Widerspruch: Der Vorstoß von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zur Vollendung der Bankenunion kam überraschend. GVB-Präsident Jürgen Gros ist sich sicher: Die Vorschläge des Finanzministers sind unausgegoren und übereilt.
Das Anliegen ist auf den ersten Blick bestechend. Bundesfinanzminister Olaf Scholz will Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit in Europa erhöhen. Auch die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen verfolgt dieses Ziel. In einem „Non-Paper“ skizzierte Scholz sein „Zielbild der Bankenunion“. In einem Beitrag für die „Financial Times“ hat er seine Ideen einem großen Publikum nähergebracht. Ihm war wohl klar, was er damit auslösen würde. Ein reines Arbeitspapier erhielt damit praktisch offiziellen Charakter. Und das hatten auch alle so verstanden. Scholz will vollendete Tatsachen schaffen. Mehr Europa, mehr Sicherheit, mehr Vergleichbarkeit.
So verständlich das Vorhaben einer Weiterentwicklung der europäischen Bankenunion auch sein mag – die vorgeschlagenen Maßnahmen nutzen dem europäische Bankensystem weit weniger, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Denn die Gruppe der Profiteure ist überschaubar. Wichtiger noch: Wenn die Ideen des Ministers und der neuen EU-Kommission Realität werden, hinterlassen sie eine Menge Verlierer und schwächen den deutschen Finanzmarkt nachhaltig.
Die Idee der Bankenunion war eine Reaktion auf die Finanzkrise. Zweck sollte es sein, weitere staatliche Bankenrettungen zu verhindern, die enge Verflechtung zwischen Staaten und Banken zu lösen und eine einheitliche Aufsicht über systemrelevante Institute zu schaffen.
Jetzt geht es darum, den auf ihrem Heimatmarkt tätigen Banken das europäische Spielfeld weiter zu öffnen, um übergeordnete Kooperationen und Zusammenschlüsse zu fördern und das Banksystem damit international wettbewerbsfähiger zu machen. Nur profitieren davon vor allem die Großbanken – und damit die Spezies, die zu den Hauptverursachern der Krise gehörte.
Vielfalt zulassen
Die Vorschläge, die nun auf dem Tisch liegen, verkennen völlig die Bedeutung kleinerer, regional verwurzelter Institute. Das Bankensystem in Europa und insbesondere in Deutschland ist vielgestaltig. Das Miteinander von Großbanken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften ist in dieser Form einzigartig und hat zum Erfolg der deutschen Wirtschaft wesentlich beigetragen. Es ergibt keinen Sinn, kleinere Banken in das von Scholz vorgeschlagene System einzubinden.
Ein zentrales Erfolgsrezept der europäischen Integration war es immer, zwar vergleichbare Standards zu schaffen, aber trotzdem die vielen regionalen Besonderheiten zu berücksichtigen. Gemeinsame Ziele mit regionalen Lösungen haben Europa stets gut getan.
Selbst im Bankensektor hat es bereits Ausnahmen gegeben, die der Rolle kleiner, nicht komplexer Kreditinstitute Rechnung tragen. Bei der Einführung einer gemeinsamen Bankaufsicht im Jahr 2014 wurden kleinere und mittelgroße Banken nicht zuletzt auf Betreiben Deutschlands von der direkten EZB-Aufsicht ausgenommen. Für sie sind weiter BaFin und Bundesbank zuständig.
Veränderung ist gut und wer stehen bleibt, fällt zurück. Veränderung ist aber kein Selbstzweck, sondern sollte gegenüber dem Bisherigen Vorteile bringen. Genau das ist bei der Bankenunion in ihrer derzeit geplanten Weiterentwicklung nicht für alle der Fall. An einem europaweiten Einlagensicherungssystem für supranational tätige Großbanken ist nichts auszusetzen. Doch sollte dieses System dann so ausgelegt werden, dass es nicht gleichzeitig den Regionalbanken schadet.
Europa und Deutschland täten gut daran, Vielfalt zuzulassen, Bewährtes zu erhalten und funktionierende Geschäftsmodelle zu unterstützen. Denn diese Vielfalt hat das deutsche Bankensystem in den vergangenen Jahren stabilisiert. In der Krise hat sich gezeigt: Die Kreditgenossenschaften sind der Stabilitätsanker im Bankensystem. Das stark vom Mittelstand geprägte Wirtschaftssystem hat immer von mittelständischen Instituten profitiert.
Worum muss es also gehen, wenn wir über eine Zukunftsperspektive für die europäische Bankenunion sprechen? Einerseits darum, das System als Ganzes und seine Teile stabiler zu machen. Und andererseits geht es darum, die Vielfalt der Bankenwelt zu fördern anstatt mit einem „One-size-fits-all“-Ansatz die falschen Anreize zu setzen.
Stabilität schaffen
Seit der Finanzkrise ist in der Regulierung viel passiert. Dank der bisher schon bestehenden Bankenunion ist die Branche in Europa heute sicherer und stabiler als vor der Krise. Aber in etlichen europäischen Bankensektoren schlummern nach wie vor viele Risiken. Hier gibt es noch viele Schritte zu gehen, bevor man über eine weitere Integration bei der Einlagensicherung reden sollte. Es gilt, Risiken in den Bankbilanzen angemessen zu berücksichtigen. Europaweit halten Kreditinstitute in hohem Maße Anleihen ihres Heimatstaats. Das bedeutet, dass deutsche Banken besonders viele deutsche Staatsanleihen in ihnen Büchern haben. Italienische Banken halten vor allem italienische Anleihen, griechische Institute solche, die Athen ausgereicht hat.
Für alle gelten bis dato dieselben Regeln: Sie müssen nicht – wie andere Anlagen – mit Eigenkapital hinterlegt sein. Dabei ist leicht zu erkennen, dass Anleihen aus Staaten, die unterschiedliche Bonitätswerte haben, auch bei der Risikobeurteilung unterschiedlich zu gewichten sind. Dass Staatsanleihen in einer Währungsunion niemals gänzlich frei von Ausfallrisiken sind, hat spätestens der Schuldenschnitt für Griechenland im Jahr 2012 gezeigt.
Sicherer wäre es daher, auch bei Staatsanleihen die Eigenkapitalhinterlegung vorzuschreiben – und zwar vom ersten Euro an, gewichtet nach dem jeweiligen Risiko. So ließe sich dazu beitragen, die bislang engen Finanzbeziehungen zwischen Staaten und den nationalen Banken aufzubrechen. Das Scholz-Papier sieht das auch im Prinzip vor. Allerdings bleibt der Finanzminister äußerst vage und will diese Eigenkapitalhinterlegung erst ab einer gewissen Schwelle einführen. Das ist wenig ambitioniert. Scholz macht das Thema so zur politischen Verhandlungsmasse.
In den Bankbilanzen schlummern aber noch weitere Risiken. Ein Blick in die Aktivseite, also die Kreditbücher europäischer Banken, verrät das. Während hierzulande lediglich ein bis zwei Prozent der Kredite ein erhebliches Ausfallrisiko ausweisen, ist dies in anderen Ländern viel dramatischer. In Italien fallen um die acht Prozent der Kredite in diese Kategorie, in Portugal ist es ähnlich. In Griechenland liegt der Wert sogar bei etwa 40 Prozent. Beim Abbau dieser „notleidenden Forderungen“ hat es Fortschritte gegeben. Das ist zu begrüßen. Aber es ist noch viel zu tun, denn die Bestände an diesen sognannten NPL (non-performing loans) liegen nach wie vor weit über Vorkrisenniveau.
Diese Unterschiede sollte die Politik anerkennen und dafür sorgen, dass die Risiken konsequent abgebaut werden, anstatt auf einem ungleichen System aufzubauen. Was hilft eine Bankenunion, in der die Voraussetzungen der einzelnen Mitglieder gar nicht miteinander zu vergleichen sind? Machen wir damit nicht denselben Fehler erneut, der zu Beginn der Währungsunion gemacht wurde und danach mühsam – und mit überschaubarem Erfolg – mit der EU-Schuldenbremse erst korrigiert werden musste?
Der Vergleich mag hinken. Aber er zeigt, was mitunter das Problem am europäischen Integrationsprozess ist: Die Reihenfolge der Entscheidungen stimmt nicht. Sie muss später mühsam, mit enormem Kraftaufwand, korrigiert werden. Die Gefahr bei den Scholz-Vorschlägen: Wer Risiken teilen will, anstatt sie abzubauen, der versündigt sich an der Stabilität.
Vielfalt und Solidität erhalten
Um diese Stabilität zu verbessern, ist auch schon viel passiert. Die Branche hat aus der Finanzkrise gelernt. Die gesetzlich vorgegebene Regulatorik hat Fortschritte gemacht. In der EU existiert seither eine gemeinsame Aufsicht. Auch die Abwicklung maroder Banken steht auf einer festen neuen Grundlage. Die Einlagen von Sparern sind sicher. Jede Bank muss einem Einlagesicherungssystem angehören, das Einlagen bis zur Höhe von 100.000 Euro pro Sparer und Bank absichert. Kreditinstitute müssen ihre Geschäfte mit mehr Eigenkapital hinterlegen. Mit diesen Maßnahmen ist das Bankensystem heute sicherer und stabiler als vor der Krise.
Die geplante europäische Einlagensicherung EDIS (European Deposit Insurance Scheme) trägt aus Sicht der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken nicht dazu bei, das europäische Bankensystem weiterzuentwickeln. Eine Bankenunion, die auf Stabilität in Vielfalt basiert, sollte zum Ziel haben, nationale Sicherungssysteme weiter zu stärken und nicht Risiken auf die Gemeinschaft zu übertragen. Denn selbst wenn die europäische Komponente zunächst als reines Rückversicherungssystem angelegt ist, stellt sich die Frage: Wer zahlt am Ende wirklich zurück? Die Gefahr besteht, dass der Einstieg in EDIS gleichzeitig den Einstieg in eine Transferunion bedeutet, die keinerlei Anreize mehr gibt, die eigenen Hausaufgaben zu erledigen, weil man sich auf gesamteuropäische Systeme verlassen kann.
Die Leidtragenden einer solchen Entwicklung wären vor allem kleine und nicht komplexe Institute, wie die Genossenschaftsbanken. Dabei sind sie das beste Beispiel für erfolgreiche Krisenprävention. Ihre Sicherungssysteme setzen nicht auf die Reparatur im Nachhinein zulasten der Allgemeinheit. Die Institutssicherung setzt auf eine laufende Überwachung und springt schon ein, wenn sich Probleme eines einzelnen Instituts abzeichnen. Welchen Beitrag zu mehr Stabilität im Bankensystem soll es bringen, jetzt solche Institute zusätzlich zu belasten? Prävention statt Finanzierung eines komplexen Reparaturbetriebs – das sollte die Leitidee einer europäischen Bankenunion sein. Doch dieser Gedanke fehlt in Scholz‘ Konzept fast völlig. Das ist eigentlich paradox. Denn das Drei-Säulen-Modell mag zwar eine deutsche Besonderheit sein, aber eine, die sich in den vergangenen Jahren bewährt hat. Und das will man jetzt preisgeben?
Aber Scholz geht sogar noch weiter: Seine Vorschläge sehen eine Haftungsverschränkung zwischen den drei Säulen vor. Das geht aus einer Fußnote des „Non-Papers“ hervor – bezeichnenderweise der einzigen auf acht Seiten. Unter Bezugnahme auf das von ihm angedachte europäische Rückversicherungssystem heißt es da lapidar: „Die deutschen Einlagensicherungssysteme könnten diese Anforderung durch einen Ausgleichsmechanismus untereinander erfüllen.“ Klingt harmlos. Doch was Scholz da schreibt, bedeutet nicht weniger, als dass die Regionalbanken mit ihren bewährten, gut gefüllten und lang aufgebauten Sicherungssystemen zunächst einmal für den ganzen Bankensektor in Deutschland mithaften sollen. Die soliden Bankengruppen sollen das ausgleichen, was die anderen selbst nicht geschafft haben. Das ist mit Sicherheit nicht der große Wurf, der Europa voranbringt.
Hinzu kommt: Die Institutssicherung der Genossenschaftsbanken lebt vom Einstehen füreinander, der gegenseitigen Kontrolle und der Ahndung von hohen Risiken über steigende Versicherungsbeiträge. Großbanken kennen ein solches System nicht. Und auch das, was bei Scholz unter dem Schlagwort „Vollendung der Bankenunion“ firmiert, sieht den Dreiklang von Solidarität, Kontrolle und Ahndung nicht vor.
Bärendienst für die Stabilität
Blinder Aktionismus und der Wille, unter dem Deckmantel der europäischen Integration ein System durchzudrücken, das die logische Schrittfolge vertauscht, schaden am Ende mehr als sie nutzen. Bevor man das Wort Bankenunion überhaupt in den Mund nimmt, sollte es darum gehen, Risiken abzubauen. Denn diese zu vergemeinschaften führt in eine reine Transferunion und erweist der doch eigentlich angestrebten Stabilität einen Bärendienst. Nicht zuletzt gehen die Vorschläge zulasten der Vielfalt und bringen ausgerechnet die bewährtesten Sicherungssysteme in Gefahr.
Vermutlich meint Finanzminister Scholz, er bringe die Diskussion voran, indem er den Mitgliedsstaaten ein Zielbild der Bankenunion vor die Nase hält wie dem störrischen Esel die Karotte. Es besteht aber die Gefahr, dass Scholz die Karotte zu nah vor die Schnauze hält. Dann folgt am Ende ein beherzter „Happs“, und die Karotte ist verspeist, bevor sich der Esel auch nur einen Schritt in die gewünschte Richtung bewegt hat.