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Wenn Kunden der Raiffeisenbank Westkreis Fürstenfeldbruck bei einem Beratungstermin mal wieder daumendicke Papierstapel überreicht bekommen, halten sie mit ihrer Meinung selten hinter dem Berg. „So ein Schmarrn“ heißt es dann immer wieder, wie Vorstand Werner Seissler berichtet. „Die Papierflut verunsichert und verwirrt die Kunden, weil sie die Menge an Informationen gar nicht erfassen können“, sagt er. Abgesehen davon seien die Dokumente für Laien kaum verständlich. Seissler: „Viele wollen die Unterlagen am besten gleich in der Bank entsorgen, ohne sie zu lesen.“

Eine Flut an neuen Regeln

Die Informationsflut ist eine Folge der Finanzkrise. In den vergangenen Jahren erließen die Gesetzgeber eine Vielzahl neuer Vorschriften, die das Verhältnis zwischen Bank und Kunde vom Zahlungsverkehr über die Kreditvergabe bis hin zur Wertpapierberatung neu regeln. Dazu gehören die Finanzmarktrichtlinie MiFID II, die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD, die Zahlungsdiensterichtlinie PSD II, die Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten PAD, die Wohnimmobilienkreditrichtlinie WIKR oder die „Verordnung über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte“ PRIIPs.

Inzwischen zeigt sich in der Praxis, dass die zahlreichen neuen Regeln ihre ursprünglichen Ziele teilweise verfehlen. Statt die Verbraucher zu schützen, werden diese teilweise sogar bevormundet und bei ihren Bankgeschäften behindert. Kritik daran kommt längst nicht nur von erfahrenen Bankern wie Werner Seissler. Beispielsweise klagte der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück zuletzt in einem Zeitungsinterview: „Wenn ich als Privatanleger für jedes Wertpapier seitenlange Formulare vorgelegt bekomme, hat das mit transparenter Information doch nichts mehr zu tun, das liest doch kein Mensch.“ Und Gerd Billen, Staatssekretär im Bundesverbraucherschutzministerium und von 2007 bis 2013 Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), ärgerte sich gegenüber Journalisten, dass ihm beim Abschluss eines privaten Immobiliendarlehens für den Kauf einer Wohnung ein zentimeterhoher Stapel Papier überreicht wurde – und die für ihn wichtigen Informationen kaum zu finden waren.

Selbst der aktuelle vzbv-Chef Klaus Müller, qua Amt Verfechter eines umfassenden Verbraucherschutzes, zeigt sich bei der Ausgestaltung der neuen Regeln skeptisch: „Bei einigen Bankmitarbeitern mag allein die Ausdifferenzierung der Regeln zur Anlageberatung nach der neuen EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID 2 zu Schweißausbrüchen führen. Denn was als Weiterentwicklung des bisherigen Anlegerschutzes gestartet ist, kann im Ergebnis als detaillierte Anleitung zur Durchführung einer Beratung gelesen werden – leider ohne echten Mehrwert für Kunden“, schrieb Müller in einem Gastbeitrag.

Informationsmaterialien stoßen auf wenig Interesse

„Finanzieller Verbraucherschutz ist essenziell, weil es in jeder Branche schwarze Schafe gibt", sagt Werner Seissler. Doch wenn er die Kunden überfordert und bevormundet, dann habe er sein Ziel verfehlt. Mit dieser Meinung steht Seissler nicht alleine da. Bei einer Umfrage des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) haben 96 Prozent der teilnehmenden Mitgliedsinstitute angegeben, dass die ausgehändigten Unterlagen bei ihren Kunden auf „wenig“ oder „gar kein“ Interesse stoßen.

Die Verbandserhebung kann eine wissenschaftliche Studie zu den Auswirkungen des finanziellen Verbraucherschutzes nicht ersetzen. Diese Aufgabe hat die Ruhr-Universität Bochum im Auftrag der Deutschen Kreditwirtschaft übernommen. Demnächst sollen erste Ergebnisse vorliegen, wie sich die seit Jahresbeginn geltenden MiFID-Regeln auf den Wertpapiervertrieb auswirken. Vorab zeigt die praxisorientierte GVB-Befragung Problemfelder des finanziellen Verbraucherschutzes auf, die sich so zusammenfassen lassen:

  1. Pflichtinformationen schaffen zu selten Klarheit, sondern verwirren und verunsichern viele Kunden.
  2. Verbraucher werden durch regulatorische Vorgaben beim Abschluss von Bankgeschäften behindert.
  3. Die Entscheidungsfreiheit der Kunden in Finanzangelegenheiten wird beschnitten.

Damit wird deutlich, dass sich viele Bankkunden nicht nur an Qualität und Quantität der ausgehändigten Informationsmaterialien stören. Sie kritisieren auch Hürden und Bevormundung durch geltende Verbraucherschutzvorschriften. Wer zum Beispiel einen Aktienfonds oder eine Anleihe kauft, muss vor Abschluss des Geschäfts eine Aufstellung über die damit verbundenen Kosten („Ex-ante-Kosteninformation“) erhalten. Das ist die geltende Rechtslage seit Inkrafttreten von MiFID II. Für Kunden, die nur sporadisch mit Wertpapieren handeln, ist das eine hilfreiche Informationsquelle. Bei erfahrenen Anlegern, die ihre Orders ihrem Berater telefonisch übermitteln, kommt es hingegen zu Erschwernissen. Denn die Kostenübersicht kann im Vorfeld der Ordereingabe nur über ein Postfach im Onlinebanking-Portal der Bank (E-Postfach) oder per E-Mail bereitgestellt werden. Wenn der Kunde darüber nicht verfügt und auch kein E-Postfach eröffnen will, bleibt ihm de facto nur ein Ausweg: Er kann sich die Kosteninformationen am Telefon vorlesen lassen. Das dauert.

Hoch umstritten ist darüber hinaus die zwingende Aufzeichnung von telefonischen Wertpapierorders. Seit dem Start von MiFID II sind Banken dazu verpflichtet, Telefongespräche im Wertpapiergeschäft mitzuschneiden. Verbraucher sind längst daran gewöhnt, beim Kontakt mit Telefon-Hotlines nach ihrer Einwilligung zur Aufzeichnung von Gesprächen gefragt zu werden. Wer besonderen Wert auf Privatsphäre und Datenschutz legt, lehnt ab. Bei einer telefonischen Wertpapierorder gibt es diese Wahlmöglichkeit jedoch nicht. Insbesondere erfahrene Anleger, die mit Risiken und Kosten einer Anlage vertraut sind, können das nicht nachvollziehen.

„Die vielen überzogenen Verbraucherschutzregeln erzeugen beim Kunden ein negatives Grundrauschen.“

Thomas Koch kennt das Problem aus eigener Anschauung. „Viele Kunden, die bei uns telefonisch Wertpapiere ordern, wollen die Aufzeichnung nicht. Sie interpretieren das als massiven Eingriff in ihre Grundrechte“, berichtet der Vorstand der Raiffeisenbank Chamer Land. „Einige haben das Gespräch auch schon abgebrochen, als sie gehört haben, dass wir aufzeichnen müssen.“ Koch sieht dadurch auch das Vertrauensverhältnis zwischen Bank und Kunde belastet: „Die vielen überzogenen Verbraucherschutzregeln erzeugen beim Kunden ein negatives Grundrauschen, obwohl wir allein rechtliche Tatbestände erfüllen. Aber dafür hat der Kunde kein Verständnis.“

Gefahr struktureller Veränderungen

Wenn sich nicht bald etwas ändert, befürchtet der Vorstand der Raiffeisenbank Chamer Land strukturelle Veränderungen in der Finanzberatung zum Nachteil der Kunden. „Unsere internen Kosten für die Beratung steigen durch die überzogenen Verbraucherschutzvorschriften massiv. Gleichzeitig geht immer mehr Gesprächszeit für die Erläuterung von Formularen drauf, während die eigentliche Beratung zu kurz kommt“, so Koch. Irgendwann rechne sich die Betreuung bestimmter Zielgruppen nicht mehr. „Der Gesetzgeber will einen möglichst umfassenden Verbraucherschutz, aber dadurch bringt er die Geschäfte zum Erliegen, weil er die Kosten in die Höhe treibt. Das konterkariert die eigentlich hehren Ziele der Politik“, kritisiert der Vorstand.

Weil die Menschen bei der Nutzung digitaler Angebote deutlich weniger bürokratischen Aufwand haben, werden sie künftig vermehrt im Internet Finanzdienstleistungen abschließen, befürchtet Koch. „Die Kunden verstehen nicht, warum sie bei Internetvergleichsportalen in wenigen Minuten eine Investmentfondsanlage abschließen können, der gleiche Vorgang aber bei einer Beratung von Mensch zu Mensch aufgrund der regulierungsbedingten Anforderungen viel länger dauert.“

Erste Banken schränken Wertpapierberatung ein

Bei den bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken ziehen sich schon erste Institute aus der Wertpapierberatung zurück oder schränken sie ein. „Das heißt in der Konsequenz, dass der Kunde mit seinen Bedürfnissen alleine bleibt, in den grauen Finanzmarkt abdriftet oder sich irgendwelchen Anlagerobotern im Internet zuwendet“, warnt Jürgen Gros, Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). „So entstehen regulierungsbedingte Servicewüsten mit limitierten Beratungsangeboten. Das kann nicht im gesellschaftlichen Interesse sein“, so Gros. Er fordert deshalb die Bundesregierung auf, die im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD versprochene Evaluierung des finanziellen Verbraucherschutzes zügig und mit großer Ernsthaftigkeit anzugehen. Bundesverbraucherschutzministerin Katarina Barley hat sich dazu schon positioniert: „Die Papierstapel in der Finanzberatung werden in Zukunft wieder dünner, das ist mein klares Ziel.“

„Durch die Fülle an Verbraucherschutzinformationen wird das Ziel der Transparenz ins Gegenteil verkehrt. Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.“

Mit der Evaluierung greift die Bundesregierung eine Empfehlung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auf: Die fünf Wirtschaftsweisen forderten bereits in ihrem Jahresgutachten 2017/18, ineffektive Regulierungen im Finanzsektor zu identifizieren und gegebenenfalls abzuschaffen. Wörtlich heißt es in dem Gutachten: „Dies betrifft insbesondere den Bereich des Verbraucherschutzes, der sich einer Evaluierung bislang weitgehend entzogen hat und mit hohen Kosten für die Finanzinstitute verbunden ist.“

Die Raiffeisenbank Westkreis Fürstenfeldbruck und die Raiffeisenbank Chamer Land bieten trotz des hohen Aufwands und der umfangreichen Dokumentation weiterhin eine umfangreiche Beratung an, auch zu Wertpapieren. „Das sind wir unseren Kunden schuldig“, sagt Vorstand Seissler von der Raiffeisenbank Westkreis Fürstenfeldbruck. Er hofft wie sein Kollege Thomas Koch von der Raiffeisenbank Chamer Land auf ein Einsehen der Politik: „Durch die Fülle an Verbraucherschutzinformationen wird das Ziel der Transparenz ins Gegenteil verkehrt. Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.“

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