Bürokratie: Praxisferne Verbraucherschutzregeln verwirren viele Bankkunden. Wenn sie dadurch das Interesse an qualifizierter Finanzberatung verlieren, droht eine Servicewüste.
1. Informationsflut reduzieren
Der Hintergrund: Wenn Privatkunden ein Immobiliar- oder Verbraucherdarlehen aufnehmen möchten, dann muss ihnen die Bank dazu Informationsblätter aushändigen. Drei Beispiele:
ESIS-Merkblatt
Vor dem Abschluss eines Immobiliardarlehens erhalten Verbraucher auf Grundlage der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie (WIKR) ein „Europäisches Standardisiertes Informations-Merkblatt“ (ESIS-Merkblatt). Dieses enthält wesentliche Informationen zum Darlehen wie den Sollzins, die Kosten und die Laufzeit. Es soll kurz und knapp über die wichtigsten Eckdaten der Finanzierung informieren. Ebenfalls enthalten sind Angaben zum Effektivzins, was die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Kreditangebote erleichtern soll. Die Bank muss das ESIS-Merkblatt unverzüglich ausstellen, sobald die Angaben zur Kreditwürdigkeitsprüfung vorliegen.
Referenzwert-Dokument
Schließen Kunden ein Verbraucher- oder Immobiliardarlehen ab, erhalten sie ein sogenanntes Referenzwert-Dokument. Damit können sie sich über den verwendeten Referenzwert-Zinssatz (zum Beispiel Euribor) und dessen mögliche Auswirkungen auf ihren Kredit informieren.
VVI-Beratung
Kunden, die ein Immobiliardarlehen abschließen, erhalten von der Bank zudem ein Informationsblatt zur Kreditvermittlung und Beratung, die sogenannte „Vorvertragliche Information zur Beratung“ (VVI Beratung). Darin muss das Kreditinstitut darüber informieren, in welchem Umfang es berät und ob es Darlehen anderer Kreditgeber vermittelt.
Das Problem: In der Praxis führt bereits das ESIS-Merkblatt zu eklatanten Problemen. So sind bei Immobiliardarlehen auch Auskünfte zum geschätzten Wert der Immobilie sowie zur Beleihungsgrenze vorgeschrieben. Für die Kreditvergabe-Entscheidung sind aber beide Werte irrelevant, da sie bei der Kreditwürdigkeitsprüfung laut WIKR keine maßgebliche Rolle spielen dürfen. Zudem ist nicht klar definiert, welcher Immobilienwert im Merkblatt anzugeben ist: Der Marktwert, der für interne Zwecke ermittelte Beleihungswert oder ein anderer, als „nachhaltig“ anzusehender Wert. Das schafft bei den Verbrauchern keine Klarheit, sondern Verwirrung.
Ebenso problematisch sind die Vorschriften zu den Effektivzinsen. Denn Allfinanzanbieter wie die Volksbanken und Raiffeisenbanken oder die Sparkassen, die sowohl Darlehen als auch Versicherungen anbieten, müssen etwa die Kosten für die obligatorische Feuerversicherung berücksichtigen. Andere Anbieter können darauf verzichten. Folglich sind die im ESIS-Merkblatt ausgewiesenen Effektivzinsen nicht mehr vergleichbar.
Realitätsfern ist auch die Pflicht, das ESIS-Merkblatt unverzüglich nach Vorliegen der Angaben zur Kreditwürdigkeitsprüfung vorzulegen. Da die Konditionen häufig erst im Nachhinein geklärt werden, erhält der Kunde zu diesem Zeitpunkt Zahlen auf spekulativer Basis. Daher werden in der Praxis oftmals zwei ESIS-Dokumente ausgehändigt (Erst- und Zweit-ESIS).
Überflüssig ist das Referenzwert-Dokument. Der für Verbraucher maßgebliche Referenzwert steht bereits im ESIS-Merkblatt. Die Folge in der Praxis: Die doppelten Informationsblätter helfen den Kunden nicht, sondern verwirren sie. Genauso unnötig ist das gesonderte Informationsblatt VVI Beratung. Vergleichbare Regeln gibt es nicht einmal im streng regulierten Wertpapiergeschäft. Dass Banken Beratungsleistungen anbieten, ist die natürliche Erwartung jedes Kunden, der sich wegen einer Finanzierung an sie wendet. Eine ausreichende Information ist durch das ESIS-Merkblatt sichergestellt.
Die Lösung: Die EU-Kommission will die WIKR 2019 überprüfen. Sie sollte in diesem Rahmen beim ESIS-Merkblatt korrigierend eingreifen. Ziel muss es sein, praxistauglichere Regeln aufzustellen. Der Gesetzgeber sollte daher die Mindestinhalte des Merkblatts überprüfen und die Angaben zum geschätzten Wert der Immobilie und zur Beleihungsgrenze streichen. Ebenso sollten die Kosten einer Feuerversicherung bei der Berechnung des Effektivzinses nicht berücksichtigt werden müssen. Stattdessen sollten die Verbraucher ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass der Abschluss einer Feuerversicherung erforderlich ist. Ebenso sollte darauf hingearbeitet werden, dass das ESIS-Merkblatt nicht „unverzüglich“, sondern „rechtzeitig“ vor Vertragsabschluss ausgehändigt werden muss. Die Überprüfung der WIKR bietet auch die Chance, das Informationsblatt VVI Beratung abzuschaffen, da es überflüssig ist. Auch das Referenzwert-Dokument ist ein Fall für den Papierkorb. Anlass zur Überarbeitung bietet die Überprüfung der Benchmark-Verordnung, die die Kommission bis zum Januar 2020 durchführen muss.
2. Informationsblätter einheitlich gestalten
Der Hintergrund: Auch bei der Wertpapierberatung erhalten Anleger eine Vielzahl von Informationsblättern, die über Art, Risiko und Kosten eines Finanzprodukts aufklären sollen. Insgesamt existiert ein halbes Dutzend solcher Informationsblätter. Je nach Art des Finanzinstruments schreibt der Gesetzgeber unterschiedliche Mindestinhalte vor. Zu den geläufigsten Informationsblättern gehören
- die „Wesentlichen Anlegerinformationen“ (wAI) für Investmentfonds,
- das „Basisinformationsblatt“ (BIB) für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte (sogenannte PRIIPs),
- das „Produktinformationsblatt“ (PIB) für Aktien
und andere Wertpapiere sowie die Ex-Ante-Kosteninformation, die für jedes Produkt die individuellen Kosten ausweist.
Das Problem: Viele Banken berichten, dass Kunden die Angaben und Formulierungen in den Informationsblättern als schwer verständlich empfinden. Zudem sind sie von der Vielzahl der Informationsblätter verwirrt. Das eigentliche Ziel des Gesetzgebers, die Transparenz und Vergleichbarkeit der Produkte zu verbessern, wird verfehlt. Das gilt insbesondere, da die Berechnungsmethoden für die Wertentwicklungsszenarien und Kosten in den Informationsblättern unterschiedlich sind. Mit Auslaufen einer Übergangsfrist Ende 2019 muss bei bestimmten Investmentfonds sogar neben den wAI zusätzlich das BIB zur Verfügung gestellt werden.
Die Lösung: Der europäische Gesetzgeber muss produktübergreifend eine einheitliche Darstellung und einheitliche Berechnungsmethoden der Informationsblätter regeln. Die Aussetzung der Anwendung der PRIIPs-Verordnung auf Investmentfonds muss verlängert werden, sodass Kunden nicht für ein und dasselbe Produkt zwei Informationsblätter erhalten.
3. Schriftform bei Verbraucherdarlehen lockern
Der Hintergrund: Die EU-Verbraucherkreditrichtlinie verlangt keine Schriftform für den Abschluss eines Verbraucherkreditvertrags. Bei der Umsetzung der Richtlinie im Jahr 2010 entschied sich der deutsche Gesetzgeber jedoch dafür, es grundsätzlich bei der schon früher im deutschen Recht geltenden Schriftformerfordernis zu belassen. Das bedeutet, dass der Vertrag in gedruckter Form vom Kunden handschriftlich zu unterzeichnen ist. Um der Vorgabe der E-Commerce-Richtlinie zu entsprechen, ließ der Gesetzgeber die Möglichkeit des elektronischen Vertragsabschlusses mittels qualifizierter elektronischer Signatur zu. Dazu benötigt der Kunde allerdings die entsprechende Ausrüstung wie den neuen Personalausweis und ein Kartenlesegerät. Zu einer weiteren Liberalisierung, wie etwa der Unterschrift mittels elektronischem Unterschriftenpad („PenPad“), hat sich der deutsche Gesetzgeber bisher nicht durchringen können.
Das Problem: Die erforderliche Schriftform verkompliziert den Abschluss von Kreditverträgen und geht über die europäischen Vorgaben hinaus. Das Europarecht kennt im Kreditbereich keine entsprechenden Formvorschriften. Unter Verbraucherschutzaspekten lässt sich die Schriftform nicht begründen. Die Textform würde dem berechtigten Informationsinteresse des Verbrauchers ausreichend Rechnung tragen. Vor Vertragsunterzeichnung erhält der Kunde ohnehin schon vorvertragliche Informationen. Weiteren Schutz gewährleistet das 14-tägige Widerrufsrecht.
Die Lösung: Der deutsche Gesetzgeber sollte auf das Schriftformerfordernis und den damit verbundenen Zwang zu einer qualifizierten elektronischen Signatur verzichten. Dadurch erleichtert er den digitalen Vertragsabschluss.
4. Auf Telefonmitschnitt bei der Wertpapierberatung verzichten
Der Hintergrund: Seit Inkrafttreten der Finanzmarktrichtlinie MiFID II müssen alle telefonischen Gespräche zur Anlageberatung mit Kunden aufgezeichnet werden. Es ist unerheblich, ob es zu einem Abschluss kommt oder nicht.
Das Problem: Die Aufzeichnungspflicht ist ein tiefgreifender Eingriff in die Privatsphäre des Kunden, die im ähnlichen Ausmaß nirgendwo sonst in der Beratungsdokumentation vorkommt. Das stößt bei vielen Kunden auf Unverständnis. Aufträge werden deshalb immer wieder abgebrochen. Wegen der hohen Kosten zur Bereitstellung der Infrastruktur wird der Kommunikationskanal „Telefon“ zudem von einigen Banken nicht mehr angeboten.
Die Lösung: In der 2019 anstehenden Überprüfung der MiFID II muss darauf hingewirkt werden, dass Kunden auf die telefonische Aufzeichnung verzichten dürfen. Alternativ sollte – wie bereits beim persönlichen Gespräch verbindlich – eine schriftliche Notiz des Beraters zur Dokumentation des Gesprächsverlaufs ausreichen.
5. Nachträgliche Zustellung der Ex-ante-Kosteninformationen ermöglichen
Der Hintergrund: Seit Inkrafttreten der Finanzmarktrichtlinie MiFID II sind Banken verpflichtet, ihre Kunden unter anderem bei der telefonischen Order vor Abschluss eines Geschäfts (ex ante) über die damit verbundenen Kosten zu informieren. Dabei ist unerheblich, ob es vorher eine Beratung gab oder nicht. Die Ex-Ante-Kosteninformation muss dem Kunden rechtzeitig schriftlich zur Verfügung gestellt werden. Ein freiwilliger Verzicht ist gesetzlich nicht geregelt.
Das Problem: Kunden, die kein E-Postfach oder keine E-Mail-Adresse besitzen, wird die telefonische Order von Wertpapieren beinahe unmöglich gemacht. Zudem führen die neuen Anforderungen dazu, dass sich die telefonische Abwicklung beim Kauf und Verkauf von Wertpapieren verzögert, da der Kunde sein E-Postfach oder sein E-Mail-Konto öffnen und den Erhalt der Ex-Ante-Kosteninformation bestätigen muss. Das verärgert Kunden insbesondere bei möglichen zwischenzeitlichen Kursschwankungen.
Die Lösung: Es wäre im Sinne der Kunden, zumindest erfahrenen Anlegern gesetzlich die Möglichkeit eines Verzichts auf die Ex-Ante-Kosteninformation einzuräumen – da sie in der Regel mit den Gebühren vertraut sind. Alternativ sollte es möglich sein, die Kosteninformation im Telefongeschäft nachträglich zuzustellen. Das ist heute bereits bei der Geeignetheitserklärung möglich.
6. Information zur Einlagensicherung praxistauglich gestalten
Der Hintergrund: Laut der europäischen Einlagensicherungsrichtlinie DGSD müssen Einleger vor Eröffnung eines Kontos und danach einmal jährlich schriftlich über die Zugehörigkeit ihrer Bank zur gesetzlichen Einlagensicherung informiert werden. Der Text ist vom Gesetzgeber gesetzlich vorgeschrieben.
Das Problem: Die Bankkunden zeigen kein Interesse an der jährlichen Information. Im Gegenteil: Das anlasslose Schreiben irritiert die Kunden, da sich am grundsätzlichen Schutzniveau der Einlagensicherung nichts geändert hat. Der Gesetzgeber konterkariert damit seine eigentlichen Ziele. Wenn sich Kunden über die Einlagensicherung informieren möchten, können sie das jederzeit auf der Webseite und mit dem Preisaushang. Ein weiteres Problem: Der gesetzlich vorgegebene Text ist für den Durchschnittskunden missverständlich. Viele Banken berichten von verunsicherten Kunden, die nicht herauslesen können, wann und bis zu welcher Höhe die Einlagensicherung zum Tragen kommt. Insbesondere die Bedeutung des Institutsschutzes wird nicht eindeutig erläutert.
Die Lösung: Kunden sollten den Informationsbogen nur einmalig bei der Aufnahme der Geschäftsbeziehung und bei rechtlichen Änderungen der Einlagensicherung erhalten. Die DGSD-Richtlinie sollte entsprechend angepasst werden. Außerdem sollte der Gesetzgeber die Funktion des Institutsschutzes im gesetzlich vorgeschriebenen Text klarstellen oder die Möglichkeit ergänzender Informationen einräumen.
7. Formvorgaben entbürokratisieren
Der Hintergrund: Die EU-Zahlungskontenrichtlinie zur Entgelttransparenz eröffnet Verbrauchern in Europa die Möglichkeit, Bankleistungen besser zu vergleichen. Dazu wurden die Banken verpflichtet, den Kunden eine jährliche Gesamtaufstellung aller gezahlten Entgelte je Konto (Entgeltaufstellung) sowie standardisierte Informationen vor Vertragsabschluss (Entgeltinformation) zur Verfügung zu stellen. Dabei müssen die vorvertragliche Entgeltinformation und die regelmäßige Entgeltaufstellung bei Girokonten konkret definierte drucktechnische Vorgaben erfüllen. So will der Gesetzgeber eine Vergleichbarkeit sicherstellen. Dabei werden sogar das Farbschema oder die Schriftgröße der Informationsblätter vorgeschrieben.
Das Problem: Die Formvorgaben sind überzogen und verhindern, dass die Banken die Informationen mittels Kontoauszugsdrucker erstellen können. Die formalen Vorgaben gehen zudem deutlich über diejenigen für Ex-Ante und Ex-Post-Kosteninformationen im Wertpapierbereich hinaus.
Die Lösung: Um die Informationsblätter vergleichbar zu machen, genügen Vorgaben über den Inhalt und die zu verwendenden Begrifflichkeiten. Entscheidend für den Verbraucher ist vor allem der Informationsgehalt. Die Überprüfung der EU-Zahlungskontenrichtlinie im Jahr 2019 sollte daher zum Anlass genommen werden, die Formvorgaben zu entbürokratisieren.