Zustimmung: Die Unionsabgeordneten im Bundestag haben ein Positionspapier zu den EU-Plänen für ein „Nachhaltiges Finanzwesen“ formuliert. GVB-Präsident Jürgen Gros begrüßt die Forderungen.
Anzeige
Anzeige
Herr Radwan, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich in einem Positionspapier für mehr Wettbewerb und Selbstregulierung bei nachhaltigen Finanzprodukten ausgesprochen – damit stellt sie sich gegen die Pläne der EU-Kommission, die die Finanzwirtschaft bei diesem Thema regulatorisch in die Pflicht nehmen will. Wie werden Sie sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren gegenüber Brüssel positionieren?
Alexander Radwan: Wir verfolgen die Entwicklung in Brüssel beim Thema nachhaltige Finanzprodukte aufmerksam und sind bestrebt, diese so eng wie möglich zu begleiten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion spricht sich klar gegen bürokratische Regelungen aus und positioniert sich damit auch gegen Akteure der Finanzwirtschaft, die weitergehende gesetzgeberische Regelungen fordern. Durch den gewählten Ansatz besteht die Gefahr, dass Umweltpolitik in die Finanzmarktregulierung verlagert wird. Da hat sie aber nichts zu suchen. Regulierung muss sich am Risiko orientieren und nicht daran, ob sie politische Zielvorgaben erfüllt. Das ist sehr gefährlich. Ich erinnere nur an die Ursachen der Subprime-Krise. Damals hatte die US-Regierung das Ziel, dass Bürger mit geringem Einkommen Immobilienbesitz erwerben. Optimal wäre aus meiner Sicht, wenn es der Markt weitestgehend selbst regeln könnte und die Wirtschaft die besten Lösungen im Wettbewerb findet.
„Eine Taxonomie wird sehr komplex sein, um die gesamte Wirtschaft Europas auf Nachhaltigkeit abzubilden.“
Um das Finanzsystem nachhaltiger zu gestalten, müssen zunächst Kriterien für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten definiert werden („Taxonomie“). Derzeit verhandeln Vertreter des EU-Parlaments und des Ministerrats den entsprechenden Verordnungsentwurf der EU-Kommission. Was sind aus Ihrer Sicht die kritischen Punkte in den Verhandlungen?
Radwan: Im Juni dieses Jahres hat die Sachverständigengruppe der Europäischen Kommission für Nachhaltige Finanzen (TEG) drei Berichte vorgestellt. Im Rahmen des Aktionsplans der Europäischen Union zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums sind hiermit die Bereiche grüne Anleihen, Klimaindikatoren und Klassifizierungen (Taxonomie) gemeint. Die kritische Frage ist: Wie kompliziert wird das System? Das heißt, eine Taxonomie wird sehr komplex sein, um die gesamte Wirtschaft Europas auf Nachhaltigkeit abzubilden. Wie ich bereits zu Beginn der Debatte angemerkt habe, hat jedes Land eine andere Vorstellung davon, was nachhaltig ist. Aus der Sicht Frankreichs sind Atomkraftwerke positiv zu bewerten, da sie CO2-neutral sind. In Deutschland wird das wieder ganz anders beurteilt. Dies zeigt, wie schwierig es ist, hier einen Konsens zu finden.
Wie würde sich so ein Klassifizierungssystem konkret auf die Unternehmen auswirken?
Radwan: Wir müssen uns hinsichtlich der Taxonomie die Frage stellen, was dies für die Bewertung des einzelnen Unternehmens am Markt bedeutet und ob es den Unternehmen so überhaupt möglich ist, nachhaltig zu sein. Wir sehen das aktuell bei dem Vorschlag um die Abgaswerte. Das sind Werte, die kein PKW in Deutschland erreichen kann. Die Kriterien für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten müssen also realistisch und nachvollziehbar sein und dürfen den bürokratischen Aufwand nicht ins Unermessliche treiben. Ich befürchte, dass das nicht realisierbar ist. Wenn aber der Startschuss erst gegeben ist, wird die Bürokratie ihre Eigendynamik entwickeln. Darüber hinaus sehe ich die Gefahr, dass die Taxonomie zu einem Spiegel der tagesaktuellen Politik wird und die Leidtragenden dieser Entwicklung die Unternehmen sein werden. Wir müssen hier unbedingt unseren Weitblick schärfen und dürfen nicht voreilig ein System implementieren, ohne die weitere Entwicklung zu bewerten. Es gilt sowohl für Unternehmen als auch für Anleger einen verlässlichen Rahmen zu schaffen, der einfach und übersichtlich ist.
Wann wird das Thema Nachhaltigkeit im Finanzsektor in Deutschland für Unternehmen und Banken zur konkreten Umsetzung anstehen?
Radwan: Der Einstieg ist durch entsprechende Vorgaben längst gemacht. Wenn ein Kunde eine Anlageberatung erhält, muss er gefragt werden, ob diese nachhaltig sein soll. Circa 60 Prozent der Kunden wünschen sich das. Die Bank muss diesen Wünschen nachkommen und entsprechende Anlageformen vorschlagen. Bis jetzt gibt es zwar noch keinen gesetzgeberischen Rahmen, allerdings werden die Vorschläge der BaFin aus dem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken, welches im September veröffentlicht wurde, schon heute als Orientierung herangezogen. Auch wenn es sich hierbei nur um eine Konsultation handelt, entfaltet sie bereits ihre faktische Wirkung.
Zur Person
Der Finanzpolitiker Alexander Radwan (*1964) kennt den politischen Betrieb von der kommunalen bis zur europäischen Ebene. Nach seinem Abschluss als Flugzeugbau-Ingenieur studierte er Jura. 1995 wurde er als Rechtsanwalt zugelassen. Als Europaabgeordneter spezialisierte er sich ab 1999 auf die Themen Wirtschaft und Finanzen. 2008 wechselte er als Abgeordneter in den Bayerischen Landtag. Seit 2013 vertritt Radwan im Deutschen Bundestag den Wahlkreis Bad Tölz-Wolfratshausen – Miesbach. Im Parlament gehört er unter anderem dem Finanzausschuss an. Seit 2018 ist Radwan zudem Mitglied des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).
Sie sind Mitglied im Verwaltungsrat der BaFin. Greift diese mit dem von Ihnen erwähnten Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken nicht unverhältnismäßig in die unternehmerische Freiheit von Banken ein?
Radwan: Wie ich schon erläutert habe, ist dies ein Versuch der BaFin, eine entsprechende Orientierung zu geben, weil die Pflicht der Marktteilnehmer, nachhaltige Anlagemöglichkeiten anzubieten, bereits besteht. Man gewinnt einen Eindruck davon, wie sich solche Vorgaben auswirken werden. Die Nachfrage ist da, sodass sich hier der Druck auf die Finanzmarktteilnehmer erhöht, entsprechende Angebote zu machen. Die Verwaltung nimmt jetzt die Arbeit auf, ohne dass das Parlament den Rahmen abgesteckt hat. Das ist problematisch und ich sehe diese Entwicklung kritisch. Die Konsultation sollte daher ein Prozess zur Meinungsbildung sein, aber nicht die Gesetzgebung vorwegnehmen.
„Die deutsche und die europäische Wirtschaft stehen vor einem riesigen Transformationsprozess, dessen weitreichende Folgen wir heute nicht absehen können.“
Auch wenn das europäische Gesetzgebungsverfahren noch läuft: Können Sie bereits abschätzen, welche Folgen das Thema Nachhaltigkeit im Finanzsektor für Regionalbanken, Unternehmen und Privatkunden in Bayern und Deutschland haben wird?
Radwan: Es findet eine Politisierung des Finanzsystems statt. Wir laufen Gefahr, dass Anlagen zukünftig primär nach Kriterien wie „gut“ oder „böse“ und nicht mehr nach „sicher“ oder „unsicher“ bewertet werden. Das kann zu einer Finanzblase führen und hat natürlich Auswirkungen auf die Finanzmarktstabilität. Auch die Tatsache, dass die Regulierung für NGOs geöffnet wird, bereitet mir große Sorge. Die politische Kontrolle geht verloren. Die deutsche und die europäische Wirtschaft stehen dann vor einem riesigen Transformationsprozess, dessen weitreichende Folgen wir heute nicht absehen können. Außerdem wird durch die Regulierung ein bürokratischer Aufwand entstehen, der alles Bisherige in den Schatten stellt. Jeder muss dann einen Nachhaltigkeitsnachweis führen und alles mit entsprechenden Daten belegen. Man spricht inzwischen von grünem Rating. Wer ein schlechtes Rating erhält, bekommt schlechtere Finanzierungskonditionen. Anders als beim externen Kreditrating, das circa 80 Prozent der Unternehmen nicht haben, werden dies viel mehr Firmen erstellen müssen. Die Details werden wieder in europäischen Expertengruppen mit maßgeblicher Beteiligung der NGOs definiert werden, die in ihrer Komplexität eigentlich gar nicht abbildbar sind. Es werden neue, nicht unerhebliche Kosten entstehen.
Die Bundesregierung hat einen Beirat eingesetzt, der sie – unter Berücksichtigung europäischer Initiativen – bei der Ausarbeitung einer Sustainable-Finance-Strategie beraten soll. Was sollten aus Ihrer Sicht die Eckpunkte dabei sein?
Radwan: Ich möchte nicht falsch verstanden werden, das Ziel der Nachhaltigkeit ist richtig und auf jeden Fall zu unterstützen. Wir sollten dies nur möglichst marktkonform umsetzen, das heißt, so wenig wie möglich durch gesetzliche Vorgaben und Regulierungen. Eine Strategie muss langfristig gedacht werden und nicht von kurzfristigen Zielen getrieben sein. Wir sollten uns immer fragen, wie das System in zehn oder 20 Jahren aussieht. Ist das der Start eines neuen Bürokratiemonsters?
Herr Radwan, vielen Dank für das Interview!