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Deutschland verzeichnet die höchste Inflation seit fast 50 Jahren. Entsprechend groß ist die Angst vor explodierenden Lebenshaltungskosten: Mehr als zwei Drittel der Deutschen (67 Prozent) befürchten, dass alles immer teurer wird. Diese Sorge steht damit auf Platz eins der aktuellen R+V-Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“.

„Der bange Blick in den Geldbeutel lässt die finanziellen Ängste in die Höhe schnellen. Insgesamt sind die Menschen deutlich sorgenvoller als noch vor einem Jahr“, sagt Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. Bereits seit 1992 befragt das Infocenter der R+V Versicherung jährlich mehr als 2.400 Menschen nach ihren größten Sorgen rund um Politik, Wirtschaft, Umwelt, Familie und Gesundheit.

Preisspirale macht Menschen Angst

„Die Preisspirale macht den Menschen in allen Bevölkerungsschichten Angst. Das gilt für reiche Befragte genauso wie für arme, für Jung und Alt, für Männer wie Frauen und für Anhänger aller Parteien in allen Bundesländern“, erläutert Professor Manfred G. Schmidt, Politikwissenschaftler an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Er berät das R+V-Infocenter seit rund zwei Jahrzehnten bei der Auswertung der Ängste-Studie.

Auf Platz zwei rangiert mit 58 Prozent die Angst, dass Wohnen unbezahlbar wird. Die Frage ist 2022 neu dabei. „Auch diese Sorge hat reale Grundlagen: ein knappes Angebot, hohe und oftmals weiter steigende Preise sowie eine starke Konkurrenz unter den Wohnungssuchenden“, erklärt Schmidt.
Zuerst die Corona-Lockdowns, dann die Folgen des Ukrainekriegs – Deutschlands Wirtschaft ist im Krisenmodus. 57 Prozent der Bürgerinnen und Bürger fürchten eine Rezession, Platz drei der diesjährigen Studie. 2021 lag die Furcht vor wirtschaftlicher Verschlechterung noch mit 40 Prozent auf Platz zehn. „Der Dreiklang von Corona-Pandemie, Russlands Krieg gegen die Ukraine und Inflation beeinträchtigt die deutsche Wirtschaft – sie droht in eine Rezession abzurutschen“, erläutert der Professor.

Platz vier und fünf der Top-Ängste: Vor dem dritten Pandemie-Winter fürchtet immer noch mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent), dass der Staat wegen der Schuldenlast aus der Corona-Krise dauerhaft Steuern erhöht oder Leistungen kürzt (Platz vier). 2021 war dies mit 53 Prozent noch die größte Angst der Befragten. Ähnlich groß wie im Vorjahr bleibt mit 51 Prozent die Furcht, dass die Steuerzahler für die EU-Schuldenkrise zur Kasse gebeten werden (Platz fünf; 2021: 50 Prozent, Platz drei).

Kriegsangst steigt extrem

„Nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wollten wir wissen: Haben die Deutschen Angst davor, dass autoritäre Herrscher weltweit immer mächtiger werden?“, berichtet Brower-Rabinowitsch. Die Antwort lautet „Ja“ – die Sorge landet mit 47 Prozent direkt auf Platz sieben. „Weltweit beobachten wir schon seit geraumer Zeit eine Autokratisierungswelle, zum Teil auch in demokratischen Staaten“, analysiert Politikwissenschaftler Schmidt. „Ein besonders krasser Fall für eine militante Autokratie ist Russland mit Putin an der Spitze und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine.“ Einen Krieg mit deutscher Beteiligung fürchten 42 Prozent der Bürgerinnen und Bürger (Platz zwölf). Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein enormer Zuwachs um 26 Prozentpunkte (2021: 16 Prozent, Platz 21).

Hitzerekorde und historische Trockenheit: Auch Umweltängste nehmen zu. Nach dem Dürresommer 2022 fürchtet fast jeder zweite Befragte Wetterextreme und Naturkatastrophen (49 Prozent, Platz sechs). Das ist ein klarer Anstieg im Jahresvergleich (2021: 41 Prozent, Platz acht). Spürbar wächst auch die Angst vor dem Klimawandel. Sie landet mit 46 Prozent auf Platz acht (Vorjahr: 40 Prozent, Platz elf). „Vor einigen Jahren war ein heißer, regenarmer Sommer in Deutschland noch ein Grund zur Freude. Jetzt erleben wir alle die negativen Folgen unmittelbar – Waldbrände werden häufiger, Flüssen fehlt Wasser und die Natur insgesamt leidet“, sagt Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. „Auch die Flutkatastrophe an der Ahr und in der Eifel vor einem Jahr ist den Menschen noch präsent.“

Zu den großen Ängsten der Deutschen zählt auch in diesem Jahr die Befürchtung, im Alter pflegebedürftig zu werden: Mehr als vier Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland. Entsprechend groß ist auch die Angst davor, im Alter auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen zu sein – sie beunruhigt 41 Prozent der Befragten. Bei Frauen, die in den meisten Fällen auch die Pflegenden in den Familien sind, ist diese Angst generell größer als bei Männern.

Großer Ost-West-Unterschied bei Zuwanderungsthemen

Zum Vorjahr gleich geblieben ist die Furcht vor einer Überforderung des Staats durch Geflüchtete (45 Prozent) – obwohl seit Kriegsbeginn mehr als eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland registriert wurden. Die Sorge, dass es durch weitere Migration zu Spannungen kommt, liegt mit 37 Prozent nur noch auf Platz 16 (2021: 42 Prozent, Platz sieben). Allerdings sind die Unterschiede zwischen Ost und West bei beiden Ängsten groß: In Westdeutschland fürchten 43 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, dass die Zahl der Geflüchteten den Staat überfordert. Im Osten ist es mehr als die Hälfe der Befragten (54 Prozent). Aber auch in Ostdeutschland nimmt diese Angst ab, wirtschaftliche Sorgen haben sie von Platz eins auf Platz fünf verdrängt.


Gesa Fritz ist Pressesprecherin der R+V Versicherung und Ansprechpartnerin für die Studie „Die Ängste der Deutschen“.

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