Zufriedenheits-Barometer: GVB-Präsident Jürgen Gros über den erstmals veröffentlichten Heimatindex der bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken.
Herr Maurer, in Ihren Alpenkrimis kommt Ihr Wohnort Garmisch-Partenkirchen zu hohen literarischen Ehren. Wie viel Heimatverbundenheit steckt in den Beschreibungen des Orts und seiner Bewohner?
Jörg Maurer: Da ist schon viel Heimatverbundenheit mit dabei. Allerdings darf man beim Schreiben nicht den Fehler begehen, die Kulisse in den Vordergrund zu stellen. Wenn die Handlung nicht funktioniert, hilft auch die schönste Landschaft nichts. Vor allem bei Krimis muss es noch etwas anderes geben als die pure Heimatliebe. Dennoch habe ich meine Bücher natürlich ganz bewusst bei mir um die Ecke verortet – auch deshalb, weil ich mich dort auskenne. Dass ich dabei nicht ungerne im Werdenfels lebe, merkt man meinen Krimis hoffentlich an.
In der Tat. Wobei ihre Beschreibungen von Land und Leuten hin und wieder eine gewisse satirische Schärfe aufweisen...
Maurer: Darin sehe ich keinen Widerspruch. Wenn ich meine Heimat satirisch beleuchte und mich über sie lustig mache, dann muss ich sie lieben. Sonst kann ich das nicht machen. Etwas Hassenswertes durch den Kakao zu ziehen, das geht nicht. Ich bin im Oberland aufgewachsen und mit 18 Jahren nach München gezogen. Seit acht Jahren lebe ich wieder in Garmisch. Ich habe also den Blick von innen und von außen auf den Kurort und das Werdenfels. Ich lebe gerne dort, aber man muss auch die nötige Distanz zur Heimat wahren, um sie reflektieren zu können. Das führt im besten Fall auch wieder zu mehr Heimatverbundenheit, wenn man die positiven Dinge zu schätzen lernt, aber auch die negativen Seiten kennt und daran vielleicht sogar etwas ändern will.
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Können Sie Ihr Verhältnis zur Heimat in Worte fassen?
Maurer: Deswegen schreibe ich Romane, um mich dem anzunähern. Heimat lässt sich nicht präzise erfassen. Ich bin als Musikkabarettist sehr viel unterwegs gewesen im ganzen deutschsprachigen Raum. Da habe ich gesehen, wie viele schöne Orte es auch anderswo gibt. Das pure „Hier ist es am schönsten“ kann also für die Definition von Heimat nicht genügen. Trotzdem gibt es ortstypische Eigenheiten, die für Vertrautheit sorgen. Dazu gehört zum Beispiel der Dialekt. In Oberbayern gibt es die Neigung zum theatralisch-barocken Auftritt, was auch dem Tourismus geschuldet ist. Das kann man kritisch sehen und bietet viele Ansätze für Satire. Andererseits gibt es zum Beispiel nirgends so viele Laien- und Bauerntheatern wie bei uns. Ich mag Theater und habe auch selbst viel Theater gemacht. Dort werden neue Geschichten entwickelt. Das finde ich liebenswürdig.
Ist Dialekt für Sie Heimat?
Maurer: Den gesprochenen Dialekt finde ich sehr sympathisch. Ich würde allerdings nie in Mundart schreiben. Das zu lesen, finde ich anstrengend, denn es gibt keine einheitliche Zeichensetzung für geschriebenen Dialekt.
Muss man denn seine Heimat einmal verlassen haben, um ihren Wert zu erkennen?
Maurer: Ich finde schon. Früher war die eigene Heimat ein sehr begrenzter Raum. Wer sie verlassen hat, wollte in der Regel der Armut entfliehen, lief aber auch Gefahr, erst recht ins Elend zu kommen. Heute fliegen wir ohne Nachzudenken um die ganze Welt. Dennoch ist Reisen wichtig, um Unterschiede zu erkennen. Wer weiß, wie es anderswo zugeht, kann die eigenen Verhältnisse besser beurteilen und lernt sie dann vielleicht auch mehr wertzuschätzen.
„Heimat darf kein Klischee sein.“
Der Begriff Heimat ist mit vielen Emotionen verbunden. Welche Bedeutung hat er für Sie?
Maurer: Ich finde, die heutige Zeit übertreibt etwas mit den Emotionen. Wir leben in einer globalen Welt. Das ist anstrengend und erfordert einen Ausgleich. Doch was wird uns dafür gegeben? Oft ist es ein überzogenes Heimatbild aus der Werbung. Wenn es in die Volkstümelei abdriftet, wird mir das schnell zu viel. Die bayerischen Alpen zum Beispiel nehmen nicht einmal sechs Prozent der Fläche des Freistaats ein. Trotzdem bekommt man in der Werbung manchmal den Eindruck, die meisten bei uns hergestellten Produkte stammen aus den Alpen. Überall Berge vor weiß-blauem Himmel und saftiges Grün. In Bayern gibt es so viele herrliche Landschaften – warum müssen immer wieder die Alpen als Kulisse herhalten? Dabei ist das nicht einmal etwas Neues. Schon die Heimatfilme in den 1950er Jahren transportierten einen unzeitgemäßen Heimatbegriff. Da wurden Sehnsuchtsorte gezeigt, die es in der Realität nie gegeben hat. Heimat darf kein Klischee sein.
Sondern?
Maurer: Dazu müsste man Heimat erst einmal definieren. Jeder Mensch braucht einen Rückzugsort, wo er sich zu Hause und geborgen fühlt. Dabei reicht es auf keinen Fall, den Begriff auf einen geografischen Ort, eine Landschaft oder die persönliche Herkunft zu reduzieren. Für mich sollte Heimat deshalb ein Ort sein, der Geborgenheit vermittelt und zu dem man jederzeit zurückkehren kann. In meinem Fall waren das zum Beispiel Bücher und die Musik, zu denen ich immer wieder zurückgefunden habe. Ein Buch oder Menschen, die einem Halt geben, so etwas kann auch Heimat sein. Dazu gehören aber auch das soziale Milieu, dem man sich zugehörig fühlt, das Lieblingsfach in der Schule oder die Möglichkeit, seinen persönlichen Interessen nachzugehen – Heimat ist also ein sehr vielschichtiger Begriff.
Hat sich das Verhältnis der Menschen zu ihrer Heimat im Vergleich zu früheren Generationen verändert?
Maurer: Ich denke schon. Meine Eltern zum Beispiel hatten noch eine enge Bindung zu den Vereinen und Veranstaltungen im Ort, waren dort auch politisch engagiert. Heute ist das bei vielen nicht mehr so. Vielen fehlt dafür die Zeit – zum Beispiel, weil sie viel Zeit im Zug oder im Auto verbringen, um zu ihrem Arbeitsort zu pendeln. Wenn ich Computerexperte bin, dann gehe ich nach München oder Innsbruck, weil ich da einen besseren Job finde. Da kann ich in Garmisch-Partenkirchen von der Heimatliebe nicht viel runterbeißen. Ich habe Glück, weil mein Beruf als Autor nicht ortsgebunden ist. Deshalb konnte ich es mir leisten, nach Garmisch-Partenkirchen zu ziehen, weil dort die Berge vorkommen, die ich in meinen Krimis beschreibe.
„Heimat ist nichts Rückwärtsgewandtes. Man strebt zu ihr und erarbeitet sie sich.“
Hat Heimat also auch einen ökonomischen Aspekt?
Maurer: Natürlich. Viele Menschen können oder wollen nicht in ihrer Heimat bleiben, weil die ökonomischen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Sie finden woanders einen Job und müssen deshalb entweder pendeln oder gleich ganz wegziehen. Das ist die negative Seite. Andererseits hat Heimat auch etwas Vorwärtsgewandtes. Denn die Menschen haben ja auch die Möglichkeit, sich auf einen neuen Ort einzulassen und ihn zu ihrer Heimat zu machen. In Europa gibt es nur wenige Orte, wo das nicht geht. Heimat ist nichts Rückwärtsgewandtes. Man strebt zu ihr und erarbeitet sie sich.
„Der Mensch will sich da, wo er lebt, gut einrichten.“
Welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein?
Maurer: Zunächst will sich der Mensch da, wo er lebt, gut einrichten. Dazu gehört erst einmal die Möglichkeit, zu arbeiten und seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Das ist die Grundvoraussetzung. Die öffentliche Infrastruktur wie Schulen, Straßen oder Einkaufsmöglichkeiten spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Aber auch soziale Kontakte sorgen für Heimat. Je besser das kulturelle, soziale und sportliche Angebot ist, desto leichter finden Menschen Anschluss und können sich in eine neue Gemeinschaft integrieren. Diese Aufgabe übernehmen auf dem Land häufig Vereine.
Der elfte Alpenkrimi „Im Schnee wird nur dem Tod nicht kalt“ von Jörg Maurer erscheint am 24. Oktober. In einer verschneiten Berghütte hoch über dem idyllisch gelegenen Kurort will Kommissar Jennerwein mit seinem Team feiern. Einmal ohne Ermittlungsdruck und Verbrecherjagd gemütlich am Kaminfeuer sitzen und Geschichten erzählen. Aber was bedeuten die blutigen Spuren im Schnee, die draußen zu sehen sind? Warum kreist eine Drohne über der Hütte? Und welcher unheimliche Schatten streift durch die Nacht? Während drunten im Kurort die Polizeistation verwaist ist und eine Gestalt leblos in einem versperrten Keller liegt, erkennt Jennerwein, dass er in eine Falle geraten ist, aus der es kein Entkommen gibt. Wenn er sein Team retten will, muss er mit dem Tod Schlitten fahren…
Genossenschaften fördern die wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Belange ihrer Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb. Wie viele andere Unternehmen auch halten sie damit Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region. Trägt das ebenfalls zur Bindung der Menschen an ihre Heimat bei?
Maurer: Unternehmen, die sich auf diese Weise engagieren, schaffen die Voraussetzung für Heimat und machen sie lebenswert. Das unterstütze ich voll und ganz. Das betrifft ja nicht nur die eigene Heimat. Nehmen wir zum Beispiel den Trend zu regionalen Lebensmitteln. Da haben wir gesehen, dass in den Supermärkten in den vergangenen Jahren einiges falsch gelaufen ist und wir oft gar nicht mehr wissen, was wir da eigentlich konsumieren und unter welchen Umständen es hergestellt wurde. Wenn wir etwa billigen Pangasius in rauen Mengen importieren, dann ist das weder für uns noch für die Menschen und die Umwelt in Südostasien gut, weil die Fischzucht dort mehr Schäden anrichtet als wirtschaftlichen Nutzen bringt. Deshalb ist es sinnvoll, die regionale Wirtschaft zu fördern und auch einmal eine heimische Forelle zu essen. Ich unterstütze zum Beispiel Bauern, die Murnau-Werdenfelser Rinder züchten. Das ist eine alte Rasse, die vom Aussterben bedroht ist...
… die Schaukäserei Ammergauer Alpen eG vermarktet die Milch der Murnau-Werdenfelser Kühe und trägt so zum Erhalt dieser Rasse bei.
Maurer: So etwas gefällt mir. Es geht mir nicht darum, etwas zu konservieren, nur weil es als Heimat deklariert wird oder angeblich immer schon so gewesen ist. Nicht alles hat eine Zukunft. Wir müssen uns dem Wandel stellen und ihn gestalten. Wenn sich Menschen und Unternehmen für ihre Region einsetzen, dann sorgen sie auch für Lebensqualität. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie die Natur schützen, Ressourcen schonen oder soziale und kulturelle Angebote auf die Beine stellen.
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Ist Heimat also auch Lebensqualität?
Maurer: Das kann man so sehen. Zur Lebensqualität gehört eben nicht nur der Supermarkt mit großem Parkplatz, in dem ich alles bequem und billig einkaufen kann, sondern auch der Sportverein, die Musikgruppe oder der Metzger, den ich noch persönlich kenne und bei dem ich die beste Leberkässemmel von ganz Garmisch-Partenkirchen erhalte.
Die Leberkässemmel ist ein gutes Stichwort. In Ihren Krimis schreiben Sie geradezu Hymnen an den Leberkäs…
Maurer: … für Vegetarier ist das nichts…
Geht Heimat auch durch den Magen?
Maurer: Und ob! Da darf auch jeder Volksstamm behaupten, dass es nur bei ihm so gut schmeckt. Leberkäs zum Beispiel gibt es nicht nur in Bayern. Was hier zählt, sind die Geschichten und Mythen, die um den Leberkäs oder die Weißwurst gesponnen werden. Sie bieten den Einstieg zum Small Talk. Den besten Leberkäs gibt’s nur beim Metzger Soundso, nur dort und nirgends anders. Da beginnt die Lust am Essen schon beim Einkauf. Beim Leberkäs vom Supermarkt würde man so etwas nie behaupten. Auch das gehört zur Heimat. So etwas kann ich in meinen Büchern feiern.
Ist der Aufbau von Mythen ein Kennzeichen von Heimat?
Maurer: Ja, und in Bayern ganz besonders. Viele bayerische Bräuche sind gar nicht so alt, wie man denkt. Auch die heute vielerorts typischen bayerischen Trachten wurden erst spät auf Betreiben der Wittelsbacher eingeführt. Diese Bräuche werden mit einem hohen dramaturgischen Aufwand zur Schau gestellt. Auch hier geht es um Heimat als Narrativ, um die Geschichten, die rund um die Bräuche erzählt werden. Das hat auch eine integrative Wirkung. Wer sich bei den Bräuchen auskennt und die Fachausdrücke versteht, kann mitreden und gehört dazu.
Sie haben in ihrem Band „Bayern für die Hosentasche – Was Reiseführer verschweigen“ allerhand erstaunliche Fakten über den Freistaat und seine Menschen zusammengetragen. Unter anderem schreiben Sie dort über das „Hoamatl“, der Verkleinerung von Heimat also. Was hat es damit auf sich?
Maurer: Ich weiß gar nicht, ob das „Hoamatl“ außerhalb des Alpenraums so bekannt ist. Manche schreiben das sogar auf ihre Häuser: „Am Beppi sei Hoamatl“. Daraus spricht der Stolz auf etwas selbst Erschaffenes. Ich baue mir eine Existenz auf und integriere mich – zum Beispiel das eigene Haus mit der Schusterwerkstatt. Das ist dann das „Hoamatl“. Ich finde das einen sehr schönen Ausdruck, weil er Heimat nicht verkleinert, sondern sogar noch verbessert. Das „Hoamatl“ kann aber auch ein geistiger Rückzugsort sein. Bei mir sind es Bücher, über die ich die Welt vergessen kann. Ich kann mich noch erinnern, wie ich mit 13 Jahren „Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gordon Pym“ von Edgar Allen Poe gelesen habe. Das war mein persönlicher Rückzugsort, den ich mir selbst ausgesucht habe. Sie sehen, es gibt sehr viele Ebenen von Heimat.
Heute schreiben Sie selbst. In Ihren Alpenkrimis gehört Kommissar Jennerwein fast schon zum Inventar von Garmisch-Partenkirchen. Könnten Sie sich vorstellen, dass Jennerwein auch einmal in Berlin ermittelt?
Maurer: Kommissar Jennerwein kann überall ermitteln. Er ist so fokussiert auf seine Arbeit, dass er rundherum alles ausblendet. Ich lasse seine Herkunft bewusst im Ungefähren, um ihn nicht zu sehr auf einen Ort festzulegen. Das ist bei den Polizisten Johann „Joey“ Ostler und Franz „Hölli“ Hölleisen etwas ganz anderes. Sie sind im Kurort aufgewachsen und dort fest verwurzelt. Bei ihnen kann ich mir nur schwer vorstellen, dass sie sich an einem anderen Ort genauso wohl fühlen würden.
Leider musste Johann Ostler von der Bildfläche verschwinden, weil er glaubt, im Zorn aus Versehen einen Menschen erschossen zu haben. Er befindet sich nun an einem geheimen Ort im Kirchenasyl…
Maurer: Machen Sie sich mal keine Sorgen um Johann Ostler. Er kommt vom Kurort nicht los. In meinem nächsten Alpenkrimi taucht er schon wieder auf…
Was können Sie uns von Ihrem elften Alpenkrimi schon verraten?
Maurer: Ich kann nur so viel verraten, dass Kommissar Jennerwein bei einer Hüttenfeier in eine Falle gerät, die ihn und sein gesamtes Team in allerhöchste Gefahr bringt. Man erfährt aber auch, wie es kam, dass der Schüler Hubertus Jennerwein später Polizist werden wollte.
Herr Maurer, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Jörg Maurer (Jahrgang 1953) lebt heute in Garmisch-Partenkirchen. Nach der Schulzeit studierte er in München unter anderem Germanistik. Für einige Jahre war er als Lehrer für Deutsch und Englisch tätig. Und zwar gerne, wie er selbst sagt. Zur gleichen Zeit widmete er sich dem Musikkabarett. Nach reger Tourneetätigkeit leitete er in München 15 Jahre lang sein eigenes Musikkabarett-Theater „Jörg Maurers Unterton“, ehe er sich auf das Schreiben verlegte. Sein erster Alpenkrimi „Föhnlage“ erschien 2009. Seitdem veröffentlicht Maurer jährlich einen Band mit Kommissar Jennerwein. „Föhnlage“ wurde 2011 unter der Regie von Rainer Kaufmann verfilmt. Außerdem verfasste der Autor die Bände „Bayern für die Hosentasche – Was Reiseführer verschweigen“ und „Stille Nacht allerseits – Was Sie von Weihnachten nie gedacht hätten“. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Agatha-Christie-Krimi-Preis und dem Ernst-Hoferichter-Preis. Neben Musik, Theater und Literatur liebt Maurer die Kochkunst, wobei er gerne mit exotischen Gewürzen experimentiert.