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Herr Dr. Gros, die EU-Kommission lässt nicht locker mit ihrem Vorhaben, ein gemeinschaftliches europäisches Einlagensicherungssystem zu etablieren. Warum wehren sich die Volksbanken und Raiffeisenbanken so vehement dagegen?

Jürgen Gros: In Deutschland funktioniert der Sparerschutz. Es besteht keine Notwendigkeit etwas neu zu regeln. Zumal das auch nicht im Interesse der Sparer und Unternehmen wäre. Deshalb stehen die Genossenschaftsbanken im Freistaat dem Vorstoß der EU-Kommission extrem kritisch gegenüber.

Warum? Welche Vorzüge hat die deutsche Einlagensicherung gegenüber den Kommissionsplänen?

Gros: Das können Sie am Beispiel der Genossenschaftsbanken sehen. Die unterliegen nicht nur der gesetzlichen Einlagensicherung, sondern unterhalten ähnlich wie die Sparkassen zusätzlich eine freiwillige Sicherungseinrichtung zum Schutz von Spargeldern. Diese sogenannte Institutssicherung funktioniert wie ein Frühwarnsystem, das existenzielle Schwierigkeiten bei angeschlossenen Instituten von vornherein verhindert. Seit nunmehr 80 Jahren musste kein Sparer einer Genossenschaftsbank entschädigt werden. Dieses bewährte Vorsorgemodell sollten wir nicht leichtfertig einer nachgelagerten EU-Einlagensicherung opfern, die erst dann tätig wird, wenn eine Bank pleite ist.

Befürworter einer EU-Einlagensicherung argumentieren, dass das Finanzsystem stabiler wird, wenn Sparer aller Mitgliedsländer künftig aus einem Sicherungstopf entschädigt werden...

Gros: Da habe ich meine Zweifel. Unser Antritt ist, dass es erst gar nicht zu einer Entschädigung kommt. Wer wirkliche Stabilität will, sollte dafür sorgen, dass Banken nicht umkippen. Jeder EU-Staat hat es selbst in der Hand, ein stabiles nationales System aufzubauen. Die erst 2014 in Kraft getretene europäische Einlagensicherungsrichtlinie bietet dafür den geeigneten Rahmen. Es ist die Aufgabe der jeweiligen Nationalstaaten und ihrer Banken, den auch zu nutzen.


Was genau missfällt Ihnen an den Plänen für eine europäische Einlagensicherung?

Gros: Werfen Sie nur mal einen Blick in die Statistiken über notleidende Kredite in der Eurozone. Sie werden feststellen, dass es Länder wie Griechenland gibt, in denen fast die Hälfte aller Kreditengagements ausfallgefährdet sind; in Italien sind es mehr als zehn Prozent. Deutschland hingegen kommt auf eine Quote von lediglich zwei Prozent. Bei den bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken liegt sie sogar nur im niedrigen Null-Komma-Bereich. Diese Unwucht macht deutlich, aus welchen Staaten Gelder abfließen würden, um anderswo Sparer zu entschädigen. Eine zentrale EU-Einlagensicherung würde eine Umverteilung zwischen den soliden und den angeschlagenen Banken im Euroraum in Gang setzen. In letzter Konsequenz müssten dann die Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern für die Risiken ausländischer Institute einstehen. Daran haben sie keinerlei Interesse - und ihre Kunden übrigens auch nicht.


Die EU-Kommission verweist auf die schnellen Fortschritte beim Abbau der faulen Kredite. Entspannt sich dieses Problem nicht in absehbarer Zeit?

Gros: Die Fortschritte gibt es und ich begrüße sie ausdrücklich. Bei einem Berg an faulen Krediten von immer noch rund 950 Milliarden Euro reicht das aber längst noch nicht aus. Der Weg ist gerade mal beschritten, und die Strecke noch sehr lang. Es bleibt abzuwarten, wie sich die geplanten Maßnahmen zum beschleunigten Risikoabbau auswirken werden. Darüber hinaus besteht bei der EU-Einlagensicherung ein Konstruktionsfehler: All jene, die ihre Risiken im Griff haben, werden bestraft. Wer hingegen gezockt hat und verliert, wird mit Transferzahlungen belohnt. Das begünstigt risikoreiches Fehlverhalten und zerstört die Anreize für eine vorausschauende und solide Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass unpopuläre Maßnahmen zur Sanierung der Bankensektoren in einzelnen Mitgliedsstaaten verschleppt werden.


Würde sich durch die EU-Einlagensicherung die Qualität des Sparerschutzes in Deutschland verschlechtern?

Gros: Das Schutzniveau für Sparer und Unternehmen in Deutschland würde sinken. Deutsche Kreditinstitute haben über Jahrzehnte hinweg Gelder zum Schutz ihrer Kunden auf die Seite gelegt. Käme die EU-Einlagensicherung, stünden diese Mittel nicht mehr für präventive Maßnahmen zur Stabilisierung des deutschen Finanzsystems zur Verfügung. Sie würden in einem europäischen Notfalltopf landen.


Unter welchen Voraussetzungen könnten Sie sich eine europäische Einlagensicherung trotzdem vorstellen?

Gros: Die Vorstellung fällt mir schwer. Die Volksbanken und Raiffeisenbanken stehen seit mehr als 80 Jahren füreinander ein. In dieser Zeit haben sie gelernt, dass eine Solidargemeinschaft nur dann funktioniert, wenn sie als Qualitätsgemeinschaft angelegt wird. Bis die Banken in Europa eine solche Qualitätsgemeinschaft bilden können, ist noch ein sehr weiter Weg zurückzulegen.


Was müsste auf diesem Weg passieren?

Gros: Der Genossenschaftsverband Bayern hat sich mit dieser Frage intensiv beschäftigt. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sieben Voraussetzungen erfüllt sein müssten (s. Kasten), um eine stabile Solidargemeinschaft europäischer Banken zu gründen. Einer dieser Meilensteine ist es, den Berg an faulen Krediten erheblich abzuschmelzen. Ohne Risikoabbau kann es keine Risikoteilung geben. Außerdem muss die Bevorzugung europäischer Staatsanleihen bei der Eigenkapitalhinterlegung ein Ende haben. Nur so lässt sich die fatale gegenseitige Abhängigkeit mancher Banken und ihrer Heimatstaaten aufbrechen. Allein diese Ziele zu erreichen, erfordert erhebliche Anstrengungen. Aber das sind nur zwei von sieben Voraussetzungen für eine stabile Solidargemeinschaft.

Maßnahmen für Risikoabbau und mehr Stabilität

Das Erreichen der folgenden sieben Meilensteine ist nach Ansicht des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) die Voraussetzung dafür, dass die europäischen Banken in eine echte, auf Gegenseitigkeit beruhende Solidargemeinschaft eintreten können. Eine frühere Schaffung eines europäischen Einlagensicherungssystems gliche dagegen dem Einstieg in einen Umverteilungsmechanismus unter dem Deckmantel der Solidarität Das wäre aus ordnungspolitischer Sicht verfehlt - und ließe unter Banken und Sparern die Skepsis gegenüber dem europäischen Gedanken weiter keimen.

1. Altlasten abbauen

Die riesigen Altlasten in den Bankbilanzen müssen abgebaut werden. Vor der Finanzkrise waren im Euroraum lediglich 2,8 Prozent der Kredite leistungsgestört, heute sind es trotz intensiver Bemühungen zur Reduzierung der Bestände noch immer 4,6 Prozent. In den USA, im Vereinigten Königreich und in Japan sind lediglich 1 Prozent der Kredite notleidend. Die Marke von 1 Prozent muss auch in der Währungsunion erreicht werden. Zudem darf es in den einzelnen Euroländern keine Ausreißer geben. Deshalb sollte kein Euroland eine Quote von mehr als 3 Prozent aufweisen.

2. Probleme auf nationaler Ebene bewältigen

Die überhöhten Risiken in den Bankbilanzen wurden maßgeblich durch Fehlentscheidungen auf nationaler Ebene hervorgerufen. Sie müssen nun auch auf nationaler Ebene bewältigt werden. Zu Recht werden die Rufe nach einer Vergemeinschaftung der Risiken aus faulen Krediten in einer europäischen "Bad Bank" nicht gehört. Dabei muss es bleiben. Wenn einzelne Mitgliedsstaaten "Bad Banks" einrichten, sollte dies auf Grundlage des Konstruktionsplans („Blaupause“) der EU-Kommission geschehen.

3. Instrumente der Bankenaufsicht entschlossen und zielgerichtet einsetzen

Der Abbau notleidender Kredite ist für Banken schmerzhaft und wird deshalb hinausgezögert. Für eine Beschleunigung des Prozesses sorgt das entschlossene Vorgehen der EZB-Bankenaufsicht. Keinesfalls dürfen die Aufseher dem politischen Druck zur Aufweichung ihres Kurses nachgeben. Allerdings sollten die EZB- Aufseher ihre Instrumente gezielt dort einsetzen, wo Banken und Staaten unter überhöhten Beständen ausfallgefährdeter Engagements leiden. Eine undifferenzierte Anwendung der Aufsichtsmaßnahmen überall in Europa ist hingegen kontraproduktiv: Knappe Ressourcen der Bankenaufsicht würden verschwendet und Kreditinstitute mit unnötiger Bürokratie belastet.

4. Insolvenzrecht verbessern

Das Insolvenzrecht in den Euroländern muss harmonisiert werden, ohne dabei den Gläubigerschutz zu verwässern. Gerät ein Unternehmen in Schwierigkeiten, wird dadurch zügiger eine Sanierung eingeleitet oder der Marktaustritt besiegelt. Das beugt dem Entstehen von „Zombie-Firmen“ vor. Auch die Leistungsfähigkeit der Justiz sollte gestärkt werden. Dadurch können Kreditsicherheiten effizienter verwertet werden, was die Werthaltigkeit der zugrunde liegenden Darlehen erhöht. Dies erleichtert den Abbau fauler Kredite und verhindert gleichzeitig den Aufbau neuer NPL-Berge.

5. Wachstum beleben

Um ein neuerliches Anschwellen der Risiken in den Bankbilanzen zu verhindern, muss die wirtschaftliche Lage der kreditnehmenden Haushalte und Unternehmen verbessert werden. Dazu sind mehr Wachstum und ein stärkerer Beschäftigungsaufbau erforderlich. Die Euroländer müssen ihre Anstrengungen zur Umsetzung von Strukturreformen intensivieren. Um die Bemühungen auf nationaler Ebene zu fördern, sollte eine Gewährung finanzieller Anreize für Strukturreformen aus EU-Mitteln geprüft werden. Diese Anreize könnten aus dem EU-Haushalt gewährt werden, indem die Schwerpunkte innerhalb des Budgets angepasst werden. Zusätzliche Finanzmittel für die EU oder ein Zusatzhaushalt für die Euroländer („Fiskalkapazität“) sind nicht erforderlich.

6. Staatsfinanzierung angemessen regulieren

Die Bevorzugung europäischer Staatsanleihen bei der Eigenkapitalunterlegung muss beseitigt werden. Eine Verringerung der Abhängigkeit von Banken und ihren Heimatstaaten („Home bias“) ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Zur nachhaltigen Stabilisierung des Bankensektors sind jedoch weitere Schritte erforderlich: Kredite an den Sitzstaat und an jedes andere Euroland müssen ab dem ersten Euro mit Eigenkapital unterlegt werden. Dazu sollten alle Banken einheitlich den Kreditrisiko-Standardansatz anwenden, welcher den Kapitalbedarf mit der Bonität des jeweiligen Lands verknüpft.

7. Gläubigerhaftung stärken

Eine Umgehung der Gläubigerbeteiligung („Bail in“) durch eine kreative Auslegung europäischer Regeln darf es nicht mehr geben. Um staatliche Rettungsmaßnahmen oder ein ungerechtfertigtes Überwälzen der Kosten von Abwicklungslasten auf die europäische Gemeinschaft zu verhindern, müssen die Bankgläubiger konsequent an Bankpleiten beteiligt werden. Dazu ist eine Schärfung der Beihilferegeln der EU-Kommission erforderlich. Außerdem muss in den Banken ausreichend Eigen- und Fremdkapital vorhanden sein, das im Krisenfall Verluste absorbieren kann. Für alle Banken, die aufgrund ihrer systemischen Bedeutung nicht im regulären Insolvenzregeln abgewickelt werden können, sollten die entsprechenden EU-Vorschriften zügig beschlossen und umgesetzt werden.

Die Verfechter einer Einlagensicherung machen Druck, dass beim EU-Gipfel im Juni über das weitere Vorgehen entschieden wird. Gehen Sie davon aus, dass die neue Bundesregierung hart bleibt und eine Vergemeinschaftung wie Bundesfinanzminister Schäuble weiter blockiert?

Gros: Die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken haben die klare Erwartung, dass sich die Bundesregierung weiterhin für die Interessen der deutschen Sparer einsetzt. Dazu gehört es, das hohe Schutzniveau von Bankeinlagen in Deutschland zu verteidigen. In ihrem Koalitionsvertrag fordern Union und SPD, dass auch in Zukunft Risiko und Haftungsverantwortung in Europa verbunden sein müssen. Das ist der Maßstab, an dem wir die politischen Akteure in Berlin messen.

Herr Dr. Gros, vielen Dank für das Gespräch!

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