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Die oberbayerische Gemeinde Reischach hat etwa 2.600 Einwohner. Die nächstgrößere Stadt ist Altötting, etwa 25 Minuten mit dem Auto entfernt. Um für Bürgerinnen und Bürger attraktiv zu bleiben, sollte eine Gemeinde daher vor Ort viel bieten und sich weiterentwickeln. Nicht alle Veränderungen lassen sich indes auf kommunaler Ebene oder privatwirtschaftlich umsetzen. So entstand in Reischach um den Bankvorstand Helmut Vilsmaier von der Raiffeisenbank Neumarkt-St. Veit-Reischach die Idee, eine Bürgergenossenschaft zu gründen und gemeinsam sozial, kulturell und wirtschaftlich Neues zu wagen.

Wichtig für eine Gemeinde ist es, ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger am Ort zu halten und auf ihre Bedürfnisse im Alter einzugehen. „Gemeinsam mit Bürgermeister Alfred Stockner haben wir uns daher überlegt, was der Gemeinde noch fehlt, damit Senioren in Reischach wohnen bleiben können“, sagt Bankvorstand Helmut Vilsmaier. Eine Tagespflege gab es in der Gemeinde schon, was aber helfen könnte, damit Ältere nicht wegziehen müssen, wäre ein Konzept für Betreutes Wohnen. Ein Wohnhaus mit einzelnen voneinander unabhängigen Einheiten, aber einem gemeinsam Wohn- und Kochbereich sowie weiteren Gemeinschaftsräumen. Zudem barrierefrei und sämtliche Aspekte des Wohnens im Alter berücksichtigend. Und so setzte sich der Bankvorstand unter anderem mit dem Bürgermeister, dem Hausarzt und Unternehmern vor Ort zusammen und gemeinsam kamen sie zu dem Ergebnis: Reischach würde von einer ambulant betreuten Wohngruppe profitieren. Dieses Projekt ließe sich ideal mit der Rechtsform Genossenschaft umsetzen.

Selbstbestimmtes und demokratisches Handeln

Eine Genossenschaft bietet so viele Vorteile, gerade für eine kleine Gemeinde, betont Bankvorstand Vilsmaier. So dröselt es die Bürgergenossenschaft Reischach auf ihrer Website auf: „Bür“ steht für Bürger, „Ge“ für Genossenschaft und „R“ für Reischach. „Gemeinsam Zukunft gestalten“, das wollen die Mitglieder der Bürgergenossenschaft. Selbstbestimmtes und demokratisches Handeln ermöglicht die Genossenschaft. Wer mitmacht, hat eine Stimme.

„Die Unterstützung im Ort war von Anfang an deutlich“, so Projektleiter Vilsmaier. Bei der Generalversammlung, zu der die Initiatoren luden, war die Resonanz groß. Dieses Treffen gehört zum Gründungsprozess einer Genossenschaft. „Als Genossenschaftsbank kennen wir die Vorteile einer Genossenschaft und gehen davon aus, dass viele in der Region das System kennen. Dennoch muss man informieren, die Bedingungen transparent schildern und die Satzung an Interessierte aushändigen.“ Da schade es auch nicht, nochmal anzusprechen, dass schlimmstenfalls das investierte Eigenkapital weg sein könnte. 

Mehrwert für Reischach

„Auf der Versammlung konnten wir deutlich machen, dass unser Projekt einen Mehrwert für Reischach darstellt“, so Vilsmaier. Ältere oder hilfsbedürftige Menschen hätten mit einer betreuten Senioren-Wohngemeinschaft ihren Lebensmittelpunkt weiter in Reischach. „Der Gedanke an diesen Mehrwert überzeugte und so hat es auch keinen abgeschreckt, finanziell dabei zu sein.“ Projekte wie diese lassen sich nicht von alleine realisieren. Das Raiffeisen-Zitat „Was einer nicht schafft, das schaffen viele“ ist daher auch das Motto dieser Genossenschaft. „Und so hatten wir schon nach drei Wochen ein Kapital in Höhe von 200.000 Euro“, erinnert sich Vilsmaier.  

Ihr Finanzplan ist so gestaltet, dass sich das Projekt wirtschaftlich lohnt. „Die Ausgaben und Zinsen sind gedeckt, aber unser Hauptaugenmerkt liegt nicht auf Rendite.“ Vielmehr geht es bei dem Senioren-Wohnprojekt darum, die örtliche soziale, kulturelle und wirtschaftliche Infrastruktur zu verbessern. Gemeinsam stemmen die Reischacher ein Projekt, das ohne das genossenschaftliche Engagement weder privat noch kommunal umsetzbar gewesen wäre. „Wir als Reischacher sind der Investor, es kam keiner von außen und hat nach seinen Vorstellungen gebaut.“

Die Bürgergenossenschaft besteht aus 135 Mitgliedern. Helmut Vilsmaier bildet gemeinsam mit dem Reischacher Bürgermeister Alfred Stockner das Vorstandsteam. „Wir bekommen viel Unterstützung seitens der Gemeinde, allein schon deswegen, weil ja unser Bürgermeister in das Projekt involviert ist“, freut sich Vilsmaier.

Grundstück von der Kirche gepachtet

Von der Kirche konnte die Bürgergenossenschaft ein Grundstück für den Neubau der Senioren-Wohngemeinschaft pachten. Auf diesem errichteten sie ein eingeschossiges Gebäude mit zwölf Wohnungen. Diese rund 30 Quadratmeter großen Einheiten werden an die Bewohner vermietet. „Pflegeleistungen können sich die Bewohner je nach Bedarf dazubuchen“, erklärt Vilsmaier. Doch das neue Gebäude mit seinen Räumlichkeiten habe nicht nur für ältere Menschen in Reischach einen Mehrwert, erklärt Vilsmaier. „Unser Chor singt dort, die Kinder-Blaskapelle trifft sich hier zum Proben“, zählt er auf.

Klar sei es eine große Herausforderung, als Genossenschaft einen Neubau mit zwölf Wohneinheiten zu stemmen. „Die Gründungsberatung durch den Genossenschaftsverband war dabei eine tolle Unterstützung“, sagt Vilsmaier. „Die Gründungsberatung war zweimal vor Ort und half uns auch, die Mustersatzung individuell anzupassen.“

Was die Reischacher bewegt und was sie brauchen

2022 zogen die ersten sechs Mieter ein. Drei Monate später waren dann alle Einheiten belegt. Die Mieten der Bewohner tragen nun das Projekt.  „Und der Bedarf für weitere derartige Projekte ist da. Wir schließen nicht aus, in diese Richtung nochmal anzuknüpfen“, sagt Vilsmaier.

Bis dahin ruht sich die Bürgergenossenschaft Reischach allerdings nicht aus.  „Wir haben uns weiter gefragt, was die Bürger bewegt und was sie brauchen.“ 2023 gingen sie daher mit einem weiteren Projekt an den Start, dieses Mal im Bereich nachhaltige Energien.

Auf dem Dach ihres Betreuten Wohnens errichteten sie eine Photovoltaik-Anlage. Ohnehin war auf dem Dach für den Eigengebrauch der Senioren-Wohngemeinschaft eine Anlage installiert. Doch es war noch Platz, um als Genossenschaft mit diesem Bürgerprojekt einen Beitrag zur regionalen und unabhängigen Energieversorgung leisten zu können. „Unser Ziel ist es, die Bürger an der Energiewende zu beteiligen. So können wir auch diejenigen ansprechen, die als Mieter vielleicht kein eigenes Dach für eine PV-Anlage nutzen können.“

Zwei Freiflächen-PV-Anlagen

2023 konnte die Bürgergenossenschaft auch dieses Projekt abschließen, um sich seit diesem Jahr auf zwei Freiflächen-PV-Anlagen in der näheren Umgebung zu konzentrieren. Zwei Bürgersolaranlagen mit jeweils einer Größe von 750 bis 900 kWp sollen entstehen. „Mit diesem Projekt sprechen wir natürlich nochmal eine ganze andere Klientel an Genossenschaftsmitgliedern an.“

Doch ganz gleich, welches Projekt die Reischacher Bürgergenossenschaft anpackt: Gemeinsam wollen sie etwas schaffen und gestalten, damit ihre kleine Gemeinde für Bürgerinnen und Bürger lebenswert bleibt.

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