Impuls: Die Energiewende in Bayern braucht echte Bürgerbeteiligung. Die Staatsregierung muss hier noch nachbessern, fordert GVB-Präsident Stefan Müller.
Herr Müller, Sie stehen seit dem 1. August 2024 an der Spitze des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Was reizt Sie an diesem Amt?
Stefan Müller: Die genossenschaftlichen Werte Solidarität, Subsidiarität und Verbundenheit haben mir schon immer viel bedeutet. Und die Kombination von Finanz- und Realwirtschaft im GVB ist meiner Ansicht nach einzigartig. Die meisten Mitglieder gehören dem klassischen Mittelstand an. Das gilt auch für einen Großteil von deren Kunden. Der Mittelstand ist das Rückgrat unserer Wirtschaft und ein Garant für unseren Wohlstand. Der Erfolg des Standorts Deutschland erklärt sich auch aus seiner starken Diversifikation. Daher möchte ich gerne dazu beitragen, den GVB noch stärker als kraftvolle Stimme des Mittelstands für seine Mitglieder zu etablieren. Die große Vielfalt, die sich hier im Verband zusammenfindet – mehr als 1.200 Genossenschaften, die in 35 Branchen aktiv sind – macht diese Aufgabe so spannend. Diese Vielfalt führt auch dazu, dass die Genossenschaftsorganisation insgesamt so schlagkräftig ist. Um diese Schlagkraft zu erhalten und zu stärken, möchte ich gerne einen Beitrag leisten.
„Die neue Perspektive zeigt mir, wie groß und leistungsfähig die genossenschaftliche Gruppe ist und wie viel Kraft in ihr steckt.“
Sie sind ein Quereinsteiger in die genossenschaftliche Bankenwelt. Da kann man eine Herausforderung sehen, da kann man aber auch den frischen Blick von außen hervorheben. Wie werden Sie sich schnell in der eigenen Familie bekannt machen?
Müller: Es stimmt, die vergangenen zwei Jahrzehnte war ich in der Politik tätig. Ich habe aber bei einer VR-Bank gearbeitet, bin Bankbetriebswirt und auch während meiner Zeit in Berlin stets den Kontakt zum Genossenschaftssektor gehalten. So war ich beispielsweise fast 15 Jahre lang, mit Unterbrechung in meiner Zeit als parlamentarischer Staatssekretär, Mitglied im Unternehmerbeirat der DZ Bank. Dadurch sind mir die meisten Themen nicht fremd. Der Blick von außen kann zudem in der Tat wertvoll sein und dabei helfen, neue Wege zu gehen und Dinge von einer anderen Perspektive aus zu beurteilen. Das sehe ich als einen Vorteil. Bevor ich mein Amt als GVB-Präsident im August offiziell angetreten habe, war ich bereits zwei Monate als Generalbevollmächtigter mit an Bord. Auch diese Einarbeitung war sehr hilfreich. Seither war ich jede Menge unterwegs, in Berlin oder Frankfurt, habe Entscheidungsträger getroffen, an Gremiensitzungen teilgenommen, aber auch einige Mitgliedsunternehmen besucht. Die neue Perspektive zeigt mir noch einmal deutlich, wie groß und leistungsfähig die genossenschaftliche Gruppe ist und wie viel Kraft in ihr steckt.
Wie nehmen Sie den Verband und vor allem die Verbandsarbeit bislang wahr?
Müller: Im Verband habe ich bei den Kolleginnen und Kollegen eine große Offenheit erlebt. Für diese Aufnahme im Kreise der GVBler bin ich sehr dankbar. Das hat es mir leicht gemacht, mich einzufinden. Und ich bin beeindruckt von der Themenvielfalt, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrer großen Expertise abdecken – von klassischen Bankthemen über Energie bis Milchwirtschaft. In Berlin habe ich Verbände vielfach so erlebt, dass diese in erster Linie repräsentative Aufgaben verfolgt haben. Das ist weniger die Kultur des Genossenschaftsverband Bayern.
Was bedeutet das? Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Amtszeit setzen?
Müller: Ein Verband muss für seine Mitglieder da sein. Das ist sein Wesenszweck. Er kann nur erfolgreich sein, wenn dies auch seine Mitglieder sind. Der Verband muss daher Vordenker und innovativer Partner sein und seinen Mitgliedern Mehrwert bieten. Er muss schon heute wissen, wo ihnen morgen der Schuh drückt. Beispielsweise geht es darum, sich zu überlegen, wie die Bankenlandschaft in zehn Jahren aussieht und wo Genossenschaftsbanken dort ihren Platz finden. Aufgrund meiner früheren Tätigkeit als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung liegt mir das Thema Bildung sehr am Herzen. Wir haben eine leistungsfähige Akademie, um die Beschäftigten unserer Mitgliedsunternehmen weiter zu qualifizieren. Die zunehmende Digitalisierung und den Vormarsch künstlicher Intelligenz sehe ich hier als Entwicklungsfelder. Im Verbund sehe ich den GVB als Impulsgeber. Anspruch muss es sein, im konstruktiven Miteinander eigene Akzente zu setzen. Diesem Ziel dient auch, dass der GVB seine Gremienstruktur neu aufstellt. Darin spiegelt sich die Kernaufgabe eines Verbands: die Interessenvertretung gegenüber Aufsicht, Politik, Verbund und Öffentlichkeit.
„Alle Unternehmen, nicht nur die Banken, spüren ein immer stärkeres Aufwachsen der Bürokratie.“
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Kreditgenossenschaften in Bayern?
Müller: Die Volks- und Raiffeisenbanken in Bayern behaupten sich äußerst erfolgreich am Markt. Das ist ein Verdienst der Institute, die das Vertrauen ihrer Mitglieder sowie Kundinnen und Kunden genießen. Es gibt zwei Themen, die für die Banken zunehmend zur Herausforderung werden: der Fachkräftemangel und die überbordende Regulierung. Zwar erfreut sich die Ausbildung bei der Volks- und Raiffeisenbank wieder hoher Beliebtheit. Im Jahr 2023 hatten die Volks- und Raiffeisenbanken in Bayern 1.799 Auszubildende – das waren 81 mehr als im Jahr davor. Das ist ein gutes Signal und zeigt, dass die Banken attraktive und zukunftsträchtige Arbeitgeber sind. Es führt gleichzeitig kein Weg an einer Verschlankung der Prozesse, Digitalisierung, dem Einsatz von Lösungen mit künstlicher Intelligenz und Standardisierung vorbei. Alle Unternehmen, nicht nur die Banken, spüren ein immer stärkeres Aufwachsen der Bürokratie. Aus Sicht vieler Unternehmer wiegt die bürokratische Belastung inzwischen sogar schwerer als der Fachkräftemangel. Auf die Volks- und Raiffeisenbanken kann infolgedessen der Fusionsdruck wachsen. Die Gefahr besteht, dass kleine, aber leistungsfähige und im Kern völlig gesunde Institute zu einer Fusion gezwungen sind. Das sehe ich kritisch. Denn die dezentrale Ausrichtung der genossenschaftlichen Banken waren immer ihr Wesenskern und ein stabilisierender Faktor auf dem Finanzmarkt. Dauerbrenner, wie die Debatten um eine europäische Einlagensicherung, will ich hier nur kurz anschneiden. Es geht natürlich darum, bewährte Einlagensicherungssysteme, wie das der Volks- und Raiffeisenbanken, zu bewahren und vor Begehrlichkeiten anderer zu schützen.
„Die Risikovorsorge steigt, aber sie kommt auch von einem sehr niedrigen Niveau.“
Risikovorsorge wird wieder ein Thema: Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Situation in Bayern, also bei den Kreditkunden ihrer Mitgliedsbanken? Droht hier in Zukunft größeres Ungemach oder bleibt es auch künftig bei Einzelfällen?
Müller: In Bayern kann man die Situation weiterhin als weitgehend stabil beschreiben, auch wenn von einer umfassenden wirtschaftlichen Erholung noch keine Rede sein kann. Die Erwartungen hellen sich dafür etwas auf. Die Risikovorsorge steigt, aber sie kommt auch von einem sehr niedrigen Niveau. Die Volks- und Raiffeisenbanken haben traditionell ein sehr effektives Risikomanagement. Durch ihre regionale Nähe können sie die Situation vor Ort sehr gut einschätzen und entsprechend besonnen in ihrer Geschäftspolitik agieren.
Wie beurteilen Sie die Wettbewerbsfähigkeit der Kreditgenossen in Bayern? Können diese Marktanteile gewinnen?
Müller: Die Gesamtbilanz kennen wir im Frühjahr. Was die ersten Monate dieses Jahres betrifft, zeigt sich, dass die bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken ihre Resilienz und Solidität unter Beweis gestellt haben. Ihre Marktanteile konnten sie im ersten Quartal halten, insbesondere im Kreditgeschäft sogar ausbauen. Auf der Passivseite ging es um 0,4 Prozentpunkte voran. Das zeigt: Kundinnen und Kunden haben hohes Vertrauen in die Volks- und Raiffeisenbanken, diese bieten attraktive Konditionen und behaupten sich erfolgreich im Wettbewerb.
Wie sehen Sie die Konzentrationsbewegung auf Ebene der regionalen Verbände? Ist in Ihrem Fokus eine engere Zusammenarbeit, eventuell auch eine weitere Annäherung, beispielsweise an den Genossenschaftsverband in Baden-Württemberg (BWGV)?
Müller: Sie fragen ja im Grunde, ob eine Fusion zwischen GVB und BWGV ansteht. Das kann ich definitiv verneinen. Selbstverständlich arbeiten wir im Verbund zusammen – suchen nach Möglichkeiten zur Kooperation und versuchen beispielsweise Doppelarbeiten, wo möglich, zu vermeiden. Das ist der Sinn eines Verbunds. Mit dem BWGV arbeiten wir traditionell eng zusammen. All das halte ich für Selbstverständlichkeiten.
Eine Konzentration gibt es auch auf der Seite der Primärstufe. Sind Sie grundsätzlich ein Befürworter größerer Einheiten oder machen Sie sich stark für den Erhalt auch der kleinen und mittleren Institute?
Müller: Die Entscheidung der Geschäftspolitik ist Sache jeder einzelnen Bank. Es ist nicht die Sache eines Verbandes, dazu Vorgaben zu machen. Aus Verbandssicht kann ich aber sagen: Die gesunde Mischung macht‘s. Wir haben kleine, mittlere und große Institute unter unseren Mitgliedern, die sich hervorragend behaupten. Größe allein bedeutet noch nicht gleich Stärke. Entscheidend ist, ob die Banken den Markt in ihrer Region ordentlich bearbeiten können. Das hat mit der Größe eines Instituts erst einmal nichts zu tun. Gleichzeitig ist es gut, auch große Institute im Mix dabei zu haben, denn diese bringen möglicherweise Know-how auf neuen Geschäftsfeldern in den Verbund ein, die kleinere Banken nicht bearbeiten können. Die unmittelbare regionale Nähe bleibt das Alleinstellungsmerkmal von Volks- und Raiffeisenbanken.
„Regionalität ergibt sich dadurch, dass die Banken als wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure vor Ort sind.“
Was konkret schwebt Ihnen vor, um die Regionalität aufrechtzuerhalten?
Müller: Regionalität ergibt sich dadurch, dass die Banken als wirtschaftliche und gesellschaftliche Akteure vor Ort sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Banken leben in der Regel im Geschäftsgebiet und geben der Bank auch durch ihre eigene regionale Vernetzung ein Gesicht. Die Filialen sind und bleiben Aushängeschild und Anlaufpunkt. In Schnitt findet sich alle sechs bis acht Kilometer in Bayern eine Filiale einer Volks- und Raiffeisenbank. Gleichzeitig erwarten Kundinnen und Kunden, dass „ihre“ Bank ihnen auch alle digitalen Wege eröffnet, sei es Online-Banking, eine leistungsfähige App oder Telefon- und Videoberatung. Auch das gewährleisten die Volks- und Raiffeisenbanken. Eines unser Mitgliedsinstitute nennt sich „digitale Regionalbank“. Ich glaube, das ist ein richtiger Denkansatz. Damit werden die Banken auch dem Trend gerecht, dass sie als reine Servicedienstleister weniger gebraucht werden. Kaum jemand muss heutzutage mehr eine Filiale aufsuchen, um beispielsweise ein Überweisungsformular auszufüllen. Allerdings steigt der Bedarf an Beratung. Wenn große Entscheidungen anstehen, setzen Menschen in der Regel darauf, dem Gegenüber in die Augen zu sehen – egal ob Baufinanzierung, Altersvorsorge oder Vermögensbildung. Dazu nutzen Kundinnen und Kunden gerne die Filiale vor Ort. Diese ist und bleibt zentrale Drehscheibe, ihre Funktion wandelt sich aber. Beratung bekommt ein immer größeres Gewicht.
Erhebungen im Primärbankenbereich zeigen, dass Fusionen im regionalen Bereich vor allem aufgrund der überbordenden Regulatorik unausweichlich zu sein scheinen. Wie kann der Verband hier noch besser unterstützen. Gibt es Maßnahmen, die Belastungen abzufedern?
Müller Wie ich schon ausgeführt habe, ist der steigende regulatorische Druck ein Fusionstreiber. Als Verband versuchen wir im Rahmen der Interessenvertretung darauf hinzuwirken, dass die Proportionalität im Finanzsektor gewahrt wird. Es zeigt sich immer deutlicher, dass der One-Size-Fits-All-Ansatz in der Regulierung in die Irre führt. Eine kleines genossenschaftliches Regionalinstitut derselben Regulierung zu unterwerfen, wie eine international tätige Großbank, ergibt keinen Sinn. Daher setzen wir uns beispielweise für ein eigenes Regulierungsregime für kleine, nicht systemrelevante Banken ein. Mit unseren Beratungsleistungen helfen wir unseren Mitgliedern dabei, im Regulatorik-Dickicht die Übersicht zu bewahren. Zudem ermöglichen wir es den Instituten, einzelne Aspekte auszulagern. Mit unserer Tochter GCS, der Geno Corporate Services GmbH, bieten wir unseren Mitgliedsinstituten beispielsweise unter anderem an, die Bereiche Informationssicherheit, Datenschutz und interne Revision auszulagern. Damit lasse sich Synergien heben, um die Banken zu entlasten und Proportionalität zu gewährleisten.
Welche Möglichkeiten hat man als Verbandspräsident, um den regulatorischen Druck abzumildern? Ist das die Aufgabe eines Regionalpräsidenten oder greift hier die Arbeitsteilung mit dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken?
Müller: Hier sind alle gefragt. Wenn es beispielsweise um die Politik geht, haben wir als Regionalverband per se die größere Nähe zur Landespolitik und den bayerischen Abgeordneten in Bundestag und Europaparlament. Je mehr Vertreterinnen und Vertreter die gemeinsamen Anliegen vortragen, umso effektiver. Meine Rolle sehe ich hier als Impulsgeber, aber auch starke Stimme unserer Mitglieder. Die Erfahrung und Vernetzung aus meiner vorherigen politischen Tätigkeit können da hilfreich sein. Sicher werden wir vonseiten des GVB auch der bayerischen Staatsregierung immer mal wieder Hinweise geben, wie man aus unserer Sicht das Land weiter nach vorne bringen kann.
Blickt man auf aktuelle Herausforderungen der Genossenschaftsbanken in Bayern, fällt sofort der Name BayWa. Was sind hier die nächsten Schritte? Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation? Und haben Sie bereits eine Vorstellung davon, wie man der BayWa helfen kann, um gleichzeitig auch die erheblichen finanziellen Belastungen der Primärinstitute zu reduzieren?
Müller: Zunächst einmal: Ohne die erheblichen Anstrengungen der bayerischen Kreditgenossenschaften hätte es das Hilfspaket für die BayWa nicht gegeben. Das Sanierungsgutachten sollten die zuständigen Stellen gründlich analysieren und daraus ihre Schlüsse ziehen.
Bekannt ist, dass Sie zu Dr. Cornelius Riese, dem Chef der DZ Bank, eine langjährige persönliche Freundschaft unterhalten. Was kann für die Primärinstitute in Bayern aus dieser Verbindung erwecken?
Müller: Es stimmt, Herr Riese und ich kennen und schätzen uns schon lange. Wir haben uns immer wieder zum Meinungsaustausch getroffen und ich habe diese Unterhaltungen immer als wertvoll empfunden. Mir geht es dabei nicht darum, irgendeinen Vorteil zu haben. Aber, so wie immer im Leben, ein guter persönlicher Draht zueinander schadet nicht.
Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (ZfgK), Ausgabe 19-2024 vom 1. Oktober 2024. Hier können Sie das Interview auf der Webseite der ZfgK nachlesen (Bezahlschranke).