Vertrauensfrage: Von der Europawahl am 9. Juni 2024 hängt viel ab – auch für die bayerischen Genossenschaften. Worauf kommt es an? Drei Stimmen aus Wirtschaft und Politik.
Herr Ferber, wie bewerten Sie grundsätzlich die EU-Politik der vergangenen fünf Jahre? Kann beziehungsweise darf es in der nächsten Legislaturperiode ein „Weiter so“ geben?
Markus Ferber: Es gab wie immer Licht und Schatten. Die EU war mit unerwarteten Krisen wie Covid und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine konfrontiert und hat darauf geschlossen und entschieden reagiert. Auf der anderen Seite gab es nicht zuletzt unter dem Stichwort Klimaschutz viel neue Regulierung, die unsere Unternehmen vor einige Herausforderungen stellen wird. Aspekte wie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft sind da leider ins Hintertreffen geraten. Das muss in der kommenden Legislaturperiode definitiv anders werden.
„Der Standort Europa droht den Anschluss zu verlieren. Da müssen wir die Trendwende schaffen.“
Vor welchen Herausforderungen steht die EU in den kommenden Jahren?
Ferber: Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft stetig verschlechtert hat. Die Ursachen sind vielfältig: ausufernde Bürokratie, hohe Energiepreise, Fachkräftemangel. Im Ergebnis droht der Standort Europa den Anschluss zu verlieren. Da müssen wir die Trendwende schaffen.
Wie muss sich die EU grundsätzlich aufstellen, um trotz der vielfältigen Herausforderungen handlungsfähig zu bleiben und im Konzert der globalen Mächte weiterhin eine gewichtige Rolle zu spielen?
Ferber: Damit die EU international handlungsfähig bleibt, müssen wir uns auch einige institutionelle Fragen stellen und beantworten. Das Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik ist zum Beispiel ein Anachronismus, der nicht unbedingt dazu beiträgt, dass die EU schnell auf neue Situationen reagieren kann. Hier wäre es sinnvoll, mit der Zeit zu gehen und flexiblere Entscheidungsprozesse zu schaffen.
„Wir müssen weg vom Ordnungsrecht und mehr mit Anreizen und marktwirtschaftlichen Lösungen arbeiten.“
Ziel der EU ist unter anderem ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum. Wie muss die EU in den kommenden Jahren ihre Politik gestalten, damit sie dieses Ziel erreicht und die Unternehmen in Europa und Bayern weiterhin erfolgreich wirtschaften können?
Ferber: Wir müssen weg vom Ordnungsrecht und mehr mit Anreizen und marktwirtschaftlichen Lösungen arbeiten. Ganz grundsätzlich brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaftspolitik: mehr Angebotspolitik, mehr Verhältnismäßigkeit und ein stärkerer Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit.
Die Diskussion um die Einführung der europäischen Einlagensicherung EDIS hatte im April mit der Abstimmung im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments nochmal unerwartet Fahrt aufgenommen. Wie geht es Ihrer Erwartung nach mit EDIS in der kommenden Legislaturperiode weiter? Bleibt uns das Thema erhalten?
Ferber: Ich fürchte, dass uns die Diskussion um die Zukunft der Einlagensicherung weiter begleiten wird. Bisher hat sich nur der Wirtschafts- und Währungsausschuss positioniert, das Plenum hat noch nicht abgestimmt. Ich hoffe, dass man im Rahmen der Plenarberatungen noch entscheidende Verbesserungen für die Institutssicherungssysteme durchsetzen kann. Ich werde mich in jedem Fall in diesem Sinne einbringen.
„Die Europawahl ist eine wichtige Richtungsentscheidung.“
Wenn Sie die denkbaren Ausgänge der EU-Wahl in den Blick nehmen sowie die zahlreichen Herausforderungen, die die EU gleichzeitig meistern muss: Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die anstehende Europawahl und die kommende Legislaturperiode?
Ferber: Die Europawahl ist eine wichtige Richtungsentscheidung. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren gesehen, zu welchen Beschlüssen die aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament geführt haben. Jetzt gibt es die Chance für eine Kurskorrektur. Ich hoffe, dass es im neuen EU-Parlament andere Mehrheiten für eine bessere Politik geben wird.
Herr Ferber, vielen Dank für das Gespräch!