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Herr Kreidenweis, Herr Gamarnik, Ende Juni 2018 haben die Volksbanken und Raiffeisenbanken den Startschuss für die Digitalisierungsoffensive gegeben. Binnen fünf Jahren wollen sie an die 500 Millionen Euro investieren. Wo stehen Sie nach einem Jahr bei der Umsetzung?

Werner Kreidenweis: Im ersten Jahr lag unser Fokus zunächst darauf, mit der Vertriebsplattform die technischen Grundlagen und die relevante IT-Infrastruktur zu schaffen. Das ist uns gelungen. Gleichzeitig haben wir begonnen, die ersten neuen digitalen Services für Kunden und Bankberater zu entwickeln. Dabei war es uns wichtig, das Know-how der genossenschaftlichen FinanzGruppe breit einzubinden. Zusätzlich zu zahlreichen Mitarbeitern der Fiducia & GAD haben wir frühzeitig eine Vielzahl von Vertretern aus den Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie den Verbundunternehmen in das Projekt integriert. Es ist inzwischen auf über 800 beteiligte Personen angewachsen, die in unterschiedlichsten Rollen und Intensitäten an dieser großen Aufgabe mitwirken. Gemeinsam haben wir verschiedene funktionsfähige Prototypen entwickelt und zu IT-Anwendungen weitergeführt, die ersten greifbaren Kundennutzen bringen. Zusammenfassend können wir also sagen, dass wir im ersten Jahr der Digitalisierungsoffensive alle Meilensteine erreicht haben, die wir uns vorgenommen hatten.
 

Wie wird die Vertriebsplattform strukturiert sein?

Dmitri Gamarnik: Wir beschreiten mit der Vertriebsplattform technisch neue Wege in der genossenschaftlichen FinanzGruppe und setzen auf einen modularen Aufbau. Im Gegensatz zu einem monolithischen System besteht die Vertriebsplattform aus einzelnen, gekapselten Anwendungen, sogenannten „Microservices“, die weitestgehend unabhängig voneinander lauffähig sind und miteinander kommunizieren. Wir gewinnen dadurch erheblich an Flexibilität und Robustheit. Vor allem wird es deutlich einfacher, neue Services zu integrieren und die Plattform zu skalieren.

Wann werden die ersten großen Bausteine der Digitalisierungsoffensive den Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken zur Verfügung stehen?

Kreidenweis: Im Firmenkundenbereich wollen wir noch dieses Jahr ein neues Portal und die korrespondierende App bereitstellen. Damit sollen die Unternehmen ihre gewerblichen Bankgeschäfte bequem online und auch mobil abwickeln können. Hierzu haben wir eine neue Anwendung für das Kundenbeziehungsmanagement geschaffen, mit der der Firmenkundenberater diverse Tools an die Hand bekommt, um die Situation des Unternehmens zu analysieren und für das Beratungsgespräch anschaulich und transparent zu erfassen.

Gamarnik: Für Privatkunden geht eine digitale Selbstberatungsstrecke für die Immobilienfinanzierung an den Start. Darüber hinaus starten wir neue Funktionalitäten für das KundenServiceCenter, mit denen der Kunde einen Live-Chat und Co-Browsing innerhalb des neuen Kundenportals nutzen kann. Die Anwendungen sind bereits im Mai und Juni 2019 in die sogenannte „Family & Friends“-Phase gestartet. Dabei werden die Anwendungen von ausgewählten Genossenschaftsbanken im Live-Einsatz getestet. Ab Juli folgt eine Pilotierungsphase mit einem erweiterten Kreis an Banken, sodass voraussichtlich ab September 2019 sukzessive der Breiteneinsatz für alle Volksbanken und Raiffeisenbanken erfolgen kann. Weitere Anwendungen werden kontinuierlich folgen. Gegen Ende 2019 sollen unter anderem eine Abschlussstrecke für gewerbliche Finanzierungen, das Portal für Privatkunden und eine Anwendung zur standardisierten Finanzanalyse an den Start gehen. Bereits in der zweiten Jahreshälfte 2019 werden vor dem Hintergrund der Zahlungsdiensterichtlinie PSD 2 zudem verschiedene Multibanking-Mehrwerte für unsere Kunden verfügbar sein.

Sie sprechen die Omnikanalberatung Immobilie an, die zum Jahresende an den Start gehen soll. Was erwartet die Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken?

Gamarnik: Mit der Omnikanalberatung Immobilie bringen wir eine sehr umfassende digitale Selbstberatungsstrecke zu den Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Darin können sie ihre Finanzierungsvorhaben sehr individuell und bedarfsorientiert planen. Der neue Prozess kann individuell durchlaufen werden – je nachdem, welche Frage dem Kunden besonders wichtig ist: Was kann ich mir leisten? Welcher Kaufpreis ist realistisch? Was kostet mein Gesamtvorhaben? Die Anwendung kommt in einem neuen, intuitiv bedienbaren Look & Feel. Das Finanzierungsvorhaben des Kunden wird so spielerisch erlebbar gemacht. Grafisch unterstützt, kann er etwa sein Vorhaben konfigurieren und über verschiedene Rechner und Hilfswerkzeuge seine Finanzierung leicht verständlich durchplanen. Am Ende erhält der Kunde ein erstes unverbindliches Finanzierungsangebot, mit dem er direkt in die persönliche Beratung und den Abschluss mit seinem Kundenberater übergehen kann.
 

Neue Funktionalitäten: Bald können Bankkunden mit dem KSC per Live-Chat in Kontakt treten. Foto: imago images / Westend61
Traumhaus: Unterstützung bei allen Angelegenheiten zum Thema Baufinanzierung gibt es im Rahmen der Omnikanalberatung Immobilie. Foto: imago images / Westend61
Digitale Schau: Auf der Fiducia & GAD Hausmesse COM werden jährlich Neuheiten und Prototypen vorgestellt. Foto: Fiducia & GAD.

Worin wird sich die Omnikanalberatung Immobilie vom bisherigen Baufi-Rechner online unterscheiden?

Kreidenweis: Der bisherige Baufinanzierungsrechner online ist ein übersichtliches Instrument, mit dem die Kunden sehr schnell einen ersten Eindruck von der Machbarkeit und den Kosten einer Finanzierung bekommen. Die Parameter wie Kreditbetrag, Laufzeit und Zins wählen die Kunden direkt aus. Der Baufinanzierungsrechner ermittelt daraus eine Modellrechnung. Man kann den Baufinanzierungsrechner als spezialisierten „Taschenrechner“ interpretieren. Die neue Omnikanalberatung Immobilie verfolgt einen deutlich erweiterten Ansatz. Sie bietet dem Kunden die Möglichkeit, sein Vorhaben individuell zu konkretisieren. Die Kunden können beispielsweise die Daten ihres Wunschobjekts direkt aus dem Portal ImmobilienScout24 importieren oder ihre Vorhaben nach ihren Vorstellungen konfigurieren. Die eingegebenen Daten können die Kunden zudem speichern, an ihre Berater übergeben oder den Prozess einfach zu einem späteren Zeitpunkt weiterführen. Zudem werden dem Kunden unmittelbar die Musterkonditionen aus der Hausmeinung angezeigt und in die Liquiditätsrechnung einbezogen. Das erhöht wesentlich die Realitätsnähe der Überlegungen der Kunden sowie die Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit mit der Volksbank Raiffeisenbank.

Agile Entwicklung

Die Fiducia & GAD will mit ihren Anwendungen bereits in einer möglichst frühen Phase der Entwicklung an den Markt gehen, um schon frühzeitig Kundenfeedback einsammeln zu können. Daher startet sie in der ersten Ausbaustufe mit sogenannten „Minimum Viable Products“ (MVPs). „Das bedeutet, dass unsere Anwendungen zunächst mit einem deutlich begrenzten Funktionsumfang ausgeliefert werden, die unseren Kunden jedoch bereits erste konkrete Mehrwerte bieten“, sagt Werner Kreidenweis. So bekommt die Fiducia & GAD frühzeitig mit, was den Kunden am Produkt gefällt, was wie intensiv genutzt wird, was gegebenenfalls noch fehlt, aber auch an welchen Stellen unter Umständen Prozessabbrüche oder Kanalwechsel erfolgen.

Wie sieht der weitere Fahrplan für das Firmenkundenportal und die App aus?

Gamarnik: Für die laufende „Family & Friends“-Phase haben wir uns einen Zeitraum von zwei Monaten vorgenommen. Sobald wir unsere Qualitätsziele erreicht haben, werden wir mit einem erweiterten Kreis an Banken in die Pilotierung starten und dann zum September 2019 schrittweise in den Breitenrollout gehen. Zum Ende des Jahres soll das neue Firmenkundenportal dann die heutige „eBanking Business Edition“ vollständig ablösen.

Welche Leistungen werden die Volksbanken und Raiffeisenbanken ihren Firmenkunden über das Portal und die App hinaus anbieten können?

Kreidenweis: Innerhalb der ersten Stufe, also dem „Minimal Viable Product“, muss zunächst ein grundlegender Standard an Basisleistungen aufgebaut werden. Deswegen liegt zunächst ein Fokus auf diversen Zahlungsverkehrsfunktionen. Die Firmenkunden werden in der Lage sein, ihre Vermögensübersicht inklusive aller ihrer Konten einzusehen und zu verwalten. Darüber hinaus können sie online und mobil Überweisungen, Lastschriftrückgaben und Auftragsfreigaben durchführen. Integriert in das neue Portal sind zudem das elektronische Postfach und die Dateiverwaltung, mit der SEPA-Dateien und Daten für den Auslandszahlungsverkehr - AZV-Dateien - hochgeladen werden können. Um mit ihrer Bank in Korrespondenz zu treten, können die Firmenkunden zudem einen integrierten Live-Chat nutzen. Der Ausbau der Funktionalitäten erfolgt im Anschluss sukzessive. Portal und App werden multibankenfähig sein. Das ist ein wesentlicher Mehrwert, weil die Kunden dadurch alle ihre Konten von verschiedenen Instituten gebündelt in ihrem Volksbanken und Raiffeisenbanken-Account managen können.

„In der Kundenberatung wird es verstärkt darauf ankommen, die digitale Kompetenz der Berater zu entwickeln.“

Dmitri Gamarnik

Wie wirken sich die Ergebnisse der Digitalisierungsoffensive auf den Arbeitsalltag der Volksbanken und Raiffeisenbanken aus?

Gamarnik: Mit dem Start der neuen Vertriebsplattform und den ersten Inhalten aus der Digitalisierungsoffensive kommen gleich mehrere Neuerungen auf die Volksbanken und Raiffeisenbanken zu: Veränderungen im Kundenverhalten, Veränderungen am Arbeitsplatz der Kundenberater und arbeitsorganisatorische Änderungen durch deutlich kürzere Ausbringungszyklen. Durch den Omnikanal-Ansatz können die Kunden vermehrt auch solche Anliegen, die sie bisher klassischerweise im persönlichen Kontakt erledigt haben, im digitalen Kanal von zu Hause oder von unterwegs erledigen. Hierbei werden sie eine reibungslose und sehr direkte Interaktion und Kommunikation mit ihren Beratern erwarten. In der Kundenberatung wird es daher verstärkt darauf ankommen, die digitale Kompetenz der Berater zu entwickeln, damit sie ihre Kunden dort „abholen“ und begleiten können, wo diese präferiert unterwegs sind. Arbeitsorganisatorisch wird sich die neue Vertriebsplattform damit deutlich auf die zukünftige Rolle der Kundenberater auswirken. Erfolgskritisch wird in diesem Zusammenhang sein, dass die Institute die vielen Impulse und Daten, die die Kunden selbst über die neue Vertriebsplattform generieren, systematisch und effektiv vertrieblich nutzen. Hierzu wollen wir mit intelligenten Lösungen beitragen.

Kreidenweis: Eine weitere große Veränderung wird sicherlich der neue „kontinuierliche“ Ausbringungsmodus sein. Um schneller und flexibler auf Marktentwicklungen und Kundenfeedback reagieren zu können, werden wir unsere Anwendungen nicht wie bisher in halbjährigen Releases, sondern in kürzeren, monatlichen Zyklen – sogenannten „Publications“ – ausliefern. Die Banken werden also nicht umhinkommen, ihr bisheriges Einführungsmanagement umzustellen: Prozesse müssen pragmatisch verschlankt und Kommunikationswege verkürzt werden.
 

Wie bereiten Sie die Volksbanken und Raiffeisenbanken auf die Digitalisierungsoffensive und ihre einzelnen Bausteine vor?

Gamarnik: Im Januar 2019 haben wir alle Vorstände der Volksbanken und Raiffeisenbanken über die Roadmap der Digitalisierungsoffensive bis Mitte 2020 informiert. Die Banken wissen also bereits, welche Anwendungen sie im Jahresverlauf und darüber hinaus erwarten können. Mit dem näherrückenden Breitenrollout ab September 2019 werden die Unterstützungsinstrumente immer konkreter und detaillierter. Die genossenschaftlichen Regionalverbände haben uns bereits frühzeitig in ihre Überlegungen zum Umsetzungsmodell eingebunden. Inzwischen arbeiten gemeinsame Arbeitsgruppen an der Erstellung und gemeinsamen Abstimmung der verschiedensten Unterstützungsmaßnahmen für die Einführung der neuen Anwendungen. Unter anderem werden die Banken in verschiedenen, vor allem auch digitalen Formaten regelmäßig und mit genügend Vorlauf über neue Updates informiert. Dies können bei Updates mit geringer Komplexität zum Beispiel kurze, in die jeweilige Anwendung integrierte Update-Hinweise sein, wie wir sie alle von unseren Handys kennen. Bei größeren Änderungen werden die Banken dann umfangreicher unterstützt, beispielsweise durch ausführliche technische und fachliche Leitfäden – den sogenannten „Umsetzungslotsen“ – sowie Webinaren und Schulungen.

Auf der Hausmesse COM 19 der Fiducia & GAD hieß es, das Banksystem agree21 „wandert konsequent in den Browser“. Was heißt das?

Kreidenweis: Bei der technischen Realisierung der Digitalisierungsoffensive konzentrieren wir uns auf die Vertriebsprozesse und die digitalen Kundenreisen durch die Beratungs-, Produkt- und Dienstleistungsangebote der Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie der Verbundpartner. Mit dieser Zielsetzung bewegen wir uns mit allen neuen Entwicklungen in der mobilen Welt und im Internet. Die durchgängige Verankerung der Omnikanalstrategie erfordert es zudem, dass den Kundenberatern unmittelbar und direkt neue, von Kunden erfasste Daten zugänglich sind und dass sie mit den Kunden Vorgänge dort wieder aufgreifen können, wo die Kunden gegebenenfalls allein nicht weitergekommen sind. Konsequenterweise bedeutet dies, dass die Kundenberater die selben Bildschirmansichten haben wie ihre Kunden. Der Beraterarbeitsplatz wandert damit, wenn man es so formulieren will, ebenfalls in den Browser.

„Die Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken werden schon bald in der Lage sein, sich bei Drittanbietern mit ihrem VR-Netkey zu authentifizieren.“

Dmitri Gamarnik

Welche weiteren Funktionen rund um die Digitalisierungsoffensive stehen noch auf der Agenda?

Gamarnik: Ein wichtiger Baustein für uns ist das Thema Authentifizierung und digitale Identität. Auf der Vertriebsplattform bieten wir schon heute mit dem „Central Authentication Service“ (CAS) ein zentrales Identitätsmanagement, mit dem sich der Kunde in der gesamten genossenschaftlichen FinanzGruppe übergreifend authentifizieren kann. Durch unsere Kooperation mit dem Anbieter „Yes“ werden die Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken zukünftig zudem in der Lage sein, sich bei verschiedenen Drittanbietern wie zum Beispiel Online-Shops mit ihrem VR-Netkey zu authentifizieren. Vor allem im Hinblick auf die Vernetzung der Vertriebsplattform hin zu einem digitalen Ökosystem ist dies ein wichtiger Meilenstein. Der Breiteneinsatz für Yes ist für Anfang September 2019 geplant.

Kreidenweis: Beim Thema Big Data & Analytics arbeiten wir an konkreten Lösungen, mit denen wir den Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken durch intelligente Analyse ihrer Daten nützliche Mehrwertservices bieten können. Aktuelle Entwicklungsrichtungen reichen von verschiedenen Liquiditätsrechnungen und -prognosen über Vertragsübersichten mit intelligenter Texterkennung bis hin zu auf „Deep Learning“ basierenden Kontoanalysen und -kategorisierungen. Das sind allerdings teilweise Zukunftsthemen, die über das Jahr 2019 hinauszeigen.

Herr Kreidenweis, Herr Gamarnik, vielen Dank für das Gespräch!

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