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Nordöstlich von Nördlingen wird es langsam einsam. Die Straßen werden schmaler, die Dörfer leerer. Dann kommt Hagau, 77 Einwohner: Dort draußen im Donau-Ries sind die Menschen stark auf sich selbst gestellt. „Bestimmte Dinge muss man selbst bewegen. Wenn jeder bloß labert, geschieht nichts“, sagt Energie-Bauer Alfred Luderschmid (55).

In dem entlegenen Dörfchen im Bezirk Schwaben haben sie einfach angepackt. Luderschmid betreibt seit Jahren eine Biogasanlage, in der er Elefantengras und Mais von 25 Landwirten aus der Umgebung verarbeitet. Aus 12.000 Tonnen Substrat gewinnt er jedes Jahr 15,9 Millionen Kubikmeter Biogas – und dieses verstromt er über ein eigenes Blockheizkraftwerk. 6,6 Millionen Kilowattstunden, Elektrizität für 1.600 Haushalte.

Doch was geschieht mit der Abwärme des riesigen Generators? Anfangs verpuffte sie. Bis die Hagauer Schaufeln in die Hand genommen und einen kleinen Bagger besorgt haben. „Die Frauen haben Kaffee gekocht, die Kinder gespielt – und die Männer haben gebuddelt“, erinnert sich der im Ort ansässige IT-Unternehmer Ludwig Fensterer, 63. Acht Jahre ist das her. Gemeinsam haben sie Gräben im ganzen Dorf gezogen und die Rohre für ein gemeinsames Nahwärmesystem verlegt.

„Durch die Nahwärme ist der Zusammenhalt noch gewachsen“

Ludwig Fensterer, einer der Gründer der Genossenschaft

Die Rohre speisen sich aus Luderschmids Blockheiz-Scheune. Denn von dort kommt heute die Energie, mit der bereits 17 von 21 Hagauer Haushalten heizen und ihr Brauchwasser erwärmen. „So ein kleines Dorf ist an sich schon Gemeinschaft“, erklärt Initiator Fensterer, „aber durch die gemeinsame Nahwärme ist der Zusammenhalt noch gewachsen.“ Die Bürger haben eine Genossenschaft gegründet – die Nahwärmesystem Hagau eG gehört allen und liefert Energie für alle. Insgesamt 200.000 Euro haben sie in den Wärmeverbund investiert, mehr als die Hälfte kam über einen günstigen Kredit von der staatlichen Förderbank KfW.

Damit liegen die Hagauer an der Spitze einer Bewegung. Rund 80 solcher Genossenschaften gibt es im Freistaat mittlerweile. Sie versorgen insgesamt rund 5.000 Anschlussnehmer mit Nahwärme. Die meisten dieser Bürger-Verbünde haben sich in den beiden benachbarten Landkreisen Donau-Ries und Weißenburg-Gunzenhausen etabliert, nämlich insgesamt 30.

Mit vereinten Kräften: Im ganzen Dorf zogen die Einwohner von Hagau Gräben, um das Nahwärmenetz zu verlegen. Fotos: Nahwärmesystem Hagau eG
17 von 21 Haushalten in Hagau sind an das Nahwärmesystem angeschlossen.
Insgesamt 200.000 Euro haben die Einwohner von Hagau in ihr Nahwärmesystem investiert.
Mit den Rohren für die Nahwärme verlegten die Hagauer gleich auch noch Leerrohre für Glasfaserkabel. Seitdem gibt es in Hagau schnelles Internet.

So günstig haben sie in Hagau zuvor nie geheizt. Für ein Einfamilienhaus kostet die Wärme aus dem System 650 Euro pro Jahr. Fensterer findet: „So etwas ist jeder Gemeinde nur zu empfehlen. Alle Welt spricht von der Energiewende – aber man muss sie anpacken.“ Und weil sie schon beim Anpacken waren, haben sie gleich noch eine Schippe draufgelegt. „Gehwege, Straßen, Vorgärten waren sowieso schon aufgegraben. Da haben wir gleich noch Glasfaser-Leerrohre in alle Haushalte verlegt“, ergänzt Fensterer. Nur einige Kilometer von Hagau nämlich verläuft eine Leitung der Telekom. An die haben sie sich angeschlossen.

Und so kommt es, dass sie in dem entlegenen Dörfchen sogar noch schnelles Internet haben. Für den IT-Manager Fensterer, dessen Unternehmen in München sitzt, ideal – denn er kann nun öfters mal im Home-Office im nördlichen Schwaben arbeiten, bei Gattin Helene und Enkelin Anna sein.

Für den Präsidenten des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB), Jürgen Gros, ist Hagau ein Idealbeispiel: „Nahwärme-Genossenschaften machen vor, wie bürgerliches Engagement Versorgungslücken eigenverantwortlich schließen kann. Ihre Mitglieder helfen sich selbst.“ Deshalb seien Verbünde wie in Hagau „Zukunftsmodelle insbesondere im ländlichen Raum“.

Dieser Artikel erschien zuerst im Bayernkurier, Ausgabe 4 | 2019.
 

Gregor Dolak ist Redakteur des Bayernkurier.

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