Wachstumspotenzial: Interview mit Benedikt Mangold, CEO von BayWa Global Produce, über die Internationalisierungs-Strategie, klimaresistente Äpfel und Solardächer für Acker- und Obstflächen.
Firmenjubiläen – die BayWa wird im kommenden Jahr 100 – verleiten dazu, einen weit schweifenden Blick zurückzuwerfen. Zu fragen, was ein Unternehmen zu dem gemacht hat, was es heute ist. Tradition, Beständigkeit, Krisenfestigkeit – diese Begriffe dürfen nicht fehlen in der großen Retrospektive. Dabei kommt oft zu kurz, dass es doch eigentlich die konträr klingenden Eigenschaften Innovationskraft und Veränderungsbereitschaft sind, die das Unternehmen erst so lang erfolgreich gemacht haben. Ohne Zukunftsgewandtheit kein 100-jähriges Jubiläum. Also lassen Sie uns bitte einen Blick zurück nach vorn werfen –mit besonderem Augenmerk auf die vergangenen eineinhalb Jahrzehnte, in denen sich die BayWa so nachhaltig verändert hat wie wahrscheinlich nie zuvor in ihrer langen Geschichte.
Als ich 2008 die Unternehmensleitung übernahm, steckte die Welt in einer Wirtschaftskrise – und die BayWa erzielte ihr bis dato bestes Ergebnis in der Unternehmensgeschichte. 2008 war für unser Agrargeschäft ein Ausnahmejahr, das sich auch in einem operativen EBIT weit über dem Ergebnis normaler Jahre niederschlug. Doch was wäre die BayWa heute, wenn wir uns auf diesem Erfolg ausgeruht hätten? Die Unternehmensberater von Roland Berger kamen damals in einer Analyse zu dem Schluss, dass die BayWa ein „Gemischtwarenladen“ sei, mit vielen Beteiligungen in vielen Branchen, aber ohne ein Geschäftsmodell für die Zukunft. Stagnierende Märkte, hoher Wettbewerbsdruck mit niedrigen Margen und steigender Volatilität zeichneten ein eher trübes Bild. Für weiteres Wachstum waren die Möglichkeiten innerhalb der bestehenden, auch territorialen, Grenzen ausgereizt. Auf dem damaligen Gipfel ihres Erfolgs brauchte die BayWa eine Neuausrichtung – was nicht weniger bedeutete, als sich neu zu erfinden und gleichzeitig treu zu bleiben.
Gegessen wird immer! Oder nicht?
Ernährung, Energie, Wärme, Mobilität, Wohnen – das, was wir Menschen zum Leben brauchen, sind die tragenden Säulen unserer Geschäftstätigkeit. „Gegessen wird doch immer“, oder nicht? Ja, aber auch grundlegende Gewissheiten unterliegen einem Wandel. Während sich die Ernährungsgewohnheiten eher schleichend verändern, ist es zuletzt bei der Energieversorgung aus relativ heiterem Himmel zu einem Umschwung gekommen, der unsere Wohlstandsgesellschaften nun existenziell bedroht.
Wenig in der Geschichte der BayWa markiert den Wandel so eindrucksvoll wie der Einstieg in die erneuerbaren Energien 2009. Deutschland galt damals im internationalen Vergleich als Vorbild beim Klimaschutz, auch wenn es, nebenbei bemerkt, dieses Ansehen im Laufe der Merkel-Jahre kontinuierlich wieder verlieren sollte. Mit dem Rückhalt des BayWa-Aufsichtsrats und so manchen Unkenrufen von der Seitenlinie zum Trotz haben wir die damals günstige Situation genutzt und innerhalb eines knappen halben Jahres in drei nachhaltig profitable Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien investiert.
Die BayWa r.e. AG, in der das erneuerbare Energiegeschäft seitdem gebündelt ist, war von Anfang an international und breit aufgestellt. Als die damalige Bundesregierung 2012 die Photovoltaik-Förderung erheblich einschränkte und die deutsche Solarbranche nach Jahren des Booms innerhalb kurzer Zeit kollabierte, blieb der BayWa-Absatz dank des Auslandsgeschäfts stabil. Heute trägt die BayWa r.e. AG rund die Hälfte zum Konzern-Jahres-EBIT bei. Gemessen am Ergebnis hat sich Deutschlands größter Agrarhändler damit mehrheitlich zu einem international tätigen Player im Bereich der grünen Energie entwickelt.
Globale Klimawende ohne die BayWa? Undenkbar
Die Internationalisierung war nicht nur eine logische Konsequenz aus den ausgereizten Wachstumsmöglichkeiten hier in Deutschland. Sie dient auch als Stabilitätsfaktor für den unternehmerischen Erfolg. Diversität in den Märkten und im Portfolio minimieren die Abhängigkeiten von einzelnen Ländern und Segmenten und damit die Geschäftsrisiken insgesamt – solange beides einer Strategie folgt.
Ohne die Internationalisierung ihres Agrarhandelsgeschäfts wäre die BayWa Gefahr gelaufen, beim Getreidehandel zum Nischenanbieter in Deutschland und Österreich zu werden. Und erst durch den Ausbau der lukrativen, aber bis dahin viel zu kleinen Obstsparte, deren Ursprung fast 100 Jahre zurückliegt, wurde eine kritische Masse für mehr Marktrelevanz erreicht.
Mutig ins kalte Wasser
Veränderungsbereitschaft beginnt dabei immer bei einem selbst: Nur, wenn ich als Unternehmenslenker Neuem gegenüber offen und zugänglich bleibe, kann ich anderen Vorbild und Inspiration zugleich sein, damit sie eigene Ideen entwickeln. Im Idealfall fließt diese beständige Bereitschaft zum „Change“ in die DNA eines Unternehmens ein, wird zu einer Haltung – wie bei der BayWa, zu deren Markenkern neben Vertrauen und Solidität auch die Innovation gehört. Die treibenden Kräfte dahinter sind stets Fragen wie: Welche Trends haben für uns und unsere Kunden Relevanz und wie können wir sie nutzen? Wo schaffen wir Synergien zwischen einzelnen Geschäftsbereichen? Wie können wir neue Märkte erschließen?
Für Antworten brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Freiraum, auch mal mutig ins kalte Wasser zu springen und neue Ideen einfach auszuprobieren. Das ist auch der Grundpfeiler der BayWa-Ideenschmiede, einem Mitarbeiterprogramm, das wir 2010 gestartet haben. Über praxisnahe Projekte, die unmittelbar auf die Weiterentwicklung der BayWa abzielen, können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Zukunft des Unternehmens unmittelbar mitgestalten. Veränderung wird so gelebte Kultur.
Gleichzeitig sollte man sich immer bewusst machen: Manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kundinnen und Kunden können Veränderungen auch massiv verunsichern. Sie gilt es mitzunehmen: Ohne Bodenhaftung, Empathie und Einbindung geht es nicht. In Veränderungsprozessen braucht ein Unternehmen viel Geduld und ein Gespür dafür, wann potenzielle neue Geschäftsmodelle eher in einer Sackgasse anstatt auf der Ziellinie enden.
Cannabis oder Pflanzenprotein – auf welchen Stoff setzt die BayWa?
Zuständig dafür ist in der BayWa die Strategie-Abteilung. Zwei Beispiele: Unlängst widmete sie sich der Frage, ob der Cannabis-Markt ein lukratives Geschäftsfeld sei. Immerhin beschäftigt der Hanf-Anbau zu medizinischen Zwecken auch viele Landwirte. Nach eingehender Prüfung kamen wir zu der Erkenntnis: Würde die BayWa in den Cannabis-Markt investieren, ginge dies mit dem Management komplexer Regulierungen und Investitionen in Anlagentechnik einher – und damit zu Lasten der Priorisierung anderer Bereiche im Unternehmen.
Die Sorge, nur einen Nischentrend zu bedienen, gab es anfangs auch in Hinblick auf einen intensiveren Einstieg in den noch jungen Markt der pflanzenbasierten Proteine. Gewissheit brachte die von uns initiierte „Protein Challenge“, in der wir 300 Start-ups aus diesem Bereich unter die Lupe nahmen. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema – nachzulesen im ersten BayWa-Protein-Zukunftsbericht – offenbarte: Alternative Proteine sind längst nicht nur ein Trend für eine spitze Zielgruppe, sondern eine wichtige Säule der globalen Nahrungsmittelversorgung.
Das eine tun, das andere nicht lassen
Das eine zu tun, heißt allerdings nicht zwangsweise, das andere zu lassen. Die Tierhaltung ist auch weiterhin Teil unseres Kerngeschäftes im Agrarhandel. Wir investieren intensiv in diesen Bereich und stehen unseren Kunden auch zukünftig bei allen Aspekten der Tierhaltung und des Tierwohls wie gewohnt zur Seite. Als Bindeglied zwischen Erzeuger und Konsument haben wir das nötige Rüstzeug aus Netzwerk, Erfahrung und Kompetenz, um den (gesellschaftlichen) Wandel aktiv und nutzbringend für alle Stakeholder mitzugestalten. Hier, in der Schnittmenge von Versorgungssicherheit und nachhaltigem Wirtschaften, können wir als BayWa maximal wirksam sein.
So wollen wir in Zukunft leben
Ernährung, Energie, Wärme, Mobilität, Wohnen: Mit ihrer Geschäftstätigkeit berührt die BayWa das Existenzielle, das sich auf diese eine Frage verdichten lässt: Wie wollen wir leben? Unter dem Brennglas der aktuellen Krisen wird daraus eine Grundsatzentscheidung: So wollen wir unseren Beitrag dazu leisten, dass wir auch in Zukunft gut leben! Die Geschichte der BayWa war damit auch immer eine Geschichte des Fortschritts.
Ich bin sehr stolz darauf, dass das Unternehmen und vor allem die mehr als 23.000 Menschen, die weltweit für die BayWa arbeiten, den Veränderungen gegenüber stets offengeblieben sind. Gemeinsam ernten wir dafür jetzt die Früchte – wie man besonders an unseren Geschäftsergebnissen der letzten zwei Jahre ablesen kann. Vor wenigen Tagen erst haben wir die Prognose für das laufende Geschäftsjahr angehoben: Für das Gesamtjahr 2022 erwarten wir nun ein Jahresergebnis von 400 bis 450 Millionen Euro.
Klaus Josef Lutz ist seit Juli 2008 Vorstandsvorsitzender der BayWa AG.