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Herr Küper, das Institut der deutschen Wirtschaft mit Sitz in Köln hat ein Gutachten über Herausforderungen und Chancen für Unternehmen in Deutschland veröffentlicht. „Transformationskompass“ lautet der Titel. Welche Themen treiben die Betriebe um?

Malte Küper: Die deutsche Wirtschaft steht vor einer umfangreichen Transformation. Es sind vor allem vier zentrale Herausforderungen, die die Unternehmen meistern müssen. Erstens die Dekarbonisierung: Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2045 CO2-neutral zu werden. Zu diesem Zeitpunkt dürfen nicht mehr Emissionen ausgestoßen werden als anderswo kompensiert werden können. Zweitens die Digitalisierung: In diesem Feld sind einige Unternehmen schon weit fortgeschritten, andere hinken teils weit hinterher. Drittens der demografische Wandel: Da viele der sogenannten Babyboomer in Ruhestand gehen, gibt es einen wachsenden Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften. Und viertens die internationalen Verflechtungen: Die Corona-Pandemie oder jüngst die Energiekrise haben uns vor Augen geführt, wie anfällig das deutsche Geschäftsmodell bei externen Schocks ist. Besonders problematisch ist es, wenn die Lieferketten gestört sind. Dazu kommt, dass so manche Regierungen auf der Welt zunehmend protektionistischer agiert. Es ist also davon auszugehen, dass die Schwierigkeiten tendenziell zunehmen.

„Die Unternehmen sehen sich nicht nur mit einer, sondern mit vier parallel und aufeinander einwirkenden Entwicklungen konfrontiert.“

Was ist das Besondere an der aktuellen Transformation?

Küper: Die Gleichzeitigkeit. Die Unternehmen sehen sich nicht nur mit einer, sondern mit vier parallel und aufeinander einwirkenden Entwicklungen konfrontiert. Ein Beispiel: Um die Dekarbonisierung zu meistern, müssen Prozesse zunehmend digitalisiert werden – in den Unternehmen, aber besonders auch in den Behörden. Dies kann aber nur gelingen, wenn dafür geeignete Fachkräfte zur Verfügung stehen. Begleitet wird dies durch den enormen Zeitdruck: Spätestens 2045 müssen wir die Dekarbonisierung erfolgreich abgeschlossen haben.

Wo liegen die Chancen für Unternehmen bei den tiefgreifenden Veränderungsprozessen?

Küper: Deutschland hat mit seinen Stärken, zum Beispiel dem dualen Ausbildungssystem, der engen Forschungskooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie der zentralen Lage in Europa, eigentlich gute Voraussetzungen. Auf dieser Basis können Unternehmen innovative klimafreundliche Produkte entwickeln und damit auch neue Absatzmärkte erschließen. Denn die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden auch in anderen Ländern zunehmend wichtiger. Unternehmen hierzulande können also mit ihrem Wissen eine Vorreiterrolle einnehmen, sind dafür aber auf die richtigen Rahmenbedingungen angewiesen.

„Die hohen Strom- und Gaspreise sind ein gewaltiger Standortnachteil.“

Was sehen Sie die zentralen Risiken?

Küper: Ich sehe vor allem zwei Risiken. Erstens, wenn bestehende Geschäftsmodelle an Bedeutung verlieren, weil die dort hergestellten Produkte aufgrund des technologischen Wandels langfristig weniger oder gar nicht mehr nachgefragt werden. Das prominenteste Beispiel dafür sind sicherlich Autos mit Verbrennungsmotoren. Zweitens, wenn Produkte zwar gefragt sind, aber in Deutschland aufgrund steigender Kosten nicht mehr wettbewerbsfähig produziert werden können. Energie war in Deutschland auch in der Vergangenheit nie sehr günstig. Aber die extrem hohen Gas- und Strompreise seit Sommer 2021 sind mittlerweile ein gewaltiger Standortnachteil im Vergleich zu Wettbewerbern wie etwa den USA. Zwar sinken die Energiepreise an den Märkten seit einiger Zeit wieder, doch eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau erwarten wir erstmal nicht. Es braucht daher für die derzeitige Transformationsphase Lösungen, damit auch energieintensive Unternehmen weiter in Deutschland produzieren können.

Sie haben die Mitglieder aus der Geschäftsführung von knapp 1.000 Unternehmen befragt, wie diese den aktuellen Transformationsprozess bewerten. Wie hoch ist das Bewusstsein dafür, dass Veränderungen notwendig sind?

Küper: Das Bewusstsein ist zweifelslos da, auch weil die Auswirkungen der vier Disruptionen im Unternehmensalltag zunehmend spürbar werden, sei es nun beim Recruiting neuer Mitarbeiter oder gestiegenen Gaspreisen. Unser Eindruck aus der Befragung ist: die meisten Unternehmen gehen die Herausforderungen längst aktiv an und entwickeln ihre Geschäftsmodelle erfolgreich weiter, fühlen sich von der Politik aber im Stich gelassen. Besonders im verarbeitenden Gewerbe blickt man den Auswirkungen der europäischen Klimapläne für den Standort Deutschland eher skeptisch entgegen.

„Viele Unternehmen investieren bereits, um Emissionen zu verringern oder Ressourcen effizienter zu nutzen.“

Was können die Unternehmen denn konkret tun, um ihre Zukunft aus eigener Kraft zu gestalten?

Küper: Viele Unternehmen investieren bereits, um Emissionen zu verringern oder Ressourcen effizienter zu nutzen. Beispielsweise, indem sie mit PV-Anlagen selbst grünen Strom erzeugen, die Kreislaufführung von Materialien stärken oder E-Autos anschaffen. Zudem setzen sie auch Maßnahmen um, die nicht nur CO2 einsparen, sondern gleichzeitig ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern. Dazu gehören Dienstfahrräder oder Kantinen mit nachhaltigen Produkten. Zudem achten immer mehr Unternehmen darauf, ob auch die von ihnen bezogenen Vorprodukte einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz leisten. Das Thema Nachhaltigkeit in der Lieferkette wird in Zukunft ohnehin eine noch höhere Bedeutung einnehmen, nicht zuletzt durch das Lieferkettengesetz der EU.

In welchen Feldern sehen Sie Handlungsbedarf?

Küper: Wir sehen anhand der Befragungsergebnisse, dass sich viele Unternehmen im Zuge der Dekarbonisierung bereits stärker mit anderen Unternehmen und der Wissenschaft vernetzen. Dies kann dem Wissens- und Erfahrungsaustausch dienen, aber auch eine Möglichkeit darstellen, gemeinsame Positionspapiere zu entwickeln und die eigenen Anliegen so gebündelt an die Politik heranzutragen. Angesichts der multiplen Herausforderungen sehe ich in dieser stärkeren Vernetzung untereinander eine echte Chance.

„Rund 40 Prozent der Unternehmen sehen ihr Geschäftsmodell durch die Kostensteigerungen im Zuge des EU-Green Deals gefährdet.“

Wo liegen die zentralen Hemmnisse, um die Transformation weiter voranzutreiben?

Küper: In der Tat sehen rund 40 Prozent der Unternehmen ihr Geschäftsmodell durch die Kostensteigerungen im Zuge des EU-Green Deals gefährdet, etwa jedes vierte Unternehmen erwartet, dass seine Produkte an Wettbewerbsfähigkeit verlieren werden. Bremsklötze sind beispielsweise fehlende Fachkräfte, hoher bürokratischer Aufwand, aber auch fehlende Finanzmittel sowie vor allem eine unklare Kosten-Nutzen-Relation. Die Kernfrage von vielen Unternehmen lautet: Sind die Kunden bereit, einen Aufpreis für nachhaltigere Produkte zu zahlen? Ein gutes Beispiel dafür ist die klimaneutrale Stahlproduktion. „Grünen“ Stahl mithilfe von Wasserstoff herzustellen ist aktuell noch deutlich aufwendiger und damit teurer als die herkömmliche, CO2-intensive Produktion. Um trotzdem in diese Anlagen zu investieren, brauchen die Unternehmen die Gewissheit, dass dieser höherpreisige Stahl am Ende auch abgenommen wird. Eine Lösung für die Übergangsphase könnte sein, dass die öffentliche Hand bei ihrer Beschaffung stärker auf klimafreundliche Produkte und Grundstoffe setzt und so erste Leitmärkte etabliert.

Was erwarten die Unternehmen von der Politik?

Küper: Es braucht verlässliche Rahmenbedingungen, transparente Zielvorgaben und die Überzeugung, dass die Politik die selbst gesteckten Ziele auch erreicht. Schon heute erweist sich beispielsweise der langsame Ausbau der Erneuerbaren Energien als ein zentrales Problem für jedes dritte Unternehmen. Viele Betriebe würden gerne nachhaltigen Strom oder Wärme nutzen. Sie haben dazu aber keine Möglichkeit. Eine Kernaufgabe des Staats für die kommende Zeit muss es sein, die Infrastrukturprojekte in diesem Bereich mit hoher Priorität voranzutreiben. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen deutlich schneller ablaufen als aktuell. Beim grünen Wasserstoff ist es ähnlich: Dort hat die Politik eine große Erwartungshaltung aufgebaut, fast jedes Bundesland beansprucht für sich eine Vorreiterrolle beim Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Doch in der Praxis hapert es an der Umsetzung. Damit Deutschland zum Schrittmacher beim grünen Wasserstoff wird, muss mehr passieren. Bei alldem darf die Politik die gesellschaftliche Akzeptanz nicht aus dem Auge verlieren: In der für die Transformation unerlässlichen Energie- und Bauwirtschaft sieht bereits jedes fünfte Unternehmen gesellschaftliche Widerstände als großes Hemmnis.


Herr Küper, vielen Dank für das Gespräch!

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