neben- in den Vollerwerb wechseln. „Vor 117 Jahren haben die Gründerväter in Paragraph 2 der Satzung verankert, die Wirtschaft der Mitglieder zu stärken. Dieses Ziel gilt auch heute noch. Wir werden alles tun, damit die Mitglieder einen tollen Wein produzieren und davon gut leben können“, sagt Dietrich.
Die ältesten Winzergenossenschaften
Die Winzerkeller Sommerach eG ist die älteste fränkische und damit bayerische Winzergenossenschaft. Rund um die Wende zum 20. Jahrhundert hatten sich in anderen Teilen des damaligen Deutschen Reichs schon früher Weinbauern zusammengeschlossen, um ihre Produktion und Vermarktung zu bündeln. Als älteste Winzergenossenschaft gilt die 1855 gegründete Weingärtnergenossenschaft Neckarsulm-Gundelsheim. Sie ging 2007 in der Genossenschaftskellerei Heilbronn-Erlenbach-Weinsberg auf. Die älteste noch existierende Winzergenossenschaft ist die 1868 gegründete Winzergenossenschaft Mayschoß-Altenahr.