Standpunkt: Der Gesetzgeber hat den Bogen beim Verbraucherschutz überspannt. GVB-Präsident Jürgen Gros fordert eine offene Debatte über die Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen.
Herr Seitz, die Provisionsberatung hat in Deutschland eine lange Tradition. Woran liegt das?
Ralph Seitz: Ganz einfach: Sie ist verbraucherfreundlich. Denn der Kunde zahlt nur dann für die Beratung, wenn es tatsächlich zu einem Abschluss kommt. Das Provisionsmodell vermeidet die anfängliche Liquiditätsbelastung beim Kunden, die beim Honorarmodell eine Beratungshürde darstellen kann. Wichtig ist hier auch, dass bei Abschluss einer privaten Altersvorsorge in der Regel eine Haftungszeit besteht. Sollte der Kunde etwa in den ersten fünf bis acht Jahren seinen Vertrag kündigen, ist die gezahlte Provision anteilig zurückzuzahlen.
Aktuell plant das Bundesfinanzministerium einen Provisionsdeckel für Versicherungsprodukte. Auch die BaFin als Aufsichtsbehörde arbeitet daran mit. Es sollen Fehlanreize beim Vertrieb verhindert werden. Warum spricht sich die VKB gegen dieses Vorhaben aus?
Seitz: In Zeiten des notwendigen Ausbaus der privaten Altersvorsorge brauchen wir eine flächendeckende Beratung für alle Versicherten – unabhängig vom Anlagevolumen. Gerade für Kunden mit kleineren Anlagevolumen wird eine Beratung zu angemessenen Honoraren kaum durchführbar sein. Denn aus der Praxis wissen wir, dass die Beratung zur Altersvorsorge erfahrungsgemäß viel Zeit in Anspruch nimmt. Wenn aber der Zeitaufwand für die Beratung nicht angemessen vergütet wird, entstehen Beratungslücken in einer Bevölkerungsschicht, für die eine sinnvolle Altersvorsorgeberatung besonders wichtig ist.
Welche Folgen hätte ein Provisionsdeckel für die Verbraucher sowie die Volksbanken und Raiffeisenbanken als Vertriebspartner der VKB?
Seitz: Gute Beratung kostet. Gäbe es einen Provisionsdeckel, könnten wir uns eventuell die Aufwände nicht mehr leisten, die die Analyse von Vorsorgelücken, Vergleichsberechnungen, qualifizierte Beratung und Betreuung erfordern. Das schadet den Kunden wie den Volksbanken und Raiffeisenbanken gleichermaßen. Auch die immer wieder ins Spiel gebrachte Honorarberatung ist nicht zielführend. Denn obwohl viele wissen, dass das gesetzliche Rentenniveau sinken wird und deshalb eine eigenverantwortliche private Vorsorge zwingend notwendig ist, ist die Eigeninitiative der Verbraucher kaum vorhanden, sich um dieses Thema selbstständig zu kümmern.
„Ein Provisionsverbot oder ein unsachgemäßer Eingriff in etablierte Vergütungsstrukturen würde auch bei uns einen Rückgang an hochwertiger Beratung und Beratern zur Folge haben“
Die BaFin hat einen Provisionsrichtwert von 2,5 Prozent als Deckel vorgeschlagen. Ist das für eine qualifizierte persönliche Beratung ausreichend?
Seitz: Lassen Sie mich dies anhand eines Beispiels erklären: Nehmen wir an, dass ein Kunde einen Einmalbeitrag von 10.000 Euro in einen Altersvorsorgevertrag investieren möchte. Die erlaubte Provision beträgt bei einer Grenze von 2,5 Prozent dann 250 Euro. Der Stundensatz eines Honorarberaters ist heutzutage zwar nicht normiert. Gehen wir aber davon aus, dass eine Honorarberaterstunde circa 150 Euro beträgt, so dürfte er sich noch nicht einmal zwei Stunden mit dem Kunden beschäftigen. Angesichts der Komplexität der Berechnung des Versorgungsbedarfs und der Tatsache, dass viele Kunden großen Aufklärungsbedarf bei Finanzprodukten haben, ist es völlig ausgeschlossen, mit einem solchen Zeitaufwand auszukommen. Für kleinvolumige Verträge wäre folglich eine sachgerechte und umfassende Beratung bei einem Deckel von 2,5 Prozent wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll.
In Großbritannien ist die Provisionsberatung 2013 komplett verboten worden. Was lässt sich daraus lernen?
Seitz: Ein Provisionsverbot oder ein unsachgemäßer Eingriff in etablierte Vergütungsstrukturen würde auch bei uns einen Rückgang an hochwertiger Beratung und Beratern zur Folge haben. In Großbritannien konnten wir mitverfolgen, dass es bereits ein halbes Jahr nach Abschaffung der provisionsbasierten Beratung 44 Prozent weniger Berater, 20 Prozent weniger Finanzberater und acht Prozent weniger Vermögensberater gab. Gleichzeitig wurde der Zugang zu qualifizierter Beratung für einkommensschwache Kundengruppen, die ja wie bereits erwähnt im Grunde einen besonders hohen Bedarf an privater Vorsorge haben, erschwert. Dieser Entwicklung gilt es in Deutschland vorzubeugen. Eine Honorarberatung jedenfalls kann nicht die Lösung sein.
„Um eine flächendeckende Vorsorge und weitere Verbreitung der privaten Altersvorsorge für alle Versicherten zu garantieren, sollten Provisionen weiterhin möglich sein“
Hintergrund der Diskussionen um einen Provisionsdeckel ist der Wunsch nach höheren Renditen und der Steigerung der Attraktivität der privaten Altersvorsorge. Welche Maßnahmen sind aus Sicht der VKB geeignet, um dieses Ziel zu erreichen?
Seitz: Unabhängig von der Diskussion rund um einen Provisionsdeckel denke ich, dass es Verbesserungspotenzial insbesondere bei der Transparenz gibt. Wenn die gesetzliche Rente nicht mehr reicht, muss der Verbraucher wissen, wie viel Geld im Ruhestand zur Verfügung steht. Zielführend wäre eine säulenübergreifende Renteninformation, die bereits im Koalitionsvertrag angelegt ist. Erst dann kann ein Verbraucher auf einen Blick sehen, wie seine Vermögensbilanz heute aussieht und wie sich das Vermögen bis zum Renteneintritt entwickelt. Auch empfehlen wir, gesetzliche Anforderungen an bestehende Altersvorsorgeprodukte zu modernisieren. So sollte zum Beispiel die Riesterrente ein systematischer Beitrag zur Altersvorsorge werden, indem ihr Förderrahmen dynamisiert wird. Sinnvoll wäre auch die Ausweitung des förderberechtigten Personenkreises auf alle Erwerbstätigen, insbesondere für Selbstständige mit geringem Einkommen. Hier schließt sich der Kreis zu meiner Eingangsbemerkung. Um eine flächendeckende Vorsorge und weitere Verbreitung der privaten Altersvorsorge für alle Versicherten zu garantieren, sollten aus unserer Sicht Provisionen weiterhin möglich sein und darf es zu keinem Provisionsdeckel kommen.
Herr Seitz, vielen Dank für das Gespräch!