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Aktuell ist es in Brüssel und Straßburg ruhig. Kein Wunder, es ist parlamentarische Sommerpause. Doch in den kommenden Wochen wird sich dies rapide ändern. Denn es stehen wichtige Abstimmungen an. Im September werden die Mitglieder der Europäischen Kommission gewählt. Damit werden nicht nur personell, sondern auch inhaltlich wichtige Weichen für die Legislaturperiode 2024 bis 2029 des Europäischen Parlaments gestellt. Möchte Europa wirtschaftlich konkurrenzfähig bleiben, muss es sein Potenzial endlich vollständig ausschöpfen. Nicht weniger als der Wohlstand Deutschlands und Europas hängen davon ab.

Europa braucht Grundsatzentscheidungen

In vielen Bereichen reicht es nicht mehr aus, an einzelnen Stellschrauben zu drehen. Europa braucht Grundsatzentscheidungen. Es geht um essenzielle Fragen. Zentral ist die Entscheidung, ob Prinzipien wie Eigenverantwortung und Selbstbestimmung – die für Genossenschaften selbstverständlich sind – wieder mehr in den Vordergrund rücken. In der vergangenen Legislatur ging die Tendenz in eine andere Richtung. Immer wieder wurden Gesetze beschlossen und Versuche unternommen, Risiken einzelner Staaten auf die Europäische Gemeinschaft abzuwälzen. Gleichzeitig wurde die unternehmerische Freiheit durch unzählige, undifferenzierte Vorgaben weiter eingeschränkt. Aus meiner Sicht kommt es daher in der kommenden Legislaturperiode auf folgende fünf Punkte an:

1. Entbürokratisierung vorantreiben

Die Entbürokratisierung in allen Bereichen der Wirtschaft ist für die europäische Wettbewerbsfähigkeit unverzichtbar und einer der dringendsten Handlungsschwerpunkte. Nachweislich sind mittlerweile über 50 Prozent der Bürokratie in Europa auf die Europäische Union zurückzuführen. Langwierige analoge Prozesse und kleinteilige, starre Vorgaben schränken die Eigeninitiative so stark ein, dass deshalb nicht nur Projekte beendet werden, sondern auch neue Ideen erst gar nicht zur Umsetzung gelangen. Vorgaben müssen daher flächendeckend reduziert und durch einen schlanken Rahmen ersetzt werden. Konkret sollte für jedes neue Gesetz ein bestehendes abgeschafft werden und gleichzeitig neue Gesetze durch Praxischecks und Folgeabschätzungen zwingend einen Mehrwert belegen müssen.

2. Haftungsprinzip einhalten

Sowohl im Bankensektor als auch auf Staatenebene dürfen die eigenen Risiken nicht auf Dritte abgewälzt werden. Risiko und Verantwortung müssen in einer Hand liegen. Stellt man dies nicht sicher, ist die Finanzstabilität gefährdet. Die von der EU geplante gemeinsame Einlagensicherung EDIS (European Deposit Insurance Scheme) würde jedoch genau solche gefährlichen Fehlanreize setzen. Statt bewährte Sicherungssysteme abzuschaffen, sollte sich die EU deshalb darauf konzentrieren, individuelle und systemische Bankrisiken zu reduzieren sowie sicherstellen, dass die Abwicklung systemrelevanter Institute ohne Ansteckungseffekte erfolgen kann. Prinzipien wie Risikogewichtung und Haftung müssen elementarer Bestandteil jeglicher europäischer Regeln im Finanzbereich sein.

3. Proportionalität berücksichtigen

Kleine Institute stellen aufgrund ihrer Größe und ihres begrenzten Geschäftsumfangs keine Gefahr für die Finanzstabilität in Europa dar. Dementsprechend sollten für sie nicht die gleichen Regeln gelten wie für große, international tätige Bankinstitute. Dies ist in vielen Fällen jedoch nicht der Fall, weshalb gleiche Meldeanforderungen und Offenlegungspflichten bei kleinen, nicht kapitalmarktorientierten Banken unverhältnismäßige Kosten verursachen, die keinen Mehrwert schaffen. Auch bei der Abwicklung von Banken muss Proportionalität ein entscheidendes Kriterium sein. Nicht-systemrelevante Institute sind daher entgegen den Absichten der EU-Kommission zur Reform des CMDI (Crisis Management and Deposit Insurance) vollständig von der Ausweitung des EU-Abwicklungsregimes auszunehmen.

4. Cybersicherheit verhältnismäßig implementieren

Mit dem 2025 in Kraft tretenden Digital Operational Resilience Act (DORA) gelten für mehr als 3.600 Unternehmen des Finanzsektors in Deutschland und für über 20.000 Finanzunternehmen in Europa zusätzliche Meldepflichten und IT-Standards. Ziel ist es, dadurch die Widerstandsfähigkeit gegen Cyber-Angriffe zu erhöhen. Die, wie bei vielen Anliegen verständliche Absicht, ist in der Ausführung jedoch mangelhaft. Denn wie so häufig werden alle Institute unabhängig vom systemischen Gefahrenpotenzial über einen Kamm geschoren. Was Europa stattdessen benötigt, ist die Entschlackung von Meldepflichten und die Vermeidung von Doppelabfragen. Zudem sollten diejenigen Banken, die ihre IT in Finanzverbünde ausgelagert haben, von der Mehranbieter-Strategie befreit werden.

5. Dezentrale Energieversorgung stärken

Von den circa 300.000 Genossenschaften in Europa tragen zahlreiche durch mannigfaltige Energieprojekte zum Gelingen des europäischen Green Deals bei. Auch um die Unabhängigkeit vom außereuropäischen Ausland zu erhöhen, ist der Ausbau der regionalen und nachhaltigen Energieversorgung zwingend erforderlich. Für Projekte im Bereich der Nahwärme, der Wind- und Sonnenkraft ist es entscheidend, die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu gewinnen. Dies gelingt am besten, indem man die Menschen am wirtschaftlichen Erfolg von umweltfreundlichen Projekten unmittelbar einbezieht. Eine Genossenschaft bietet diese Möglichkeit wie keine andere Rechtsform. Denn sie sorgt für echte Bürgerbeteiligung, indem sie Bürgerinnen und Bürger langfristig finanziell beteiligt, für sie direkte Mitsprachemöglichkeiten schafft und ihnen Entscheidungskompetenzen gibt. Diese einmaligen Qualitäten sollten nicht nur im internationalen Jahr der Genossenschaften 2025 eine bedeutende Rolle in der EU spielen.
 

Stefan Müller ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern.
Zu seinem Profil auf LinkedIn.

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