Zustimmung: Jürgen Gros kommentiert die für die Volksbanken und Raiffeisenbanken zentralen Positionen des bayerischen Koalitionsvertrags.
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1. Missverständnis: Eine europäische Einlagensicherung schützt im Krisenfall vor panikartigem Einlagenabzug in einem hochverschuldeten Euroland.
Dazu meine ich: Wahrscheinlich nicht. Erfahrungen in Griechenland und Italien haben gezeigt: Nicht die Angst vor einer Bankenpleite an sich ist der Hauptgrund für den Abzug von Bankeinlagen. Eher sorgen sich die Anleger vor einem Euro-Austritt ihres Heimatstaats und damit vor einem Wertverlust ihrer Einlagen. Bislang ist nicht geklärt, ob eine europäische Einlagensicherung die Anleger in diesem Fall überhaupt entschädigen würde.
2. Missverständnis: Der europäische Einlagensicherungsfonds wird aufgrund seiner finanziellen Schlagkraft künftige Krisen im Euroraum verhindern.
Dazu meine ich: Ein europäischer Einlagensicherungsfonds wäre mit einer von der EU-Kommission gewünschten Zielausstattung von 0,8 Prozent der gedeckten Einlagen in der Tat umfangreicher als ein nationaler Fonds. Es sind jedoch weiterhin Szenarien realistisch, in denen auch die Mittel des europäischen Fonds nicht ausreichen. Sollten Sparer an seiner Ausstattung zweifeln, können Krisen in anderen Euroländern hervorgerufen werden. Eine schwere Bankenkrise mit Inanspruchnahme des europäischen Fonds in einem Euroland kann dann zu einer Panikreaktion in einem anderen Land mit ebenfalls angeschlagenem Bankensystem führen. Die Gefahr panikartiger Abzüge der Einlagen wäre dann lediglich von der nationalen auf die europäische Ebene verlagert.
3. Missverständnis: Eine europäische Einlagensicherung garantiert Anleger europaweit einen hohen Versicherungsschutz. Europas Bürger können davon nur profitieren.
Dazu meine ich: Eine auf Transfers ausgerichtete europäische Einlagensicherung führt dazu, dass die Anleger nicht mehr kritisch reflektieren, welche Risiken eine Bank eingeht. Es besteht die Gefahr eines Wettlaufs, in dem die Banken im Wettbewerb um möglichst attraktive Konditionen immer höhere Risiken eingehen. Heute gibt es bei den Einlagen auch einen Wettbewerb um Sicherheit. Mit EDIS würde lediglich der Wettbewerb um die Konditionen – auf Kosten eines stabilen Bankensystems – verbleiben. Dies kann nicht im Interesse der Sparer sein.
4. Missverständnis: Derzeit liegen Aufsicht und Haftung nicht auf einer Ebene. Beispielsweise ist die Bankenaufsicht bereits europäisch organisiert, die Einlagensicherung noch national. Eine europäische Einlagensicherung wird diese Unstimmigkeit auflösen.
Dazu meine ich: Nein, EDIS könnte diese Unstimmigkeit nicht auflösen. Denn im Finanzbereich sind die Zuständigkeiten in vielerlei Hinsicht nicht eindeutig der europäischen Ebene zugeordnet: Zum Beispiel entschied im Fall der Schieflage der italienischen Banco Popolare di Vicenza sowie der Veneto Banca die EZB als Bankenaufsicht über deren Abwicklung – durchgeführt wurde diese dann jedoch nach nationalem Insolvenzrecht. Mit einer europäischen Einlagensicherung würden zudem neue Diskrepanzen entstehen: Das Sicherungssystem wäre dann europäisch organisiert; zahlreiche für die Finanzstabilität relevante Faktoren, wie Teile der Regulierung und der Aufsicht, das Steuer- und Insolvenzrecht sowie die Industriepolitik verblieben hingegen auf nationaler Ebene.
5. Missverständnis: Banken haben in den letzten Jahren substanzielle Fortschritte beim Abbau notleidender Kredite erzielt, sodass die Voraussetzungen für eine europäische Einlagensicherung nun erfüllt sind.
Dazu meine ich: Für die Öffentlichkeit ist es nur schwer nachzuvollziehen, wie groß das Problem mit den notleidenden Krediten in Europa tatsächlich ist. Die EU-Kommission spricht von 820 Milliarden Euro, die europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA von rund 750 Milliarden Euro. Hier sollte zunächst einmal ein gemeinsames Verständnis entwickelt werden. Unstrittig ist hingegen, dass insbesondere die Banken in Südeuropa weiterhin in enormen Schwierigkeiten stecken: In Griechenland gilt fast jeder zweite verliehene Euro als notleidend; in Italien ist es rund jeder zehnte. Somit haben gerade die südeuropäischen Banken längst noch nicht alle Hausaufgaben beim Risikoabbau erledigt.
6. Missverständnis: Derzeit versuchen die europäischen Gesetzgeber, das Problem der notleidenden Kredite in den Griff zu bekommen. Danach sind die Altlasten der Eurokrise beseitigt und alle Voraussetzungen für eine europäische Einlagensicherung erfüllt.
Dazu meine ich: Nein. Denn viele Banken halten nach wie vor hohe Bestände an Staatsanleihen ihrer hochverschuldeten Heimatländer. In Italien ist fast jeder fünfte, in Spanien jeder neunte Euro der Banken in eine Forderung an den jeweiligen Heimatstaat investiert. Hier wurde bislang keine einzige Maßnahme zur Risikoreduktion getroffen. Die europäischen Staatschefs delegierten das Thema an den Baseler Ausschuss als internationales Aufsichtsgremium. Eine Einigung dort ist in weiter Ferne.
7. Missverständnis: Aufgrund der aktuellen politischen und makroökonomischen Großwetterlage ist eine Fortentwicklung der Eurozone unverzichtbar. Daher ist jetzt der richtige Zeitpunkt, einen Fahrplan für die europäische Einlagensicherung zu beschließen.
Dazu meine ich: Nein, denn es ist unwahrscheinlich, dass ein Fahrplan zur europäischen Einlagensicherung in der Reihenfolge „Risikoreduktion vor Risikoteilung“ konsequent umgesetzt würde. In der Vergangenheit wurden immer wieder Schlupflöcher genutzt, um unangenehme europäische Regeln zu vermeiden. Bestes Beispiel ist der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt: Bis 2016 haben die EU-Mitgliedsstaaten ihre Vereinbarung, das Haushaltsdefizit auf maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen, 168-mal verletzt. Je weiter der Fortschritt im politischen Prozess, desto größer die Gefahr, dass faule Kompromisse geschlossen werden.
8. Missverständnis: Eine Versicherung kann nur funktionieren, wenn Versicherungsnehmer, die höhere Risiken eingehen, auch höhere Versicherungsprämien zahlen müssen. Diese Voraussetzung ist in den Diskussionen um eine europäische Einlagensicherung unstrittig und daher auch kein Grund, eine europäische Einlagensicherung abzulehnen.
Dazu meine ich: Es ist nicht zu erwarten, dass im politischen Prozess eine Berechnungsmethode beschlossen wird, die risikoadäquate Prämien gewährleistet. Schon die politischen Verhandlungen zur Bankenabgabe für den europäischen Abwicklungsfonds haben zu keinem fairen Ergebnis geführt: Eine kleine Bank stellt in der Regel keine Gefahr für die Finanzstabilität dar. Daher wird sie im Fall einer Schieflage keine Mittel aus dem Europäischen Abwicklungsfonds erhalten sondern nach nationalem Insolvenzrecht abgewickelt. Dennoch mussten die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken 2017 Beiträge in Höhe von knapp 7 Mio. Euro in den europäischen Abwicklungsfonds zahlen. Bei korrekter Risikoadjustierung hätten kleine Banken keine Beiträge entrichten müssen.
9. Missverständnis: Ein Rückversicherungssystem, in dem im Krisenfall zunächst nationale Sicherungsfonds herangezogen werden und das auf gegenseitiger Kreditvergabe beruht, kann vor ungesundem Risikoverhalten in den einzelnen Euroländern schützen.
Dazu meine ich: Ein Rückversicherungssystem macht nur dann Sinn, wenn die nationalen Sicherungsfonds gut gefüllt sind. Dies ist derzeit jedoch in den meisten Euroländern noch nicht der Fall. Nach der derzeit gültigen Einlagensicherungsrichtlinie müssen die nationalen Fonds erst 2024 vollständig gefüllt sein. Zudem ist fraglich, wie schnell ein nationaler Fonds nach Auszahlung im Krisenfall wieder aufgefüllt werden könnte. Am Ende besteht die Gefahr, dass Kredite nicht mehr zurückgezahlt werden. Aus einem System gegenseitiger Kreditvergabe entstünde letztlich doch ein Transfersystem.
10. Missverständnis: Eine europäische Einlagensicherung würde nur im Ausnahmefall einer schweren Finanzkrise zu Transfers zwischen den Euroländern führen. Das ergab eine kürzlich veröffentlichte Simulationsrechnung der Europäischen Zentralbank. Die Sorgen vor einer Transferunion sind daher übertrieben.
Dazu meine ich: Die Simulationsrechnung der EZB gibt die mit EDIS verbundenen Risiken nur unzureichend wieder. Unter der Annahme, Transfers aus EDIS seien unwahrscheinlich, stellt sich hingegen die Frage, warum der Fonds überhaupt notwendig ist. Panikartige Bankenanstürme von Sparern könnten dann auch durch andere Sicherungssysteme vermieden werden: So könnten Staaten, die durch die Sicherung ihrer nationalen Einlagen überfordert sind, Hilfen beim ESM beantragen. Zudem könnte die EZB könnte in ihrer Funktion als „Kreditgeber der letzten Instanz“ Kredite an die Banken vergeben. Dadurch können Notverkäufe von Aktiva der Banken verhindert werden.
Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.