„Bereicherung“: Ein Gespräch mit GVB-Präsident Jürgen Gros über das 125-jährige Jubiläum des Genossenschaftsverbands Bayern.
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125 Jahre und kein bisschen alt: Auf seinem 119. Verbandstag in Unterschleißheim präsentierte sich der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) in bester Verfassung. Ministerpräsident Markus Söder bezeichnete ihn in seiner Ansprache vor rund 1.200 Gästen als „starken und unverzichtbaren Partner“ für Menschen und Wirtschaft in Bayern. Die Veranstaltung stand dieses Jahr ganz im Zeichen der Verbandsgründung in München im Jahr 1893. Söder nahm das Jubiläum zum Anlass, um den bayerischen Genossenschaften die Ehre zu erweisen. Passend dazu nahm der GVB die Besucher mit auf eine Zeitreise: Auf einer 270-Grad-Leinwand über drei Seiten des Ballhaus Forums waren animierte historische Werbemotive und Bilder aus 125 Jahren Genossenschaftsgeschichte zu sehen.
Ziel der Verbandsgründer war es, einen regional eigenständigen Verband aus der Mitte der bayerischen Genossenschaften zu gründen und ihre Selbstverwaltung zu verankern. Das machte Wolfgang Altmüller, Vorsitzender des Verbandsrats und ehrenamtlicher Verbandspräsident des GVB, in seiner Ansprache deutlich. „Seine bayerischen Dinge selbst regeln“, sei die Devise der Gründer im Jahr 1893 gewesen. „Deshalb setzten sie auf einen starken Landesverband – auch in Abgrenzung zu einem Neuwieder Zentralverband“, sagte Altmüller. Nach dem Prinzip der Subsidiarität sollte der Verband Aufgaben übernehmen, die von den Genossenschaften vor Ort nicht geleistet werden konnten. Der Satzungsauftrag damals wie heute: Prüfen, beraten, bilden und Interessen vertreten.
Unverzichtbarer Bestandteil des Mittelstands
Heute sind die bayerischen Genossenschaften ein unverzichtbarer Bestandteil der mittelständischen bayerischen Wirtschaft. Sie sind in 35 Branchen und in allen Lebensbereichen der Gesellschaft aktiv. Sie repräsentieren 2,9 Millionen Mitglieder. Rechnerisch ist damit fast jeder vierte Einwohner Bayerns Mitglied einer Genossenschaft. Und sie geben zusammen rund 50.000 Menschen Arbeit und werden im laufenden Jahr voraussichtlich über 450 Millionen Euro an Steuern zahlen. „Diesen Erfolg der bayerischen Genossenschaften zu erhalten und die Vielfalt zu sichern, dafür setzt sich der GVB tagtäglich ein“, hob Altmüller hervor.
Den Mittelstand im Herzen
Ministerpräsident Söder würdigte in seiner Ansprache die Leistungen der bayerischen Genossenschaften und des Verbands. „Alles Gute zum 125. Geburtstag und danke für das, was Sie jeden Tag, an so vielen Stellen und mit so vielen Menschen tun“, gratulierte er dem GVB. Söder ist bereits der dritte Landesvater, der den bayerischen Genossenschaften seine Aufwartung gemacht hat: 1985 war Franz Josef Strauß Ehrengast auf dem Bayerischen Raiffeisentag und Edmund Stoiber hielt 1993 die Festrede zum 100-jährigen Bestehen des GVB.
Den Freistaat sieht Söder für die Herausforderungen der Zukunft gut gerüstet – nicht zuletzt dank der Genossenschaften. Sie seien grundsolide, fest verankert in der Region – „und sie tragen Mittelstand im Herzen. Ohne Sie wäre Bayern ärmer“. Zudem seien sie in der Lage, Tradition mit Innovation zu verbinden – „wie ein starker Baum, der sich mit seinen Ästen dem Licht entgegenstreckt, aber dennoch fest verwurzelt ist“. Besonders im ländlichen Raum könne die Rolle der Genossenschaften als leistungsstarke und zukunftsorientierte Unternehmen in den verschiedenen Branchen wie Landwirtschaft und Energie nicht hoch genug eingeschätzt werden. „Bayern lebt auch und gerade vom ländlichen Raum. Ist das Land stark, dann ist Bayern am stärksten“, sagte Söder.
Der Ministerpräsident hob zudem die Bedeutung der Volksbanken und Raiffeisenbanken als zuverlässige Mittelstandsfinanzierer hervor. „Wer waren eigentlich diejenigen, die die Finanzkrise nicht verursacht haben, sie dann aber ohne Hilfe am besten überstanden? Das waren die Genossenschaftsbanken“, sagte er. In diesem Zusammenhang betonte er auch die Bedeutung der Kreditfinanzierung für den Mittelstand. Es könne nicht alles über den Kapitalmarkt geregelt werden, wie es Pläne der EU-Kommission vorsehen, so Söder.
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Damit die mittelständische Wirtschaft in Bayern ihre Stärken ausspielen kann, müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. „Hohe Auflagen verhindern Innovation“, kritisierte Söder. Wenn zum Beispiel kleinere Banken durch Regulierung und Bürokratie so belastet werden, dass ihr Geschäftsmodell in Gefahr gerät und die Mittelstandsfinanzierung beeinträchtigt wird, müsse man das korrigieren. Das gelte auch für die Landwirtschaft. „Man muss die Unternehmen nicht jeden Tag mit immer neuen Regeln quälen“, so der Ministerpräsident. Stattdessen gelte es, die unternehmerische Freiheit und Verantwortung anzuerkennen.
Diesen Appell richtete der Ministerpräsident auch an die EU. Er forderte ein „Europa der Vernunft und der Gerechtigkeit“. Die umstrittenen Pläne für eine Vergemeinschaftung der europäischen Einlagensicherungssysteme lehnt Söder ab. „Wenn wir unsere Einlagensicherung eins zu eins auf Europa übertragen, ohne die Kontrolle darüber zu haben, dann stoßen wir eine Tür auf, die wir nie wieder zubekommen.“ Dann würden bayerische Einleger für die Risiken anderer Banken in Europa mithaften. Söder: „Das wäre nicht der richtige Weg. Deswegen waren und sind wir dagegen.“
Der GVB unterstützt die klare Position der Staatsregierung zur EU-Einlagensicherung. Das machte Verbandspräsident Jürgen Gros bei der Diskussionsrunde deutlich, die sich an Söders Rede anschloss. Neben Gros saßen der Präsident des Münchner ifo Instituts, Clemens Fuest, und der Vorstandsvorsitzende der DZ Bank, Wolfgang Kirsch, auf dem Podium. Der GVB-Präsident widersprach Forderungen nach einem Zeitplan für eine EU-Einlagensicherung. „Es gibt eine Menge Hausaufgaben, die Europa zu erledigen hat, bevor wir auch nur ansatzweise darüber nachdenken können, einen Fahrplan für eine europäische Einlagensicherung aufzustellen“, kritisierte Gros.
Schützenhilfe leistete ifo-Präsident Fuest. Erst müssten die notleidenden Kredite abgebaut und die von Banken gehaltenen Staatsanleihen risikogerecht reguliert werden, ehe überhaupt über eine gemeinsame EU-Einlagensicherung gesprochen werden könne. „In Europa gibt es bislang kein gemeinsames Verständnis für vereinbarte Regeln“, ergänzte Gros. Als Beispiel nannte er das Defizitkriterium der Maastrichter Verträge, das seit 1993 insgesamt 109 Mal gebrochen worden sei. Deswegen habe er kein Vertrauen, dass die Einlagensicherung ein stabiles System werde, bei dem sich jeder an die Vorgaben hält.
„Der Mittelstand ist der Motor der Wirtschaft. Wir müssen seine Leistungskraft mehr wertschätzen.“
GVB-Präsident Jürgen Gros
Fuest kritisierte außerdem, dass die Politik in Deutschland und Europa oftmals den falschen Fokus habe. Die Förderung des Wettbewerbs habe im Vergleich zu den Sozialausgaben mehr Aufmerksamkeit verdient. „Es geht zu viel darum, den Kuchen umzuverteilen, und zu wenig um das Backen des Kuchens“, so Fuest. Es brauche bessere steuerliche und regulatorische Investitionsbedingungen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Außerdem müsse der Fachkräftemangel angegangen werden, etwa durch Investitionen ins Bildungssystem und durch bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
„Der Mittelstand ist der Motor der Wirtschaft. Wir müssen seine Leistungskraft mehr wertschätzen“, forderte GVB-Präsident Gros. Damit der Mittelstand stark bleibt, sind nach seiner Ansicht drei „Ks“ erforderlich: „Der Mittelstand braucht Kapital, um den Geschäftsbetrieb zu finanzieren. Er braucht Kollegen – also Fachkräfte – die das Unternehmen am Laufen halten. Und er braucht Kabel, um auch in ländlichen Regionen schnelle Datenverbindungen nutzen zu können.“
Gros kritisierte die in Europa und mitunter in Berlin oftmals fehlende Bereitschaft, den Mittelstand zu verstehen. „Stattdessen werden Regeln definiert, die den Anforderungen der Firmen nicht gerecht werden.“ Mittelständische Unternehmen müssten entlastet werden, damit sich Leistung wieder lohnt. „Regulierung und Bürokratie dürfen keine Geschäftsmodelle kaputt machen“, forderte der GVB-Präsident. Konkret sprach er die überbordenden Verbraucherschutzregeln in vielen Bereichen an, etwa bei der Finanzberatung oder in der Landwirtschaft. Gros: „Da wird unendlich viel Papier produziert. Wenn sich der Staat da etwas zurücknehmen würde, wäre uns schon viel geholfen.“
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Zum Abschluss des GVB-Verbandstags sangen die Gäste gemeinsam die Bayernhymne. Auch sie steht für die enge Verbindung der bayerischen Genossenschaften mit dem Freistaat, wie GVB-Präsident Jürgen Gros in seinen Abschlussworten erklärte. Der Text stammt von Michael Öchsner, die Melodie von Konrad Max Kunz. Beide waren Mitglieder der heute noch bestehenden „Bürger-Sänger-Zunft“, einer geselligen Vereinigung liberal gesinnter Münchner Bürger. Aus diesem Kreis stammen auch die Gründer der ältesten GVB-Mitgliedsgenossenschaft, der heutigen Münchner Bank.
Genossenschaften machen Geschichte
Alle Teilnehmer des GVB-Verbandstags 2018 erhielten die eigens zum 125. Verbandsjubiläum aufgelegte Chronik als Gastgeschenk. Das Buch steht in einer elektronischen Variante unter www.gv-bayern.de/chronik zur Verfügung. Verfasser ist der Historiker Reinhard Heydenreuter. Im Interview mit „Profil“ spricht er über die Entstehung des Bands, der viele Originalquellen aus den Beständen bayerischer Genossenschaften zeigt.