Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

„Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, dass Erleichterungen notwendig sind“

Alexander Radwan, Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags und Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für Bankenaufsicht und Regulierung:

„Die Corona-Krise ist eine der größten Herausforderungen seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie außergewöhnlich die Situation ist, zeigen die ergriffenen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und zur Unterstützung der Wirtschaft. Wir sind gezwungen, Entwicklungen zu hinterfragen und neu zu bewerten. Das betrifft sowohl die Abhängigkeit von Lieferketten als auch den Stand der Digitalisierung.

Im Bereich der Finanzmarktregulierung können wir feststellen, dass die seit 2008/09 ergriffenen Maßnahmen sich positiv auswirken. Die Banken sind robuster geworden und gut mit Eigenkapital ausgestattet. Die aufgebauten Puffer tragen zur Stabilisierung unserer Wirtschaft bei, wobei wir die weitere Entwicklung genau beobachten müssen. Die Corona-Krise hat uns auch vor Augen geführt, dass Erleichterungen notwendig sind, um schnell und flexibel auf die Wirtschaft zu reagieren. Dies betrifft zum Beispiel die Vorgaben im Umgang mit notleidenden und gestundeten Krediten. Ein größerer Spielraum hat geholfen, die Unternehmen zu unterstützen.

Nach der Krise ist es unsere Aufgabe, zu überprüfen, wo die Regulierung zur Stabilität des Finanzmarkts notwendig und wo sie als bürokratischer Ballast nicht erforderlich ist. Priorität müssen dabei die Grundsätze der Proportionalität und der Risikoorientierung haben. Offenlegungspflichten sind verhältnismäßig zu gestalten. Das gilt auch für die zukünftige Umsetzung der Basel III-Vorgaben. Es ist richtig, dass die EU-Kommission sie um ein Jahr verschiebt. Diese muss unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Situation in der EU erfolgen und die Versorgung der Realwirtschaft unterstützen. Der KMU-Faktor ist dafür essenziell.

Die Krise hat uns auch gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung ist. Die geltende Regulierung steht dieser Entwicklung jedoch eher entgegen als sie zu unterstützen. Die Lockerung der strengen Informations- und Dokumentationspflichten haben sich bewährt. Eine schnelle, praxisnahe Beratung und Orderabwicklung wurde ermöglicht. Bankgeschäfte außerhalb der Filialen sind nach wie vor sehr schwer oder gar nicht möglich. Das Schriftformerfordernis passt nicht in die Zeit der Digitalisierung. Die Regulierung muss hier überprüft werden, um Wettbewerbsgleichheit zwischen Banken und Fintechs herzustellen. Dies gilt auch für das Kartellrecht mit Blick auf das Oligopol der großen Internetkonzerne.

„Neue Bürokratie droht das Leben der Banken und in der Folge der Realwirtschaft weiter zu erschweren.“

Neue Bürokratie droht das Leben der Banken und in der Folge der Realwirtschaft weiter zu erschweren. Unter dem Stichwort Sustainable Finance wird in Brüssel mit Hochdruck an neuen Regularien gearbeitet. Das Ziel ist, den Transformationsprozess durch die Finanzwirtschaft zu unterstützen. Regulierer und NGOs arbeiten auf Level II und Level III an konkreten Vorgaben.

Dabei wird das richtige Ziel mit den falschen Mitteln verfolgt. Statt einem marktnahen System entstehen Bürokratie und endlose Dokumentationspflichten. Diese Normierungsstruktur ist Basis für die zukünftige Regulierung der ESG-Ziele. Erstaunlicherweise scheinen sich einige Finanzinstitutionen auf diese zu freuen und fordern sie aktiv ein. Wir müssen darauf achten, die Banken wieder fit für die Zukunft zu machen. Es ist wichtig, dass sie sich nach der Krise wieder Eigenkapital und Risikopuffer aufbauen. Sie müssen in die Lage versetzt werden, in einem schwierigen Umfeld – wie zum Beispiel durch Niedrigzinsen oder Konkurrenz durch Fintechs – wieder entsprechend zu verdienen.“

„Fremdkapital wird beim Wiederaufbau der Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen“

Katja Hessel, Vorsitzende des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag:

„Die Corona-Krise hat uns in eine beispiellose Wirtschaftskrise gestürzt. Die Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung des Virus bedrohen noch immer die Solvenz zahlreicher Unternehmen. Bundesregierung und Gesetzgeber tragen nicht nur die Verantwortung, die dramatischen Konsequenzen für die Wirtschaft so gut wie möglich abzufedern. Auch der Wiederaufbau der Konjunktur muss in den Blick genommen und durch wirtschafts- und steuerpolitische Reformen ergänzt werden. Derzeit befinden wir uns noch in der Phase der Krisenbewältigung. Daher ist es nicht ganz einfach, schon jetzt Lehren für die Zukunft zu ziehen. Ein paar Hinweise lassen sich aus den Erfahrungen der letzten Wochen und Monate aber bereits ableiten.

In den letzten Wochen wurden zahlreiche Regularien außer Kraft gesetzt. So haben BaFin und EBA zuletzt beispielsweise die Auslegungsspielräume für die Mindestanforderungen des bankeninternen Risikomanagements großzügig interpretiert oder von der Veröffentlichung weiterer regulatorischer Anforderungen abgesehen. Wichtig ist, dass diese Regularien nicht nach der Krise einfach wieder eingesetzt werden. Stattdessen sollten offenere Handlungsspielräume als konjunkturelle Chance gesehen werden.

So gehören MiFID und MiFIR zu den europäischen Maßnahmen, die Anlegerschutz und Transparenz stärken sollen. Die Umsetzung verlangt den Finanzinstituten aber bürokratische und kostenintensive Maßnahmen ab. Schon 2019 hat die Bundesregierung bei der Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP (Bundestags-Drucksache 19/15293) für die Banken jährliche Kosten in Höhe von fast 65 Millionen Euro zur Umsetzung europäischer Vorgaben prognostiziert.

„Zwar ist der Schutz von Anlegern und Sparern wichtig. Dies darf aber nicht bedeuten, dass Banken mit Regulierungen erdrosselt werden.“

Ein solches Abschwächen der Kreditgeber ist in diesen Zeiten fatal. Fremdkapital wird beim Wiederaufbau der Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen. Auch der Ausbau digitaler Infrastrukturen oder innovativer Geschäftsmodelle ist ohne Investments nicht denkbar. Zwar ist der Schutz von Anlegern und Sparern wichtig. Dies darf aber nicht bedeuten, dass Banken mit Regulierungen erdrosselt werden.

Bereits vor der Corona-Krise befürchteten Volkswirte Einschränkungen bei der Kreditversorgung deutscher Unternehmen infolge der strengen Baseler Vorschriften. Erleichterungen bei Basel III sind ein erster Schritt, aber die drastischen Verschärfungen durch die Finalisierung der Eigenkapitalvorgaben („Basel IV“) müssen ebenfalls an die Krise angepasst werden. So spricht vieles dafür, die Implementierung der finalen Standards um mindestens ein Jahr zu verschieben, wie es die internationalen Bankenaufseher beschlossen haben. Denn die Mindestkapitalanforderungen der deutschen Banken werden hierdurch erheblich steigen. Dieses Eigenkapital fehlt dann bei Investitionen und gefährdet die benötigte Kreditversorgung der Unternehmen.

Deutschland bietet sich mit der Ratspräsidentschaft die Chance, zahlreiche Vorhaben auf europäischer Ebene anzustoßen und zu prägen. Dabei sollten aber das Genesen der Realwirtschaft und Konjunktur im Vordergrund stehen. Dies darf nicht mit einem Regulierungsaktionismus verwechselt werden.“

„Wir brauchen eine Bankenregulierung, die auch in Krisen ohne Notfallanpassungen auskommt“

Markus Ferber, Sprecher des Parlamentskreises Mittelstand im Europäischen Parlament, Koordinator der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON):

„Die Corona-Krise hat die europäische Wirtschaft unerwartet und hart getroffen. Die notwendigen Einschränkungen des öffentlichen Lebens haben dazu geführt, dass selbst gesunde und eigentlich gut aufgestellte Unternehmen mit erheblichen Umsatz- und Gewinneinbußen konfrontiert waren und sich plötzlich in einer existentiellen Notlage wiedergefunden haben. Diese Unternehmen schnell und unkompliziert mit Liquidität zu versorgen, war eine der wesentlichen Herausforderungen der ersten Phase der Krisenbewältigung. Der Bankensektor hat in diesem Prozess eine unverzichtbare Rolle gespielt.

Aus Sicht der Politik und der Aufsicht ging es darum, die Banken in die Lage zu versetzen, diese entscheidende Rolle auch ausfüllen zu können. Die Aufsichtsbehörden haben deswegen schnell und entschlossen reagiert und in vielen Fragen Entgegenkommen und ein wohlwollendes Aufsichtshandeln signalisiert. Wir haben aber bald gesehen, dass es nicht genügt, dass die Aufsichtsbehörden in der Krise ein Auge zudrücken, wo es notwendig ist. Auch in der europäischen Bankenregulierung selbst gibt es einige Bestimmungen, die sich als Flaschenhals herausgestellt haben. Deswegen hat der Europäische Gesetzgeber einige ad-hoc-Anpassungen („CRR Quick Fix“) beschlossen, die den europäischen Banken temporäre Erleichterungen in der Krise bringen werden.

Dieser Vorschlag war zweifelsohne richtig, geht aber trotz eines beschleunigten legislativen Verfahrens mit einigen Verzögerungen einher. Grundsätzlich sollten wir bei der europäischen Bankenregulierung dahin kommen, dass das einschlägige Regelwerk auch im Falle einer schweren Krise hinreichend flexibel ist und ohne Notfallanpassungen auskommt. Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, welche Stellen des Aufsichtsrechts prozyklisch wirken und perspektivisch angepasst werden müssen. Das Basel-III-Finalisierungspaket bietet eine Gelegenheit für weiterführende Anpassungen in diese Richtung, darf aber natürlich nicht selbst zu neuen Belastungen führen.

„Wenn es darauf ankommt, dürfen Banken nicht durch das Ausfüllen von Formblättern und Meldebögen davon abgehalten werden, ihre Kunden zu unterstützen.“

Darüber hinaus muss das Ziel von mehr Verhältnismäßigkeit und einer Eindämmung ausufernder Melde- und Reporting-Pflichten weiterhin im Fokus der europäischen Rechtssetzung bleiben. Denn wenn es darauf ankommt, dürfen Banken nicht durch das Ausfüllen von Formblättern und Meldebögen davon abgehalten werden, ihre Kunden zu unterstützen.

Langfristig müssen wir auch darauf hinarbeiten, dass der europäische Rechtsrahmen das Abwickeln von Bankengeschäften und der Anlageberatung aus der Ferne problemlos ermöglicht. Hier gibt es von der Telefonaufzeichnung bis zu den Bereitstellungsfristen von Dokumenten derzeit noch zu viele Hürden, die den Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts und den veränderten Kundenwünschen schlichtweg nicht gerecht werden.

Die Corona-Krise hat an vielen Stellen die bestehenden Probleme in der Bankenregulierung sehr deutlich hervorgehoben. Wir sollten diese Krise als Impuls dafür nutzen, die bestehenden Probleme so schnell und umfassend wie möglich zu beseitigen.“

Artikel lesen
Topthema