Man spricht wieder, wie in den 1990er-Jahren, über den „kranken Mann Europas“, wenn sich der Blick auf Deutschland richtet. Heute ist Deutschland für Unternehmen zu teuer. Das gilt für die Energiekosten ebenso wie für die Steuerlast. Die Bürokratie treibt Blüten, und Zukunftskonzepte setzen zu sehr auf das Prinzip Hoffnung.
Es soll hier nicht darum gehen, das Land pauschal schlechtzureden. Denn das, was immer wieder beklagt wird, geht uns alle an. So sind einerseits die Klagen über zu viel Bürokratie unüberhörbar laut – andererseits will es jeder ganz genau wissen und sich in der Sicherheit möglichst vieler Daten und Absicherungsnetze wiegen.
Wie kurbeln wir die Wirtschaft wieder an?
Was es braucht, ist eine ehrliche Analyse sowie Ideen und Konzepte, um den Wirtschaftsmotor wieder zum Schnurren zu bringen. Dabei sind wir alle angesprochen – Bürger, Wirtschaft und Politik. Bei ihrer Kabinettsklausur haben die Mitglieder der Bundesregierung Ende August erste Schritte für einen echten Aufbruch nach dem andauernden Krisenmanagement vorgeschlagen. Dazu gehören Steuererleichterungen, Investitionsprämien und Bürokratieabbau. Das ist ein erster guter Schritt, die Beschlüsse aber zu zaghaft angesichts der Herausforderungen.
Wovon es viel mehr braucht: Unternehmertum stärken, Entfaltung zulassen, Innovationen ermöglichen und fördern. So weit, so einfach. Aber was bedeutet das?
Unternehmerisches Handeln braucht einen verlässlichen Rahmen. Aufgabe des Staates ist es, Freiräume zu gewähren und innerhalb dieser die Spielregeln für die Handelnden festzulegen. Staatliche Lenkung, Verbote, dirigistische und oft ideologische Vorgaben und allerlei intransparente Kommissionen für dieses und jenes vertragen sich nicht mit dem, was für die Bundesrepublik jahrzehntelang ein verlässlicher Kompass gewesen ist und sie zu einem der wirtschaftlich stärksten Länder gemacht hat: Die Soziale Marktwirtschaft.
Sie gibt vor, wie der politische Rahmen zu setzen ist, gibt Impulse für Wachstum, Ausgleich und Fairness. Selbstverständlich ist das nur eine grobe Beschreibung. Und es braucht mehr als nur ein Bekenntnis, damit die Wirtschaft wieder Tritt fassen und neues Vertrauen in die Politik erwachsen kann. Umgekehrt ist aber auch jeder und jede einzelne dazu aufgerufen, die geforderte Freiheit auch zu nutzen und nicht zu sehr auf Vorgaben zu warten oder gar selbst alles und jedes Detail regeln zu wollen.
Werfen wir dazu einen Blick auf die mehr als 1.000 genossenschaftlichen Unternehmen in Bayern. Sie prägen den Mittelstand, sind in 35 Branchen aktiv, von der Landwirtschaft und Energie bis zu Handel, Handwerk und Dienstleistung. Wer außerdem zur genossenschaftlichen Familie in Bayern gehört und diese maßgeblich prägt, sind die knapp 200 Volks- und Raiffeisenbanken. Diese regional verwurzelten Institute bieten Menschen und Mittelstand verlässliche Finanzdienstleistungen.
Genossenschaften haben eine Perspektive, die weit in die Zukunft gerichtet ist. Sie streben nicht allein nach Gewinnmaximierung. Was sie ausmacht, ist das bürgerschaftliche Engagement: Menschen mit gleichen Interessen kommen zusammen, um gemeinsam etwas zu erreichen, wozu jedem einzelnen die Möglichkeiten fehlen würden. Sie wirken im besten Sinne nachhaltig, wirken stabilisierend auf die Wirtschaft und arbeiten daran mit, künftige Herausforderungen zu meistern. Sie stärken die Region, bieten Arbeitsplätze und fördern Know-how.
Welchen Beitrag können Genossenschaften leisten?
Was bedeutet es, den Regeln der Sozialen Marktwirtschaft zu entsprechen? Die Antwort: Eigenverantwortung, Unternehmertum, Förderung. Dieser Dreiklang, auf Basis verlässlicher Rahmenbedingungen, kann wieder zurückführen auf den Weg von Wachstum und Innovation. Förderung kann bestehen aus steuerlichen Anreizen, gezielter Unterstützung durch staatliche Förderbanken sowie dem Vorantreiben von Forschung und Entwicklung, um ökologische Verbesserungen durch technischen Fortschritt und Innovation zu erreichen. Diese Impulse zur Weiterentwicklung entstehen weder in Amtsstuben noch irgendwelchen Gremien, sondern durch die Entfaltung des Markts.
Das genossenschaftliche Prinzip kann hierzu einen wertvollen Beitrag leisten. Es fußt auf Eigeninitiative, Eigenverantwortung, Hilfe zu Selbsthilfe und bürgerschaftlichem Engagement. Genossenschaften warten nicht darauf, bis der Staat oder ein anderer Akteur handelt, sondern sie packen selbst an. Entstanden in Zeiten der Not, haben sie entschlossen gehandelt und tun dies bis heute. In herausfordernden Zeiten wie diesen können Genossenschaften wieder ihre Kraft entfalten – die entsprechenden unternehmerischen Spielräume vorausgesetzt.
Was den Unternehmen das Leben schwer macht – um hier ein Beispiel aus dem Bankbereich anzuführen – sind Eingriffe in Kundenbeziehungen, die es Banken schwer machen, ihre Rolle adäquat auszufüllen: die verlässliche Versorgung von Menschen und Unternehmen mit Finanzdienstleistungen – insbesondere der Finanzierung von Wachstum, Entwicklung und Innovation. Bankberaterinnen und -berater wissen davon ein Lied zu singen, wie es sich anfühlt, wenn stattdessen an Kundinnen und Kunden Papierberge zu übergeben sind, mit denen sie sich informiert und sicher fühlen sollen. Anstatt den Verbraucherinnen und Verbrauchern Sicherheit zu geben, herrscht stattdessen häufig Verunsicherung und Irritation. Beratungsgespräche, bei denen ohne jede Rücksicht auf die Art der Beziehung jede Menge Papier die Beratung mehr behindert, als dass sie einen Beitrag zu mehr Transparenz oder Verbraucherschutz leisten würden, widersprechen dem, was sich Volks- und Raiffeisenbanken auf die Fahnen geschrieben haben: Verlässlichkeit, Langfristigkeit, Miteinander, Fairness und Vertrauen.
Auch in anderen Bereichen ist Bürokratie ein wesentlicher Hemmschuh. Das sehen nicht nur Genossenschaften so: Vor einigen Wochen klagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, dass allein für den Schwertransport von Windradflügeln von der Nordsee in den Süden Deutschlands 150 Genehmigungen notwendig seien. Schaffen wir so die von der Bundesregierung angekündigte „Deutschland-Geschwindigkeit“ bei der Energiewende? Gerade kleine Unternehmen wie Energiegenossenschaften, die einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen regionalen Energieversorgung leisten können, sind von den bürokratischen Auflagen oft überfordert.
Bürokratie verschafft Sicherheit. Sie macht uns aber auch langsam und hemmt häufig den Fortschritt. Was wir stattdessen brauchen, ist Mut. Mut, auf ständig neue, komplexe und sich teilweise sogar widersprechende bürokratische Vorgaben zu verzichten. Mut, auf die Eigeninitiative der Menschen und die Gestaltungskraft der Marktwirtschaft zu vertrauen. Mit dem notwendigen Freiraum kann der deutsche Mittelstand zeigen, dass er in der Lage ist, Deutschland wieder in die Pole-Position zu bringen. Wohnungen bauen, Energiewende voranbringen, Wachstum ankurbeln – wer anders soll es denn schaffen, wenn nicht die Unternehmen? Die Genossenschaften stehen bereit, ihren Beitrag dazu zu leisten.
Gregor Scheller ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB).
Der Beitrag ist in ähnlicher Form am 21. Oktober 2023 in der Börsen-Zeitung erschienen.