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Herr Beyer, Deutschland und Europa haben aktuell mit zahlreichen Problemen zu kämpfen, sowohl geopolitisch als auch gesamtwirtschaftlich. Inwiefern betrifft das auch die Atruvia sowie die Volks- und Raiffeisenbanken? Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?

Martin Beyer: Das Jahr 2024 war geprägt von großen geopolitischen Spannungen und gesamtwirtschaftlichen Unsicherheiten. Einvernehmliche Lösungen der Konflikte sind auch für 2025 nicht in Sicht. Beispielhaft seien nur der anhaltende Krieg in der Ukraine sowie in Nahost, die schwelenden Konflikte im Taiwan oder Moldawien, die Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten genannt oder auch die unterschiedlichen politischen Kräfte innerhalb der EU. Haushaltsstreit, Zurückhaltung bei Investitionen, eine schwache Auftragslage in den Unternehmen: Die Wirtschaft in Deutschland stagniert. Bei digitalen Geschäftsmodellen und den dazugehörigen IT-Infrastrukturen – Stichwort: Netze – sind uns die USA und andere Länder weit voraus. Die Politik, die deutsche Wirtschaft und auch wir in der genossenschaftlichen Finanzgruppe müssen wieder investieren und aufholen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Atruvia als Digitalisierungspartner kommt da eine wichtige Rolle zu. Gleichzeitig bedrohen Länder wie China, Russland oder Nordkorea unsere digitale Infrastruktur. Als Atruvia haben wir hier eine sehr große Verantwortung.

Was sind aus Sicht der Atruvia im kommenden Jahr die zentralen Herausforderungen für die genossenschaftliche Finanzgruppe und insbesondere die VR-Banken?

Beyer: Die Liste ist lang: Digitalisierung der Geschäftsmodelle, Dynamik im technologischen Wandel zum Beispiel durch KI, veränderte Kundenerwartungen, Ertragsdruck, steigende regulatorische Komplexität, Fachkräftemangel, um nur einige zu nennen. Die zunehmende Digitalisierung ist zugleich aber auch Chance, diesen Herausforderungen zu begegnen. Digitale, automatisierte und standardisierte Lösungen machen Bankprozesse einfacher, effizienter und entlasten die Mitarbeitenden in den Banken. Das hilft dabei, dem Fachkräftemangel sowie dem Kostendruck entgegenzuwirken und den steigenden regulatorischen Anforderungen besser gerecht zu werden. Deshalb ist es für uns wichtig, die Digitalisierung weiter voranzutreiben und vor allem auch, die Nutzungsquote bei den digitalen Lösungen zu erhöhen.
 

Langfristiger Erfolg erfordert Veränderungsbereitschaft. Wo muss sich bei Atruvia und den VR-Banken etwas verändern und wo stehen Sie?

Beyer: Digitale Lösungen sind das eine. Sie adäquat einzusetzen das andere. Digitalisierung muss am Ende gelebt werden. Kunden und Mitarbeitende gilt es für die digitalen Lösungen zu begeistern und fit zu machen – wir nennen das „digitales Onboarding“. Das Management muss den Prozess anstoßen und mutig vorantreiben, Mitarbeitende müssen mitgenommen und weitergebildet werden. Insgesamt vollzieht die Gruppe gerade eine große digitale Transformation, der mit anderen Unternehmungen in Deutschland vergleichbar ist. Es gilt, den Rückstand beim Einsatz von Technologie im Banking im Vergleich zu anderen Ländern aufzuholen.

In unserer Personalstrategie setzen wir insbesondere auf eine hohe Arbeitgeberattraktivität. Nicht nur, um neue Talente zu gewinnen, sondern auch um bestehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten, zu motivieren und zu fördern.

Martin Beyer

Herr Beyer, Sie sind auch Arbeitsdirektor von Atruvia. Inwiefern ist das Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen und welche Ansätze haben Sie, neue Fachkräfte zu finden und zu binden?

Beyer: Die IT-Branche ist vom Fachkräftemangel stark betroffen, auch weil der Bedarf an modernen IT-Lösungen überproportional wächst. Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung müssen wir schon heute Skills aufbauen, die wir morgen brauchen. Gleichzeitig sind IT-Experten am Markt hart umkämpft. In unserer Personalstrategie setzen wir insbesondere auf eine hohe Arbeitgeberattraktivität. Nicht nur, um neue Talente zu gewinnen, sondern auch um bestehende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten, zu motivieren und zu fördern. Wir bieten viele Benefits, die im Markt nicht selbstverständlich sind. Dazu zählen neben einer attraktiven Vergütung vor allem ein agiles Arbeitsumfeld, interessante Weiterbildungsprogramme, eine moderne technologische Ausrichtung und eine werteorientierte Unternehmenskultur. Der Erfolg gibt uns recht: Unsere Mitarbeitenden sind top ausgebildet und sehr zufrieden. Das spiegelt sich in unseren regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen, in den Kununu-Bewertungen und in unseren Bewerbungszahlen wider. Immer mehr Menschen wollen zu uns: Die Anzahl der Bewerbungen verdoppelt sich alle zwei Jahre.

Herr Coenen, Sie verantworten bei Atruvia das digitale Banking. Wo steht Atruvia in diesem Bereich und welche Pläne haben Sie für 2025?

Ulrich Coenen: Wir haben die Omnikanalplattform mit integrierten Vertriebskanälen. Das heißt, die Kundinnen und Kunden haben die Wahl, ob sie ihre Bankgeschäfte digital, persönlich oder digital-persönlich tätigen möchten. Insbesondere an der digitalen Kundenschnittstelle haben wir in den vergangenen Jahren deutlich aufgeholt: Unsere App wird in den Stores sehr gut bewertet und bietet einen sehr großen Funktionsumfang. Was davon die Bank auch für ihre Kunden und Kundinnen freischaltet, entscheidet sie am Ende selbst. 2025 werden wir unter anderem intensiv die Automatisierung von Prozessen in der Bank vorantreiben und weitere Self- Services für die Bankkunden implementieren.

Ein großes Thema bei der Entwicklung von neuen Banking-Dienstleistungen ist das veränderte Kundenverhalten. Welche Leistungen erwarten die Kundinnen und Kunden heute von ihrer Bank?

Coenen: Es ist noch nicht lange her, da mussten Bankkundinnen und -kunden für ziemlich viele Dinge eine Bankfiliale aufsuchen. Heute wollen und können sie den Zugangsweg für ihre Bankgeschäfte sehr flexibel selbst entscheiden. Das geht weit über simple Vorgänge wie Überweisungen hinaus. Die Kundinnen und Kunden können Wertpapiere managen oder sich ein Angebot für eine Immobilienfinanzierung erstellen lassen – alles vom heimischen Sofa aus. Das sind Services, die man früher allenfalls von Direktbanken kannte. Sie kommen den Erwartungen der Bankkunden und -kundinnen entgegen. Aber auch die Mitarbeitenden in den Banken profitieren davon: Sie können sich auf beratungsintensivere und ertragreichere Kundengespräche konzentrieren. Ein weiterer Pluspunkt: Auch aufwendige Routinetätigkeiten in der Bank laufen zunehmend digital und automatisiert ab. Digitalisierung stillt also nicht nur ein Bedürfnis der Bankkunden, sondern steigert auch die Effizienz der Banken und ihre Ertragskraft.


Das neue Betriebsmodell für die VR-Banken setzt unter anderem auf Prozessoptimierung und digitale Self-Services. Welche Leistungen haben Sie bereits an den Start gebracht?

Coenen: Die Bearbeitungsaufwände insbesondere für Kreditanträge sind typischerweise sehr hoch. Viele Dokumente sind zu prüfen und Daten zu erfassen. Mit unseren neuen Lösungen übernimmt zunehmend künstliche Intelligenz diese Aufgabe. Sie analysiert die Dokumente und deren Inhalt automatisch und fordert gegebenenfalls fehlende Unterlagen direkt bei den Kundinnen und Kunden an. Für die Mitarbeitenden bedeutet das eine deutliche Entlastung bei gleichzeitig höherer Datenqualität. Ein weiteres Beispiel ist der „Sofortkredit Privatkunde“. Die Kreditprüfung geschieht vollautomatisiert. Bankkundinnen und -kunden müssen den Vertrag lediglich mittels elektronischer Signatur digital unterzeichnen, das System löst dann umgehend die Auszahlung der Kreditsumme aus. Für das kommende Jahr haben wir insgesamt mehr als 100 Vorhaben in der Planung, die alle die Weiterentwicklung unseres Lösungs-Portfolios betreffen. Dazu gehören zum Beispiel die Automatisierung von Prozessen im Firmenkundengeschäft, aber auch Projekte wie die letzte Welle der Einführung von Microsoft 365 oder unsere neue „Business Services“ Plattform zur Unterstützung der Bankorganisation.

„Auch in den Banken leistet die KI bereits gute Dienste, etwa bei der digitalen Posteingangsverarbeitung, Gesprächsprotokollierung oder im Wissensmanagement.“

Ulrich Coenen

Wie bewerten Sie das Potenzial von Künstlicher Intelligenz für die Volks- und Raiffeisenbanken und woran arbeiten Sie in diesem Segment?

Coenen: Künstliche Intelligenz war 2024, aber auch schon in den Jahren zuvor, ein zentrales Thema bei Atruvia und in der genossenschaftlichen Finanzgruppe. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass es in diesem Themenfeld darauf ankommt, eng an den aktuellen Entwicklungen dranzubleiben. Das tun wir im Übrigen schon seit einigen Jahren im Bereich der Cybersecurity, im Fraud Management oder bei der Dokumentenerkennung. Und auch in den Banken leistet die KI bereits gute Dienste, etwa bei der digitalen Posteingangsverarbeitung, Gesprächsprotokollierung oder im Wissensmanagement. Künstliche Intelligenz ist definitiv mehr als ein Hype, sie wird in Zukunft noch mehr ein integraler Baustein des genossenschaftlichen Bankings sein – zum Beispiel als Basistechnologie für effiziente Prozesse. Um das Potenzial auszuloten, haben Atruvia, BVR und DZ Bank ein gemeinsames Kompetenzcenter gebildet. Dieses Kompetenzcenter entwirft Leitplanken für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI und leitet Chancen und Handlungsfelder ab. Fest steht: Die KI soll und wird die Menschen sicher nicht ersetzen, aber sie kann deren Arbeit sinnvoll unterstützen. Stichwort „human in the loop“.

Herr Beyer, Herr Coenen, herzlichen Dank für das Interview!

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