Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Herr Scheller, der GVB hat für den Verbandstag 2023 das Motto „Genossenschaften gestalten Zukunft: Wir bewegen Bayern“ gewählt. Wie können Genossenschaften Zukunft gestalten?

Gregor Scheller: Zunächst müssen wir uns fragen, welche Zukunft wir wollen. Ich denke, es geht um eine Zukunft, in der Ökologie und Ökonomie im Gleichgewicht sind, in der sich soziale Verantwortung und marktwirtschaftliches Gewinnstreben ergänzen, in der es um Freiheit statt Verbote geht. Um dies zu erreichen, sollten wir uns auf unsere traditionellen Werte besinnen, diese aber weiterentwickeln und an neue Herausforderungen anpassen. Genossenschaften stehen schon immer für Zusammenhalt, Gemeinschaft, Verantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe. Genau diese Werte sind es, die uns auch in Zukunft stark machen und uns befähigen, Bayern zu bewegen. Genossenschaften haben stets dafür gesorgt, dass sie selbst, aber auch die Gesellschaft, in der sie wirken, in der Zukunft die Chancen gesehen und diese gestaltet haben. Sie übernehmen Verantwortung. Sie rufen nicht zuerst nach der Politik, sondern packen dort an, wo es gilt, Dinge zu verändern – mit unternehmerischem Mut und Entschlossenheit sorgen sie dadurch für Entwicklung.

„Es ist wichtig, in einer komplexen Welt verlässlich zu sein und gestalten zu wollen.“

Was sind die größten Herausforderungen, denen sich Genossenschaften in Zukunft stellen müssen?

Scheller: Zunächst ist es wichtig, in einer komplexen Welt verlässlich zu sein und gestalten zu wollen, in dem Sinne, immer auch die Gesellschaft weiterzubringen. Es geht um Faktoren wie Digitalisierung, die demografischen Entwicklung, oder den Klimaschutz. All dem haben sich Banken ebenso zu stellen wie alle anderen Unternehmen auch. Es geht aber auch um Fragen der Regulierung. Folgende fünf Themen sind mir besonders wichtig: Erstens denke ich da zum Beispiel an die Energiewende und die damit verbundenen Bestimmungen. Diese schrecken vielfach ab und machen bürgerschaftliches Engagement kompliziert. Zweitens denke ich an den Strukturwandel im ländlichen Raum. So wichtig Tierschutz ist, zu dem wir uns selbstverständlich bekennen: Wer hier plötzlich Bestimmungen verschärft, den Betrieben aber keine Zeit zur Anpassung lässt, beschleunigt den Strukturwandel und macht die kleinteilige Landwirtschaft, die Bayern prägt, für viele nicht mehr lohnend. Das würde das Land nachhaltig verändern. Drittens denke ich an europäische Überlegungen zu einem künftigen Abwicklungsregime für Banken, das die Leistungsfähigkeit und den präventiven Charakter der genossenschaftlichen Institutssicherung ignoriert und diese sogar aushebelt. Viertens denke ich an europäische Überlegungen für ein Provisionsverbot. Dieses kommt zwar zunächst nicht mit aller Härte, hat aber dennoch erhebliche Auswirkungen. Und fünftens denke ich an Regulierungen, die inzwischen in Teilen so kompliziert geworden ist, dass der bürokratische Aufwand in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum Nutzen steht. Und dann ändern sich Erwartungshaltung und Verhalten der Kundinnen und Kunden. Mit all dem müssen genossenschaftliche Unternehmen und Banken umgehen.

Wie können denn diese Herausforderungen genutzt werden, um etwas Neues zu gestalten?

Scheller: Genossenschaften haben sich in ihrer gut 150-jährigen Geschichte immer wieder angepasst – sonst gäbe es sie heute nicht mehr. Und wenn es sie nicht gäbe, müssten sie erfunden werden. Denken Sie beispielsweise an Energiegenossenschaften. Vor 20 Jahren gab es noch viel weniger als heute. Oder die Banken: Vor 20 Jahren waren das vielfach noch behördlich anmutende Institutionen, mit Schalterhalle, Menschen haben dort Geld abgehoben, Kontoauszüge abgeholt, aber auch Beratung in Anspruch genommen. Vieles davon findet heute praktisch rein digital statt ….
 

… das trifft aber auf alle Banken zu, nicht nur genossenschaftliche …

Scheller: Das stimmt. Aber sie haben sich ihre Besonderheit erhalten: Die regionale Nähe, Institute, die vor Ort im wahrsten Sinne ein Gesicht haben, die ansprechbar sind und nicht weit weg irgendwo in Form eines Callcenters in der übernächsten Großstadt. Dies bedeutet weit mehr als nur ein VR-Logo an einer Hauswand. Es geht hier um eine Einstellung. Es geht um Verlässlichkeit, Erreichbarkeit, Solidität und Transparenz. Das sehen Sie daran, dass noch nie eine Volksbank oder Raiffeisenbank mit staatlichem Geld gerettet werden musste oder Einleger ihr Geld verloren haben. Im Hintergrund steht ein leistungsfähiger Verbund, der all das bereithält, was das einzelne Institut nicht vorhalten kann. Dieses Netzwerk ist in seiner Form einzigartig und das erkennen auch Kundinnen und Kunden, die „ihrer“ Bank die Treue halten. Davon profitieren auch die Regionen Bayerns. Denn durch Spenden unterstützen die Kreditgenossenschaften regionale Projekte und Vereine. Im vergangenen Jahr kamen somit 14,4 Millionen Euro den Menschen in Bayern zugute.

„Miteinander etwas unternehmen, basierend auf einem gemeinsamen Ziel und einem starken Wertefundament, das macht die eG aus.“

Warum ist die Rechtsform der eG zukunftsfähig?

Scheller: Weil sie all das bietet, wonach sich junge Menschen sehnen: Werte und Sinnstiftung. Gerade sie wünschen sich einen anderen Blick auf wirtschaftliche Aktivität. Natürlich muss es unter dem Strich alles stimmen. Die Frage ist aber, von welchen Motiven das Tun gespeist wird: Ist es die Gewinnmaximierung oder geht es um langfristige Solidität und damit Nachhaltigkeit im klassischen Sinne. Dieser Unterschied ist spürbar. Ein weiteres Feld ist die Energiewende: Energiegenossenschaften beteiligen die Menschen vor Ort und binden sie ein. Damit steigt die Akzeptanz für diese Projekte. Miteinander etwas unternehmen, basierend auf einem gemeinsamen Ziel und einem starken Wertefundament, das macht die eG aus.

Wie kann der GVB seine Mitglieder dabei unterstützen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern?

Scheller: Der GVB ist ein starker und professioneller Partner. Dazu dienen auch die Satzungsaufgaben: Die Prüfung ist mehr als nur eine Zahlenanalyse und ein Testat, sondern Unterstützung und Rat. Mit den Beratungsangeboten zu Banksteuerung, Recht und Steuern Marketing und Vertrieb steht der Verband seinen Mitgliedern mit Rat und Tat zur Seite. Sie wollen aber sicher wissen, was wir in Zukunft umsetzen wollen. Wir haben dazu das Projekt MiA 2027 initiiert. MiA steht für „Miteinander im Aufbruch“. Es geht darum gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Dazu haben neben einer Umfrage mit toller Resonanz acht Workshops mit den Volks- und Raiffeisenbanken in ganz Bayern stattgefunden. Ziel war es, Ideen zu entwickeln, wie sich Banken und Verband zukunftsfest aufstellen können. Es soll ein Zielbild, und davon abgeleitet, eine Roadmap entstehen, um notwendige Maßnahmen umzusetzen und den Veränderungsprozess anzustoßen – beim GVB ebenso wie bei den Kreditinstituten. Diese Nacharbeit geschieht jetzt.

„Wir arbeiten auf Augenhöhe miteinander, um im Schulterschluss voranzukommen.“

Was hat sie dazu bewogen, dieses Projekt aufzusetzen?

Scheller: Als Verband dienen wir unseren Mitgliedern. Das aber setzt voraus, dass wir voneinander wissen, was uns bewegt, was wir voneinander erwarten können und wo wir uns in Zukunft gemeinsam hin entwickeln wollen. Dazu ist es unerlässlich, miteinander in den Dialog zu gehen. Es geht nicht um ein „Wünsch Dir was“, sondern das ernsthafte Bemühen darum, die Zukunft in den Blick zu nehmen und diese gemeinsam zu gestalten. Deswegen haben uns auch externe Moderatoren unterstützt, um klarzumachen, dass wir uns jetzt nicht nur gegenseitig ein Pflichtenheft diktieren wollen, sondern auf Augenhöhe miteinander arbeiten, um im Schulterschluss voranzukommen. Besonders wertvoll war der intensive Austausch in den Workshops und den vielen Diskussionen und Gesprächen, das war immer wieder zu spüren. Zudem nehmen wir doch alle wahr, dass sich vieles in der Welt verändert. Darauf müssen wir alle miteinander reagieren und können nicht warten.
 

Könnte ein solches Projekt nicht auch für andere genossenschaftliche Unternehmen sinnvoll sein?

Scheller: Selbstverständlich. Wir wollen besser verstehen, was die Mitglieder bewegt. Dazu ist ein solcher Austausch äußerst wertvoll. Aber wir mussten einen Anfang finden und Erfahrungen sammeln. Mit den Banken haben wir eine große und relativ homogene Gruppe. Ich schließe aber nicht aus, dass es derartiges auch für andere Mitgliedsgruppen oder Branchen geben kann.
 

Herr Scheller, vielen Dank für das Gespräch!

Artikel lesen
Topthema