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Am 16. Juli 2019 trat die damals noch designierte Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, an das Rednerpult im EU-Parlament in Brüssel. Vor den neu gewählten Europaabgeordneten präsentierte sie erstmals ihre lang erwartete Agenda für ihre fünfjährige Amtszeit: Europa, so verkündete von der Leyen damals, habe die Ära der Krisenbewältigung hinter sich gelassen und könne nun nach vorn schauen. Für die Weiterentwicklung Europas gab die designierte Präsidentin in ihrer „Agenda für Europa“ ein ambitioniertes Ziel aus: „Ich sehe die kommenden fünf Jahre als Chance für Europa – um zu Hause über sich hinauszuwachsen und damit eine Führungsrolle in der Welt zu übernehmen“.

Heute, drei Jahre später, wirkt es so, als habe Europa die von der Kommissionspräsidentin angesprochene Ära der Krisenbewältigung nie wirklich verlassen. Kurz nach Amtsantritt der neuen EU-Kommission am 1. Dezember 2019 brach in Europa das damals neuartige Corona-Virus aus und stürzte die Weltwirtschaft in eine ihrer schwersten Krisen seit dem Bestehen der europäischen Gemeinschaft. Es folgten der Frust über die Impfpolitik der EU, Streitigkeiten um die Rechtsstaatlichkeit bei einigen Mitgliedern der Union und die Nachwirkungen des Brexits. Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine erscheinen zuletzt auch viele der europäischen Politikvorhaben in einem neuen Licht.

Was ist angesichts dieser Krisen und Umbrüche aus den ambitionierten Vorhaben der EU-Kommission geworden? Und wie ist die erste Hälfte der Amtszeit aus Perspektive der bayerischen Genossenschaften zu bewerten? „Profil“ zieht eine Halbzeitbilanz für die wichtigsten Themengebiete der Genossenschaften:

Green Deal: Bürokratiemonster statt Transformationsbeschleuniger

Der Klimaschutz und die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft war von Anfang an Priorität Nummer eins der neuen EU-Kommission. Bereits in ihrer Antrittsrede vor dem EU-Parlament präsentierte von der Leyen den europäischen Green Deal. Bis 2050 soll Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent überhaupt werden, so das ehrgeizige Ziel. Unter dem Mantel des Green Deal legte die EU-Kommission in den letzten zweieinhalb Jahren zahlreiche Strategiepapiere und Gesetzesinitiativen vor.

Im Zentrum steht das nach Angaben der EU-Kommission größte jemals geschnürte Klimapaket „Fit for 55“. Mit dessen Hilfe sollen die CO2-Emmissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 fallen. In dem Paket, das noch von den EU-Gesetzgebern beschlossen werden muss, schlägt die EU-Kommission etwa vor, innereuropäische Flüge wegen des hohen Kerosinverbrauchs zu besteuern, Verbrennungsmotoren faktisch abzuschaffen und den Handel mit Emissionszertifikaten auszudehnen.

Daneben hat die EU-Kommission zusätzliche klima- und nachhaltigkeitsbezogene Berichtspflichten für Unternehmen ins Spiel gebracht: Nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) sollen EU-weit fast 50.000 Betriebe viel detaillierter als bisher über ihre Aktivitäten in Sachen Nachhaltigkeit berichten.

Hinzu kommt der Vorschlag für ein europäisches Lieferkettengesetz. Danach müssten künftig alle großen und mittleren Unternehmen ihre gesamte Lieferkette im Hinblick auf die Einhaltung von Umwelt- und Klimabestimmungen sowie von Menschenrechten kontrollieren.

Trotz aller Bemühungen fällt die Bilanz der EU-Kommission im Klimaschutz bisher bescheiden aus. Zwar ist es gelungen, unter anderem im Jahr 2020 mehr CO2 einzusparen als anfangs gedacht, das ist allerdings nicht zuletzt auf den Sondereffekt der Corona-Pandemie zurückzuführen. Um die ambitionierten Klimaziele der Kommission bis 2030 zu erreichen, so rechnet das Umweltbundesamt, müssten die jährlichen Einsparungen nochmal verdreifacht werden.

Dabei stellt sich die Frage, ob die Mittel geeignet sind, um die Klimaziele zu erreichen. Die bisher von der EU-Kommission angekündigten Instrumente, wie etwa die Berichtspflichten oder das Lieferkettengesetz, bedeuten für die Wirtschaft vor allem zusätzliche Bürokratie, ohne dass hierdurch auch nur ein Gramm CO2 eingespart wird. Für die vielen kleinen und mittleren Unternehmen wird der Klimaschutz durch den von der EU-Kommission eingeschlagenen Kurs zur Compliance-Übung degradiert. Effizienter wäre es stattdessen, sich auf marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel zu konzentrieren.

Nachhaltiges Finanzwesen: Zeit für eine Regulierungspause

Die Kommission von der Leyen verfolgt die Pläne ihrer Vorgänger für ein nachhaltiges Finanzwesen weiter. Die umstrittene EU-Taxonomie wurde fortentwickelt. Sie legt fest, welche wirtschaftlichen Aktivitäten in der Union als nachhaltig gelten und damit potenziell günstigere Finanzierungskonditionen erhalten. Dazu legte die EU-Kommission ein fast 400 Seiten schweres Regelwerk vor, das detailliert vorgibt, welche Tätigkeiten als grün im Sinne des Klimaschutzes gelten. Das gipfelte im Winter 2021/2022 in dem Streit, ob auch Atomkraft und Gasenergie als nachhaltig gelabelt werden dürfen. Ein endgültiger Beschluss darüber steht weiterhin aus – genauso wie die Regeln für die weiteren Umweltziele abseits des Klimaschutzes.

Auch die Überlegungen für eine Klassifizierung, was sozial nachhaltig ist („Sozial-Taxonomie“), stehen noch am Anfang. Im Februar 2022 präsentierte eine Expertengruppe einen Bericht, der als Grundlage für die EU-Kommission dienen soll. Aufgrund des Ukraine-Kriegs liegen diese Pläne vorerst auf Eis. In der Diskussion ist auch eine Ausweitung des Taxonomie-Prinzips, bei der wirtschaftliche Aktivitäten nicht nur in grün, sondern auch in gelbe („ohne Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit“) und rote („für die Nachhaltigkeit schädlich“) Kategorien eingeordnet werden sollen („Ampel-Taxonomie“).

Klar ist hingegen schon jetzt, dass kapitalmarktorientierte Großunternehmen und Banken künftig über den Grad ihrer Taxonomie-konformen Aktivitäten berichten müssen. Kreditinstitute müssen ab dem Jahr 2024 eine sogenannte Green Asset Ratio ausweisen. Diese wird, vereinfacht gesagt, ermittelt, indem „grüne“ Risikopositionen wie etwa klimafreundliche Kredite ins Verhältnis zu allen Aktiva der Bank gesetzt werden. Außerdem legte die EU-Kommission die finalen Standards fest, nach denen Finanzberater ihre Kunden künftig nach den Nachhaltigkeitswünschen in der Anlageberatung fragen müssen. Ab Anfang August treten die Vorgaben in Kraft (siehe dazu auch den „Profil“-Beitrag in Ausgabe 6/2022).

Das hohe Regulierungstempo der EU-Kommission stellt die Finanzbranche und die gesamte Wirtschaft vor erhebliche Herausforderungen. Eine Regulierungspause ist nötig. Sinnvoll wäre es, Banken und Unternehmen zunächst Zeit zu geben, die Vorgaben umzusetzen und abzuwarten, wie sich diese bewähren. Beerdigen sollte die EU-Kommission ihre Pläne für eine Sozial-Taxonomie, denn es mangelt grundsätzlich an einem gemeinsamen Werteverständnis sowie Methoden und Kennzahlen, um zu bestimmen, was sozial nachhaltig ist. Auch eine Ampel-Taxonomie ist nicht zielführend. Es besteht die Gefahr, dass bestimmte Unternehmen und Branchen so angeprangert werden, dass sie quasi schon aus Image-Gründen benachteiligt würden und die Möglichkeit zur Transformation im Vorhinein ausgeschlossen wird, da nötiges Kapital nicht mehr zu bekommen ist.

Landwirtschaft: Zwischen Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit

Der Green Deal der EU-Kommission macht auch vor Landwirtschaft nicht halt. Die Agrar- und Ernährungswirtschaft soll hin zu mehr Nachhaltigkeit umgebaut werden, so das erklärte Ziel. Auf dem Weg dahin gelangen in den letzten zweieinhalb Jahren wesentliche Fortschritte.

Nach langen Verhandlungen wurde im Jahr 2021 endlich die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) abgeschlossen. Nach einer Reihe von Verzögerungen soll sie nun am 1. Januar 2023 in Kraft treten und bis 2027 laufen. Die GAP wird größtenteils durch Strategiepläne umgesetzt, die die einzelnen Mitgliedsstaaten erarbeiten. Der deutsche Strategieplan umfasst EU-Fördermittel im Umfang von insgesamt rund 30 Milliarden Euro.

Im Mai 2020 verabschiedete die EU-Kommission zudem die sogenannte „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie (Farm to Fork Strategy). Ziel der Strategie ist es, Lebensmittel entlang der gesamten Lieferkette nachhaltig zu erzeugen. Dazu sieht die Strategie unter anderem vor, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren und den Gebrauch von chemischen Düngemitteln um 20 Prozent zu reduzieren. Außerdem ist geplant, den Anteil der ökologisch bewirtschafteten Anbauflächen auf mindestens 25 Prozent der gesamten Anbaufläche zu erhöhen. Allerdings stehen konkrete Gesetzesvorschläge hierzu größtenteils noch aus.

Obwohl die Kommission ihre Arbeit auf Nachhaltigkeit fokussiert, spielte in den vergangenen Jahren auch die Versorgungssicherheit eine große Rolle. Während der Corona-Pandemie leistete die EU-Kommission hierzu einen wichtigen Beitrag, indem sie mit den „Green Lanes“, offenen Grenzstellen für den Frachtverkehr, die Lebensmitteltransporte zwischen den EU-Ländern sicherstellte. Zudem genehmigte die EU-Kommission staatliche Beihilfen für die Landwirtschaft in Milliardenhöhe und stellte selbst EU-Gelder bereit. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise und -versorgung haben die Versorgungssicherheit zuletzt wieder ganz oben auf die politische Agenda der EU-Kommission gehievt. Als Reaktion auf die gestiegenen Betriebskosten machte die EU-Kommission zudem den Weg frei für Einmalzahlungen aus dem GAP-Budget.

Es ist richtig, dass die Bedeutung der Landwirtschaft für die Versorgung höher gewichtet wird. Um die Versorgungssicherheit zu unterstützen, ist es nötig, die Betriebe bei den stark steigenden Energie- und Betriebskosten zu entlasten. Allerdings darf dies nicht zu einer Abkehr von dem bereits begonnenen Transformationsprozess in der Landwirtschaft führen. Die Genossenschaften und die Landwirte benötigen von der Politik vor allem Planungssicherheit, um die Transformation erfolgreich zu managen. Die bewährten Strukturen der Genossenschaften sollten erhalten werden. Sie tragen insbesondere in Krisenzeiten zu Stabilisierung bei und geben Landwirten Sicherheit.

Energie: Ambitionierte Ziele, aber Defizite in der Umsetzung

Ein Schlüssel für den Green Deal und die Klimaneutralität bis 2050 sieht die EU-Kommission im Ausbau der erneuerbaren Energien. Im Juli 2021 schlug die Behörde den EU-Mitgliedsstaaten und dem Parlament deshalb vor, die europäischen Ausbauziele zu erhöhen. Statt wie bisher geplant 27 Prozent des Energiebedarfs im Jahr 2030 durch regenerative Quellen abzudecken, sollten es künftig 40 Prozent sein. Das entspricht nahezu einer Verdopplung des aktuellen Anteils. Im Jahr 2020 stammten rund 22 Prozent der in der EU verbrauchten Energie aus regenerativen Quellen. Dabei drängte die EU-Behörde insbesondere darauf, den Ausbau auch im Gebäudesektor zu verstärken, der für rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in der EU steht.

In Reaktion auf den Ukraine-Krieg sollen diese Ziele nochmals angehoben werden. Im Mai 2022 präsentierte die EU-Kommission den REPowerEU Plan. Darin ist vorgesehen, das bisherige Ziel von 40 Prozent auf 45 Prozent zu erhöhen. Für Aufsehen sorgt insbesondere, dass Brüssel künftig auf jedem Neubau Solarpaneele sehen will. Das ist in einer entsprechenden Solardach-Initiative festgehalten. Sie soll dazu beitragen, dass die Solar-Kapazitäten in der EU bis 2025 verdoppelt werden. Zudem soll es Fortschritte bei der Energieeinsparung und Effizienz geben. Insgesamt 300 Milliarden Euro will Brüssel dazu aus verschiedenen Töpfen bereitstellen.

Die Vorgaben der EU-Kommission sind ambitioniert. Allerdings mangelt es bisher an deren Umsetzung. Das liegt vor allem daran, dass die Mitgliedsstaaten gefordert sind, konkrete Maßnahmen einzuleiten. Die EU kann hier lediglich vorangehen, indem sie Zielvorgaben macht. Aus Sicht der Genossenschaften wäre es insbesondere wünschenswert, wenn die Bundesregierung die im EU-Recht bereits vorgesehenen Erleichterungen für Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften zügig umsetzt.

Kleine und mittelständische Unternehmen: Belastung statt Entlastung

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stehen für einen Großteil der Wirtschaft in der EU. Gerade diese Betriebe berichten überproportional häufig von bürokratischen Belastungen durch komplexe Regeln und Verfahren, etwa durch umfangreiche Melde- oder Berichtspflichten. Bei Amtsantritt gab Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen deshalb das Ziel aus, KMU zu stärken und den hohen Verwaltungsaufwand endlich zu reduzieren.

Den Versprechungen ließ die Kommission im Frühjahr 2020 eine eigene KMU-Strategie folgen. Darin sicherte die EU-Kommission unter anderem zu, das One-in-one-out-Prinzip künftig einzuhalten. Demnach soll für jede neu eingeführte Rechtsvorschrift eine alte entfallen. Mit eigenen KMU-Beauftragten in der Kommission wollte man den Unternehmen mehr Gehör verschaffen.

Die Kommission blieb deutlich hinter den eigenen Ankündigungen zurück. Eine große Entlastung folgte bisher nicht – im Gegenteil: Der Verwaltungsaufwand nahm in den letzten Jahren sogar noch zu. Allein im vergangenen Jahr wurden 1.977 legislative oder nicht-legislative Akte verabschiedet oder geändert, wohingegen im gleichen Zeitraum nur 1.008 legislative oder nicht-legislative Akte aufgehoben respektive außer Kraft gesetzt wurden. Unterstellt, dass die Zahl der legislativen und nicht-legislativen Akte mit den damit verbundenen Bürokratielasten korrespondiert, ergäbe dies eine Two-in-one-out-Regel anstatt des von der Kommission im Jahr 2021 pilotierten One-in-one-out-Prinzips. Dies muss sich ändern.

Wirtschafts- und Währungspolitik: Dammbruch bei gemeinsamen Schulden

Zu Beginn der Legislaturperiode kündigte von der Leyen zudem eine weitere Vertiefung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) an. Die starren Haushaltsregeln, die eine Schuldenaufnahme der Mitgliedsstaaten begrenzen, wollte die Kommission lockern, um damit den Ländern mehr Spielraum für Investitionen zu geben, so die Kommissionspräsidentin in ihrer Antrittsrede.

Wenige Monate später folgte der Corona-Ausbruch. Für die WWU war das Virus wie ein Dammbruch: Die Haushaltsregeln wurden nicht gelockert, sondern komplett ausgesetzt. Erst im kommenden Jahr 2023 sollen sie wieder greifen. Auf Anregung der EU-Kommission beschlossen die EU-Staaten zudem einen 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds mit dem klangvollen Namen „Next Generation EU“. Durch direkte Zuschüsse und Kredite sollen die Staaten bei der Bewältigung der Corona-Krise unterstützt und neue Investitionen für den Wiederaufbau nach Corona finanziert werden. Erstmals in der Geschichte der EU wurden hierzu auch gemeinsame Schulden aufgenommen. Die EU-Kommission gab eigene Anleihen am Kapitalmarkt heraus, die von allen Mitgliedsstaaten abgesichert sind.

Das entschlossene Vorgehen der EU-Kommission als Reaktion auf die Corona-Krise war insgesamt richtig. Es hat dem Kontinent maßgeblich geholfen, die wirtschaftlichen Effekte abzufedern und die Krise schneller zu überwinden, ohne langfristig strukturelle Schäden davonzutragen. Allerdings ist diese Ausnahmesituation jetzt vorüber. Die EU muss daher schnellstmöglich wieder zu ihrem regelbasierten System übergehen. Die Aussetzung der Schuldenregeln und die Aufnahme gemeinsamer Schulden darf nicht zum Standardfall werden. Eine weitere Aussetzung der Schuldenregeln bis 2024, wie sie zuletzt die EU-Kommission vorgeschlagen hat, oder eine Aufweichung der Haushaltregeln, etwa für Investitionen in Klimaschutz, sind ebenso nicht sinnvoll. Diese Maßnahmen sorgen dafür, dass die ohnehin hohen Schuldenstände in der EU weiter ansteigen und strukturelle Reformen tendenziell verzögert werden.

Banken- und Finanzmarkt: Der große Wurf bleibt aus

Bei der Bankenunion hielt die Kommission an der Idee einer Vergemeinschaftung der Einlagensicherung fest. In ihrer Antrittsrede signalisierte von der Leyen ihre Unterstützung für eine EU-Einlagensicherung (EDIS) und kündigte an, sich um eine rasche Einigung zu bemühen. Zudem sollten die Regeln zur Abwicklung und Insolvenz strauchelnder Banken überarbeitet werden, die im Zuge der Finanz- und Eurokrise 2014 eingeführt wurden. Tatsächlich begann die EU-Kommission 2021 mit der Überprüfung des Krisenregelwerks für Banken (Crisis Management and Deposit Insurance Framework, CMDI).

Bisher liegt allerdings keine Gesetzesvorschlag vor. Das liegt vor allem daran, dass die EU-Kommission auf ein Signal der Eurofinanzminister wartet. Diese konnten sich bisher nicht auf ein weiteres Vorgehen einigen. Bei einer Sitzung im Juni 2022 scheiterte ein Plan des Eurogruppen-Chefs Paschal Donohoe, der die schrittweise Einführung einer Einlagensicherung vorsah. Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) hatte im Vorfeld der Sitzung vor einer Einigung gewarnt. Eine EU-Einlagensicherung würde den hohen Schutz der Sparer in Deutschland untergraben und wäre eine existenzielle Bedrohung für das bewährte System der genossenschaftlichen Institutssicherung.

Die EU-Kommission kündigte zudem an, neben der Bankenunion auch die Kapitalmarktunion, das politische Vorhaben für einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt, vollenden zu wollen. Einen großen Wurf blieb die Kommission bisher jedoch schuldig. Fortschritte gab es bisher im Kleinen: Die Kommission schlug einen European Single Access Point (ESAP) vor. Demnach sollen zukünftig an einer zentralen Stelle alle finanz- und nachhaltigkeitsbezogenen Unternehmens- und Produktinformationen gesammelt und zugänglich gemacht werden.

Als Reaktion auf die Corona-Pandemie wurden einige Erleichterungen am Regelwerk für die Anlage- und Wertpapierberatung geschaffen (MiFID Quick fixes). Eine Überarbeitung der Finanzmarktrichtlinie MiFID, die bereits für 2019 angekündigt wurde, liegt immer noch nicht vor. Um den Zugang von Anlegern zum Kapitalmarkt zu erleichtern, will die EU-Kommission zunächst eine eigene Kleinanleger-Strategie präsentieren. Der GVB setzt sich dabei vor allem für einen Abbau bürokratischer Hürden und den Erhalt der provisionsbasierten Beratung ein.

Mehr Fortschritte gab es hingegen bei der Umsetzung von Basel III. Im Oktober 2021 legte die EU-Kommission ein neues Bankenpaket vor, mit dem die internationalen Bankenstandards in europäisches Recht übertragen werden. Aus Sicht der Genossenschaften ist es positiv, dass die EU-Kommission in vielen Bereichen auf die Besonderheiten der europäischen Wirtschafts- und Bankenstruktur einging. So hielt die Behörde beispielweise an dem praxiserprobten KMU-Faktor fest, der es Banken erlaubt, risikoarme KMU-Kredite mit weniger Eigenkapital zu unterlegen. Nachbesserungsbedarf besteht hingegen bei der Entlastung kleiner und mittlerer Banken von administrativen Pflichten. Die Verhandlungen der EU-Gesetzgeber über den Entwurf der Kommission könnten sich noch ziehen. Bis 2025 müssen die Standards nach internationalen Vorgaben umgesetzt werden.

Digitalisierung: Klares Bekenntnis zu offenen Märkten

Auch im Bereich Digitalisierung ist Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit großen Ambitionen angetreten: Die Wettbewerbsfähigkeit der EU im Digitalbereich sollte ausgebaut werden, um so zu Ländern wie den USA oder China aufzuholen. Nach der Hälfte der Amtszeit ist klar: Es ist viel passiert, einen digitalen Spitzenplatz wird die EU jedoch vorerst nicht einnehmen.

Hauptgrund dafür ist die unterschiedliche Geschwindigkeit bei der Digitalisierung zwischen den EU-Staaten, was eine Steigerung der digitalen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Ländern wie den USA offensichtlich erschwert. So liegen einige EU-Mitgliedsstaaten wie Dänemark im internationalen Vergleich zwar auf den Spitzenplätzen. Gleichzeitig ist die digitale Wettbewerbsfähigkeit von Italien auf einem ähnlich hohen Niveau wie die von Chile.

Dennoch hat sich in der Ära von der Leyen viel getan und die Erkenntnis durchgesetzt, dass insbesondere im virtuellen Raum eine einheitliche Gesetzgebung der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg ist. Mit den Vorgaben zur Plattformregulierung (Digital Market Act und Digital Service Act) hat die EU ein umfangreiches Dossier vorgelegt, um die Marktmacht von Bigtechs zu begrenzen und durch faire Marktregeln einen effizienten Wettbewerb zu ermöglichen. Missachten Unternehmen diese Vorgaben und diskriminieren andere Anbieter, beispielsweise beim Zugang zu ihren Plattformen oder Schnittstellen, drohen Bußgelder von bis zu zehn Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes.

Mit dieser Entwicklung gibt die EU ein klares Bekenntnis zu einem offenen, diversifizierten Markt. So wird sichergestellt, dass auch kleinere Anbieter Zugriff zu den Schnittstellen von Bigtechs erhalten, was einen wichtigen Zugewinn für Kunden und Verbraucher bedeutet. Entscheidend wird zukünftig sein, wie die EU die Einhaltung und Umsetzung der Vorgaben überwacht.

Bei der Digitalisierung des Finanzsektors hat die EU zwei Bereiche besonders in den Fokus genommen. Mit dem Digital Operational Resilience Act (DORA) soll die digitale Widerstandsfähigkeit von Banken und Finanzdienstleistern gestärkt werden. Lagern Finanzunternehmen ihre Daten und Leistungen in die Cloud aus, macht DORA umfangreiche Vorgaben, wie dies zu erfolgen hat. Bei der Umsetzung von DORA gilt sicherzustellen, dass Finanzverbünde wie die Volksbanken und Raiffeisenbanken mit ihrem zentralen, verbundeigenen IT-Dienstleister bei der Auslagerung von Daten und Leistungen nicht mit kommerziellen Cloudanbietern wie IBM oder Amazon gleichgesetzt werden.

Neben der Regulierung der Auslagerung von Daten und Leistungen in die Cloud legte die EU mit der Verordnung Markets in Crypto-assets Regulation (MiCA) eines der ersten umfangreichen Gesetzespakete zur Regulierung von Kryptowerten vor. Damit setzt die EU ein klares Zeichen für den Verbraucherschutz im europäischen Raum: International sind Kryptowerte wie Bitcoin trotz volatiler Kurse und steigenden Investmentvolumina bisher wenig reguliert. Da sie jedoch von Anlegern vermehrt als ernstzunehmende Alternative zu „klassischen“ Finanzprodukten gesehen und eingesetzt werden, ist es richtig, die Regulierung an die der Finanzmärkte anzupassen.


Daniel Fischer war bis 30. Juni 2022 Experte für Politik- und Regierungsbeziehungen beim Genossenschaftsverband Bayern.

Felix Ehrenfried ist Wirtschaftspolitischer Referent beim Genossenschaftsverband Bayern.

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