Wissen teilen: Eine neue Innovationsplattform fördert den Austausch von Ideen zwischen den Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern.
Was digitalisierbar ist, wird irgendwann digitalisiert, was automatisierbar ist, wird automatisiert und was vernetzbar ist, wird auch vernetzt. Diese Realität zu akzeptieren, setzt in Unternehmen die erforderliche Energie frei, die nötigen Anpassungen am Geschäftsmodell vorzunehmen. Gerade mittelständische Unternehmer müssen jetzt aktiv werden, um ihre Ressourcen strategisch für die Herausforderungen der Digitalisierung einzusetzen. Die Genossenschaftsidee kann ihnen dabei hervorragend helfen.
Der technische Fortschritt treibt die Digitalisierung immer schneller voran. Für die nähere Zukunft sind in erster Linie fünf Bereiche zu betrachten, die als digitale Treiber fungieren: Mobilität und die alles durchdringende Vernetzung des Alltags (Mobility & Pervasive Computing), Big Data & Analytics, Social Media, Cloud-Computing sowie künstliche Intelligenz & Robotik. Diese Entwicklungsfelder tragen maßgeblich dazu bei, dass immer weitere Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens digitalisiert werden. Immer vielfältiger, kompakter und leistungsfähiger werdende Endgeräte beschleunigen den Trend noch. Waren im Jahr 2000 weltweit rund 200 Millionen vernetzungsfähige Geräte im Einsatz, werden es um 2020 herum etwa 50 Milliarden sein.
Obwohl sich manche bereits heute mit dieser rasanten Entwicklung schwertun, so stehen wir immer noch erst am Anfang des Prozesses, der die für den geschäftlichen Erfolg maßgeblichen Karten neu mischt. Den Einstieg in das Thema Digitalisierung wagen nicht alle Unternehmen ganz freiwillig. Wenn einige Player aus eigenem Antrieb mit guten Ideen vorangehen, geraten ihre Mitbewerber schnell unter Zugzwang. Davon sind einzelne Branchen in unterschiedlicher Intensität betroffen. Wie schnell ein grundlegender Wandel eintreten kann, zeigt das Beispiel des Einzelhandels mit seinen vielen Shopping-Portalen sehr deutlich. Ähnliche Tendenzen sind auch in der Finanzbranche zu beobachten.
Die Datev eG
Die Datev ist das Softwarehaus und der IT-Dienstleister für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte sowie deren zumeist mittelständische Mandanten. Über den Kreis der mehr als 40.000 Mitglieder hinaus zählen auch Unternehmen, Kommunen und Institutionen zu den Kunden. Das Leistungsspektrum der Genossenschaft umfasst vor allem die Bereiche Rechnungswesen, Personalwirtschaft, betriebswirtschaftliche Beratung, Steuern, IT-Sicherheit, Enterprise-Resource-Planning (ERP), IT-Dienstleistungen sowie Organisation und Consulting. Gemeinsam mit ihren Mitgliedern betreut die 1966 gegründete Datev die betriebswirtschaftlichen Prozesse von 2,5 Millionen Unternehmen, Kommunen und Institutionen.
Entwicklung mit Sprengkraft
Auch branchenübergreifend ist die Digitalisierung ein wesentlicher Treiber für Ideen, die Geschäftsmodelle verändern. Die meisten Unternehmen haben das zwischenzeitlich erkannt. In einer aktuellen Umfrage des Digitalverbands Bitkom nennt immerhin die Hälfte der befragten Betriebe Digitalisierung als wichtiges oder sehr wichtiges Unternehmensziel. Doch was bedeutet das für ihr Handeln? Auf dem Weg dahin sind moderne Apps, Tools und gut gemachte Webseiten sicherlich hilfreich, aber ausreichend für ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell sind sie noch lange nicht. Die wichtigste Frage ist: Ist mein Geschäftsmodell im Kern nach wie vor tragfähig? Selbstfahrende Autos sind schon heute keine spektakuläre Vorstellung mehr und was sie für die Taxi- und Transportbranche bedeuten werden, ist nicht schwer zu antizipieren. Fensterputzende Drohnen gibt es bereits. Nach diesem Muster werden diverse Tätigkeiten in absehbarer Zeit von smarten Maschinen übernommen werden.
Doch die Frage nach ihrem Geschäftsmodell müssen sich nicht nur Dienstleister stellen. Sie trifft das produzierende Gewerbe genauso. Alleine Technologien wie der 3D-Druck und Virtual Reality werden breite Wertschöpfungsketten durcheinanderwirbeln. Auch wenn es bislang noch Ausnahmeerscheinungen sind, aber aus 3D-Druckern kommen bereits heute Bauteile für Fahrräder, Brücken oder gar ganze Bürogebäude. Die kreative Leistung der Entwicklung wird damit von der physischen Produktion entkoppelt. Auch für die Logistik bringt es enorme Veränderungen mit sich, wenn komplexe und sperrige Bauteile einfach direkt vor Ort gedruckt werden können.
Das Zeitalter der Plattformökonomie
Neben diesem Wandel durch die Technik ist es insbesondere die Vernetzung, die allgemein zu einem weiteren Trend führt, der sich quer über alle Branchen durchzusetzen beginnt: Das Schlagwort heißt „Plattformökonomie“. Es beschreibt den Umstand, dass sich Portale zunehmend zwischen Anbieter und Kunden schieben und einen Teil der wertschöpfenden Prozesse übernehmen. Der Dienstleister wird in diesem Prozess zum reinen Produzenten ohne Kontakt zum Kunden degradiert und in den Hintergrund gedrängt. Wie dramatisch solche Plattformen das Marktgeschehen verändern können, zeigt das Beispiel der Hotelbranche eindringlich. Dort sind die Vermittlerportale inzwischen so stark geworden, dass sie den Hotels die Preise diktieren können. Letztlich lässt sich diese Entwicklung auf viele Branchen übertragen.
Die Angebote der Plattformen treffen dabei auf ein sich veränderndes Nutzerverhalten. Gerade bei der jungen Generation, den „Digital Natives“, sind Portale beliebt. Wer nun denkt, sein Geschäftsmodell komme ohne diese Zielgruppe aus, muss sich eines vor Augen führen: Jahr für Jahr treten rund 750.000 Digital Natives ins Arbeitsleben ein und schon 2020 werden sie die Mehrheit der Marktteilnehmer stellen. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen und sind es gewohnt, Plattformen zu nutzen, beispielsweise um Reisen zu buchen oder einzukaufen. Dabei genießen sie den Komfort einer einheitlichen Anlaufstelle, um die gewünschte Leistung zu suchen, den passenden Anbieter auszuwählen, mit ihm zu kommunizieren und am Ende zu bezahlen – alles durchgängig über eine Plattform, ohne Medienbruch.
Genossenschaftsidee neu gedacht
Für ein einzelnes Unternehmen ist es in diesem Portalumfeld sehr schwer, wahrgenommen zu werden. Die Idee der Genossenschaft ist aber geradezu prädestiniert, eine solche Herausforderung zu meistern, die den Einzelnen an seine Grenzen bringt. Deshalb sollten Genossenschaften eigene Plattformen schaffen, auf denen sie ihren Mitgliedern Sichtbarkeit verschaffen können. Dabei ist durchaus Eile geboten, denn wer als erster eine komfortable Plattform in einem Marktsegment etabliert, hat es deutlich leichter. Für die Mitglieder zahlt sich eine solche genossenschaftliche Plattform im Übrigen doppelt aus: Neben der Möglichkeit, sich und ihr Angebot dort in geeigneter Form zu präsentieren, können sie sicher sein, vom Plattformbetreiber fair behandelt zu werden. Ein Beispiel: Die Datev als Genossenschaft der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte folgt genau diesen Überlegungen, indem sie derzeit eine Plattform für noch nicht beratene Steuerpflichtige konzipiert, die den Nutzer in Verbindung mit einer Anbahnungsplattform bei Bedarf zum passenden Berater führen soll.
Daneben empfiehlt es sich für Genossenschaften, ihre Mitglieder aktiv bei der digitalen Transformation zu unterstützen. Wer wäre besser geeignet als eine solche „Selbsthilfeorganisation“, sich um die drängenden Anforderungen des Einzelnen zu kümmern? Daher sollten Genossenschaften sich die Expertise aneignen, ihre Mitglieder in Sachen Digitalisierung zu coachen. Dazu muss sich die Genossenschaft zunächst selbst Digitalkompetenz – also technologiebezogenes Wissen und Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien – aneignen und diese dann wiederum an ihre Mitglieder vermitteln.
Auf dem Weg zum „Digitalisierungscoach“
Was ist also konkret zu tun? Zunächst muss die Digitalisierung zur Chefsache werden. Für Genossenschaften bedeutet das, dass ein Digitalteam aufgestellt wird, das möglichst direkt beim Vorstand angesiedelt ist. Dann gilt es, das Dienstleistungsmodell der Genossenschaft selbst, aber auch die Geschäftsmodelle der Mitglieder zu hinterfragen. Ein Blick über den Tellerrand, bei dem ganz bewusst auch externe Blickwinkel eingenommen werden, hilft ungemein bei der Bewertung, wie zukunftsfähig die eigene Organisation und die Mitglieder aufgestellt sind. Auf Basis der Ergebnisse lässt sich dann die individuelle Digitalstrategie entwickeln.
Wichtig ist dabei, die Digitalisierung als Investition in die Zukunft zu begreifen. Wenn es darum geht, die Mitarbeiter entsprechend zu schulen und das technische Rüstzeug anzuschaffen, darf nicht gespart werden. Bei der Anpassung von Geschäftsmodellen sollten unbedingt die neuesten Technologien mit einbezogen werden. Dabei muss niemand das Rad vollkommen neu erfinden. Kooperationen mit anderen Marktteilnehmern sind eine gute Option. Insbesondere junge Start-ups eignen sich hervorragend als Partner, die neben technischer Expertise auch noch einmal eine unvoreingenommene Sicht von außen in die Digitalisierungsstrategie mit einbringen können.
Eckhard Schwarzer (Jahrgang 1956) ist seit 2014 stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Datev eG. Der Diplom-Volkswirt verantwortet die Bereiche Marketing, Service und Vertrieb. Dem Vorstand gehört er seit 2008 an. Zudem ist Schwarzer Mitglied im Verbandsrat des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB).