Negativzinsen: Warum die expansive Geldpolitik der EZB nicht funktioniert und was sie besser machen könnte, erklärt der Leipziger Finanzwissenschaftler Gunther Schnabl.
Anzeige
Anzeige
„Wir wollen noch kundenorientierter werden“
Gerhard Walther, Vorstandsvorsitzender der VR-Bank Mittelfranken West:
„Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ist das Thema Nummer eins in der VR-Bank Mittelfranken West. Die Zinserträge schmelzen immer weiter zusammen. Das setzt uns enorm unter Druck. Um trotzdem erfolgreich zu bleiben, müssen wir unsere Prozesse verschlanken und unser Dienstleistungsangebot neu ausrichten.
Was heißt das konkret? Wir überdenken derzeit sehr viele Abläufe und Leistungen mit dem Ziel, noch kundenorientierter zu werden. In der Vergangenheit haben wir viele Dienstleistungen über die Zinserträge quersubventioniert. Das können wir uns nicht mehr leisten. Deshalb sind wir dazu übergegangen, bestimmte Serviceleistungen, die für uns mit einem hohen Aufwand verbunden sind, angemessen zu bepreisen. Das führt zwar zu Diskussionen mit einigen Kunden, die kostenlose Leistungen für selbstverständlich erachten, aber die allermeisten Menschen zeigen Verständnis für unser Handeln.
Außerdem arbeiten wir intensiv an unserer Struktur. Früher haben wir in unseren Geschäftsstellen viel Personal für Serviceleistungen vorgehalten. Das war teuer, wird aber von den Kunden immer weniger erwartet. Deshalb haben wir das Serviceangebot in den Filialen auf das notwendige Maß reduziert und stattdessen ein schlagkräftiges Kundendialogcenter aufgebaut. Dort erreichen unsere Kunden per Telefon oder über digitale Kommunikationswege wie E-Mail oder Chat zuverlässig einen Ansprechpartner, der die gewohnten Dienstleistungen erbringt. So haben wir unsere Servicezeiten für die Kunden sogar ausgeweitet. Außerdem können diese viele Angelegenheiten online einfach selbst regeln, zum Beispiel ihre Adresse ändern oder einen Termin vereinbaren. Auch das spart uns Kosten und die Kunden sind zufrieden, weil ihre Anliegen sofort erledigt werden.
Informationen des GVB zu Negativzinsen und Verwahrentgelten
Der Genossenschaftsverband Bayern unterstützt die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken im Umgang mit Negativzinsen und Verwahrentgelten mit einem umfangreichen Informationsangebot, etwa zu rechtlichen und steuerlichen Fragen oder zu Aspekten der Banksteuerung. Die Informationen werden im Mitgliederbereich der GVB-Webseite auf einer eigenen Themenseite gebündelt. Dort findet sich auch ein Katalog mit den wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema. Außerdem bietet die GVB-Rechtsberatung dazu zusammen mit der Akademie Bayerischer Genossenschaften (ABG) den Mitgliedsbanken einen Erfahrungsaustausch an.
In so einer Umbruchsituation ist es überaus wichtig, dass die Mitarbeiter voll mitziehen. Das ist bei uns Gott sei Dank der Fall. Wir pflegen in unserem Haus eine sehr offene und transparente Kommunikation. Die Kolleginnen und Kollegen wissen genau Bescheid, wie es um die Bank bestellt ist und warum wir uns verändern müssen. Deswegen arbeiten alle Hand in Hand daran, die VR-Bank Mittelfranken West zukunftsfähig aufzustellen. Mit demotivierten und verunsicherten Mitarbeitern wäre so etwas gar nicht möglich.
Neben der Optimierung unserer Serviceleistungen arbeiten wir intensiv an der Verbesserung unserer Beratungsqualität. Dabei kooperieren wir eng mit unseren genossenschaftlichen Verbundpartnern. Je besser wir unsere Kunden beraten, desto eher sind sie bereit, für unsere Dienstleistungen zu bezahlen. Dass es auf Sparbücher und Tagesgeld keine Zinsen mehr gibt, wissen unsere Kunden längst. Viele sind deshalb offen für alternative Geldanlagen wie Fonds, Immobilien, Schatzbriefe oder Gold. Zusätzlich sprechen wir die Kunden mit unserer Kampagne ,Wir retten Ihr Geld!‘ gezielt auf das Thema Vermögenssicherung an. Das kommt sehr gut an.
Alles in allem blicke ich positiv in die Zukunft, auch wenn wir uns wohl auf ein dauerhaft niedriges Zinsniveau einstellen müssen. Darauf sind wir vorbereitet. Trotzdem will ich an dieser Stelle eines festhalten: Wir sollten mit vereinten Kräften darauf hinwirken, dass die EZB ihre Zinspolitik überdenkt. Die Notenbanker mögen ihre Gründe haben, die Zinsen niedrig zu halten. Aber der volkswirtschaftliche Schaden ist mittlerweile nicht mehr zu übersehen. Das betrifft nicht nur die Regionalbanken und die Frage, ob sie auch in Zukunft ihren Aufgaben etwa als Finanzpartner des Mittelstands gerecht werden können. Viel schlimmer ist, dass die Sparer durch das Handeln der Zentralbank um ihr Geld gebracht werden und im schlimmsten Fall sogar um ihre Altersvorsorge. Das darf auf Dauer nicht so bleiben.“
„Wir setzen in der Beratung stark auf alternative Anlagen“
Joachim Hausner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der VR Bank Bamberg-Forchheim:
„Das Niedrigzinsumfeld belastet auch die VR Bank Bamberg-Forchheim in erheblichem Maße. Zum einen werden auslaufende Kredite zu deutlich niedrigeren Zinssätzen prolongiert und auch die Eigenanlagen werfen deutlich niedrigere Erträge ab, als wir das aus früheren Jahren kennen. Dazu kommt noch die Passivseite der Bilanz, mit zur Zeit noch einem ‚Nullzins-Floor‘. Die Folge: Der Zinsüberschuss ist stark rückläufig.
Wie können wir dem Niedrigzinsumfeld begegnen? Darüber machen wir uns sehr viele Gedanken. Wir arbeiten hart daran, einfacher und effizienter zu werden. Außerdem versuchen wir im Kreditgeschäft zu wachsen und so die Einlagen im Kundengeschäft unterzubringen. Allerdings fragen die Kunden bei Darlehen lange Laufzeiten nach. Das erhöht unser Zinsänderungsrisiko.
Dabei darf man nicht übersehen, dass das Niedrigzinsumfeld in erster Linie für unsere Kunden dramatische Folgen hat. Deswegen setzen wir in der Beratung sehr stark auf alternative Geldanlagen in Form von Substanz- und Sachwertanlagen, die noch Erträge abwerfen. Dazu gehören Investments in Wertpapiere, Edelmetalle, Immobilien, Sparverträge in Aktienfonds oder unser Goldsparen. Das lohnt sich immer noch. So haben Kunden der VR Bank Bamberg-Forchheim mit einem Depot bei Union Investment ihre Erträge seit dem Jahr 2013 im Schnitt um rund 30 Prozent gesteigert. Das sind rund vier Prozent pro Jahr. Allein bei unserem Institut beträgt der Wertzuwachs der Union-Depots seit 2013 über 50 Millionen Euro. Diese Investments in alternative Geldanlagen helfen beiden Seiten. Rund die Hälfte unseres Anlagewachstums wanderte so ins außerbilanzielle Geschäft. Das befreit uns zum Teil von den Negativzinsen.
Auch bei unseren Kunden ist das Niedrigzinsumfeld oft ein großes Gesprächsthema. Viele fragen, wie es jetzt weitergeht. Damit unsere Mitarbeiter immer eine passende Antwort haben, schulen wir sie seit Jahren regelmäßig und tauschen uns mit den Mitarbeitern über die aktuelle Situation an den Kapitalmärkten aus. Weil Klassiker wie Sparbuch oder Tagesgeld keine Alternative mehr sind, haben wir alle Berater mit den notwendigen Kompetenzen und Fach-know-how ausgestattet, damit sie ihre Kunden auch in Wertpapieranlagen beraten können.
Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter mit Spaß und Freude ihr Wissen gerne an unsere Kunden weitergeben. Das haben wir institutionalisiert. Beispielsweise veranstalten wir in unserem Geschäftsgebiet regelmäßig Informationsabende zur Geldanlage im Niedrigzinsumfeld. Das läuft sehr erfolgreich, in der Regel kommen 60 bis 80 Kunden zu diesen Veranstaltungen. Der entscheidende Punkt ist: Unsere Mitarbeiter müssen den Mut haben, den Menschen zu erklären, dass sie im Niedrigzinsumfeld am besten fahren, wenn sie in Substanz- und Sachwerte investieren. Das ist mitunter mühsam, aber viele Kunden nehmen unseren Rat an. Denn gespart wird sowieso, egal ob es Zinsen gibt oder nicht.
Zum Schluss möchte ich aber auch etwas Positives erwähnen, das in der Debatte um niedrige Zinsen gerne vergessen wird. Trotz aller Herausforderungen geht es den Menschen in Deutschland in der Summe so gut wie nie zuvor. Es herrscht Vollbeschäftigung und die Reallöhne sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Trotzdem sehe ich die Niedrigzinspolitik der EZB äußerst kritisch. Der Spargedanke wird ad absurdum geführt, Schuldenmachen wird dagegen belohnt. Die Politik finanziert sich auf Kosten der Sparer mit billigem Geld von den Zentralbanken. Wer soll das abfedern? Die Banken können das nicht leisten. Über kurz oder lang wird die enorme Geldflut zu starken Verwerfungen auf den Kapitalmärkten führen. Da wieder herauszukommen, halte ich für extrem anspruchsvoll.“
„Viele Kunden rechnen schon mit Minuszinsen“
Peter Burnhauser, Vorstandsvorsitzender der Raiffeisenbank Kissing-Mering:
„Das Geschäftsmodell der Raiffeisenbank Kissing-Mering ist auf den regionalen Wirtschaftskreislauf ausgerichtet. Der Schwerpunkt liegt auf dem bilanzwirksamen Kundenkreditgeschäft. Daraus resultiert ein struktureller Aktivüberhang im Kundengeschäft. Seit 2018 übersteigt aber der starke Einlagenzufluss (plus neun Prozent in 2019) unser Kreditwachstum. Die zunehmende Überschussliquidität wird bei unserem Zentralinstitut geparkt und verursacht dort Minuszinsen.
Insgesamt belastet uns das Niedrigzinsumfeld massiv. Als Regionalbank können wir den Rückgang der Zinserträge im Kreditgeschäft nicht in gleichem Maße durch niedrigere Zinsen im Einlagengeschäft ausgleichen. Rechnerisch ist die Refinanzierung am Bankenmarkt günstiger als durch Kundeneinlagen. Kalkulatorisch müssten wir alle kurzfristig fälligen Kundengelder mit Negativzinsen belasten. Mit ausgesuchten Firmenkunden und Institutionen, die große Einlagen bei uns unterhalten, bestehen bereits entsprechende Individualvereinbarungen. Die nötige Akzeptanz schaffen wir auf Kundenseite durch die sachliche Darlegung der Wirkungszusammenhänge und das Aufzeigen geeigneter Anlagealternativen.
Firmenkunden haben sich mehrheitlich bereits auf die Belastung ihrer Bankeinlagen mit Minuszinsen eingestellt. Bei Privatkunden ist das schwieriger. An die Nullverzinsung der Einlagen und negative Realzinsen haben sich die Einleger längst gewöhnt. Minuszinsen und damit der ‚Griff in die Kasse‘ werden dagegen – noch – als Tabubruch bewertet.
Wie gehen wir in der Beratung mit diesem Problem um? Einen hochverzinslichen risikolosen Anlagetipp können wir unseren Kunden nicht bieten. Stattdessen rücken wir die Struktur des Vermögens in den Fokus. Zu einem ausgewogenen Vermögensportfolio gehören alternative Anlageformen wie zum Beispiel Investmentfonds, Zertifikate, Versicherungslösungen, Immobilien und Gold. Über allem steht das Credo unser Genossenschaftlichen Qualitätsberatung: Das Produkt muss zum Kunden passen.
Auch im Eigengeschäft setzt sich die Bank mit alternativen Investments auseinander. Ziel ist es, die Ertragsabhängigkeit vom zinstragenden Geschäft abzumildern. Unsere strategische Ausrichtung auf das Geschäft mit unseren Firmen- und Privatkunden in unserer Region werden wir trotz Niedrigzinsphase aber nicht in Frage stellen.
Rückblickend auf das Jahrzehnt nach der Finanzkrise stellen wir einen enormen Vertrauenszuwachs bei unseren Kunden fest. Die Menschen wissen, was sie an einer Genossenschaftsbank mit einem soliden, verständlichen Geschäftsmodell haben. Sie schätzen vor allem, dass man ‚mit uns noch reden kann‘. Das gewachsene Vertrauen schlägt sich nicht zuletzt in einem stetigen Einlagenrückfluss von Direktbanken nieder. Das freut uns natürlich. Gleichzeitig verpflichtet uns der Mitgliederauftrag, uns vor einem unkontrollierten Einlagenzufluss, der unsere Ertragslage belastet, zu schützen.
Die EZB gleicht mit ihrer ultralockeren Geldpolitik einer Feuerwehr, die weiter löscht, obwohl der Brand der Finanzkrise längst erloschen ist. Der Schaden ist immens. Er reicht von der fehlenden Verzinsung für Einleger und Kapitalsammelstellen bis hin zu strukturellen Verwerfungen durch die beschleunigte Vermögenspreisinflation. Je länger die EZB ihr Zinsdoping beibehält, desto größer wird der Kreis möglicher Einleger, die mit Minuszinsen belastet werden. Wir würden uns eine Rückkehr zu einer normalen Geldpolitik wünschen, allein uns fehlt der Glaube.“