Impuls: In seiner Kolumne schreibt GVB-Präsident Gregor Scheller, was steigende Zinsen und höhere Baukosten für Bauherren, Banken und die Politik bedeuten.
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Ohne Energie läuft nichts. Wohnungen bleiben kalt, Fabriken können nicht mehr produzieren, die Lichter bleiben aus. Egal, ob es um Strom oder Wärme geht: Energie ist der Motor des Wirtschaftsstandorts Bayern. Die ehrgeizigen Ziele der Energiewende sollen dazu beitragen, die Energiegewinnung auf eine klimafreundliche Grundlage zu stellen, ohne Altlasten. So gut und wünschenswert diese Ziele sind: Bei der Energiewende hakt es gewaltig. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine breite Lücke. Dabei kann die Idee der Genossenschaft einen wichtigen Beitrag leisten, um die Energiewende voranzutreiben, erneuerbaren Energien schneller zum Durchbruch zu verhelfen und die Bürgerinnen und Bürger daran partizipieren zu lassen.
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat die Dringlichkeit der Energiewende noch weiter erhöht. Um die Abhängigkeit Deutschlands von Energieimporten zu mindern, ist es jetzt an der Zeit, den Ausbau der erneuerbaren Energien noch entschiedener voranzutreiben. Dabei fehlt es den Akteuren nicht immer am Willen. Mit bürokratischen und regulatorischen Auflagen wird versucht, die Energiewende bis ins letzte Klein-Klein hinein zu steuern. Was sich dann einstellt, ist oft genug das Gegenteil des erhofften Effekts.
Es ist daher unumgänglich, endlich mutig voranzuschreiten, Freiräume zu lassen, Platz für kreative Lösungen einzuräumen und sich von der Vorstellung zu verabschieden, man könne die Energiewende vor allem durch möglichst viel Bürokratie zum Erfolg führen. Ein etabliertes Modell zum erfolgreichen Umbau sind dabei Energiegenossenschaften: Einige existieren bereits seit mehr als einhundert Jahren. Sie sorgen für eine dezentrale Versorgung, haben in der Regel kurze Transportwege, halten die Wertschöpfung in der Region, treiben den Ausbau der erneuerbaren Energien voran und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit.
Wie die Menschen vor Ort von Genossenschaften profitieren
Immer wieder protestieren Bürgerinnen und Bürger gegen Projekte wie Windräder oder große Solarparks. Für diese Proteste mag es viele Gründe geben. Einer davon ist sicherlich: Mit dem Windrad müssen die Menschen rund um den jeweiligen Standort leben. Die Gewinne machen andere – meist anonyme Großinvestoren. Mit genossenschaftlichen Modellen ist dies anders: Jede Bürgerin und jeder Bürger kann dank der Dividende auf dem eigenen Konto sehen, warum es sich lohnt, dass sich das Windrad in der Nachbarschaft dreht. Diese unmittelbare Mitgliederbeteiligung ist ein genossenschaftliches Grundprinzip und sie ist nicht veränderbar. Kein Investor kann eine Genossenschaft übernehmen, die Mitglieder herausdrängen oder sich zur bestimmenden Instanz erheben. Eigenverantwortung, Mitgliederförderung, Mitbestimmung und Selbsthilfe – das macht Genossenschaften aus.
Leider ist diese schlichte Wahrheit darüber, wie sich mit dem Modell der Genossenschaft Bürgerbeteiligung organisieren lässt, noch nicht überall in den Köpfen verankert. Und Genossenschaften brauchen Raum zur Entfaltung, doch der ist eng.
„Wer Bürgerbeteiligung will und sich dadurch eine Befriedung der Debatte erhofft, muss auch etwas dafür tun.“
Nicht ausreichende Netzkapazitäten und Ausschreibungsbedingungen, die regional ausgerichteten Genossenschaften, für die sich jede einzelne Ausschreibung rechnen muss, die Teilnahme fast unmöglich machen, sind enorme Hemmschuhe, die mit dem hinreichenden politischen Willen beiseite geräumt werden könnten. Der Mangel an verfügbaren Flächen wird ebenfalls immer mehr zum Problem. Gegen finanzstarke Investoren haben Genossenschaften bei den jetzigen Rahmenbedingungen häufig keine Chance, geeignete Flächen für sich zu gewinnen. Wer Bürgerbeteiligung will und sich dadurch eine Befriedung der Debatte erhofft, muss auch etwas dafür tun, dass Modelle der Bürgerbeteiligung, wie Genossenschaften, überhaupt zum Zuge kommen können. Neueste Erhebungen haben gezeigt, dass der Freistaat selbst zum Beispiel bei der Ausstattung seiner Liegenschaften mit Photovoltaikanlagen weit hinterher hinkt. Energiegenossenschaften könnten hier einen Beitrag leisten – zum Wohle des Klimas und der Gesellschaft.
Unklare Umwelt- und Emissionsauflagen und eine unklare Perspektive für ausgeförderte Anlagen ergänzen den Problemreigen. Und warum muss es so kompliziert sein, Mieter an dem Strom, den die Solaranlage auf dem Hausdach produziert, zu beteiligen? Worum geht es am Ende? Um Bedenken bei bürokratischen Antragsverfahren oder um den Erfolg der Energiewende zum Wohle aller?
Schlanke Regeln statt bürokratischem Dickicht
Bürgerbeteiligung kann ein Schlüssel sein, um der Energiewende doch noch zum Erfolg zu verhelfen. Genossenschaften mit ihrer Wertebasis und demokratischen Struktur können dazu die Grundlage bieten. Dazu bedarf es aber schlanker Regelungen und keines bürokratischen Dickichts. Und es braucht dazu Planungssicherheit, Perspektive und Vertrauen. Wer soll denn sein Geld in Projekte investieren, von denen er nicht weiß, ob sie in wenigen Jahren wieder wegreguliert werden?
Mit dem sogenannten Osterpaket hat die Bundesregierung jüngst einige Hinweise gegeben, wie sie die Energiewende weiterentwickeln will. Viele Details stehen noch aus und sollen in einem Sommerpaket nachgeliefert werden. Diese Weiterentwicklung der Energiewende böte die einmalige Gelegenheit, Bürgerbeteiligung und das Genossenschaftsmodell stärker ins Zentrum zu rücken, um die Akzeptanz der Energiewende zu stärken und voranzutreiben.
Dieser Beitrag erschien zuerst in leicht gekürzter Fassung im „Münchner Merkur“ vom 10. Mai 2022.