Stiftungsrecht: Der Gesetzgeber hat das Stiftungsrecht reformiert und steuerliche Neuerungen im Gemeinnützigkeitsrecht beschlossen. Was ändert sich für Genossenschaften und ihre Stiftungen?
Das neue Stiftungsrecht gilt ab 1. Juli 2023 für alle neuen und bereits bestehenden rechtsfähigen Stiftungen. Mit dem neuen Stiftungsrecht wird das Stiftungszivilrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 80 bis 87d neue Fassung) gebündelt und vereinheitlicht. Anlass ist das Gesetz zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes, verkündet am 22. Juli 2021 im Bundesgesetzblatt 2021, Teil 1, Nr. 46, S. 2947 ff.
Was ist neu?
Das neue Stiftungsrecht enthält eine ganze Reihe von Regelungen, die es in dieser Form bisher nicht gab:
- Erstmals werden rechtsfähige Stiftungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) bundeseinheitlich gesetzlich definiert.
- Das BGB regelt nun, wie sich eine Stiftung strukturell und organisatorisch aufstellen muss, um ordnungsgemäß zu arbeiten. Das betrifft vor allem Satzungsänderungen, Zusammenlegungen, Zulegungen, Aufhebungen, Auflösungen sowie Verbrauchs- und Hybridstiftungen.
- Rechte, Pflichten, Besetzung und Haftung von Stiftungsorganen werden geregelt. Außerdem wird der unternehmerische Entscheidungsspielraum für Geschäftsführer und Vorstände – die „Business-Judgement-Rule“ – nun spezifisch für Stiftungen im BGB beschrieben.
- Zum 1. Januar 2026 wird ein Stiftungsregister eingerichtet. Rechtsfähige Stiftungen des Privatrechts können dann den Zusatz „e.S.“ (eingetragene Stiftung) oder „e.Vs.“ (eingetragene Verbrauchsstiftung) tragen. Wichtig: Stiftungen müssen zukünftig alle jeweils eintragungspflichtigen Tatsachen sowohl beim Stiftungsregister als auch beim Transparenzregister eintragen.
Auswirkung für bestehende Stiftungen
Die Reform führt nicht zu einem grundsätzlich neuen Stiftungsrecht. Weiterhin gilt das Prinzip, dass der ursprüngliche Stifterwille maßgeblich für das Wirken der Stiftung ist. Es wird hauptsächlich zusammengeführt, was bislang bereits in den Landesstiftungsrechten gilt oder in der Stiftungspraxis angewandt wird.
1. Stiftungsorgane
Neu sind die ausführlichen Regelungen für Stiftungsorgane, die erstmals ins BGB aufgenommen wurden. Inhaltlich entsprechen sie weitgehend dem Vereinsrecht. Mit Verweis konnte das Vereinsrecht schon bisher auf Stiftungen angewendet werden. Die neuen Vorschriften dienen zum einen als Klarstellung, zum anderen bieten sie Gestaltungsoptionen.
2. Vergütung und Haftung
Das neue Stiftungsrecht geht nun explizit von einer ehrenamtlichen Tätigkeit der Stiftungsorgane aus. Das ist der Fall bei einer unentgeltlichen Tätigkeit oder bei einem Aufwandsersatz, der die Ehrenamtspauschale von 840 Euro nicht übersteigt. Vergütungsbestimmungen sind in der Satzung zu regeln.
Die Haftung der Organmitglieder wird neu geregelt und bemisst sich nach folgenden Grundsätzen:
- Die Mitglieder der Stiftungsorgane haften für Vorsatz sowie für (einfach und grob) fahrlässige Pflichtverletzungen. Für ehrenamtliche Organmitglieder sieht die Neuregelung eine Haftungsprivilegierung vor: Das Mitglied haftet nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Hier wurden die Regelungen mit dem Vereinsrecht vereinheitlicht.
- Der neue § 84a Abs. 2 BGB definiert den Sorgfaltsmaßstab für das Handeln der Stiftungsorgane. Es wird die Business-Judgement-Rule angewendet: Organmitglieder haften nicht, wenn das Mitglied des Organs bei der Geschäftsführung unter Beachtung der gesetzlichen und satzungsgemäßen Vorgaben vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Stiftung zu handeln. Zum Tragen kommt das in erster Linie bei Entscheidungen, die auf Prognosen zukünftiger Entwicklungen beruhen, zum Beispiel bei der Anlage des Stiftungsvermögens, bei der Mittelverwendung oder bei Dauerschuldverhältnissen. Wurden die Vorgaben der Business-Judgement-Rule erfüllt, liegt seitens des Organmitglieds keine Pflichtverletzung vor.
3. Strukturmaßnahmen und Gestaltungsmöglichkeiten
Das neue Stiftungsrecht enthält eine große Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten. Kleine Stiftungen erhalten so die Chance, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Dem „Ewigkeitsgedanken“ einer Stiftung kann zum Beispiel auch durch Zulegung oder Zusammenlegung Rechnung getragen werden. So werden kleine Stiftungen wieder lebensfähig. Auch eine Änderung des Stiftungszwecks wird erleichtert und eine Umwandlung von einer Ewigkeitsstiftung in eine Verbrauchsstiftung ermöglicht. Diese Bestimmungen sind für die einzelnen Bedürfnisse der Stiftung zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen. Eine enge Abstimmung mit der Stiftungsaufsicht ist auf jeden Fall anzuraten.
4. Stiftungsvermögen
Auch beim Stiftungsvermögen verändern sich die Rahmenbedingungen: Künftig sollen Umschichtungsgewinne auch zur Erfüllung des Stiftungszwecks verwendet werden können, nicht nur wie bislang zur Kapitalerhaltung. Bei Verbrauchsstiftungen und bei „Hybrid“-Stiftungen ist kein bestimmter „Verbrauchsplan“ mehr erforderlich. Die Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung ist für kleine Stiftungen aufgehoben.
5. Virtuelle Gremiensitzungen
Eine Neuregelung für Gremiensitzungen ist bereits in Kraft getreten: Jeder Verein und jede Stiftung kann nun auch ohne explizite Satzungsermächtigung hybride beziehungsweise virtuelle Versammlungen durchführen. Der neue § 32 Abs. 2 BGB gilt auch für Stiftungsorgane. Die Entscheidung, ob die Sitzung virtuell oder hybrid stattfindet, trifft das Einberufungsorgan.
Fazit
Für bestehende Stiftungen, die auf der Grundlage ihrer Satzung weiterarbeiten möchten, begründet das neue Stiftungsrecht keinen akuten Handlungsbedarf. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Stiftungssatzungen von der GVB-Rechtsberatung erstellt oder geprüft wurden und deshalb beispielsweise Haftungsreduzierungen und Regelungen zum Selbstkontrahieren bereits in den Satzungen enthalten sind. Von Selbstkontrahieren spricht man, wenn eine Person mit sich selbst Verträge schließt, einmal in eigener Sache und einmal als Vertreter einer dritten Partei, zum Beispiel einer Stiftung. Im Hinblick auf die Neufassung der Haftungsregelung ist es sinnvoll, die Entscheidungsgrundlagen (Anlagerichtlinien, Vergaberichtlinien) zu überprüfen und ein nach Art, Größe und Organisation der Stiftung angemessenes Compliance-System einzuführen.
Die neuen Haftungsbestimmungen können Anlass geben, die bestehenden Haftungsbestimmungen in der eigenen Stiftungssatzung zu überprüfen. Des Weiteren bietet es sich gegebenenfalls an,
- eine Regelung zur Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB (Selbstkontrahierung) aufzunehmen,
- die Anforderungen an den Kapitalerhalt (zum Beispiel nominaler Werterhalt) in der Satzung zu konkretisieren oder
- die Satzung auf missverständliche Regelungen zu überprüfen, die eine Verwendung von Umschichtungsgewinnen verhindert haben.
Weitere Angebote
Der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) wird voraussichtlich im dritten Quartal 2023 ein Stiftungsseminar mit Gelegenheit zum Austausch anbieten. Das Seminar richtet sich an Stiftungsverantwortliche von GVB-Mitgliedern. Der Termin und die Anmeldemöglichkeit werden im GVB-Mitgliederportal rechtzeitig veröffentlicht. Für eine Beratung im Einzelfall steht die GVB-Rechtsberatung gerne zur Verfügung (siehe Kasten).
Regina Wenninger ist Vorstandsbeauftragte Mitgliederbetreuung des GVB und Geschäftsführerin der Raiffeisen/Schulze-Delitzsch Stiftung Bayerischer Genossenschaften.
Oliver Schießer ist Leiter Bankrecht beim Genossenschaftsverband Bayern.
Interdisziplinäres Beratungsangebot des GVB
Ein interdisziplinäres Team des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) berät die GVB-Mitglieder beziehungsweise deren Stiftungen zur Stiftungsnovelle und begleitet sie in allen Stiftungsfragen. Jörn Langhorst (jlanghorst(at)gv-bayern.de, 089 / 2868-3820) unterstützt in steuerlichen Belangen, Oliver Schießer (oschiesser(at)gv-bayern.de, 089 / 2868-3709) in rechtlichen Fragen. Regina Wenninger (rwenninger(at)gv-bayern.de, 089 / 2868-3400) ist zertifizierte Stiftungsmanagerin und Geschäftsführerin der Raiffeisen/Schulze-Delitzsch Stiftung Bayerischer Genossenschaften. Sie steht den GVB-Mitgliedern für Praxistipps zur Verfügung.
Der GVB unterstützt in Steuer- und Rechtsfragen
Der Bereich Steuern und Recht des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) unterstützt seine Mitglieder gerne in allen Steuer- und Rechtsfragen. Kontakt GVB-Steuerberatung: steuer(at)gv-bayern.de oder 089 / 2868-3820. Kontakt GVB-Rechtsberatung: recht(at)gv-bayern.de oder 089 / 2868-3730. Alle Dienstleistungen, Ansprechpartner und aktuelle Meldungen der GVB-Steuer- und Rechtsberatung finden Verbandsmitglieder im GVB-Mitgliederportal.