Verantwortung: Die VEDES hat ihren ersten Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt. Wo fängt man bei einem so großen Thema an – und was bringt es?
Herr Dr. Märtz, Sie sind seit 1999 im Vorstand der VEDES tätig, seit 2004 als Vorsitzender. Zum Jahresende gehen Sie nun in den Ruhestand. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Thomas Märtz: Ich schaue mit großer Zufriedenheit und Dankbarkeit auf meine Zeit bei der VEDES zurück. Nach der erfolgreichen Sanierung und Restrukturierung zu Beginn meiner Tätigkeit ist es gelungen, das Unternehmen strategisch von einem klassischen Einkaufsverband zu einer modernen Dienstleistungsplattform für den gesamten Spielwarenhandel zu entwickeln. Heute setzt die VEDES in der Branche Maßstäbe. Dass mein Ausscheiden mit dem 120-jährigen Firmenjubiläum zusammenfällt, rundet meine 26-jährige Vorstandstätigkeit ab. Wir sind stolz darauf, dieses Jubiläum feiern zu können.
Gehen wir zurück an den Anfang: Was hat Sie 1999 gereizt, bei der VEDES anzufangen?
Märtz: Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hohenheim war ich zunächst bei einer großen Wirtschafts- und Steuerberatungsgesellschaft in der Beratung und anschließend bei einem großen Industrieunternehmen tätig. 1999 gab es dann die Gelegenheit, in den Vorstand der VEDES zu wechseln. Ich konnte also – nach Stationen in der Beratung und der Industrie – bei einem renommierten Handelsunternehmen in führender Position einsteigen. Das war für mich eine spannende Herausforderung. Noch heute bin ich sehr froh, dass ich damals die Chance ergriffen habe.
„Um die Jahrtausendwende ging es um nicht weniger als die Existenz des Unternehmens.“
Ende der 1990er Jahre stand es um die VEDES nicht gut. Wie erinnern Sie sich an die damalige Zeit zurück?
Märtz: In der Tat befand sich die VEDES damals in einer finanziell bedrohlichen Schieflage. Um die Jahrtausendwende ging es um nicht weniger als die Existenz des Unternehmens. Viele Menschen haben befürchtet, dass die VEDES ihr 100-jähriges Bestehen im Jahr 2004 nicht mehr erlebt. Insofern freue ich mich sehr, dass das Unternehmen heute zu seinem 120. Jubiläum auf einem soliden Fundament steht und für die kommenden Herausforderungen wirtschaftlich, finanziell und personell bestens gerüstet ist.
Die wichtigsten Kennzahlen der VEDES (2023)
- Thekenumsatz europaweit: 584 Millionen Euro
- Konzernergebnis (EBIT): 3 Millionen Euro
- Standorte: Nürnberg (Zentrale) und Lotte/Osnabrück (Lager)
- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: 405 (davon 21 Auszubildende)
- Gründung: 1904
Was waren zur Jahrtausendwende die zentralen Herausforderungen für die VEDES?
Märtz: Die VEDES Gruppe bestand damals aus 36 Konzerngesellschaften. Diese hatten mit ihren Beteiligungen im In- und Ausland teilweise sehr hohe Verluste eingefahren. Das hat das Konzernergebnis deutlich belastet. Die damalige VEDES eG mit ihrem klassischen Delkrederegeschäft, also der zentralen Zahlungsregulierung für die Mitglieder, war hingegen immer profitabel. Im Kern war die VEDES immer gesund. Aber die zahlreichen Beteiligungen haben das Unternehmen an den Rand der Insolvenz geführt.
Wie hat die Geschäftsführung reagiert, um das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen?
Märtz: Durch Veräußerung, Schließung und Zerschlagung der Verlustquellen haben wir damals die Voraussetzung für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der VEDES geschaffen. Die Zeit war extrem herausfordernd und anspruchsvoll. Wir haben über einen langen Zeitraum bis zu 14 Stunden am Tag mit unterschiedlichen Partnern wie Mitgliedern, Lieferanten und Banken verhandelt, um alle Interessen unter einen Hut zu bringen. Natürlich mussten auch harte Entscheidungen getroffen werden, was persönlich sehr belastend war. Nach der Sanierung zu Beginn des neuen Jahrtausends haben wir dann angefangen, die VEDES nach vorne zu entwickeln. Heute besteht der Konzern aus sieben Tochtergesellschaften, die operativ in den Geschäftsfeldern Finanzdienstleistungen beziehungsweise Zentralregulierung, Großhandel, Logistik und Services tätig sind. Das ist eine gesunde und zukunftsfähige Struktur.
„Der Umzug auf das ehemalige Grundig-Gelände war ein Quantensprung für die VEDES.“
Anfang des neuen Jahrtausends hat sich die VEDES auch räumlich verändert und ist in Nürnberg von der Sigmundstraße in die Beuthener Straße und damit auf das ehemalige Grundig-Gelände umgezogen. Was waren die wesentlichen Gründe?
Märtz: Am alten Standort in der Sigmundstraße bestand ein erheblicher Investitionsstau. Im Gebäude gab es gewachsene Strukturen, weshalb es beispielsweise schwierig war, auf moderne Technik umzurüsten. Wir mussten viel improvisieren. Dazu kam, dass sich das Großhandelslager auf mehreren Ebenen befand. Das hat die logistischen Prozesse erheblich beeinträchtigt und unnötige Kosten verursacht. Auch der Showroom war nicht mehr zeitgemäß. Als sich dann die Chance bot, auf das Grundig-Areal in unmittelbarer Nähe zur Messe zu ziehen, haben wir sofort gehandelt. Das neue Verwaltungsgebäude ist modern ausgestattet und wir konnten dort Europas größten Showroom für Spiel, Freizeit und Familie bauen. Unsere Mitglieder schätzen den Standort sehr, nicht zuletzt deshalb, da sie bei der jährlichen Spielwarenmesse in Nürnberg nur kurze Wege zurücklegen müssen. Der Umzug auf das ehemalige Grundig-Gelände war ein Quantensprung für die VEDES.
Ein weiterer Meilenstein in Ihrer Amtszeit war die Übernahme des operativen Geschäfts von Hoffmann Spielwaren im Jahr 2014. Wie hat dieser Schritt zum Erfolg der VEDES beigetragen?
Märtz: Hoffmann Spielwaren war damals unser größter Wettbewerber. Durch die Übernahme konnte die VEDES zum führenden Großhandelspartner im europäischen Spielwarenmarkt aufsteigen. Die Akquisition hatte mehrere Vorteile. Der wichtigste Punkt: Die VEDES hat bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich ihre Mitglieder im stationären Handel beliefert. Nun konnte das Geschäft strategisch diversifiziert werden, da Hoffmann als verbandsunabhängiger Lieferant bereits alle Distributionskanäle im Großhandel bedient hat. Konkret bedeutet das, beispielsweise den Lebensmitteleinzelhandel oder die Online-Händler mit Waren zu versorgen. Auf diese Weise haben wir die Kundenstruktur im Großhandel auf eine breitere Basis gestellt, wodurch wir das Geschäftsrisiko deutlich minimiert haben. Außerdem konnten wir durch die Übernahme Größenvorteile realisieren – Stichwort Economies of Scale. Beispielsweise haben wir unser früheres Lager in Nürnberg in das Lager von Hoffmann in Lotte nahe Osnabrück integriert. Bezahlt gemacht hat sich die Akquisition auch in der Corona-Pandemie. Damals musste der stationäre Fachhandel seine Geschäfte schließen. Wir waren aber weiter handlungsfähig und haben andere Kanäle beliefert.
Wie blicken Sie auf die Entwicklung der Spielwarenbranche in den vergangenen drei Jahrzehnten zurück?
Märtz: Die Branche befindet sich in einem strukturellen Wandel mit hoher Dynamik. Das geänderte Konsumentenverhalten, die neuen technologischen Möglichkeiten sowie die veränderten Arbeitswelten erfordern eine ständige Anpassung und Weiterentwicklung, gerade für den stationären Handel. Aktuell kommen vor allem steigende Kosten und der Arbeits- sowie Fachkräftemangel dazu. Beides stellt die mittelständischen Fachhändler vor große Herausforderungen. Viele Marktteilnehmer aus meinen Anfangszeiten gibt es heute nicht mehr. Sie waren entweder nicht mehr wettbewerbsfähig oder die Unternehmensnachfolge ist gescheitert. Insofern ist die Strategie der VEDES seit Jahren konsequent darauf ausgerichtet, die Vorteile eines attraktiven stationären Handels mit den Vorteilen des E-Commerce zu verbinden. Oberstes Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit des Fachhandels zu steigern. Was mich bei allen Herausforderungen optimistisch stimmt: Die Spielwarenbranche ist sehr krisenrobust und nicht so konjunkturabhängig wie andere Branchen. In Krisenzeiten wird an Möbeln, Kleidung oder Reisen gespart – aber nicht am Kind.
„Die VEDES hat den wirtschaftlichen Wandel im Spielwarenhandel aktiv mitgestaltet und eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung der Branche eingenommen.“
Wie hat die VEDES die Einzelhändler dabei unterstützt, sich auf die verändernden Rahmenbedingungen einzustellen?
Märtz: Ende des vergangenen Jahrtausends war die VEDES ein klassischer Einkaufsverband. Verkürzt gesagt hat man die Einkaufskraft gebündelt, um Preisvorteile und Sonder-Konditionen zu erzielen. In den vergangenen 25 Jahren hat sich das Unternehmen zu einer Systemplattform gewandelt. Denn der Spielwarenfachhandel ist auf eine leistungsfähige Dienstleistungsplattform angewiesen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die VEDES Unternehmensgruppe hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr gut positioniert, um den stationären Handel bei der Bewältigung des wirtschaftlichen Wandels zu unterstützen. Als serviceorientierter Systempartner mit einem umfassenden Serviceportfolio bieten wir unseren Mitgliedern deutliche Wettbewerbsvorteile. Das Leistungsspektrum umspannt unter anderem Sortimentsmanagement, Marketing, Einkauf, Logistik, Shop-Gestaltungen und Flächenkonzepte bis hin zu IT und Digitalisierung. Darüber hinaus stellen wir unseren Kunden eine große Sortimentsvielfalt zur Verfügung. Das Angebot umfasst über 300.000 Artikel, davon rund 15.000 in unserem eigenen Großhandelslager. Die VEDES hat den wirtschaftlichen Wandel im Spielwarenhandel aktiv mitgestaltet und eine zentrale Rolle bei der Weiterentwicklung der Branche eingenommen. Das wird auch in Zukunft unsere Maßgabe sein.
Welchen Stellenwert hat der stationäre Einzelhandel in einer immer digitaleren Welt?
Märtz: Vor dem Hintergrund eines grundlegend veränderten Konsumentenverhaltens geht es darum, die Stärken des stationären Handels mit den Chancen des Online-Handels zu verbinden. Der Königsweg besteht aus dem Zusammenspiel beider Sphären. An dieser Stelle setzt unsere Omnichannel-Strategie an, mit denen wir unsere Händler seit einigen Jahren erfolgreich unterstützen. Der stationäre Einzelhandel steht nach wie vor für ein gelungenes Einkaufserlebnis über alle Generationen hinweg. Für die Händler geht es nun darum, den sogenannten „Point of Sale“ zu einem „Point of Emotion“ weiterzuentwickeln. Dieser soll die Menschen anziehen, damit sie die Spiele und Spielsachen live erleben. Gerade Kinder möchten Produkte in die Hand nehmen und ausprobieren. Die VEDES unterstützt ihre Händler selbstverständlich nicht nur im Bereich Omnichannel, sondern umfassend von der Logistik über den Einkauf bis zur Abrechnung. Ziel ist es, dass sich die Händler auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren können: Die Beratung und den Verkauf. Wenn sie konsequent diesen Weg beschreiten, ist mir um den stationären Einzelhandel nicht bange.
Sehen Sie in der Spielwarenbranche neben der Digitalisierung weitere Trends, bei denen die VEDES unterstützen kann?
Märtz: Das Thema Nachhaltigkeit wird – auch vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen – sicherlich weiter an Bedeutung gewinnen. Wir haben Nachhaltigkeit deshalb fest in unserer Unternehmensstrategie verankert. Um festzuhalten, welche nachhaltigen Initiativen und Projekte wir mittel- und langfristig verfolgen, haben wir zudem unseren ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Unser Ziel: Wir möchten die Zukunft des Spielwarenhandels ökologisch, sozial und ökonomisch verantwortungsvoll gestalten.
„Die Genossenschaft spielt eine wichtige Rolle, auch wenn sie nicht mehr operativ tätig ist.“
Das operative Geschäft der VEDES ist seit über zwei Jahrzehnten in einer AG gebündelt. Welche Rolle spielt heute die VEDES eG?
Märtz: Die VEDES eG ist heute als reine Holdinggesellschaft mit 81 Prozent der Mehrheitsaktionär der VEDES AG, in der das operative Geschäft der Gesellschaft gebündelt ist. Die SPIELZEUG-RING GmbH & Co. KG ist mit 19 Prozent beteiligt. Beide Gesellschafter stehen für den stationären Spielwarenfachhandel und bringen die Interessen ihrer Mitglieder in der VEDES AG zum Ausdruck. Die Mitglieder von VEDES eG und SPIELZEUG-RING engagieren sich unter anderem in verschiedenen Ausschüssen, wie dem Marketingausschuss und den Musterungskommissionen, sowie in Erfa-Gruppen. Durch diese Tätigkeit liefern sie wichtige Impulse für das unternehmerische Handeln der VEDES Zentrale. Außerdem bündeln sie auf diese Weise ihre Interessen gegenüber Spielwaren-Industrie. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Genossenschaft spielt eine wichtige Rolle, auch wenn sie nicht mehr operativ tätig ist.
Zum Jahresende treten Sie nun in den Ruhestand ein…
Märtz: … für mich ist das der optimale Zeitpunkt, um die Verantwortung an meine Nachfolger abzugeben. Während meiner Tätigkeit habe ich mehrere Male miterlebt, dass eine Betriebsübergabe bei Mitgliedern oder Geschäftspartnern gescheitert ist. Ein Grund war häufig die unklare Unternehmensnachfolge. Deshalb habe ich den Aufsichtsrat vor knapp zwei Jahren informiert, dass ich mit Ablauf meines Vertrags Ende dieses Jahres ausscheiden werde. So gab es genug Zeit, fähige Führungskräfte in den Vorstand zu berufen. Mit Julia Graeber, Dominik von Rodde und Mathias Kempe ist die VEDES aus meiner Sicht für die Zukunft optimal aufgestellt.
Zum Abschied zwei persönliche Fragen: Wie möchten Sie den Übergang zum Ruhestand gestalten?
Märtz: Wie bereits geschildert, liegt mir eine geordnete Übergabe am Herzen. Deshalb übergebe ich nun sukzessive die Aufgaben an meine Nachfolger. Im Ruhestand wird mir sicher nicht langweilig werden. Ich freue mich darauf, in Zukunft mehr Zeit für meine Hobbys Reisen und Geschichte zu haben. Zum Beispiel in Südfrankreich mit Blick aufs Meer, einem Glas Wein in der Hand und dazu einem Buch über die deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Darauf freue ich mich schon sehr.
Was werden Sie bei der VEDES am meisten vermissen?
Märtz: Die Menschen. In Erinnerung werden mir auf jeden Fall die vielen Begegnungen mit Mitgliedern, Kunden und Geschäftspartnern bleiben, die ich während meiner langjährigen Tätigkeit kennengelernt habe. Und vor allem vermissen werde ich natürlich das gesamte VEDES Team an den Standorten in Nürnberg und Lotte, mit dem ich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer gerne und sehr gut zusammengearbeitet habe.
Herr Dr. Märtz, vielen Dank für das Gespräch!
120 Jahre VEDES
Mit einem zweitägigen Event hat die VEDES ihr 120-jähriges Jubiläum in Hamburg gefeiert. Die Veranstaltung stand unter dem Motto: „Wir gestalten die Zukunft des Spielwarenhandels“. Am ersten Tag gab es neben den traditionellen Jahresversammlungen eine Geburtstagsparty im Panoramadeck über den Dächern Hamburgs mit 360-Grad-Rundumblick über die Hansestadt. Unter anderem traten dort mehrere Hauptdarsteller des Musicals „König der Löwen“, die Akrobatik-Künstlerin Nina Burri und die Band „Sonic Pearls“ auf. Am folgenden „Unternehmertag“ im Automuseum Prototyp gab es für die VEDES Stakeholder Inspiration und Denkanstöße. Retail- und Marketingexperte Marc Schumacher präsentierte aktuelle Entwicklungen im Handel und verriet den Gästen das Geheimnis der zukünftigen Retail-Welt. Wirtschaftsforscher Professor Achim Wambach erläuterte den Einfluss der wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen auf die konjunkturelle Lage in Deutschland. „Es waren zwei ereignisreiche Tagen voller Inspiration, Emotion und Kommunikation. Wer in Hamburg nicht dabei gewesen ist, hat definitiv etwas verpasst“, resümierte VEDES Vorstandschef Thomas Märtz.