Bildungsbegleiter: Viele bayerische Kreditgenossenschaften entwickeln sich zu Omnikanalbanken. Eine neue Online-Plattform der ABG hilft ihnen, die Mitarbeiter dafür fit zu machen.
Neue Technologien, zunehmende Regulierung und verändertes Kundenverhalten führen dazu, dass die Volksbanken und Raiffeisenbanken ihre internen Abläufe in immer kürzeren Zeitabständen an neue Gegebenheiten anpassen müssen. Dazu benötigen sie schnelle und praxistaugliche Lösungen für ihr Prozessmanagement.
Schon bisher erarbeitet der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) zusammen mit den Regionalverbänden wie dem Genossenschaftsverband Bayern (GVB) Musterlösungen für Prozesse, die den Primärbanken anschließend zur Verfügung gestellt werden. Seit 2009 steht dafür das Werkzeug VR-Process bereit. Bisher verlief das Verfahren weitgehend linear. Neue Prozesse wurden entwickelt, geprüft, vom genossenschaftlichen IT-Dienstleister Fiducia & GAD programmiert und anschließend erprobt.
Diese zeitintensive Vorgehensweise stößt inzwischen jedoch an ihre Grenzen, weil die Umsetzungsfristen unter anderem durch Vorgaben der Bankenregulierung immer kürzer werden. Deshalb hat sich der Fachrat IT und Prozesse des BVR mit Unterstützung des GVB und der anderen Regionalverbände dazu entschlossen, das Prozessmanagement in der genossenschaftlichen FinanzGruppe neu auszurichten. Ziel ist es, den Banken über VR-Process in einer Art Baukasten schnell und mit möglichst viel Praxisbezug einsatzbereite Modellprozesse zur Verfügung zu stellen, die bei Bedarf noch feinjustiert werden können.
Um das Vorgehen zu beschleunigen, sollen alle Beteiligten frühzeitig eingebunden und die Arbeitsschritte eng verzahnt werden. „Effizienz ist Trumpf. Wir setzen große Erwartungen in die neue Struktur, um die Prozessentwicklung mit VR-Process auf ein neues Niveau zu heben. Dabei wollen wir nicht nur wie bisher das Präsenzgeschäft in den Filialen abbilden, sondern alle Abläufe und Strukturen in einer Omnikanalbank“, sagt Markus Hälmle, der das Projekt beim GVB verantwortet.
Was ist eigentlich ein Prozess?
Der Duden definiert einen Prozess – abgesehen von einem vor Gericht ausgetragenen Rechtsstreit – als einen „sich über eine gewisse Zeit erstreckenden Vorgang, bei dem etwas entsteht, sich herausbildet“. Auch bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken ist ein Prozess eine Kette von aufeinanderfolgenden, zusammenhängenden Handlungen. Einfachstes Beispiel: Der Kunde hat einen Wunsch (zum Beispiel möchte er Bargeld einzahlen, ein Konto eröffnen oder für das Alter vorsorgen), und die Bank kommt diesem Wunsch nach. Dieser Prozess wird in der Bankpraxis mit verschiedensten Handlungsanweisungen für den Berater oder Servicemitarbeiter verknüpft.
In der Regel sind die wesentlichen Schritte jedes Prozesses im IT-System der Bank hinterlegt. Dabei gibt die IT den Prozess nicht vor, sondern bildet ihn ab. So gibt der Bankberater zum Beispiel den Kundenwunsch in das IT-System ein und wird dann vom Programm Schritt für Schritt durch den Vorgang geleitet. So soll sichergestellt werden, dass alle für den Prozess relevanten regulatorischen Vorgaben eingehalten werden. Mit VR-Process sollen diese Prozesse und ihre Abbildung in der IT für die Volksbanken und Raiffeisenbanken möglichst effizient gestaltet werden.
Sieben Arbeitsgruppen erarbeiten Referenzprozesse
In einem ersten Schritt wurden sieben Prozessarbeitsgruppen gebildet, die sich unterschiedlichen Fachbereichen widmen. Damit die Praxiserfahrung der Primärinstitute von Anfang an in die Modellprozesse einfließt, wird jede Gruppe mit zwei Bankmitarbeitern, einem Vertreter des zuständigen Regionalverbands und einem Mitarbeiter der Fiducia & GAD besetzt. „Wir holen alle Beteiligten an einen Tisch. Damit erreichen wir eine deutlich schnellere Taktung bei der Entwicklung“, erklärt Hälmle das Prinzip. So können die Banken zum Beispiel Prozesse schon in der Entwicklungsphase auf ihre Praxistauglichkeit testen und Rückmeldungen geben, die dann von den Produktmanagern der Fiducia & GAD gemeinsam mit den Bankorganisatoren in die Vorgangsvorlagen eingearbeitet werden. Um das Verfahren zu erproben, wurden für jede Gruppe Referenzprozesse festgelegt, die als erstes neu ausgerichtet werden sollen.
Die Arbeitsgruppen und ihre Referenzprozesse
Kunde
Kundenwunsch aus Onlinevertrieb Kunde Passiv, Kundenprozesse, Intensivbetreuung und Problemkreditbearbeitung, Todesfall
Konto und Zahlungsverkehr
Privates Kontokorrentkonto Haben, Lastschriftenrückgabe, Überweisung, Pfändungsbearbeitung, Beratungsthema Liquidität
Private Finanzierung
VR Baufinanzierung, Privates Anschaffungsdarlehen, Private Überziehungsmöglichkeit, Beratungsthema Immobilie
Gewerbliche Finanzierung
Gewerbliche Finanzierung, Grundschuld
Geld- und Kapitalanlage
Sparbrief, Spareinlage, Tagesgeld, Termingeld, Mitgliedschaft, Bausparvertrag
Genossenschaftliche Beratung/Wertpapiergeschäft
Wertpapiergeschäft Depot B und Union-Depot, Kundenbeziehungsmanagement, Beratungsthema Absicherung, Beratungsthema Vorsorge, Beratungsthema Vermögen, Hausmeinung
Prozessmethodik
VR Process Quality, GENO-BPMN
Der GVB wird bei den Arbeitsgruppen „Konto und Zahlungsverkehr“ und „Prozessmethodik“ (VR-Process) federführend sein sowie die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Kunde“ prüfen. Außerdem verantwortet der GVB die Notation der Prozessmodellierung. Dazu wird die Software Adonis NP als Modellierungswerkzeug für alle Beteiligten bundesweit beim GVB gehostet.
Für die Prozessnotation kommt der Industriestandard BPMN 2.0 (Business Process Model and Notation) zum Einsatz. Dieser hat sich als neuer Standard für die Geschäftsprozessmodellierung binnen kurzer Zeit durchgesetzt. Mit BPMN lassen sich zum Beispiel – ähnlich wie bei einer Programmiersprache – betriebliche Abläufe oder Prozessmodelle mit einheitlichen Symbolen grafisch darstellen. Diese dienen dann als Grundlage für das Management der Arbeitsabläufe. Der Standard wurde an die Bedürfnisse der Volksbanken und Raiffeisenbanken angepasst (GENO-BPMN). „Weil alle das gleiche IT-System nutzen und mit GENO-BPMN sinnbildlich die gleiche Sprache sprechen, werden die Abläufe weiter beschleunigt“, erklärt Hälmle. Dabei wird der Prozess erst fachlich modelliert, ehe er in der IT abgebildet wird. „Das sind zwei Paar Schuhe, denn ein Prozess folgt einer Strategie und enthält Elemente, die sich oft nicht in der IT wiederfinden – zum Beispiel wie der Kunde zu begrüßen ist“, so Hälmle. Die ersten Referenzprozesse nach dem neuen Standard sollen den Volksbanken und Raiffeisenbanken voraussichtlich Mitte des Jahres 2019 über VR-Process zur Verfügung gestellt werden.
Auftakt bei der Freisinger Bank
Mitte November trafen sich alle Beteiligten zum Projektstart bei der Freisinger Bank eG Volksbank-Raiffeisenbank. Unter ihnen war auch Sandra Kronwitter, die ihre Erfahrungen in die Arbeitsgruppe Geld- und Kapitalanlage einbringt. „Unsere bisherigen Prozesse haben sich bewährt. Aber durch technische Neuerungen lassen sich viele Abläufe schlanker gestalten, etwa im Kundenservice. Diese Chance müssen wir nutzen“, sagt die Prozessmanagerin in der Unternehmensentwicklung bei der Raiffeisenbank im Oberland.
Außerdem sei es wichtig, die Prozesse über alle Vertriebskanäle hinweg einheitlich zu gestalten. „Es darf nicht passieren, dass ein Vorgang online in fünf Schritten abgeschlossen werden kann, der Berater dafür aber zehn Schritte braucht. Das würde niemand verstehen“, so Kronwitter. Sie erhofft sich durch das Projekt und die Beteiligung der Primärbanken kontinuierliche Verbesserungen bei den Prozessen: „Im Projekt ist es unsere Aufgabe, als Anwender in der Praxis Veränderungen anzustoßen. Denn wir wissen, wo es noch Optimierungspotenzial gibt.“
Prozesse aus Anwendersicht gestalten
Jasmin Serbinek arbeitet in der Gruppe Wertpapier- und Vermittlungsgeschäft mit. Das Ziel der Leiterin UnternehmensProzesse der VR-Bank Erlangen-Höchstadt-Herzogenaurach: Die Prozesse aus Anwendersicht gestalten und omnikanalfähig machen. Durch die Diskussion mit Kollegen und Experten erhofft sie sich viele gute Ansätze aus der Praxis, die dann in die Prozessmodellierung einfließen. „Wir brauchen rechtlich sichere, aber alltagstaugliche Abläufe, die sich schnell an neue Bedingungen anpassen lassen. Der Nutzer sollte den Prozess intuitiv verstehen, auch wenn er ihn das erste Mal anwendet“, so Serbinek.
Als Beispiel nennt die Prozessmanagerin die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die Ende Mai 2018 in Kraft getreten ist. Bei der VR-Bank Erlangen-Höchstadt-Herzogenaurach mussten über 40 Hauptprozesse an die DSGVO angepasst werden. Dabei sei die Zeit ein kritischer Faktor, besonders bei der Regulatorik. „Manchmal dauert es, bis sich der Gesetzgeber zu den Details neuer Regeln auslässt. Dann wird die Frist knapp“, sagt Serbinek. „Es kommt immer wieder vor, dass der Gesetzgeber bis zur letzten Minute Aktualisierungen schickt, die dann noch in die Prozesse eingearbeitet werden müssen.“
Arbeit direkt am Ergebnis
In solchen Fällen sei eine kundenzentrierte Vorgehensweise bei der Prozessmodellierung von großem Vorteil, sagt Serbinek. „Wir arbeiten direkt am Ergebnis und erstellen nicht erst ein Fachkonzept, das bei der Umsetzung vielleicht schon wieder veraltet ist.“ Dafür brauche es benutzerfreundliche Modellprozesse, die aber nicht dogmatisch angelegt sind und hausinterne Lösungen zulassen. Serbinek: „Wie viele Unterschriften muss der Kunde bei einer Kontoeröffnung leisten? So wenige wie möglich, so viele wie nötig. Wir wollen es Kunden und Beratern möglichst einfach machen und gleichzeitig die Regulatorik einhalten. Das ist die große Kunst unserer Arbeit.“