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Deutschland soll nach dem Willen der Bundesregierung bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein. Zudem sollen bis zum Jahr 2030 mindestens 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien stammen und die CO2-Emissionen gegenüber dem Jahr 1990 um mindestens 65 Prozent sinken. Um diese Ziele zu erreichen, ist eine umfassende Energiewende notwendig mit einer weitestgehenden Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien, das heißt dem Ausstieg aus allen fossilen Energien: Öl, Gas und Kohle. Die Wirtschaft muss emissionsfrei werden.

Der Umbau der Energiewirtschaft erfordert enorme Anstrengungen. Die Energieversorgung ohne Atom- und Kohlestrom, aber mit Erneuerbaren Energien wird dezentraler werden, kleinteiliger, vernetzter und smarter. Das Energiesparen in allen Sektoren ist elementar. Gebäude werden nicht nur energetisch saniert, sondern selbst zum Energieerzeuger, Stichwort „Prosumer“. Die Industrie muss modernisiert und auf Klimaschutz ausgerichtet werden. Die zunehmende Elektrifizierung des Schienen- und ÖPNV-Verkehrs sorgt im Verkehrssektor dafür, dass der steigende Anteil von Ökostrom effizient genutzt werden kann. Dazu trägt auch der Umstieg hin zu mehr Elektromobilität im Straßenverkehr bei.

Sektorenkopplung muss vorangetrieben werden

Um die Energieeffizienz weiter zu steigern, muss die Sektorenkopplung vorangetrieben werden. Bei der Sektorenkopplung geht es darum, Strom aus Erneuerbaren Energien direkt oder indirekt für bisher nicht elektrifizierte Anwendungen in der Industrie, der Wärmebereitstellung und dem Verkehr zu nutzen. Für bestimmte Anwendungen soll künftig grüner Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen, der mit Strom aus Erneuerbaren Energien hergestellt wird. Dieser könnte dort zum Einsatz kommen, wo erneuerbarer Strom nicht direkt genutzt werden kann, wie zum Beispiel in Teilen der Industrie oder des Verkehrs.

Die Ausbauziele der Bundesregierung bei den Erneuerbaren Energien werden dabei bisher so gut wie nicht erfüllt, auch wenn sich das Ausbautempo vor allem bei der Solarenergie jüngst deutlich erhöht hat, wie der „Ampel-Monitor Energiewende“ des DIW zeigt. Eine große Lücke ist nach wie vor bei der Windenergie zu beobachten, das Ausbautempo sowohl bei Windenergie an Land als auch auf See müsste verdreifacht werden, um die Ziele der Ampel noch zu erreichen. Auch die Ausbauzahlen für Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, Ladesäulen oder Wasserstoffproduktion hinken den Vorgaben deutlich hinterher.

Allerdings hat die Bundesregierung zahlreiche Gesetze auf den Weg gebracht, um die Situation zu verbessern. Vor allem das Windenergie-an-Land-Gesetz, das im Februar 2023 in Kraft getreten ist, soll beim Ausbau der Windenergie für mehr juristische Klarheit sorgen, indem es konkrete Artenschutzvorgaben macht und in allen Bundesländern geeignete Flächen ausgewiesen werden müssen. Nach wie vor sind aber die Genehmigungsverfahren viel zu langsam. Auch fehlt es an Personalkapazitäten in den Ämtern und Behörden. Ebenso gibt es Engpässe bei der Infrastruktur, oftmals fehlen Hafenkapazitäten und Straßen, um die großen Bauteile der Windanlagen zu transportieren. Das macht es schwieriger, die Ausbauziele bei der Windenergie zu erreichen.

„Was den Einbau von besonders effizienten Wärmepumpen angeht, steht Deutschland auf dem vorletzten Platz in Europa.“

Auch im Gebäudesektor gibt es erheblichen Nachholbedarf. Seit Januar 2024 soll laut dem Gebäudeenergiegesetz möglichst jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 Prozent mit Erneuerbarer Energie betrieben werden. Elementar ist die Energieeffizienz. Unabhängig von der Energiequelle muss Energiesparen höchste Priorität haben. Was den Einbau von besonders effizienten Wärmepumpen angeht, steht Deutschland auf dem vorletzten Platz in Europa. Spitzenreiter Dänemark hat schon vor mehr als 40 Jahren mit der Wärmewende begonnen und heute den europaweit höchsten Anteil von Kraft-Wärmekopplungsanlagen. Der Anteil von Fernwärme liegt bei 60 Prozent, die zu mehr als 50 Prozent aus erneuerbaren Quellen gespeist wird. Seit 2013 ist dort der Einbau von Öl- und Gasheizungen verboten.

Elektromobilität als zentraler Baustein der Verkehrswende

Ein zentrales Element eines klimagerechten und nachhaltigen Verkehrssystems muss die Verringerung des motorisierten Individualverkehrs sowie die Stärkung des Bahnverkehrs samt intelligenter und integrierter Mobilitätslösungen sein. Dabei können eine Verkehrsvermeidung und Verlagerung auf Schiene, ÖPNV, Rad- sowie Fußverkehr die Emission von Treibhausgasen und den Energieverbrauch verringern sowie weitere Probleme des Verkehrs wie Flächenverbrauch, Lärm und Unfallrisiken lösen. Die Elektromobilität auf der Schiene und Straße ist ein zentraler Baustein der nachhaltigen Verkehrswende. Aufgrund des sehr hohen Wirkungsgrads ist sie besonders geeignet, die Klima- und Umweltauswirkungen des Verkehrs grundlegend zu verringern. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist dabei wichtig.

Wasserstoff bleibt auf absehbare Zeit knapp

Eine wichtige, wenn auch untergeordnete Rolle kommt dem Wasserstoff zu. Grüner Wasserstoff ist durchaus bedeutend für den Klimaschutz, sowohl als Energieträger als auch als Speicher. Aufgrund der technischen und ökonomischen Effizienz sollte er allerdings nur da zum Einsatz kommen, wo es keine direkte elektrische Alternative gibt. Nur grüner Wasserstoff kann emissionsfrei und nachhaltig sein. Beim Markthochlauf sollten wir uns auf diesen fokussieren. Dann könnten die Kosten schnell sinken. Allerdings erfordert dessen Herstellung sehr große Mengen an Erneuerbarer Energie – zusätzlich zum ohnehin erforderlichen Ausbau der Erneuerbaren. Wasserstoff wird daher auf absehbare Zeit knapp bleiben und in der Nutzung meist teurer als der direkte Einsatz von Strom sein.

Kurzfristig setzen einige Akteure Hoffnung darauf, Wasserstoff ins Erdgasnetz einzuspeisen – vor allem im Wärmesektor. Eine Beimischung ist jedoch reine Verschwendung des knappen und kostbaren Gutes Wasserstoff. Abgesehen davon, dass für eine flächendeckende Beimischung die benötigten Mengen Wasserstoff nicht zur Verfügung stehen oder anderswo gebraucht werden, ist der Klimaschutzeffekt klein: 20 Volumenprozent Beimischung bedeuteten nur sieben Prozent weniger Erdgas, weil Wasserstoff eine geringere Dichte als Methan hat.

Ganzheitlicher Ansatz für den Klimaschutz

Gleichzeitig entstünde die Illusion, dass auf dem Wärmemarkt endlich etwas in Sachen Klimaschutz passieren würde. Das wäre fatal. Im Wärmesektor – wie in allen Sektoren – wird ein ganzheitlicher Ansatz für den Klimaschutz benötigt, der sich nicht nur auf einen Brennstoffwechsel beschränkt. Mehr und umfassendere energetische Sanierungen werden benötigt, ein deutlich beschleunigter Einsatz von Wärmepumpen und ein zügiger Ausbau der Wärmenetze sowie deren Dekarbonisierung.

Wenn wir Wasserstoff aus erneuerbarem Strom herstellen und damit Gebäude heizen, brauchen wir vier bis sechs Mal so viel Strom im Vergleich zu einer elektrischen Wärmepumpe. In der Gebäudewärme (und auch im Pkw-Verkehr) ist Wasserstoff im Vergleich zur direkten Elektrifizierung ineffizient. Die Flächen für Windenergie- und Solaranlagen sind sehr knapp. Neben ökologischen Folgen und Akzeptanzfragen ist Wasserstoff zudem um ein Vielfaches teurer.

Energiewende erfordert hohe Investitionen

Um die oben genannten Ziele der Bundesregierung zum Ausbau der Erneuerbaren Energien erreichen zu können, sind jährlich beträchtliche Investitionen nötig. Obwohl Abschätzungen über die genaue Höhe der benötigten Investitionen aufgrund unterschiedlicher Annahmen unsicher sind, lassen sich ungefähre Zahlen für die Erreichung der Ziele abschätzen. Der „Fortschrittsmonitor Energiewende“ der Unternehmensberatung EY und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) geht dieser Frage nach und weist regelmäßig benötigte und getätigte Investitionen sowie die Generierung möglicher Wertschöpfungen aus.

Bis zu 100 Milliarden Euro Investitionen pro Jahr

Demnach werden bis zu 100 Milliarden Euro Investitionen pro Jahr benötigt, um die von der Bundesregierung genannten Ziele zu erreichen. Knapp 50 Prozent dieser Investitionen, also etwa 50 Milliarden Euro pro Jahr, werden laut dieser Studie allein in die Energieerzeugung investiert werden müssen. Mitgerechnet werden in diesem Fall erhebliche Investitionen sowohl in konventionelle Energien als auch Wasserstoff. Weiterhin werden jährlich etwa 20 Milliarden Euro für die Transportnetze und weitere 20 Milliarden Euro für die Verteilnetze aufgewendet werden müssen, dazu knapp fünf Milliarden Euro für Fernwärme, etwa drei Milliarden Euro für grüne Gase, 2,4 Milliarden Euro für Speicher und weitere zwei Milliarden Euro für das Wasserstoffnetz.

Bürgerenergien sind wichtig für Energiewende

Die Kommunen sind die zentralen Akteure bei der Umsetzung der Energiewende. Dabei spielen Energieeinsparungen bei öffentlichen Gebäuden genauso eine Rolle wie beispielsweise die Förderung des ÖPNV oder von emissionsfreien Innenstädten. Dem verstärkten Einsatz der Elektromobilität auf Straße und Schiene kommt neben der Einführung und Umsetzung der kommunalen Wärmeplanung eine zentrale Rolle zu. Eine dezentrale Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Energiewende ist dabei genauso wichtig wie eine transparente Kommunikation.

Die wirtschaftlichen Chancen für Kommunen sind groß: Neben einer direkten Wertschöpfung durch Gewerbesteuern und neue Arbeitsplätze, die beispielsweise im Bereich Erneuerbare Energien entstehen, können ebenso indirekte Wertschöpfungseffekte generiert werden – etwa eine lebenswerte Umwelt und ein positives Image als fortschrittliche Gemeinde. Mittlerweile gibt es immer mehr Kommunen, die die Energiewende aktiv umsetzen und von ihr profitieren. Rund 1,5 Millionen Menschen in Deutschland erzeugen aktuell ihre eigene Energie und stärken so die Akzeptanz der Energiewende. Vor allem im Gebäudebereich können enorme Energiemengen, -kosten und Treibhausgase durch eine verbesserte Energieeffizienz eingespart werden.

Energiewende wird von Privatpersonen getragen

Aktuell wird die Energiewende zu großen Teilen noch immer von Privatpersonen getragen, etwa 30 Prozent der gesamten Investitionen in Erneuerbare Energien stammen aus privater Hand. Daran haben Energiegenossenschaften als bedeutender Pfeiler der Bürgerenergie einen hohen Anteil. Als Bürgerenergie werden Projekte bezeichnet, in denen Bürger oder lokale Unternehmen Eigenkapital in Erneuerbare-Energien-Anlagen investieren. Bürgerenergieprojekte sind somit in Deutschland von ihrer Größenordnung her noch immer ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende, auch wenn der Anteil nach einem deutlichen Anstieg bis zum Jahr 2014 aufgrund erschwerter Rahmenbedingungen nicht weiter gesteigert werden konnte. Bürgerenergiegesellschaften bringen vor allem den Zubau von Windenergie an Land beständig voran. Aufgrund der jüngst deutlich verbesserten Rahmenbedingungen dürfte auch die Beteiligung an Photovoltaikanlagen nach einem deutlichen Rückgang wieder zunehmen.

Bürgerenergie erhöht Akzeptanz für Energiewende

Bürgerenergieprojekte erhöhen vor allem die Akzeptanz der Energiewende. Die Motivation der Bürgerinnen und Bürger, sich an Erneuerbare‐Energien‐Projekten zu beteiligen, kann finanziellen oder nicht‐finanziellen Zielen folgen. Das regionale Anlageinteresse oder ethisch‐ökologische Investitionen überwiegen bei einigen Anlegerinnen und Anlegern, sodass diese teilweise bereit sind, auf Rendite zu verzichten, wenn mit der Investition bestimmte soziale oder ökologische Ziele verfolgt werden. Einige Hauptmotive vieler Bürgerinnen und Bürger sind der Umweltschutz und das Vorantreiben der Energiewende, wobei finanzielle Motive nicht ganz vernachlässigt werden können.

Verlässliche politische Rahmenbedingungen sind die entscheidende Voraussetzung für Investoren. Insbesondere für Bürgerenergiegenossenschaften hat die bisherige Förderung Erneuerbarer Energien über das EEG eine große Sicherheit für Investoren geboten. Bei einem Wechsel von der festen Einspeisevergütung zur Direktvermarktung sind die Risiken für die Betreiber gestiegen, darunter vor allem auch für Energiegenossenschaften.

Deutschlandtempo für echte Energiewende schafft wirtschaftliche Chancen

Um die hohen Investitionen in den Ausbau Erneuerbarer Energien sowie die Installation von Speichern und Netzen zu stemmen, sind neben Eigenkapital erhebliche Mengen an Fremdkapital nötig, das vor allem im ländlichen Raum häufig von Regionalbanken wie den Volksbanken und Raiffeisenbanken zur Verfügung gestellt wird. Viele Energiegenossenschaften arbeiten bei der Finanzierung und der Beschaffung von staatlichen Fördermitteln eng mit ihrer Kreditgenossenschaft vor Ort zusammen. Diese Investitionen schaffen wiederum regionale Wertschöpfung, etwa zukunftsfähige Arbeitsplätze bei Unternehmen und Handwerksbetrieben, die sich auf die Umsetzung der Energiewende spezialisiert haben. Kommunen nehmen zusätzliche Gewerbesteuern ein, Energiegenossenschaften sowie ganz allgemein Bürgerenergiegesellschaften sorgen durch ihre Investitionen für Energie aus erneuerbaren Quellen, in der Regel zu günstigen Konditionen.

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist angeschoben; endlich werden mehr Solar- und Windanlagen gebaut. Die Rahmenbedingungen haben sich durch die Ampelregierung gerade für Bürgerenergien wieder verbessert. Doch leider werden nur die Ausbauziele der Bundesregierung für Solarenergie, nicht aber für Windenergie erreicht. Bei Wasserstoff, Elektromobilität sowie Wärmepumpen liegen die Zielmarken der Ampelkoalition ebenfalls weit entfernt.

Bruttowertschöpfung von 52 Milliarden Euro pro Jahr

Laut der Studie von EY und BDEW können die bis zum Jahr 2030 erforderlichen Investitionen eine Bruttowertschöpfung von über 52 Milliarden Euro pro Jahr anstoßen. Dies entspricht 1,5 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Die 2023 durch die Energiewende tatsächlich ausgelöste Bruttowertschöpfung wird auf über 28 Milliarden Euro geschätzt. Damit konnten 54 Prozent des jährlichen Potenzials realisiert werden. Dies liegt vor allem am Ausbau der Stromerzeugung und der Stromnetze im vergangenen Jahr. Um die wirtschaftlichen Chancen der Energiewende zu nutzen, sollten sich die Rahmenbedingungen weiter verbessern, nicht verschlechtern.

Zur Person

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Seit 2016 gehört sie dem Sachverständigenrat für Umweltfragen beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) an. Claudia Kemfert ist Autorin zahlreicher Bücher. Im Februar 2023 erschien im Campus-Verlag „Schockwellen. Letzte Chance für sichere Energien und Frieden“. Am 1. August 2024 ist im Ullstein-Verlag die Aufsatzsammlung „Unlearn CO2. Zeit für ein Klima ohne Krise“, erschienen, die Claudia Kemfert gemeinsam mit Manuel Kronenberg und Julien Gupta herausgegeben hat.

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