Bürokratie: Praxisferne Verbraucherschutzregeln verwirren viele Bankkunden. Wenn sie dadurch das Interesse an qualifizierter Finanzberatung verlieren, droht eine Servicewüste.
Erinnern Sie sich an den Tweet der 17-jährigen Schülerin Naina, dass sie zwar in mehreren Sprachen Gedichte analysieren könne, aber von Steuern, Miete oder Versicherungen keine Ahnung habe? Sie hat damals eine Riesenwelle zum Thema Bildung, insbesondere ökonomische und finanzielle Bildung, ausgelöst. Ihre Meinung tut sie heute nicht mehr bei Twitter kund, sondern als Kolumnistin bei „Orange“, dem Handelsblatt-Ableger für Schüler und Studenten.
Zur finanziellen Bildung ist nach viel medialer Empörung die Diskussionswelle jedoch wieder abgeebbt, getan hat sich nicht viel. Dabei gehört das Thema durchaus zu den aktuellen Megatrends und sollte in einem Atemzug mit Digitalisierung, Demografie oder Urbanisierung genannt werden. Finanzbildung ist eines der ganz großen Zukunftsthemen, denn es geht dabei darum, den Wohlstand in Deutschland auch zukünftig zu erhalten.
„Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“
Tweet von Schülerin Naina, Anfang 2015 (mittlerweile gelöscht)
Eigenverantwortung übernehmen
Nicht nur bei der privaten Altersvorsorge, sondern bei allen Themen rund um Geld und Finanzen werden die Menschen in Zukunft immer mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen. Der Staat wird sich weiter zurückziehen und das Zinsniveau wird sich auf absehbare Zeit nicht gravierend nach oben bewegen. Um in Finanzdingen tragfähige und zukunftssichernde Entscheidungen zu treffen, braucht es ein gewisses Maß an Wissen. Menschen, insbesondere auch junge Menschen, sollten persönliche Kompetenzen haben, die sie befähigen zu verstehen, worauf es ankommt, Dinge richtig einordnen zu können und damit urteilsfähig zu sein. Finanzielle Bildung kann eine große Hebelwirkung für den Wohlstand der Gesellschaft entfalten und ist der beste Verbraucherschutz.
Einige Bundesländer gehen an ihren Schulen mit gutem Beispiel voran und beschäftigen sich in Pflichtfächern mit ökonomischer Bildung. Auch Finanzthemen könnten dort ihren Platz finden, wenn bei den Lehrerinnen und Lehrern entsprechende Kompetenzen aufgebaut werden. Was einfach klingt, scheint auf den zweiten Blick schwer, denn Experten sind sich einig, dass es oftmals leichter sei Schülerinnen und Schüler für das Thema Finanzbildung zu begeistern, als Lehrkräfte. Bis dahin, aber auch bereits heute, ergeben sich für die Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die genossenschaftliche FinanzGruppe vielfältige Möglichkeiten, auch auf diesem Terrain ihren genossenschaftlichen Förderauftrag wahrzunehmen.
Nichtwissen kostet Geld
Dass eine Verbesserung des Finanzwissens nötig ist, haben wir durch unsere Studien herausgefunden. Zwar ist für die Deutschen das Wissen über Geld und persönliche Finanzen der wichtigste Bildungsbereich – sogar noch vor noch vor Gesundheit, Politik und Ernährung. Aber: Viele Deutsche haben bei den wichtigen Themen rund um Geld und Finanzen große Defizite. Gleichzeitig überschätzen sie ihr Wissen bei Finanzthemen. Das bedeutet, dass ihnen ihr Mangel an Finanzwissen im Alltag möglicherweise gar nicht bewusst ist.
Dieses Nichtwissen könnte viele allerdings teuer zu stehen kommen. Denn die Auswirkungen falscher Entscheidungen beim Sparen oder beim Konsum sind enorm. Sieben Millionen Menschen gelten laut Creditreform als überschuldet, davon sind 14 Prozent unter 30 Jahre alt und stecken somit bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt ihres Lebens in der Schuldenfalle. Auch auf der Habenseite gibt es ernüchternde Zahlen. Im Vergleich zu normalen Zinsjahren sind den deutschen Sparern in den letzten sieben Jahren 344 Milliarden Euro an Zinsen entgangen. Ihr Geldvermögen wäre von 1999 bis zum vergangenen Jahr sogar um fast die Hälfte stärker gewachsen, wenn die Ersparnisse besser diversifiziert worden wären.
Schulen und Familie in der Verantwortung
Die Hauptverantwortung für die Vermittlung von Finanzwissen weisen die Experten in unserer Studie vor allem den Familien (73 Prozent), gefolgt von den Schulen (55 Prozent) zu. Besonders umstritten ist die Rolle der Schule. Nur jeder dritte Deutsche gibt an, dass ihm wichtiges, auch heute noch relevantes Finanzwissen in der Schule vermittelt wurde. Die befragten Experten signalisieren vor allem den Schulen, dass diese sich intensiver des Themas annehmen sollen. Impulse erwarten sie dabei von der Politik, die sich selbst aber deutlich weniger in der Verantwortung sieht.
Die Studie zeigt, dass die Schule nur ein Teil der Lösung ist, ihre Rolle aber trotzdem deutlich gestärkt werden sollte. 73 Prozent der Bevölkerung wünschen eine bessere Verankerung der Finanzbildung bereits in unteren Jahrgängen, 61 Prozent fordern dafür ein eigenes Schulfach. Überraschenderweise sieht ein Großteil der Befragten eine Lösung des Problems in der Öffnung der unternehmensinternen Weiterbildung. Vier von fünf Befragten halten es für chancenreich, das Thema Finanzbildung über innerbetriebliche Maßnahmen zu fördern. Es hat uns ein wenig überrascht, dass Finanzbildung als Teil des Arbeitsverhältnisses gesehen wird. Hier anzuknüpfen könnte aber durchaus ein weiterer wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer verbesserten Finanzbildung in Deutschland werden.
Ideen für eine bessere Finanzbildung
Die Studienergebnisse zeigen, wie groß der Handlungsbedarf ist. Daher ist es uns wichtig, die öffentliche Debatte über das Thema voranzubringen. Dies haben wir in den vergangenen Monaten unter anderem mit einem Experten-Workshop und einer großen Konferenz in Berlin getan. Aus dem Workshop heraus ist ein Arbeitspapier mit zehn Erkenntnissen und Ideen zur Verbesserung des Finanzwissens entstanden. Bei unserer Konferenz haben wir rund 130 Gästen aus der genossenschaftlichen FinanzGruppe, aus Politik, Wirtschaft und Verbraucherschutz Impulse und Einblicke gegeben, Gesprächsrunden und Diskussionen gehört und sind mit allen am Thema Interessierten in einen praxisnahen Dialog getreten. Dabei wurde auch die Frage erörtert, was die Genossenschaftsbanken tun könnten, um die Finanzbildung zu fördern. Hier lautete zum Beispiel ein Vorschlag, dass die Beratung wissensvermittelnder sein solle. Diese Wissensvermittlung dürfte nach Meinung der Experten gerne auch im Schulunterricht stattfinden. Banken sollten ein „Netzwerk zu Schulen aufbauen“ und „möglichst konkrete Hilfestellung“ geben.
Wie das funktionieren kann, zeigen viele Projekte in den Volksbanken und Raiffeisenbanken, auch in Bayern. Eines davon durften wir auf der Finanzbildungskonferenz präsentieren: „Woast’as?“ und „FETE“ der Volksbank Raiffeisenbank Rosenheim-Chiemsee. Immer wieder wurde zudem betont, wie wichtig der Austausch und die Vernetzung aller Akteure ist. Dem haben wir mit einer geschlossenen Gruppe im Business-Netzwerk „Xing“ Rechnung getragen. Dort tauschen sich seit einigen Monaten mittlerweile über 50 Personen unter der Überschrift „Über Geld spricht man (nicht)“ aus und können auf diese Weise miteinander in Verbindung bleiben.
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Auch in Zukunft werden wir uns bei Union Investment weiter intensiv um das Thema kümmern und uns einbringen – mit weiteren Studien, dem Ausbau des Netzwerks sowie Initiativen, die wir gemeinsam mit den Genossenschaftsbanken umsetzen werden. Denn die finanzielle Bildung in der Bevölkerung zu fördern ist ein wichtiges Ziel und gleichzeitig eine gesellschaftspolitische Herausforderung mit großem Einfluss auf den Wohlstand in unserem Land. Dieser Herausforderung werden wir uns stellen.
Hans Joachim Reinke kam 1991 zur Union Investment Gruppe, wo er zunächst als Vertriebsberater und dann als Bezirksdirektor Vertrieb tätig war. 2004 wurde er zum Vorstandsmitglied der Union Asset Management Holding berufen. Seit 2010 ist Reinke Vorstandsvorsitzender der gesamten Union Investment Gruppe. Seine berufliche Laufbahn startete er 1987 bei der Volksbank Wachtberg.