Impuls: In seiner Kolumne schreibt GVB-Präsident Gregor Scheller, was steigende Zinsen und höhere Baukosten für Bauherren, Banken und die Politik bedeuten.
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Ban Ki-moon, von 2007 bis 2016 Generalsekretär der Vereinten Nationen, erklärte 2012: „Genossenschaften zeigen, dass Wirtschaftlichkeit und soziale Verantwortung miteinander verbunden werden können.“ Doch was macht die Idee der Genossenschaft gerade heute so besonders?
Was macht Genossenschaften aus?
Zweck einer jeden Genossenschaft ist es, ihren Mitgliedern zu helfen. Und das ist kein abstraktes Gelöbnis in einer Werbebroschüre, sondern gesetzlich festgeschrieben. In Art. 1 des Genossenschaftsgesetzes heißt es: „Genossenschaften sind Gesellschaften, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern.“ Im Zentrum der Genossenschaft steht die Gemeinschaft der Mitglieder und nicht das einzelne Interesse eines Investors. Die Genossenschaft ist somit eine Solidargemeinschaft im besten Sinne: Menschen mit einer gemeinsamen Idee, einer gemeinsamen Vision schließen sich zusammen, um diese zu verfolgen. Dabei ist es egal, wie groß das eingebrachte Kapital ist, jede Stimme hat das gleiche Gewicht.
Dieser grundsätzliche Unterschied zu anderen Unternehmensformen hat zur Folge, dass Genossenschaften seit jeher nachhaltig und langfristig denken. Nachhaltigkeit, Solidarität und Fairness stehen bei der Genossenschaft im Zentrum. Damit sind Genossenschaften in keiner Weise ein überkommenes Konzept, vielmehr sind die mit ihnen verbundenen Werte aktueller denn je. Sie gehen auf die Gründungszeiten der Genossenschaften zurück: Im 19. Jahrhundert brachte die Industrialisierung große gesellschaftliche Umbrüche, Menschen zogen vom Land in die Stadt, etablierte Strukturen schienen auf einmal überflüssig. In dieser Periode boten Genossenschaften eine Lösung durch Hilfe zur Selbsthilfe. In den ersten Genossenschaftsbanken schlossen sich beispielweise Landwirte zusammen, um sich gegenseitig Kredite zu gewähren. Diese Hilfe zur Selbsthilfe ist der zentrale Aspekt, der Genossenschaften ausmacht. Auch sie müssen rentabel sein und Gewinne erwirtschaften. Jedoch ist die Erwirtschaftung angemessener Erträge nicht das Ziel einer Genossenschaft, nicht Zweck des Zusammenschlusses. Vielmehr werden Gewinne benötigt, um das gemeinsame, übergeordnete Ziel der Mitgliederförderung zu erreichen. Wer ausschließlich die Rendite sucht, ist bei einer Genossenschaft nicht richtig. Wem es um mehr geht, die gemeinsame Energieerzeugung, den Erhalt des Dorfladens oder die Schaffung einer Erzeugergemeinschaft, für den ist die Genossenschaft geschaffen.
Wieso sind Genossenschaften wichtiger denn je?
Während Aktiengesellschaften wie Amazon oder Tesla darauf hinarbeiten, ihre Aktionäre vermögender zu machen, verbleiben die Gewinne der Genossenschaft größtenteils im Unternehmen. Die Genossenschaft stärkt damit ihre Substanz und sichert langfristig ihre Existenz für die Mitglieder. Das macht Genossenschaften krisenresilient, stabil gegen Schwankungen im Wirtschaftssystem. Gleichzeitig sind sie privatwirtschaftlich organisiert und setzen auf die Verantwortung eines jeden Genossenschaftsmitglieds. Sie sind die ideale Form der Bürgerbeteiligung: Genossenschaften ermöglichen eine private Teilhabe an Projekten, die sich allein nur schwerlich realisieren lassen würden. Damit verkörpern Genossenschaften eine zeitgemäße Verbindung zwischen Wirtschaftlichkeit auf der einen Seite und werteorientiertem Handeln auf der anderen Seite. Wer ein Ziel vor Augen hat, dem fällt es gerade in Krisenzeiten leichter, voranzukommen. Auch unsichere Zeiten und Abschwünge lassen sich bei einem klaren Kurs und einer soliden Rücklage deutlich besser überstehen. Nicht zuletzt sind Genossenschaften eine mögliche Antwort auf viele Fragen unserer Zeit, weil sie den viel bemühten Begriff der Selbstwirksamkeit im besten Sinne ausfüllen: Wer Mitglied einer Genossenschaft wird, erkennt, dass sich auch mit dem vermeintlich kleinen eigenen Engagement große Dinge bewirken lassen. Eine wichtige Erkenntnis, gerade wenn die altbekannte Umwelt sich in vielen, großen Dimensionen zu verschieben scheint.
Was brauchen Genossenschaften für eine erfolgreiche Zukunft?
Dass Genossenschaften einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten können, das scheint auch die Bundesregierung verstanden zu haben. So schreibt sie in ihrem Koalitionsvertrag: „Wir verbessern die rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften, wie zum Beispiel für Genossenschaften.“ Diesem vollmundigen Versprechen müssen nun auch Taten folgen. Insbesondere umfangreiche bürokratische Vorgaben erschweren Genossenschaften erfolgreiches Wirtschaften. Beispielhaft genannt seien zahlreiche neue Berichts- und Offenlegungspflichten oder ein Lieferkettengesetz, das zwar eine sinnvolle Idee verfolgt, aber selbst den internen Prüfern der EU-Kommission zu komplex ist. Daher sind engere und strengere Regeln zur vermeintlichen Verankerung von Werten der falsche Weg. Vielmehr sollte passgenauer reguliert werden und dem genossenschaftlichen Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe stärker Rechnung getragen werden. Das funktioniert vor allem über eine Entbürokratisierung und Verschlankung: Wo Prozesse effizient und transparent sind, fällt es leichter, Ideen in die Tat umzusetzen. Dann können sich Genossenschaftsmitglieder auf die Realisierung ihrer Konzepte anstatt auf das Ausfüllen von Papierbergen konzentrieren. Das Genossenschaftsmodell ist aktueller denn je. Insbesondere für junge Menschen sind Selbstbestimmung und Eigenverantwortung zentral bei der Wahl ihres Berufs. Genossenschaften haben diesen Prinzipien in ihrer DNA – nun muss die Politik dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen entsprechend ausgestaltet werden.
Gregor Scheller ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB).