Immobiliengeschäft: Sind die goldenen Zeiten vorbei? Zwei Wissenschaftler und zwei Bankvorstände schätzen die Lage ein.
Herr Dr. Hagen, nach dem Rekordjahr 2021 hatte sich die MünchenerHyp für 2022 vorgenommen, moderat zu wachsen. Dann kamen der Ukraine-Krieg und die hohe Inflation. Wie haben sich vor diesem Hintergrund die Geschäfte des Unternehmens entwickelt?
Louis Hagen: Im ersten Halbjahr war die Nachfrage nach unseren Immobilienfinanzierungen unverändert hoch. Unser Neugeschäft konnten wir deshalb gegenüber dem ersten Halbjahr 2021 um 15 Prozent auf 3,5 Milliarden Euro steigern. Auch die Erträge haben sich positiv entwickelt. Der Zins- und Provisionsüberschuss stieg um 22 Prozent auf 153 Millionen Euro. Mit dem Beginn der Sommerferien in Deutschland hat die Nachfrage nach privaten Immobilienfinanzierungen allerdings spürbar nachgelassen.
Sie sind sowohl in der gewerblichen als auch in der privaten Immobilienfinanzierung engagiert. Wie ist die Geschäftslage in den beiden Segmenten?
Hagen: In der privaten Wohnimmobilienfinanzierung sehen wir eine Verschiebung der Nachfrage zu Bestands- und Anschlussfinanzierungen. Bei den Anschlussfinanzierungen waren vor allem Forwards angesichts der dynamischen Zinssteigerungen im ersten Halbjahr 2022 sehr gefragt. Denn die Kunden wollten sich noch möglichst niedrige Konditionen sichern. Das Angebot an Neubauten ist überschaubar und wird durch die stark gestiegenen Baukosten belastet, was eine rückläufige Nachfrage nach sich zieht. Professionelle Investoren verhalten sich zunehmend vorsichtig. Das hat bereits deutliche Auswirkungen auf den Umsatz mit Gewerbeimmobilien, der im ersten Halbjahr um rund ein Drittel gefallen ist. Während sich die Finanzierungskosten maßgeblich erhöht haben, blieben die Preise in den wesentlichen Segmenten des Gewerbeimmobilienmarkts stabil oder sind teilweise sogar gestiegen. Damit hat die Kapitalanlage in Gewerbeimmobilien an Attraktivität gegenüber alternativen risikoarmen Investitionen eingebüßt.
„Die Gefahr einer Stagflation ist nicht zu unterschätzen. Das wird nicht ohne Auswirkungen auf die Immobilienmärkte bleiben.“
Wie lautet Ihre Prognose für das zweite Halbjahr?
Hagen: Die vielen Unsicherheiten – Krieg, Energieversorgung, Zins- und Inflationsentwicklung – werden das weitere Wachstum des Bruttoinlandsprodukts zunehmend beeinträchtigen. Die Gefahr einer Stagflation, vor der viele Experten warnen, ist nicht zu unterschätzen. Das wird nicht ohne Auswirkungen auf die Immobilienmärkte bleiben. Allerdings reagieren die Immobilienmärkte bekanntlich sehr viel träger als andere Märkte.
Wie werden sich die Märkte für Büro- und Einzelhandelsimmobilien entwickeln?
Hagen: Angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen ist bei Büroimmobilien nicht damit zu rechnen, dass die Neuvertragsmieten steigen werden. Hinzu kommt, dass angesichts einer drohenden Rezession und der steigenden Home-Office-Quote auch nicht mit steigenden Raumbedarf gerechnet werden kann. Bei gleichzeitig gestiegenen Finanzierungskosten und den bestehenden Unsicherheiten bedarf es somit einer Preisanpassung, damit sich Büroinvestitionen ausreichend rentieren. Solange diese Korrektur noch nicht stattgefunden hat, wird die Nachfrage nach Büroimmobilien und somit die Finanzierungsnachfrage eher verhalten sein. Bei Einzelhandelsimmobilien ist mit Ausnahme des Lebensmitteleinzelhandels bereits seit längerer Zeit zu beobachten, dass die Mieten und dementsprechend die Immobilienpreise in den letzten Jahren bereits rückläufig sind.
Und bei den Wohnimmobilien?
Hagen: Bei Wohnimmobilien erwarten wir, dass die Nachfrage im zweiten Halbjahr aufgrund der genannten Unsicherheiten und der gestiegenen Finanzierungkosten tendenziell nachlassen wird. Zusätzlich wirken sich die inflationsbedingten höheren Lebenshaltungskosten belastend auf die Kapitaldienstfähigkeit der privaten Darlehensnehmer aus.
„Aufgrund der steigenden Baukosten und der schwierigen Verfügbarkeit von Baumaterialien und Fachkräften werden weniger Neubauprojekte realisiert werden können.“
Einige Branchenexperten sprechen bereits von einer Trendwende oder einem Ende des Immobilienbooms. Wie bewerten Sie die Lage?
Hagen: Nach einer Dekade des Wachstums, das wesentlich von der Niedrigzinspolitik der Notenbanken allen voran der EZB geprägt war, befinden sich die Immobilienmärkte jetzt angesichts steigender Zinsen an einem Wendepunkt. Wir erwarten allerdings keine harte Landung. Für Wohnimmobilien besteht weiterhin grundsätzlich ein Nachfrageüberhang, auch wenn für manchen Haushalt angesichts der gestiegenen Zinsen der Immobilienerwerb nicht mehr möglich sein wird. Aufgrund der steigenden Baukosten und der schwierigen Verfügbarkeit von Baumaterialien und Fachkräften werden weniger Neubauprojekte realisiert werden können. Somit trifft das knappe Angebot auf eine nach wie vor substanzielle Nachfrage, was stabilisierend auf die Immobilienpreise wirkt. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass die Preisentwicklung des ersten Halbjahrs, die bei etwa 10 Prozent Wachstum lag, sich im zweiten Halbjahr und danach fortsetzt. Man wird wohl eher mit einer Seitwärtsbewegung rechnen müssen.
Wie ist die Lage bei Gewerbeimmobilien?
Hagen: Bei Gewerbeimmobilien muss man die Anlageklassen differenziert betrachten. Logistikimmobilien werden gefragt bleiben. Die zuletzt erkannte hohe Abhängigkeit und Anfälligkeit von komplexen Lieferketten hat gezeigt, dass sich eine Lagerhaltung vor Ort stabilisierend auf die Lieferfähigkeit von Unternehmen auswirkt. Bei Büroimmobilien rechnen wir, wie gesagt, mit leicht rückläufigen Preisen aber einer insgesamt stabilen Entwicklung, zuletzt stiegen die Büropreise wieder leicht um 1,9 Prozent. Der Markt wird sich wieder stärker nach der Lage der Immobilie, aber auch der Energieeffizienz differenzieren. Der Einzelhandel befindet sich nun schon längere Zeit in einer Konsolidierungsphase. Die hohen Inflationsraten, Rezessionsängste und die dadurch angeschlagene Konsumentenstimmung und das Thema Onlineshopping werden die Märkte belasten.
Wie ist die MünchenerHyp für mögliche Korrekturen am Immobilienmarkt aufgestellt?
Hagen: Wir haben ein ausgewogenes Geschäftsmodell und ein breit diversifiziertes und risikoarmes Hypothekenportfolio. Unsere Wettbewerbsfähigkeit im Privatkundengeschäft wird durch die Pfandbriefrefinanzierung geprägt. Somit ist auch der wesentliche Teil der Wohnimmobilienfinanzierungen durch niedrige Beleihungsausläufe geprägt. Im gewerblichen Geschäft achten wir darüber hinaus stets auf eine auskömmliche Kapitaldienstfähigkeit. Zudem haben wir mit der Umsetzung unserer Strategie die Profitabilität der Bank in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesteigert und wir verfügen über eine sehr solide Eigenkapitalausstattung. Zugleich stellen wir uns auf die Abkühlung der Immobilienmärkte ein. So haben auch wir unsere Kreditpolitik an die sich abschwächende Konjunktur und die hohe Inflation angepasst.
„Das Thema Nachhaltigkeit wird das Geschehen an den Immobilienmärkten und insbesondere das Finanzierungsgeschäft maßgeblich prägen.“
Welche Trends erkennen Sie auf den Immobilienmärkten und welche strategischen Entscheidungen leiten Sie daraus für die MünchenerHyp ab?
Hagen: Wir befinden uns derzeit, wie ich bereits ausführte, an einem Wendepunkt. Noch ist nicht zu erkennen, wann die Abkühlung der Märkte beendet sein wird. Deshalb ist es zu diesem Zeitpunkt noch schwierig, neue Trends auszumachen. Was sich allerdings deutlich zeigt, ist, dass das Thema Nachhaltigkeit das Geschehen an den Immobilienmärkten und insbesondere das Finanzierungsgeschäft maßgeblich prägen wird. Strategisch sehen wir uns mit unseren zwei Kerngeschäftsfeldern – private Wohnimmobilienfinanzierung und gewerbliche Immobilienfinanzierung – auch in schwierigeren Marktphasen gut aufgestellt. Wir haben in den letzten Jahren einen Immobilienboom erlebt, wie wir ihn in Deutschland in der Nachkriegszeit bis dahin nicht kannten. Wir kehren nun wieder in eine „Normalität“ zurück, aber auch in diesem Umfeld sind wir als Partner der Genossenschaftsbanken und auf Immobilienfinanzierung spezialisiertes Institut gut positioniert. Es gibt noch einige Potenziale, die wir heben können, sei es auf Märkte, Produkte und Prozesse bezogen.
„In jeder Phase eines Immobilienzyklus gibt es gute Geschäftsmöglichkeiten.“
Wie schätzen Sie generell das mittel- und langfristige Geschäftspotential für Immobilienkredite ein?
Hagen: In Deutschland wurden auch während des Immobilienbooms zu wenig Häuser und Wohnungen gebaut. Eine hohe Nachfrage nach Wohnraum wird deshalb bleiben. Das macht den Kauf von Wohnimmobilien sowohl für Privatpersonen als auch für Investoren langfristig attraktiv und sorgt für die entsprechende Nachfrage nach Finanzierungen. Die Gewerbeimmobilienmärkte werden sehr viel stärker von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung getrieben, die aktuell schwer zu prognostizieren ist. Die Marktmechanismen greifen auf den Gewerbeimmobilienmärkten aber recht zügig, sodass über Preisanpassungen dann auch rasch das Investoreninteresse zurückkehrt und Fremdfinanzierungen nachgefragt werden. In jeder Phase eines Immobilienzyklus gibt es gute Geschäftsmöglichkeiten. Entscheidend ist, dass man als aktiver Partner bereitsteht und nicht mit der Bewältigung von Altlasten beschäftigt ist.
Wie wirkt sich der verstärkte Einsatz der Politik und der Aufsicht für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz auf den Immobiliensektor aus?
Hagen: Die immer höheren regulatorischen Anforderungen stellen Eigentümer, Investoren und Finanzierer vor enorme Herausforderungen. Denn nur der kleinere Teil der Immobilien genügt heute den künftigen Vorgaben, insbesondere hinsichtlich der Energieeffizienz. Vor allem ältere Objekte laufen deshalb Gefahr, eines Tages nicht mehr vermiet- und verwertbar zu sein. Hinzu kommt, dass die EU-Taxonomie die Anforderungen an das Management von Nachhaltigkeitsrisiken sowie eine nachhaltige Berichterstattung erheblich verschärft. Dem tragen wir beispielweise dadurch Rechnung, dass wir ESG-Kriterien in den gesamten Kreditvergabeprozess sowie in die Risikoprüfung integrieren.
Wie positioniert sich die MünchenerHyp beim Thema nachhaltige Immobilienfinanzierung?
Hagen: Wir haben schon vor über zehn Jahren Nachhaltigkeit im Kerngeschäft der Bank verankert. Das heißt, dass wir einen geschlossenen Nachhaltigkeitskreislauf im Aktiv- und Passivgeschäft etabliert haben. Wir haben auf der Aktivseite begonnen, nachhaltige Immobilienfinanzierungen zu entwickeln. Sehr erfolgreich sind dabei das Grüne Darlehen und das Familiendarlehen. Beide Finanzierungslösungen, die sich übrigens auch kombinieren lassen, machen inzwischen über 20 Prozent des Neugeschäfts in der privaten Wohnimmobilienfinanzierung aus. Unsere nachhaltigen Finanzierungen refinanzieren wir über ESG- und Grüne Pfandbriefe sowie ungedeckte nachhaltige Anleihen. Diese haben inzwischen ein Bestandsvolumen von über 3 Milliarden Euro erreicht. Bei den steigenden Anforderungen von Politik und Aufsicht sind auch wir gefordert, unsere nachhaltigen Produkte stetig zu verbessern. So entwickeln wir derzeit taxonomiekonforme Produkte. Wir sind überzeugt, dass das Thema Nachhaltigkeit auch große Chancen bietet, weil der Bestand an Immobilien, den es energetisch zu sanieren gilt, enorm ist.
„Die Optimierung und Digitalisierung unserer Kreditprozesse ist ein wesentlicher Schwerpunkt unserer Geschäftsstrategie.“
Im Interview mit der Börsen-Zeitung haben Sie angekündigt, die Prozesse vor allem in der Wohnimmobilienfinanzierung zu digitalisieren. Wie weit sind Sie, was ist das Ziel?
Hagen: Die Optimierung und Digitalisierung unserer Kreditprozesse ist ein wesentlicher Schwerpunkt unserer Geschäftsstrategie. Hinzu kommt, dass sich die Kundenerwartungen massiv verändert haben. Gerade Privatkunden erwarten inzwischen bei ihren Immobiliendarlehen einen Standard vorzufinden, den sie vom Online-Banking oder Online-Versandhändler gewohnt sind. Das bedeutet, den gesamten Kreditprozess von der Zusage, über die Auszahlung bis zum Bestandsservice und der Prolongation zu digitalisieren und zu automatisieren. Dabei sind wir in den vergangenen Monaten gut vorangekommen. So konnten wir mit der technischen Anbindung von Europace die letzte papierhafte Lücke im Neugeschäftsprozess schließen, sodass nun alle relevanten Vermittlungspartner und Plattformen über technische Schnittstellen angebunden sind. Damit können wir Daten und Dokumente automatisiert bis in unser Kernbankensystem verarbeiten. Ein konkretes Ziel gibt es in diesem Zusammenhang nicht. Die Prozessoptimierung mit Hilfe der Digitalisierung ist eine Daueraufgabe. Unser Ziel ist es, unsere Prozesse so zu optimieren, dass wir den Bedürfnissen unserer Kunden und Partner an Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Komfort bestmöglich gerecht werden und dabei unsere Ertragskraft stärken.
Herr Hagen, vielen Dank für das Gespräch!
Louis Hagen ist seit 2009 bei der Münchener Hypothekenbank eG tätig. 2010 wurde er zum Vorstandssprecher, 2016 zum Vorstandsvorsitzenden des Kreditinstituts berufen. Bis Mai 2022 war er zugleich Präsident des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken (vdp).